"Er ist extrem talentiert. Ich sehe ihn als eine '10' - ein Kaka", sagte der ehemalige brasilianische U17-Trainer Guilherme Dalla Dea gegenüber der FIFA, als er zur Entwicklung von Reinier Jesus im Juli 2019 befragt wurde. "Ich sehe diese Eigenschaften bei Reinier. Er liebt es, in den Strafraum zu gehen und Tore zu schießen. Er schießt auch Tore von außerhalb des Strafraums. Ich habe so viel Vertrauen in ihn. Ich glaube fest daran, dass wir ihn im Ausland auf einem sehr hohen Niveau spielen sehen werden."
Getty/GOALSegunda División statt Real Madrid: Der Absturz des "neuen Kaká" geht immer weiter
imago imagesReiner hat noch kein Spiel für Real Madrid absolviert
Dalla Deas Vorhersage erwies sich als zutreffend, aber nicht annähernd in dem Maße, wie er es sich vorgestellt hatte. Sechs Monate später, nachdem er Flamengo zu einem beeindruckenden Double aus Serie A und Copa Libertadores verholfen hatte, wechselte der 18-jährige Reinier für 35 Millionen Euro Ablöse zu Real Madrid und unterschrieb einen Sechsjahresvertrag.
Dabei schloss sich Reinier seinen Landsleuten Vinícius Júnior und Rodrygo an, die ebenfalls in jungen Jahren von Flamengo nach Madrid gegangen waren. Man ging damals davon aus, dass das brasilianische Trio sein enormes Potenzial ausschöpfen und Reals Angriff langfristig anführen würde.
Zumindest Vinícius und Rodrygo haben genau das getan: Sie haben zusammen 550 Spiele in allen Wettbewerben für Los Blancos absolviert und dabei drei La-Liga-Titel und zwei Champions-League-Trophäen errungen. Beide sind heute unverzichtbare Bestandteile des Teams von Carlo Ancelotti.
Reinier hinkt dagegen sehr weit hinterher - noch hat der mittlerweile 23-Jährige kein Pflichtspiel für Real auf dem Buckel. Die Chancen stehen gut, dass das auch nie geschehen wird. Schließlich befindet er sich bereits bei seinem vierten Leihgeschäft. Was genau ist beim "nächsten Kaká" schief gelaufen?
Corona ruinierte Reiniers erstes Jahr in Madrid
Es ist offensichtlich, dass die Vergleiche mit Kaká zu viel Druck auf die jungen Schultern Reiniers luden. Es war auch nicht hilfreich, dass sein ehemaliger Teamkollege bei Flamengo, Filipe Luis, nach der Bekanntgabe des Wechsels zu Real noch einen Schritt weiter ging und zur Marca sagte: "Das ist wirklich ein großartiger Transfer. Ich gratuliere Real Madrid. Ich erinnere mich an Kaká, weil er mit erhobenem Kopf spielte und im Strafraum tödlich war. Reinier hat sogar noch mehr Qualität als er, wenn er mit dem Rücken zum Tor steht."
Vielleicht war die Tatsache, dass Kaká bei Real nie dasselbe Niveau erreichte wie bei der AC Mailand ein schlechtes Omen für Reinier, der laut The Athletic auch bei Manchester City und Atlético Madrid auf dem Zettel gestanden hatte. Dann schlug noch das Schicksal zu: Die Covid-19-Pandemie ruinierte sein erstes Jahr in der spanischen Hauptstadt.
Reinier startete zwar gut in die Saison, nachdem er in die zweite Mannschaft von Real Madrid aufgenommen worden war, und erzielte in seinen ersten drei Spielen unter der Leitung von Vereinslegende Raúl drei Tore. Doch die Saison wurde dann im März 2020 aufgrund der Pandemie unterbrochen. Im Mai wurde den spanischen Mannschaften die Wiederaufnahme des Trainings gestattet und der damalige Trainer Zinédine Zidane berief Reinier in den Profikader.
Dieser vermeintliche Durchbruch führte für ihn jedoch nicht zu einer festen Position im Kader. Real entschied schließlich, dass Reinier besser daran täte, anderswo Erfahrung in einer ersten Mannschaft zu sammeln. Man lieh ihn im August für zwei Spielzeiten an Borussia Dortmund aus.
Getty ImagesReinier und die schwache Zeit beim BVB
Das erste, was Reinier in Dortmund tat, war die Vergleiche mit Kaká zu beenden. "Ich möchte kein Kaka sein, ich möchte Reinier sein", sagte er bei seiner Vorstellung. "Es ist schön, mit einem solchen Spieler verglichen zu werden, aber ich möchte zeigen, was für ein Fußballer ich bin."
Reiniers Absichten kamen auf dem Spielfeld jedoch selten zum Vorschein. In der Hinrunde der Bundesliga-Saison 2020/21 kam er für Dortmund nur 70 Minuten zum Einsatz, was zu Berichten über eine vorzeitige Rückkehr ins Bernabéu führte.
Diese wurden jedoch im Januar von Michael Zorc abgewiesen. Der Sportdirektor sagte: "Wir wollen ihn im Grunde nicht abgeben. Wenn jemand unzufrieden ist, weil er zu wenig Einsatzmöglichkeiten hat, dann redet man miteinander, aber wir werden nicht selbst die Initiative ergreifen."
Reinier wollte im Signal Iduna Park bleiben - und im Februar erzielte er beim 3:0-Sieg gegen Arminia Bielefeld als Einwechselspieler sein erstes Tor für den BVB. Dieser lang ersehnte Moment sollte jedoch keine Wende einleiten.
Tatsächlich musste der Spielmacher bis zum letzten Spieltag auf seinen ersten Startelfeinsatz warten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der BVB unter Interimstrainer Edin Terzic bereits für die Champions League qualifiziert. Der BVB hielt auch nach der Ernennung von Marco Rose zum neuen Cheftrainer im Sommer 2021 an Reinier fest, doch seine zweite Saison endete in einer noch größeren Katastrophe.
Getty ImagesReinier beim BVB: "Etwas sehr Seltsames passiert"
Trotz seiner Schwierigkeiten in Dortmund wurde Reinier in den brasilianischen U23-Kader für die verschobenen Olympischen Spiele 2020 in Tokio berufen und trug mit einem entscheidenden Elfmetertreffer im Halbfinalsieg gegen Mexiko zum späteren Goldmedaillensieg bei. The Athletic behauptete, dass Dortmund in diesem Sommer auch versucht habe, Reinier fest zu verpflichten. Real aber habe diesen Vorschlag abgelehnt - eine Entscheidung, die man dort noch bereuen sollte.
"Ich hoffe, dass ich in dieser Saison mehr spielen werde und arbeite darauf hin", sagte Reinier während seiner Zeit im Fernen Osten. "Ich trainiere jeden Tag zu Hause. Ich will spielen, Tore schießen - alles." Sein Wunsch wurde jedoch nicht erhört, da Rose von Beginn seiner Amtszeit Spieler wie Julian Brandt und Thorgan Hazard gegenüber Reinier bevorzugte.
Bis Ende Oktober 2022 hatte Reinier nur sechs Einwechslungen mit einer Gesamtspielzeit von 66 Minuten erhalten. Sein Vater Mauro Brasilia sah sich deshalb offenbar gezwungen, sich zu äußern. "Dort passiert etwas sehr Seltsames, es ist eine Schande, für uns beide", sagte Brasilia gegenüber GOAL."Er könnte einen anderen Spielstil in die Mannschaft bringen, was in manchen Spielen sehr wichtig ist. Er weiß wie nur wenige andere, wie man den Ballbesitz und das Spiel kontrolliert. Es scheint, als hätte Dortmund das nicht verstanden und nicht erkannt, dass er eine gute Option sein könnte."
Reinier wurde anschließend mit einem Winterwechsel zu Benfica in Verbindung gebracht, aber ein Deal kam nicht zustande. In der Rückrunde der Saison 2021/22 saß er weiterhin auf der Bank und beendete die Saison ohne ein einziges Tor oder eine Vorlage.
Getty ImagesReinier: Guter Start bei Girona - bis zum nächsten Rückschlag
Als Reiniers Leihvertrag in Dortmund schließlich auslief, war er froh, gehen zu können. Er wechselte daraufhin auf Leihbasis zu Reals LaLiga-Rivale FC Girona und äußerte den Wunsch, nach "zwei verlorenen Jahren" in Deutschland neu loszulegen.
"Ich wollte einfach nur weg von dort. Ich habe meinen Teil beigetragen, ich habe trainiert, ich bin nach Hause gefahren und war jeden Tag da", fügte Reinier im September 2022 in einem Auftritt im brasilianischen Podcast Gringolandia mit Blick auf seine BVB-Zeit hinzu. "Ich bin immer pünktlich gekommen. Ich habe alle Menschen, die im Verein gearbeitet haben, respektiert. Ich habe ein reines Gewissen."
Reinier arbeitete sich schnell in die Startelf von Girona und erzielte sein erstes Tor in LaLiga beim 2:1-Heimsieg gegen Real Valladolid. Doch gerade als es so aussah, als könnte er sein Potenzial ausschöpfen, ereilte ihn der nächste Rückschlag. Reinier verpasste die vier Ligaspiele von Girona im Oktober wegen eines Muskelproblems.
Girona war letztlich aufgrund weiterer Knöchel- und Oberschenkelverletzungen gezwungen, von November bis Mitte Februar auf Reinier zu verzichten. Cheftrainer Michel gab dem Edeltechniker nach dessen vollständiger Genesung mehrere Chancen, seinen Platz zurückzuerobern, am Ende aber standen in den finalen zwölf Spielen der Saison 2022/23 nur drei Einsätze (ein Tor) zu Buche. Es war daher nicht überraschend, dass der Verein keinen Versuch unternahm, ihn fest zu verpflichten.
Real hatte immer noch keinen Platz für Reinier in der ersten Mannschaft und so begann man erneut, ein weiteres Leihgeschäft anzuleiern. Die Liste an Interessenten war nach drei enttäuschenden Spielzeiten allerdings sehr kurz. Reiniers Zukunft war erst am finalen Tag des Transferfensters im Sommer 2023 geklärt.
Getty ImagesReinier bei Frosinone: Wieder guter Start - und wieder verletzt
Das erst in die Serie A aufgestiegene Frosinone Calcio war bereit, einen Großteil von Reiniers Jahresgehalt von rund drei Millionen Euro zu übernehmen. Er gab sein Debüt am 8. Oktober gegen Hellas Verona und erzielte beim 2:1-Sieg direkt ein Tor.
Drei Wochen später gab Reinier bei einer 3:4-Niederlage gegen Cagliari zwei Vorlagen, sehr zur Freude seines neuen Trainers Eusebio Di Francesco. "Auf den letzten 20 bis 25 Metern ist er entscheidend. Er hat viel Talent, weiß, wie man mit dem Ball umgeht und kann Spiele gut lesen. Er kam in schlechter körperlicher Verfassung hierher, weil er 25 Tage lang alleine trainiert hatte, aber jetzt ist er in hervorragender Form", sagte der Coach.
Di Francescos Vertrauen in Reinier wurde erwidert, wie der junge Spieler in einem Interview mit AS verriet: "Ich fühle mich hier sehr wohl. Di Francesco hat mich seit der ersten Trainingseinheit unterstützt und mir geholfen. Er bittet mich, ohne Druck und mit einem Lächeln im Gesicht zu spielen. Auf dem Spielfeld weiß ich immer, was ich zu tun habe."
Zu diesem Zeitpunkt glaubte Reinier auch, dass sich für ihn eine zweite Chance bei Real am Horizont auftun könnte. "Mein Vater sagte mir, dass die italienische Liga die richtige für mich und meinen Fußball wäre. In meinem Kopf gibt es immer noch den Traum, zu Real zurückzukehren und dort zu spielen", sagte er.
Doch dann erlitt Reinier im Dezember eine Oberschenkelverletzung. Obwohl er deshalb nur drei Spiele aussetzen musste, kostete sie ihn den Stammplatz. Di Francesco setzte Reinier zwischen Januar und Mai nur sechsmal in der Liga ein (ein Tor). Am Ende stieg der Klub wieder ab.
Reinier gesteht sich Scheitern bei Real Madrid ein
Reinier war zu Beginn der Saison 2024/25 nach seiner dritten erfolglosen Leihgabe für Reals Castilla-Kader gemeldet, aber Ancelotti deutete öffentlich an, dass ein weiterer Transfer bevorstünde: "Ich empfehle, dass er sich ein Team sucht, in dem er seine Qualitäten unter Beweis stellen kann."
Es sah eine Zeit lang so aus, als wäre Norwich City dieser Verein. Die Engländer konnten sich jedoch nicht mit Real auf einen Leihvertrag mit Kaufoption einigen. Danach bekundeten sowohl Eibar als auch Teneriffa Interesse an Reinier, am Ende erhielt der spanische Zweitligist Granada den Zuschlag für eine einjährige Leihe.
The Athletic schrieb damals, dass Reinier aufgrund mangelnder Kommunikation und Unterstützung bei den Transferverhandlungen "verärgert" von Real war. Er soll sich auch selbst gegenüber eingeräumt haben, dass er bei Real gescheitert ist - da er angeblich den Eindruck hatte, dass der Verein ihm nicht "vertraute".
Der Wechsel zu Granada war für Real kaum mehr als ein letzter Versuch, den Marktwert von Reinier vor Ablauf seines Vertrags im Jahr 2026 für einen Verkauf zu steigern. Dennoch sorgte die Verpflichtung eines Talents von Real Madrid für viel Aufsehen in Granada, wo der Neuzugang in einem Beitrag in den sozialen Medien mit einer goldenen Krone und einem großen Löwen auf dem Thron des Alhambra-Palasts in Szene gesetzt wurde.
GettyReinier: Nicht für Fußball auf höchstem Niveau geschaffen?
Reinier hat in seinen bisherigen 23 Spielen für Granada in der Segunda División erneut keine Konstanz aufweisen können. Die magere Ausbeute: ein Tor und vier Vorlagen. Einen Stammplatz hat er unter Trainer Fran Escribas nicht.
Das liegt zum Teil an einem Muskelriss, den er sich im Januar zugezogen hat und der ihn einen Monat lang außer Gefecht setzte. Reinier ist jetzt wieder voll einsatzfähig, aber die Zeit, sich einen dauerhaften Wechsel zu Granada zu verdienen, läuft davon.
Granadas Hoffnungen, auf Anhieb wieder in LaLiga aufzusteigen, sind zudem gering. In den finalen zwölf elf Spielen muss der aktuelle Tabellenachte einen Rückstand von derzeit fünf Punkten aufholen, um sich wenigstens einen Platz in den Play-offs zu sichern.
Wie es unabhängig vom Saisonausgang mit Reinier weitergeht, ist wohl erneut in der Schwebe. Bei Real ist er schon jetzt eine der größten Enttäuschungen der jüngeren Geschichte. Bislang hatte es jedenfalls auf all seinen Stationen den Anschein, als sei Reinier einfach nicht für den Fußball auf höchstem Niveau geschaffen.