Jude Bellingham ist nicht der neue Zinédine Zidane - sondern hat sogar so viel Einfluss wie Cristiano Ronaldo bei Real Madrid

Jude Bellingham trägt das Real-Trikot mit der Nummer 5 und bahnt sich seinen majestätischen Weg durch die gegnerischen Abwehrreihen in Richtung Tor. Es war schwer, nicht an Zinédine Zidane erinnert zu werden, als man den früheren BVB-Star am Dienstag im spannenden Champions-League-Spiel gegen die SSC Neapel spielen sah. Doch obwohl der Franzose zu den Legenden des Fußballs zählt, wird dieser Vergleich dem Engländer nicht gerecht.

Dank seinem Tor zum zwischenzeitlichen 2:1 beim 3:2-Sieg der Madrilenen ist der Zugang vom BVB erst der zweite Real-Spieler, der in seinen ersten beiden Champions-League-Spielen mindestens ein Tor erzielt hat. Der einzige andere weitere Spieler auf dieser Liste? Cristiano Ronaldo.

Bellingham nach nur neun Spielen in eine Reihe mit Ronaldo zu stellen, mag töricht erscheinen. Der Portugiese verbrachte neun Jahre in Madrid, schoss 450 Tore, gewann zweimal LaLiga, holte viermal die Champions League und nahm viermal den Ballon d'Or mit nach Hause. Bellingham hat immerhin einen erfolgreichen Start hingelegt und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Real die Tabelle mit einem Punkt Vorsprung anführt. Bellingham und Ronaldo sind weder dieselbe Art von Spielern, noch haben sie (bisher) dieselbe Qualität.

Es gibt kaum einen Spieler, der den 14-maligen CL-Sieger Real und die Stadt Madrid so sehr geprägt hat wie Ronaldo, der 2009 von Manchester United kam. Für eine alternde Mannschaft, die auf der Suche nach ihrem nächsten Galactico ist, ist es daher sicher ein Trost, dass ihr neuester Megastar angekommen ist, der das Potenzial hat, so einflussreich wie Ronaldo zu werden.

  • Cristiano Ronaldo Real Madrid 2009 VorstellungGetty Images

    Jude Bellingham und Cristiano Ronaldo: Unterschiedliche Präsentation

    Es begann im Mai 2008. Die spanische Zeitung Marca berichtete, dass Ronaldo, der damals mit Abstand beste Spieler der Premier League und mutmaßlich künftige Gewinner des Ballon d'Or 2008, Manchester United verlassen wolle. Einen Tag später dementierte Ronaldo das. Trainer Sir Alex Ferguson überzeugte den Spieler, noch eine weitere Saison zu bleiben, doch die Wiederwahl von Florentino Perez zum Präsidenten Reals im Jahr 2009 besiegelte den Deal praktisch. Der Architekt der Galacticos kehrte auf seinen goldenen Stuhl im Santiago Bernabeu zurück - und er wollte das Juwel der Premier League.

    Ronaldos Ankunft, die im Juni 2009 besiegelt wurde, war dementsprechend pompös. Das Bild ist inzwischen berühmt-berüchtigt: Ronaldo, mit erhobenem Kopf und ausgebreiteten Armen, zieht das Gebrüll des vollgepackten Bernabeus bei seiner Präsentation auf sich. Das weiße Trikot glänzt, sein Haar ist dafür zerzaust.

    Als er die Bühne betrat, wurde er von Alfredo di Stefano begrüßt, der damals als der beste Spieler in der Geschichte Reals galt. Alles war bereit für den Neuzugang, der Geschichte schreiben wollte.

    Bellinghams Ankunft war dazu im Vergleich dazu eher eintönig. Der 19-Jährige wurde vor einer Pressekonferenz und einem Fotoshooting auf eine Tour durch Valdebebas mitgenommen. Für einen Spieler, der mit 103 Millionen Euro teurer ist als Ronaldo (damals mit 94 Millionen Euro allerdings Weltrekordhalter), war dies kein glorreicher Auftritt.

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  • Jude Bellingham rueda de prensaGetty Images

    Jude Bellingham: Ein idealer Einstand

    In gewisser Weise stand bei der Vorstellung von Bellingham jedoch mehr auf dem Spiel. Ronaldo hatte bei seiner Ankunft in Spanien nichts mehr zu beweisen. Sein fußballerisches Erbe war im Alter von 24 Jahren schon so gut wie gesichert, auch wenn er seinen Legendenstatus im Bernabeu erheblich ausbauen konnte.

    Bellingham ist anders. Obwohl er in England und Deutschland schon als einer der talentiertesten Mittelfeldspieler der Welt galt, waren die Real-Fans noch nicht ganz überzeugt. Es kam ein 19-Jähriger aus einem Land, das nie die Art von technischen Mittelfeldspielern hervorgebracht hat, die in LaLiga geschätzt werden. Und dieser Spieler sollte die Rückennummer von Zidane tragen.

    Bellingham erweckte auf jeden Fall den Eindruck, dass er genau wusste, was von einem echten Madridista erwartet wird. In seiner Vorstellungs-Pressekonferenz war der Engländer zu gleichen Teilen arrogant und bescheiden; ein Teenager, der sich seiner Fähigkeiten bewusst zu sein schien - sich aber auch bewusst war, dass er nicht auf dem Niveau der Madrider Größen steht. Zumindest noch nicht. Er nannte Real "den größten Verein in der Geschichte des Fußballs". Er gab zu, dass er "Gänsehaut" hatte, als Los Blancos zum ersten Mal ihr Interesse bekundeten. Er bezeichnete Zidane als einen der besten Spieler aller Zeiten, betonte aber, dass er nicht versuche, "so zu sein wie er".

    Das war ein idealer Start.

  • Cristiano Ronaldo Real Madrid Champions LeagueGetty Images

    Jude Bellingham: Den Unersetzlichen ersetzen

    Es war nicht zu übersehen, dass Real seit Jahren ein Spieler gefehlt hat. Ronaldo war nach fast allen Maßstäben der beste Spieler in der Geschichte Reals und hinterließ ein großes Loch. Er ist entweder der beste oder einer der besten Spieler, die jemals gegen einen Ball getreten haben.

    Neun glorreiche Jahre lang hat er die Blancos angeführt. Der Portugiese brach jegliche Torrekorde und er gewann alles, was es zu gewinnen gab. In einer Zeit, in der der von Pep Guardiola trainierte FC Barcelona drauf und dran war, den spanischen und europäischen Fußball zu dominieren, konkurrierte fast im Alleingang mit ihnen.

    Neben ihm gab es noch weitere Größen - Karim Benzema, Sergio Ramos, Xabi Alonso und Gareth Bale, um nur einige zu nennen - aber Ronaldo spielte den Superstar. Er hatte eine Ausstrahlung, die die der anderen überragte. Er hatte seinen eigenen Jubel, schloss einen großen Vertrag mit Nike ab und machte den gegnerischen Verteidigern das Leben schwer.

    Real war nie tot, wenn Ronaldo auf dem Platz stand; er konnte Spiele im Alleingang drehen. Und das sah einfach aus. Nach einem Siegtreffer im Camp Nou rief er den aufgebrachten Barça-Fans zu, sie sollten sich "beruhigen". Ein Fallrückzieher gegen Juventus Turin wurde von den 41.000 gegnerischen Fans mit stehenden Ovationen bedacht. Das war ein Produkt, ein Star, eine Ware und auch ein Spitzenfußballer.

    Real hat seitdem nie wieder jemanden wie ihn gehabt. Nach Ronaldos Abgang im Jahr 2018 war Benzema mit seinen Toren die treibende Kraft - aber mit Mitte 30 war beim Franzosen klar, dass er keine langfristige Lösung sein würde. Vinicius Jr. hat einen Teil dieser Rolle übernommen, vor allem aufgrund seiner offensiven Stärke und seiner ansteckenden Persönlichkeit am Ball. Aber der Brasilianer erfährt nicht die Bewunderung des spanischen Fußballs wie Ronaldo, selbst wenn das nicht seine Schuld ist.

  • Jude Bellingham Real Madrid 2023-24Getty

    Jude Bellingham: Auf dem Weg zum Superstar

    Bellingham scheint bereit zu sein, diesen Mantel zu übernehmen. Er spielt, als wäre er der Beste der Welt. Er dribbelt mehr als jeder andere auf dem Platz, mit Ausnahme von Vinicius Jr., und findet Lücken in der Abwehr mit schneidigen Läufen und kraftvollen Schritten. Er scheint den Ball zu lange zu halten - und findet dann doch noch den entscheidenden Pass. Er ist so gut am Ball, dass die falschen Entscheidungen richtig aussehen.

    Und dann sind da noch die Tore. Bellingham versucht es nur selten aus 25 Metern oder stielt sich hinter dem Rücken der Verteidiger davon, um eine perfekt getimte Flanke zu verwerten. Er hackt auch nicht mit dem rechten Bein ab, dreht sich auf die linke Seite und schlenzt den Ball am herausstürmenden Torwart vorbei.

    Stattdessen schleicht er sich in die richtigen Räume und wittert dort seine Chance. Er antizipiert Abpraller, um sie aus kurzer Distanz zu abzustauben. In seiner kurzen Karriere hat er bewiesen, dass er auch zu spektakulären Aktionen fähig ist - wie zuletzt als Gast bei Napoli.

    Aber wenn der Ball im Netz landet, passiert etwas Bemerkenswertes. Seinen mittlerweile typischen Jubel zeigte er erstmals bei Birmingham City. Der Mittelfeldspieler läuft zu den gegnerischen oder heimischen Fans und reißt die Arme hoch - in dem stillen Plädoyer fordert er Anerkennung. In diesen Tagen beendet er den Jubel mit einem fast aggressiven Griff nach dem Real-Logo und zerrt dabei so heftig am Trikot, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn sich die Nähte aus dem teuren Oberteil lösen würden. Es ist nicht Ronaldos 'Siu', aber es ist nah dran.

  • Jude Bellingham Real Madrid 2023-24Getty Images

    Jude Bellingham: Ähnlicher Einfluss wie Cristiano Ronaldo

    In seinen ersten sieben LaLiga-Spielen hat Bellingham sechs Tore erzielt - eine ähnliche Bilanz wie Ronaldo in seiner ersten Saison in Madrid. Und obwohl Ronaldo in der Champions League mit vier Toren in seinen ersten beiden Einsätzen besser abschnitt als Bellingham, sind die Zahlen der beiden bislang unheimlich ähnlich. Ronaldo war eigentlich nie als Vorlagengeber vorgesehen, aber auch in dieser Kategorie hat ihn Bellingham knapp geschlagen.

    Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Bellingham diese Quote nicht aufrecht halten kann. Oder, was vielleicht noch wichtiger ist, er wird nicht mit Ronaldos Trefferquote mithalten können. Der Portugiese war in seiner Debütsaison mit 33 Toren in 35 Spielen unglaublich, traf praktisch in jedem Spiel.

    Jetzt, da Vinicius Jr. wieder voll fit ist und Rodrygo nach einem schwachen Start wieder in Form kommt, hat man das Gefühl, dass Bellingham nur vorübergehend die Torjägerrolle innehat. Wenn er die Saison mit rund 20 Treffern als Mittelfeldspieler beendet, wäre das immer noch eine gute Ausbeute für einen Spieler, der einst bei Borussia Dortmund nie zweistellig getroffen hat.

    Doch sein Einfluss ist noch bedeutender als nur Tore. Bellingham und Ronaldo sind zwei grundverschiedene Spieler, die Reals Fantasie auf dieselbe Weise beflügelt haben. Der neue Galactico wird wahrscheinlich nie an Ronaldos Torquote herankommen - und er wird auch Schwierigkeiten haben, seine Trophäenanzahl zu erreichen. Aber wenn es um Charisma, Ausstrahlung und "Ruhe" geht, sind sich die beiden ähnlicher als viele denken.

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