FC Bayern: Die großen Namen drängen sich nicht auf

"Natürlich werden Dinge infrage gestellt. Vor allem das Wie des Trainerwechsels. Wir haben oft betont, dass es für uns absolut richtig war, den Trainer zu wechseln. Aber dann gab es diese super-ärgerliche Situation, dass die Dinge früher rausgekommen sind." Das hat Oliver Kahn am Samstag vor Bayerns Auswärtsspiel bei Werder Bremen in einem Sky-Interview gesagt.

Den Wechsel seines wichtigsten Angestellten erklärt der Bayern-Boss auch nach ein paar Wochen mit Thomas Tuchel noch für alternativlos. Die immer noch zum Teil gravierenden Probleme der Mannschaft in der Endphase der Saison und nach nunmehr neun Pflichtspielen mit Tuchel verschweigt Kahn dabei aber.

Anders als Tuchel selbst übrigens. Der hatte schon nach der Niederlage in Mainz davon gesprochen, wie "wahnsinnig schwer" sich seine Mannschaft tue, Spiele zu gewinnen. "Die Probleme sind offensichtlich." Auch nach dem Bremen-Spiel konnte Tuchel nur mit Phasen der zweiten Halbzeit und natürlich dem Ergebnis zufrieden sein. Und sprach das dann auch offen an. Aber warum ist der Rekordmeister derzeit so weit weg von seinen eigenen Ansprüchen? Und welchen Einfluss hat Tuchel bis jetzt vielleicht auch außerhalb des Platzes?

  • Joshua Kimmich Bayern 30042023Getty

    FC Bayern unter Thomas Tuchel: Die Balance gerät ins Wanken

    Die Tabelle lügt ja bekanntlich nicht, und sie stellt Thomas Tuchel ein sehr ordentliches Zwischenzeugnis aus. Der gar nicht mehr so neue Coach hat aus einem Punkt Rückstand nach dem 25. Spieltag einen Punkt Vorsprung gemacht. Drei Spieltage vor dem Ende hat der FC Bayern den Titelgewinn wieder in der eigenen Hand.

    Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich von den beiden entscheidenden Parametern des Fußballs nur einer verändert hat - und zwar deutlich zu Ungunsten der Bayern. Während die Gegentorquote unter Tuchel (1,16 pro Spiel) nur unwesentlich schlechter ist als jene unter Nagelsmann (1,08 pro Spiel), ist die Zahl der erzielten Tore krass eingebrochen.

    72 Treffer schossen die Bayern in 25 Liga-Spielen unter Nagelsmann und damit 2,88 pro Spiel. Mit Tuchel als Trainer ist der Wert auf 1,83 gesunken. Pro Partie schießen die Bayern aktuell also ein Tor weniger als noch vor dem Trainerwechsel.

    Die Probleme in der Offensive werden mittlerweile Wochen für Woche und gegen jeden Gegner nur noch sichtbarer. Sobald sich die Gegner tiefer positionieren und aus einem kompakten Block in einer Mischung aus Mittelfeld- und Abwehrpressing agieren, fehlt es der Mannschaft an Ideen und Abläufen, um diesen Block auseinanderzuspielen. Vereinzelt kommt noch einer von Joshua Kimmichs Chipbällen hinter die Abwehr an. Ansonsten lahmen die Halbräume und das Zentrum und die Münchener Standards verpuffen einfalls- und wirkungslos.

    Obwohl die Zahlen es nicht hergeben, scheint immerhin Bayerns defensive Stabilität und Absicherung besser als über weite Strecken der Saison. Im Gegenpressing fallen nicht mehr so viele Spieler durch.

    GOAL und SPOX haben bei Noussair Mazraoui nachgefragt: Was hat sich denn nun konkret am Spielstil der Mannschaft unter Thomas Tuchel verändert? „Wir versuchen von hinten heraus mit hohem Tempo zu spielen, aber auch geduldig. Mit Momenten im Mittelfeld, in denen die Spieler auch viel dribbeln dürfen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Das hat er der Mannschaft vermittelt.“

    Bayerns Rechtsverteidiger erklärt das nachvollziehbar und schlüssig. Nur ist auf dem Platz davon immer noch recht wenig zu sehen. Da bleibt Vieles sehr fehlerhaft. Sobald der Gegnerdruck im Übergangsdrittel oder in der Zone vor dem gegnerischen Tor größer wird, schleichen sich Ungenauigkeiten in allen Bereichen ein: Im Passspiel, beim Freilaufverhalten, in der Entscheidungsfindung, beim Torabschluss.

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  • Thomas Tuchel Bayern smile 2022-23Getty Images

    Thomas Tuchels Rezept für den FC Bayern: Weniger ist mehr

    Keine großen taktischen Rochaden mehr, keine Anpassungen an den Gegner, kein Springen zwischen den Grundordnungen: Thomas Tuchel versucht, die spieltaktischen Elemente und Maßgaben so einfach und stringent wie möglich zu halten.

    Während bei seinem Vorgänger Julian Nagelsmann noch sehr viel - und für FC-Bayern-Verhältnisse vielleicht auch zu viel - am Gegner und dessen taktischer Idee ausgerichtet war, drückt Tuchel hier eher ein bisschen "Mia san mia" durch: Mit der Viererkette als vorletzter Instanz vor Keeper Yann Sommer. Mit in der Regel zwei Sechsern im Spiel gegen den Ball und damit einem geschlossenen Zentrum bei gegnerischen Attacken. Mit einem recht flügellastigen Offensivspiel. Die Bayern konzentrieren sich auf sich selbst und ihre Stärken.

    Als Varianten der Grundordnung werden das 4-3-3 oder das 4-2-3-1 bevorzugt, manchmal sieht man beide Anordnungen auch nach Spielphasen unterteilt wie in Bremen: Im eigenen Ballbesitz mit einem Keilstürmer, zwei Flügelspielern und zwei Achtern dahinter, gegen den Ball dann mit der doppelten Absicherung im Zentrum.

    Ein Kritikpunkt aus der Mannschaft am ehemaligen Trainer waren die vielen Umstellungen und Anpassungen: Vor den Spielen in der Analyse, bei der Umsetzung mit dann oft veränderten Grundordnungen und Spielausrichtungen - um dann auch während der 90 Minuten teilweise drei, vier Mal erneut umzustellen.

    Bei Tuchel ist das tatsächlich anders: Einfacher, nicht ganz so verkopft und für die Spieler damit auch etwas einprägsamer.

  • Joao Cancelo Bayern Munich 2022-23Getty Images

    FC Bayern: Probleme bei der Kaderqualität und den Ergänzungsspielern

    Es gab mal eine Zeit, da waren Ergänzungsspieler beim FC Bayern eine Waffe: Mit ihrer Einwechslung konnte sich jederzeit ein Spiel grundlegend ändern. Diese enorme Kaderqualität reichte bis zum letzten Feldspieler auf der Bank, die gesäumt war von willigen und von sich selbst überzeugten Spielern. Und waren es auch nur ein paar Minuten Einsatzzeit in einem längst entschiedenen Spiel.

    Besonders die Spieler an der Schwelle zur Stammelf waren fast beständig unter Strom, lieferten nach ein paar markigen Worten oder sogar öffentlichen Forderungen nach mehr Einsatzzeiten dann auch auf dem Platz ab. Aktuell besteht Thomas Tuchels Kader gefühlt aber nur aus 14, 15 Spielern - der Rest hält das Leistungsniveau nicht oder ist verletzt. Sadio Mané, Ryan Gravenberch, João Cancelo: Sie alle würden gerne noch mehr spielen und auch dann noch, wenn einige der Verletzten bald wieder zurück sind.

    Wenn sie dann aber wie derzeit ihre Chance bekommen, fallen sie kaum auf. Sie sind nur irgendwie mit dabei, schwimmen in der Masse mit. Und das reicht nicht für die Ansprüche beim FC Bayern, und eigentlich sollte es auch nicht ihren eigenen genügen.

    Für die Mannschaft ist dieser gestörte Leistungsdruck innerhalb der Gruppe ein veritables Problem. Und wenn dann auch noch wie aktuell zu viele Spieler darunter sind, die zum Teil sehr weit von ihrer Bestform entfernt sind, wird es auch für den "Top-Kader", den Hasan Salihamidzic immer wieder als solchen hervorhebt, auch eng.

    Die individuelle Klasse blitzt immer wieder mal auf, aber bis auf wenige Ausnahmen ruft kein Spieler diese konstant hochwertige Leistung auch dauerhaft ab. Damit sind dann auch die guten taktischen Ideen des Trainers früher oder später obsolet. Stattdessen kommen die Schwächen der Kaderplanung immer öfter zum Vorschein: Die fehlende Alternative zu Eric-Maxim Choupo-Moting, der fehlende klare Sechser, der Kimmich für andere Aufgaben in den Halbräumen unterstützen könnte.

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  • Thomas Tuchel, Head Coach of FC Bayern Munich, gives instructions to Leroy SaneGetty Images

    Bayern München: Weniger Unruhe, bessere Kommunikation unter Thomas Tuchel

    Fast schon nonchalant hat Tuchel das Ausscheiden in beiden Pokalwettbewerben moderiert und dabei einen schlauen Mittelweg gefunden, weder sich noch seine Mannschaft zu heftiger Kritik auszusetzen. In der Kommunikation nach außen hat sich mit Tuchels Amtsantritt und wenn es um Fragen rund um die Mannschaft geht, einiges zum Guten gewendet.

    Der Trainer hat die Kabine einigermaßen befriedet, die Störfeuer nach und nach erstickt und versucht auch weiterhin, mit heiklen Fragen wie jenen nach Thomas Müllers Einsatzzeiten und dessen Status, so sachlich und souverän wie möglich umzugehen.

    Diese latente Unruhe, die den Klub noch im Februar und März umwehte, ist zumindest nicht mehr ganz so deutlich zu verspüren. Tuchel hat das, was er aus eigener Kraft beeinflussen kann, im besten Sinne in die richtigen Bahnen gelenkt. Die Debatten um seine Vorgesetzten gehören da allerdings nicht dazu. Die werden den Klub und die Mannschaft wohl bis zum letzten Spieltag noch begleiten. Und womöglich auch darüber hinaus.

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