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Magdeburg-Coach Stefan Krämer im Interview: "Manchmal ergreife ich sofort die Flucht"


HINTERGRUND

Seit dieser Saison trainiert Stefan Krämer den 1. FC Magdeburg. Im Interview mit  Goal und SPOX spricht Krämer unter anderem über seine Auftritte als DJ, das schwierige Arbeiten beim KFC Uerdingen und warum er sich oft chilenischen Fußball ansieht.

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Herr Krämer, als Spieler kickten Sie für den FV Bad Honnef und den FV Rheinbrohl, ehe Sie mit Anfang 30 nach einer Bänderverletzung im Knie Ihre Karriere beenden mussten. Sie sind zudem studierter Diplom-Sportlehrer und waren nach Ihrer Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sporthochschule Köln neun Jahre lang für eine private Krankenversicherung tätig. Von einer Trainertätigkeit im Profibereich waren Sie da noch weit entfernt.

Stefan Krämer : Das stimmt, aber Trainer war ich damals schon. Erst in Rheinbrohl, dann bei der TSG Irlich und von 2002 bis 2011 beim SV Roßbach/Verscheid in der Oberliga Südwest. Ich habe mich bei der Versicherung überwiegend um verletzte Sportler gekümmert. Das Beste an dem Job war, dass ich mir die Zeit selbst einteilen konnte. Daher habe ich damals schon fast wie ein professioneller Trainer gearbeitet. Ich wusste schon während meiner aktiven Zeit, dass ich Trainer werden möchte. Ich wollte immer wissen: Bringt uns diese Übung weiter oder ist das nur Bewegungstherapie? In der Oberliga habe ich mir vor 200 Zuschauern genauso viele Gedanken gemacht wie heute vor 20.000. Ich könnte auch gut damit leben, wenn ich in der Verbandsliga arbeiten würde.

Erst nach neun Jahren als Trainer haben Sie sich entschieden, den Lehrgang zum Fußballlehrer zu absolvieren. Weshalb, wenn Sie nicht zwingend Profi-Trainer werden wollten?

Krämer : Ich wollte die beste Ausbildung haben und meinen Horizont erweitern. Als ich mich bewarb, war noch nicht einmal klar, ob ich überhaupt genommen werde. Es waren nur 24 Kandidaten zugelassen.

Wie war's letztlich?

Krämer : Die Gespräche mit der Gruppe waren sehr förderlich, weil viele aus dem Profibereich dabei waren - unter anderem Markus Weinzierl, Frank Schmidt oder Markus Gisdol. Ich konnte viel lernen, wie es ganz oben wirklich aussieht. Überraschenderweise haben die sich auch dafür interessiert, wie es bei mir weiter unten zugeht. Man wollte mir zum Beispiel erst nicht glauben, dass ich bei einem Klub auch schon den Rasen gemäht habe.

Nachdem Sie den Fußballlehrer im März 2011 als Viertbester des Jahrgangs bestanden hatten, wurden Sie im Sommer plötzlich Co-Trainer bei Arminia Bielefeld unter Cheftrainer Markus von Ahlen - in der 3. Liga, im Profibereich. Wie kam es dazu?

Krämer : Die Arminia war abgestiegen, Markus wurde neuer Trainer und er suchte einen Assistenten. Man hat daher bei Frank Wormuth, dem ehemaligen Leiter der Fußballlehrer-Ausbildung, nachgefragt, ob er denn nicht jemanden empfehlen könnte. Aus irgendeinem Grund hat er dann meinen Namen genannt. Dafür bin ich ihm auch heute noch sehr dankbar. Ich hatte in Markus' Zeit als A-Jugend-Trainer bei Bayer Leverkusen einmal bei ihm hospitiert, besser kannten wir uns aber nicht. Die Position des Co-Trainers ist schon sehr sensibel, weil ein absolutes Vertrauensverhältnis da sein muss. Nicht ohne Grund nehmen Trainer ihre Teams von Verein zu Verein mit.

Nach dem zehnten Spieltag der Saison 2011/12 wurde von Ahlen wegen Erfolglosigkeit entlassen und Sie wurden Interimstrainer. Wie erinnern sich Sie an diesen Moment?

Krämer : Ich habe gesagt, dass sie mich auch entlassen müssen. Wir haben die Dinge ja gemeinsam fabriziert. Doch der Verein wollte, dass ich unbedingt bleibe. Es war Länderspielpause und ich sollte vorübergehend nur das Training leiten. Der Mannschaftsrat hat sich dann nach den ersten Einheiten enorm für mich stark gemacht - warum auch immer. Danach wurde es ganz verrückt: Wir gewannen ein Testspiel und zeitgleich sagten mehrere Trainer ab. Da der Verein somit noch Zeit brauchte, sollte ich die nächsten zwei Wochen weitermachen.

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Und dann startete Ihre Erfolgsgeschichte mit der Arminia. Nach mehreren Siegen etablierte sich die Mannschaft in der Spitzengruppe und stieg am Ende der Saison 2012/13 in die 2. Liga auf.

Krämer : Ich weiß noch, dass wir das erste Spiel gegen Heidenheim verloren hatten. Von Dezember bis Mai gab es dann aber nur noch eine einzige Pleite. Wir hatten, um es mit einer Fußball-Floskel zusagen, das Spielglück auf unserer Seite. Ich kann es selbst nicht mehr hören, aber dieses Quäntchen braucht man einfach, um erfolgreich zu sein. Irgendwie entwickelte sich alles so gut, dass wir nicht mehr zu besiegen waren.

Auch Ihre Art kam bei den Bielefelder Fans gut an. Sie sollen sehr beliebt gewesen sein.

Krämer : Das hätte mir aber nichts geholfen, wenn ich kein Spiel gewonnen hätte. Merken die Leute, dass der Trainer nicht nur Müll labert und immer ehrlich ist, ist das natürlich ein Vorteil. Ich war für die Spieler aber noch nie ein Kumpeltyp, denn zu einem guten Verhältnis zwischen Trainer und Spieler gehört einfach Kritik. Wenn ich jemanden kritisiere, dann ist das eigentlich etwas Gutes. Kritik ist eine Art Wertschätzung. Heutzutage bekommt man nur Leistung, wenn man Sinn bietet. Jeder Spieler will wissen, warum er etwas tun muss. Es bringt nichts, wenn ich einfach ein Programm durchziehe. Was aber auch klar ist: Bin ich von etwas überzeugt, kann mich selbst der Papst nicht umstimmen.

Als Sie nach Ihrem Aus in Bielefeld zur Saison 2014/15 zu Energie Cottbus gingen, waren Teile der Fans nicht besonders begeistert über ihre Verpflichtung.

Krämer : Ja, weil manche unglücklich darüber waren, woher ich komme. Ich lese zwar keine Foren, aber man kommt ja gar nicht daran vorbei, das mitzubekommen. Mir ist es am Anfang nicht wichtig, was die Leute über mich denken. Wichtig ist, was sie denken, wenn ich wieder gehe. Bislang war es nicht der Fall, dass ich geteert und gefedert rausgeschmissen wurde. Der Profifußball ist einfach ein lebendes Tier, als Trainer bist du meist nur für eine gewisse Phase der Richtige. In Cottbus wurde ich meiner Meinung nach viel zu früh entlassen. Das war zu dem Zeitpunkt total unnötig, weil wir aus meiner Sicht nicht abgestiegen wären. Später bei Rot-Weiß Erfurt waren die großen finanziellen Probleme ausschlaggebend für mein Ende. Die Entscheidungsträger in einem Klub wollen ja nur das Beste für ihren Verein, von daher bin ich auch keinem böse.

In Erfurt waren Sie von Januar 2016 bis Oktober 2017 angestellt. Im März 2018 wurden Sie Coach beim KFC Uerdingen in der Regionalliga. Kein einfacher Standort, wie man nach zahlreichen Trainerentlassungen mittlerweile weiß.

Krämer : Mir war schon bewusst, was auf mich lauert. Nach zahlreichen Gesprächen dachte ich aber, dass die Chance größer als das Risiko war. Mein Vorgänger Michael Wiesinger hat mit mir den Fußballlehrer gemacht - und dessen Entlassung hatte ich auch schon nicht verstanden.

Dabei war Ihre Anfangszeit in Uerdingen sehr erfolgreich: Sie haben elf Spiele in Folge gewonnen und sind am Ende in die 3. Liga aufgestiegen.

Krämer : In der Regionalliga hatte ich einen Punkteschnitt von 2,3, in der 3. Liga als Aufsteiger dann einen Schnitt von 1,8. Eigentlich nicht so schlecht. Nach mir waren nun sechs Trainer am Werk und der Verein ist immer noch in der 3. Liga.

Wie stark mischte sich denn Geldgeber Michail Ponomarew ins Tagesgeschehen ein?

Krämer : Die Kaderplanung macht nur er. Es gibt zwar ein Mitspracherecht, aber letztlich verpflichtet er die Spieler. Doch das fängt mit der Kaderplanung an und hört mit den Trainerentlassungen auf. Er versucht immer wieder, noch erfolgreicher zu werden.

stefan krämer

Was für ein Typ ist er?

Krämer : Er ist sehr, sehr ehrgeizig und der Chef im Verein. Ich bin zwar kein unbequemer Trainer, aber ich halte meine Meinung nicht zurück. In dem Bereich, in dem ich die Verantwortung trage, treffe ich die letzte Entscheidung. Das geht ja auch nicht anders. Wenn das aber nicht mehr gewünscht ist, dann gehe ich halt nach Hause - und diese Einstellung kam anscheinend nicht immer gut an.

Der KFC investiert stark in den Kader, das heimische Grotenburg-Stadion war aber nicht drittligatauglich. Stattdessen musste man in der Schauinsland-Reisen-Arena in Duisburg spielen. Wie empfanden Sie das?

Krämer : Das war ein großes Problem. In der Regionalliga in der Grotenburg zu spielen, war einfach geil. Das Stadion ist zwar kein Schmuckkästchen, hat dafür aber Charme. Dort denkt man, die Europapokalspiele der 1980er Jahre seien erst gestern gewesen. Ich habe es nicht verstanden, warum wir dort nicht spielen durften. Andere Stadien in der 3. Liga besitzen zahlreiche Defizite. Letztlich hatten wir in der Folge nur Auswärtsspiele.

Ohne Heimstadion also kein anvisierter Aufstieg in die 2. Bundesliga?

Krämer : Ein gutes Heimstadion bringt dir mindestens zehn Punkte. Das hat die mögliche Raketen-Entwicklung des Vereins auf jeden Fall gestoppt. Für meine Nachfolger ist das nicht einfach, denn du musst erst einmal 38 Auswärtsspiele überstehen.

Im Januar 2019 wurden Sie in Uerdingen entlassen, nachdem sie die Hinrunde auf Rang drei beendet hatten. Seit Sommer stehen Sie beim Zweitliga-Absteiger 1. FC Magdeburg an der Seitenlinie - dem dritten Ost-Klub Ihrer Trainerkarriere.

Krämer : Ich habe den Eindruck, dass die Städte im Osten noch mehr für den Fußball leben. Wenn ich am Spieltag zum Stadion fahre, hat hier in Magdeburg gefühlt die halbe Stadt schon das Trikot an. Ich denke: Je schwieriger die Situation in der Stadt, desto enger die Bindung zum Verein. Ich habe ja schon in jedem Stadion in Deutschland gespielt, trainiert oder gescoutet, aber die Atmosphäre beim FCM ist wirklich einzigartig. Dann fahren noch Tausende Verrückte zu jedem Auswärtsspiel mit. Nach dem Spiel gegen Freiburg in der ersten Pokalrunde hat Christian Streich sogar gesagt, dass er noch nie in solch lauten einem Stadion gewesen ist. Und dies, obwohl das Stadion noch nicht einmal fertig umgebaut war und eine ganze Tribüne frei bleiben musste.

Sie sind an der Seitenlinie sehr engagiert und gehen emotional mit. Ihr großes Vorbild ist die Trainer-Legende Walerji Lobanowski von Dynamo Kiew, der für seine stoische Art bekannt ist. Wie passt das zusammen?

Krämer : Lobanowski ist nie von der Bank aufgestanden. Er war aber der erste Trainer, der mit Raumaufteilung gespielt hat. Als ich das erste Mal ein Spiel von ihm sah, musste ich die Videokassette bestimmt 20-mal vor- und zurückspulen. Ich konnte nicht glauben, dass die wirklich elf Mann waren. Das war ein anderer Sport! Er hat den modernen Fußball erfunden.

Sind Ihnen als besonders aktiver Coach eigentlich die neuen Regeln mit Gelben und Roten Karten für Trainer ein Dorn im Auge?

Krämer : Aus meiner Sicht sind diese unangebracht. Ich verstehe nicht, weshalb man die Emotionen herausnehmen will. Das liegt aber nicht an den Schiedsrichtern, sondern an denen, die diese Regeln erfinden.

Da wir gerade bei Lobanowski waren: Was schauen Sie sich denn heutzutage von Trainern ab?

Krämer : Ich versuche, jedes Champions-League-Spiel zu sehen. Als Trainer musst du dich weiterentwickeln und überlegen, was du dir von den Besten abschauen kannst. Ich finde aber auch, dass das Pressingspiel in der chilenischen Liga das Beste ist. Die machen das dort brutal. Daran muss ich immer denken, wenn mir irgendwer erzählen will, Verein XY lässt so tolles Pressing spielen.

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Sie haben einmal gesagt, ein Tag ohne Fußball sei für Sie "scheiße".

Krämer : Ich werde oft gefragt, ob ich nicht die Sommerpause herbeisehne. Doch Stress habe ich nur, wenn ich keinen Fußball habe. Ich werde wahnsinnig, wenn ich zwei Wochen zu Hause bin. Auch die Zeit, in der ich keinen Job hatte, war für mich spannend. Es gibt da ja immer zwei Möglichkeiten: Entweder man sitzt nur auf der Couch herum und guckt sich Richterin Barbara Salesch an oder man nutzt diese Phasen. Ich hospitiere dann meist bei Kollegen oder schaue mich bei anderen Sportarten um. Das Angriffsspiel im Volleyball finde ich zum Beispiel überragend.

Eine andere Leidenschaft neben dem Fußball ist für Sie die Musik. Während Ihres Lehramtsstudiums in Köln haben Sie auch als DJ aufgelegt. Erzählen Sie!

Krämer : Ach, das ist lange her und war ja nicht professionell. Ich interessiere mich eben sehr für Musik und wollte damals auf Feiern keine schlechte Musik hören. Daher habe ich eben selbst aufgelegt. Musik mit Power finde ich einfach genial. Ich gebe aber zu: Als DJ war ich grottenschlecht. Ich habe früher auch viele Schallplatten gekauft und ging oft auf Konzerte. Ich liebte es, in Schallplatten-Läden zu stöbern und dort meine Zeit zu verbringen.

Was sagen Sie als Fan von "Musik mit Power" dann zum Musikgeschmack der heutigen Spielergeneration?

Krämer : Fürchterlich! Ich bin froh, dass ich meine eigene Kabine habe und mir das nicht immer anhören muss. Hin und wieder halte ich es ein paar Minuten aus, manchmal ergreife ich aber sofort die Flucht. Das ist aber auch nicht schlimm, da die Kabine der Bereich der Spieler ist.

Wenn die Musik für Sie fürchterlich ist, was halten Sie dann von der Sprache dieser jungen Leute?

Krämer : Manchmal sehr lustig. Ohne "Digga" oder "Alter" können die ja keinen Satz mehr beenden. Obwohl ich es gefühlt 100 Mal am Tag höre, habe ich bislang noch nicht einmal "Alter" gesagt. Das ist aber auch alles nicht dramatisch, sondern schlicht eine Entwicklung.

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