Eines steht definitiv fest: Leicht war es für den Fußballspieler Leonardo Balerdi nie. Auch deshalb, weil er es sich selbst nicht leicht machte. Und zwar schon sehr früh.
Imago Images"Das Volk will dich nicht mehr": Der steile Aufstieg eines BVB-Flops zum unverkäuflichen Kapitän
Nur 135 Minuten lang für Dortmund auf dem Platz
Der Argentinier war 14 Jahre alt, als er seinen Heimatklub Club Spotivo Pueyrredon und damit seine Geburtsstadt Villa Mercedes verließ, um sich 2013 der 700 Kilometer entfernten Nachwuchsabteilung der Boca Juniors anzuschließen. Nach seinem Profidebüt dort und lediglich fünf Pflichtspielen machte sich Balerdi fünf Jahre später erneut auf.
Diesmal ging es mit 19 ins mehr als 9000 Kilometer entfernte Dortmund zum BVB. Satte 15,5 Millionen Euro blätterte die Borussia für den jungen Innenverteidiger hin, der damals zum sechstteuersten Verkauf von Boca wurde. Doch das Geschäft entpuppte sich für die Westfalen zum Rohrkrepierer, der mit einem Fünfjahresvertrag ausgestattete Balerdi floppte auf ganzer Linie. Lediglich acht Pflichtspiele und 135 Einsatzminuten absolvierte er für den BVB.
Eineinhalb Jahre nach seiner Verpflichtung liehen ihn die Dortmunder daher zu Olympique Marseille nach Frankreich aus. Wieder ein Umzug über 1100 Kilometer in ein neues Umfeld, die nächste unbekannte Sprache und eine andere Kultur. Und der dritte emotionale Traditionsverein mit einem hitzigen Umfeld und viel Druck für die Spieler.
AFPLeonardo Balerdi: Flop beim BVB, nun Kapitän in Marseille
Bei OM erlebte Balerdi unter Trainer Andre Villas-Boas wenig verwunderlich eine sportliche Auf-und-Ab-Saison hin. Balerdi spielte erstmals Champions League, verschuldete Tore, flog vom Platz, schoss einen Siegtreffer und saß mehrere Spiele in Folge auf der Bank. Auch vor marodierenden Ultras musste er damals mit dem Team flüchten. So etwas kommt in der an Skandalen nicht armen Marseiller Vereinsgeschichte nun einmal vor.
Dennoch kam Balerdi auf 25 Pflichtspiele, bei denen er 23-mal in der Startelf stand. Der zwischenzeitlich geschasste Villas-Boas verkündete im Laufe der Saison gleich mehrfach, dass Balerdi einmal einer der besten Innenverteidiger der Welt werde. Marseille schlug dann nach Saisonende für elf Millionen Euro zu und linderte damit den finanziellen Schmerz des BVB weitestgehend.
Nun, vier Jahre später, spielt Balerdi immer noch in der Hafenstadt. Sein aktueller Trainer Roberto De Zerbi, für ihn mittlerweile der siebte in seiner Marseille-Zeit, sagte im März über ihn: "Ich hoffe, dass die großen europäischen Teams nie merken werden, dass es ihn gibt. Das sage ich mir jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe, denn er ist ein außergewöhnlicher Spieler und ich hoffe, dass er auch weiterhin unter dem Radar der großen Vereine fliegen wird." Eine der ersten Amtshandlungen des Italieners, seit der vergangenen Saison bei OM, war es, Balerdi die Kapitänsbinde von Valentin Rongier zu übergeben.
AFPEntwicklung von Leonardo Balerdi war lange nicht absehbar
Es ist eine Entwicklung, die lange Zeit kaum absehbar war. Doch Balerdi, heute 26 Jahre alt, blieb stets beharrlich. Vielleicht waren die vielen Trainer-Einflüsse mit den zahlreichen unterschiedlichen Spielideen für seinen Aufstieg ja sogar förderlich. Balerdi musste in der Abwehr schon überall ran, ob als Linksverteidiger, im defensiven Mittelfeld oder wie mittlerweile als zentrales Glied einer Dreierkette.
Frei von Kritik war er in all dieser Zeit nie. Das lag weniger daran, dass Balerdi als Persönlichkeit besonders polarisieren würde. Doch er streute über die Jahre stets Fehler in sein Spiel ein, die einige Male auch entscheidend waren und zu öffentlichen Kontroversen rund um ihn führten.
Am verrücktesten ging es im März 2023 zu. Balerdi erwischte schon überhaupt keinen guten Start in die Saison, bekam vom damaligen Coach Igor Tudor aber stets Rückendeckung und blieb in der Mannschaft. Dann kulminierten die Negativ-Erlebnisse innerhalb von nur zwei Wochen.
Getty Images"Balerdi raus": Marseille-Fan tritt in Hungerstreik
Balerdi lieferte zunächst im Le Classique gegen Paris Saint-Germain, der 0:3 verloren ging, eine Horror-Vorstellung ab. Drei Tage später flog Marseille gegen Zweitligist Annecy im Viertelfinale des Coupe de France raus - Balerdi hatte im Elfmeterschießen den entscheidenden Schuss versemmelt. Eine Rote Karte in der Liga gegen Straßbourg kurz darauf brachte schließlich das Fass zum Überlaufen.
Die heißblütigen OM-Anhänger kürten Balerdi zum Sündenbock. Ein Fan ging sogar so weit, dass er in einen Hungerstreik trat und vor dem Trainingszentrum La Commanderie mit einem mitgebrachten Schild herumlungerte. Darauf stand "Balerdi raus", "Ich bin im Hungerstreik" und "Das Volk von Marseille will dich nicht mehr".
Als man ihn konfrontierte, ein entsprechendes Video kursierte in den sozialen Medien, sagte der Mann: "Balerdi soll nicht mehr bei OM spielen, das ist alles. Nichts Böses. Einfach nur meine Botschaft an das Volk von Marseille. Ohne Schimpfwörter, ohne Beleidigungen. Der Spieler ist nicht gut. Man setzt ihn aber immer wieder ein. Ich will, dass das aufhört. Ich will richtige Spieler bei OM haben, die mit dem Ball umgehen können."
AFPLeonardo Balerdi: Tolle Spieleröffnung, zweikampfstark, schnell
Der Fan schaffte es sogar, dass der der französischen Sprache nicht mächtige Verteidiger Nuno Tavares das gegen Balerdi gerichtete Schild unterschrieb. Später erschien immerhin noch Matteo Guendouzi und forderte den Fan auf, seinen Teamkollegen zu respektieren. "Balerdi ist ein sehr guter Spieler. Jeder macht Fehler", sagte der Ex-Herthaner.
Von L'Equipe auf diese Nummer angesprochen, blieb Balerdi cool und sagte: "Folklore! Jetzt sehe ich viele Balerdi-Fans. Ich mag es aber, wenn man mich kritisiert. Das motiviert mich auch. Ich muss mich weiter verbessern."
Das eben tat er auf bemerkenswerte Weise. Balerdi spielte in den vergangenen beiden Jahren körperlich dominant, zeigte saubere Tacklings und war besonders stark in der Spieleröffnung, was gerade für De Zerbis ballbesitzorientiertes System ideal ist. Seine Passquote liegt bei über 90 Prozent, Zweikämpfe in der Luft und am Boden gewinnt er durchschnittlich zu annähernd 70 Prozent. Zudem ist er schnell und beweist eine gute Antizipation.
AFPLeonardo Balerdi bei OM: Heiß begehrt, aber unverkäuflich
Das hat im vergangenen Sommer zwar noch nicht für eine Nominierung zur Copa America in der Nationalelf gereicht. Doch im Oktober 2024 feierte Balerdi bei einem 1:1 gegen Venezuela in der WM-Qualifikation fast auf den Tag genau fünf Jahre nach seinem letzten von zuvor zwei Länderspielen ein 22-minütiges Comeback in der Albiceleste. Fünf weitere Einsätze sind seitdem dazugekommen.
Geht es nach den Verantwortlichen, wird Balerdi demnächst auch in Marseille sein nächstes, dann 165. Pflichtspiel bestreiten. Im vergangenen August wurde sein Vertrag bis 2028 verlängert. Doch seine starke Saison als Kapitän ließ zahlreiche Klubs auf ihn aufmerksam werden.
Es soll Interesse aus der Premier League, LaLiga, Bundesliga und Serie A geben. Leeds United und die AS Rom wurden genannt, auch Juventus Turin mit Balerdis Ex-Trainer Tudor ist Gerüchten zufolge in der Verlosung. Doch OM hat Balerdi als unverkäuflich erklärt. Es heißt, ab einer Summe von 45 Millionen Euro könnte der Verein eventuell schwach werden.
Balerdi würde in diesem Fall den 2017 für 39 Millionen zum FC Chelsea verkauften Michy Batshuayi als Rekordabgang ablösen. Doch wieso gehen, wenn man sich ein solches Standing aufgebaut hat? "Er ist einer der Spieler, die diesem Verein eine Zukunft geben. Er ist wirklich ein wichtiger Spieler. Er wird noch lange unser Kapitän sein", sagte De Zerbi.
Leonardo Balerdi: Seine Karriere als Profi im Überblick
Zeitraum Verein Pflichtspiele Tore Vorlagen 2018 Boca Juniors 5 - - 2019-2020 Borussia Dortmund 8 - - seit 2020 Olympique Marseille 164 5 2



