KOLUMNE
Als vor exakt zwei Wochen ein sichtlich aufgeregter Anrufer von einem Fall berichtet, der eigentlich schon in Vergessenheit geraten war, ahnte ich noch nicht, in welch rasanter Geschwindigkeit diese Geschichte ihren Lauf nehmen würde. "Es geht um Hilke. Sie haben ermittelt und Beweise gefunden. Das wird ein Fall für die Staatsanwaltschaft", sagte mein Gesprächspartner. Klang zunächst spannend, wäre aber nicht das erste Mal gewesen, dass eine vermeintlich heiße Spur ins Leere verläuft. Doch diesmal war es anders. "Fragen Sie mal bei Frank Wettstein nach", lautete der abschließende Hinweis. Na gut. Gesagt, getan.
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Frank Wettstein, zur Erinnerung, ist seit Herbst 2014 Finanzvorstand des Hamburger SV. Öffentlich in Erscheinung tritt er nur selten. Und auch Interviews sind seine Sache nicht. Zumindest sicherte man mir vonseiten des Vereins zu, Fragen schriftlich beantworten zu wollen. Sie drehten sich um die enge Verbindung des erst kürzlich ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds Joachim Hilke zur Agentur Match IQ. Eine der Fragen lautete: Hat der Vorstand des Hamburger SV die von ehemaligen Aufsichtsräten angeregte Überprüfung der Verbindung von Joachim Hilke zur Agentur Match IQ wiederaufgenommen?
Erst Kündigung, dann Strafanzeige
Schon vor einem Jahr hatte ich den HSV mit diesem Thema konfrontiert (mehr hier) und um Antworten gebeten. Offiziell will und kann aber niemand etwas dazu sagen. Das Thema sei Sache des Aufsichtsrates, ließ mich ein Sprecher des Vereins lediglich wissen. Eine Woche später wird klar, warum: Hilke und Match IQ wurde fristlos gekündigt. Ursprünglich wollte der ehemalige Marketing-Chef, der verdächtigt wird, an Match IQ beteiligt zu sein und finanziell an den Gewinnen partizipiert zu haben, in die Geschäftsführung der Agentur wechseln.
In einer Stellungnahme gab er immerhin zu, trotz seiner Funktion als Vorstand des HSV beim Aufbau von Match IQ durch die Vermittlung eines Investors geholfen und regelmäßig an Gesellschafterversammlungen teilgenommen zu haben. Eine Beteiligung jedoch bestritt er. Dennoch liegen Beweise vor, die offenbar das Gegenteil belegen.
Wie gestern offiziell bestätigt wurde, hat der HSV gegen Hilke deshalb Strafanzeige wegen Untreue erstattet. Angeblich geht es um einen Schaden im hohen sechsstelligen Bereich. "Interne Revisionsergebnisse" haben eine strafrechtliche Relevanz ergeben, heißt es aus dem Verein. Und genau an dieser Stelle könnte der ohnehin schon brisante Fall noch größere Ausmaße annehmen.
Schwere Vorwürfe gegen Ex-Vorstand Joschim Hilke
Wenn eine "interne Revision" eine strafrechtliche Relevanz ergeben hat - warum fand diese erst jetzt und nicht zu einem früheren Zeitpunkt statt? Spätestens auf der Mitgliederversammlung im Januar 2016 wurden Vorstand und Aufsichtsrat öffentlich mit den Gerüchten um Hilke und Match IQ konfrontiert. Der damalige Chef-Kontrolleur Karl Gernandt stellte damals nur lapidar fest, dass man "nicht jeden Kleinkram" diskutieren wolle. Kurz darauf wurde der Vertrag mit Match IQ vom HSV-Vorstand zu verbesserten Konditionen für die Agentur sogar bis 2018 verlängert. Für eine "interne Revision" sah Gernandt trotz deutlicher Hinweise keine Veranlassung. Ist er damit womöglich seiner Kontrollpflicht nicht nachgekommen? Auf Anfrage wollte er sich dazu nicht äußern.
Hilke war Kühnes Liebling
Auch der damalige Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer hat um die dubiose Verbindung von Hilke zu Match IQ gewusst. Intern wurde die Kooperation mit der Agentur, die Trainingslager, Freundschaftsspiele und Auslandsreisen vermittelt, von vielen Mitarbeitern zumindest hinterfragt. Aufgrund seines Rufes, illoyal gegenüber Vorstandskollegen zu sein und maßgeblich an der Demontage des Ex-Sportchefs Frank Arnesen mitgewirkt zu haben, lehnte Beiersdorfer vor seiner Rückkehr zum HSV im Sommer 2014 eine Zusammenarbeit mit Hilke kategorisch ab. Allerdings stieg Hilke während seiner Zeit bei den Rothosen zum Liebling und besten Informanten des Investors auf, der mehrfach die schützende Hand über ihn hielt.
An der Personalie Hilke scheiterten wenige Monate zuvor auch die Verhandlungen mit Felix Magath, der aus den selben Gründen wie Beiersdorfer nicht mit dem "Vermarktungsexperten" zusammenarbeiten wollte. Kühne hätte Magath zu diesem Zeitpunkt viele seiner Wünsche erfüllt - diesen allerdings nicht. An Hilkes Position wollte er partout nicht rütteln. Schließlich hatte er ihm mit der Ausgliederungsbewegung HSVPlus, mit der Hilke viele seiner Gegner los wurde, die Tür geöffnet, um seinen Einfluss beim HSV zu vergrößern. Belohnt wurde sein riskanter Einsatz mit einer Vertragsverlängerung bis 2018, die Kühne als Bedingung für frisches Geld einforderte. Darüber hinaus sollte der damalige Sportchef Oliver Kreuzer entlassen werden. Dies ging aus einem Schreiben hervor, das zu jener Zeit dem Stern vorlag. Fakt ist: Kühnes Wille geschah.
Den einen oder anderen Fan mag das Thema aktuell nicht interessieren. Ich verstehe, dass der Abstiegskampf wichtiger ist. Und ich gebe zu: Hilke und Match IQ haben mit dem Fußball von außen betrachtet nur am Rande etwas zu tun. Die Wahrheit ist allerdings, dass diese Geschichte sehr wohl eine von viele Erklärungen liefern kann, warum es beim HSV seit Jahren nicht läuft.
Es ist eine Geschichte, die etwas über die inneren Verhältnisse im Verein aussagt. Über Misstrauen, Illoyalität, sogar über Verrat. Und über Macht, die von außen auf den HSV ausgeübt wird. Wie hätte unter diesen Bedingungen je eine Konstellation entstehen können, die erfolgreich arbeiten kann? Natürlich nie. Umso wichtiger ist die lückenlose Aufklärung - nicht nur dieses Falles. Schade nur, dass dafür erst so viele Jahre verstreichen mussten.
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