Heiko Herrlich Bayer Leverkusen

Bayer Leverkusen mit Peter Bosz statt Heiko Herrlich: Ein Wechsel mit Risiko


HINTERGRUND

Es war dann wie so oft natürlich auch immer ein bisschen unwürdig. Bayer Leverkusen hat am 17. Spieltag gegen Hertha BSC den zweiten Sieg in Serie folgen lassen und sich über die Winterpause immerhin noch den letzten möglichen einstelligen Tabellenplatz geschnappt. Doch wer in die Gesichter der Sieger blickte, allen voran in jenes von Trainer Heiko Herrlich, der konnte unschwer erahnen, dass hier gerade nicht nur die Leverkusener Vorrunde endete.

"Wir werden jetzt in die Analyse gehen", sagte Herrlich nach der Partie und bestätigte damit das, was Bayer-Sportchef Rudi Völler schon ein paar Tage zuvoräußerte. Herrlich fügte jedoch vielsagend hinzu: "Ich weiß nicht, inwiefern ich daran beteiligt sein werde. Wir müssen mal schauen."

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Weder Völler noch der neue Sportdirektor Simon Rolfes oder der ebenfalls neue Geschäftsführer Fernando Carro standen am Samstagabend für Statements zur Verfügung. Rolfes meinte vor der Partie nur: "Zu den Spekulationen will ich keinen Kommentar abgeben. Wie werden uns nach dem Spiel ganz normal zusammensetzen."

Leverkusen fehlte unter Herrlich die Konstanz

Ein trauriges und von Unwahrheiten zersetztes Schauspiel, wie man es häufig in der Bundesliga unmittelbar vor Trainerentlassungen erlebt. Das galt schon für Völlers abstruses Interview mit einem Sky-Reporter vor dem Auswärtssieg unter der Woche auf Schalke, als Völler auf wahnwitzige Art und Weise versuchte, vom Thema Herrlich abzulenken.

Zugegeben, Leverkusens Vorrunde verlief alles andere als zufriedenstellend. Der auch immer wieder von Verletzungen gebeutelten Mannschaft fehlte die Konstanz, auf ein 6:2 in Bremen und ein 5:0 in Mönchengladbach folgten ein 1:4 gegen Hoffenheim und ein 0:3 in Leipzig. Zudem verfestigte sich der Eindruck immer mehr, dass Herrlich die Spieler nicht ausreichend weiterentwickle und diese auch nicht mehr vollends hinter ihm standen.

Es war für die enttäuschten Bayer-Bosse in dieser verworrenen Gemengelage daher unumgänglich, die Reißleine zu ziehen. Dabei waren sie im Sommer intern noch allesamt relativ angriffslustig. Leverkusen verlängerte die Verträge der begehrten Julian Brandt, Jonathan Tah und Kai Havertz, man holte den gefragten Mitchell Weiser und in Lukas Hradecky einen der besten Bundesliga-Torhüter des Vorjahres.

Heiko Herrlich Bayer Leverkusen DFB-Pokal 20122017Getty Images

Bayer-Krise zeigt sich nicht nur auf dem Rasen

Dies konnte man schon als Meilensteine und Signal nach außen werten. Jonas Boldt war federführend daran beteiligt, diese Spieler von der Perspektive in Leverkusen zu überzeugen. Man steckte sich hohe Ziele und glaubte, mit diesem Kader die Champions-League-Plätze angreifen zu können.

Ein halbes Jahr später jedoch ist vieles anders unterm Bayer-Kreuz, der Blick in die Zukunft ist mittlerweile verschwommen. Die Bayer-Krise zeigte ihr Gesicht nämlich nicht nur auf dem Rasen, sondern auch in internen Querelen auf Führungsebene.

Boldt und Carro wurden sich nicht grün, Letzterer soll über kein geringes Machtbedürfnis verfügen. Carro kommt anders als Boldt, der als 21-Jähriger für Bayer zu arbeiten begann und einen beachtlichen Aufstieg vom Praktikanten zum Sportdirektor hinlegte, nicht aus dem Fußball und arbeitete zuvor 24 Jahre lang für Bertelsmann.

Boldt-Nachfolger Rolfes ein Neuling in der Rolle

Boldt schmiss im November entnervt hin und Völler, sein enger Vertrauter und derjenige, der ihn über Jahre protegierte, war darüber alles andere als glücklich. Er habe sich "das anders vorgestellt", gab Völler unumwunden zu.

An Boldts Stelle rückte Ex-Leverkusen-Profi Rolfes, der erst zum Saisonstart seinen Posten als "Leiter Jugend und Entwicklung" angetreten hatte und auf einmal zum Sportdirektor hochgelobt wurde. Rolfes' Nachteil gegenüber Boldt: Er ist ein Neuling in dieser Rolle, Boldt dagegen ein in der Branche anerkannter Fachmann mit weitreichendem Netzwerk.

Zwar wurde verlautbart, Boldt werde Rolfes bis Saisonende einarbeiten, doch das scheint höchstens formal zu gelten. Boldt war bei Bayers Spielen zuletzt nicht einmal mehr zugegen.

Leverkusen vor Generationswechsel - aber planvoll?

Auch Völler, seit Jahren das Leverkusener Gesicht in der Öffentlichkeit, wird eine gewisse Amtsmüdigkeit nachgesagt. Diese dürfte sich nach den Entwicklungen der letzten Monate nicht ins Gegenteil umgekehrt haben. Leverkusen, darauf deutet vieles hin, steht ein Generationswechsel ins Haus - nicht besonders viel deutet dagegen darauf hin, dass dieser strategisch planvoll geschieht.

Im Kerngeschäft Fußball soll nun Peter Bosz den Karren aus dem Dreck ziehen. Der Niederländer sollte schon im Vorjahr anstelle von Herrlich kommen, doch Borussia Dortmund schnappte Bayer den ehemaligen Ajax-Trainer vor der Nase weg.

Boszs Verpflichtung ist nicht nur deshalb ein Risiko, da jeder Trainerwechsel nicht automatisch sportliche Besserung garantiert. In seiner kurzen Amtszeit beim BVB hat der 55-Jährige ein rasantes Auf und Ab erlebt, einem Traum-Start folgte ein Albtraum-Absturz.

ONLY GERMANY Peter Bosz Borussia Dortmund

Boszs BVB-Fußball glich einem Vabanque-Spiel

Dass Bosz in Dortmund frühzeitig entlassen wurde, hatte auch eindeutig mit den Querelen innerhalb des Vereins zu tun - der Streik von Ousmane Dembele lässt grüßen. Die Trennung jedoch war deshalb folgerichtig, da Boszs Philosophie einem fußballerischen Vabanque-Spiel glich - das galt schon in der Phase, als der BVB die Spiele noch überzeugend gewann.

Diesem Risiko setzt sich nun auch Bayer Leverkusen aus, denn Bosz wird seine Strategie höchstens punktuell anpassen, aber auf keinen Fall grundsätzlich verändern. Sein aggressives und extrem hohes Vorwärtsverteidigen ist für Bayer eine Rückkehr zu der Art von Fußball, die Ex-Coach Roger Schmidt drei Jahre lang predigte. Sie verlangt größte Fitness, enormen Mut und viel psychische Arbeit der Spieler.

Ob Leverkusens Mannschaft in der aktuell unbefriedigenden Lage und nach einer sehr kurzen Vorbereitungsphase in der Lage sein wird, Boszs Ansatz schnell zu verinnerlichen, wird eine der spannenden Beobachtungen der Rückrunde werden. Der Fokus dürfte sich zugleich zügig in Richtung Bosz verlagern, dessen zweite Amtszeit in der Bundesliga schon vorab von einer gewissen Skepsis begleitet werden wird.

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