Ginge man nur nach den Leistungen der abgelaufenen Saison, Marcel Sabitzer hätte jedes Recht auf eine Weiterbeschäftigung bei Borussia Dortmund verwirkt. Es war keinerlei Wunder, dass der Österreicher in der hitzigen Gerüchteküche schon früh während der Spielzeit zu den Verkaufskandidaten beim BVB zählte.
Getty ImagesAuf die Tränen folgte ein Horrorjahr: Beim BVB muss ein 20-Millionen-Euro-Mann nach der schlechtesten Saison seiner Karriere liefern
Sabitzer spielte schlichtweg das schlechteste Jahr seiner Karriere. Das verwunderte insofern stark, da er in der Saison zuvor, 2023/24, gerade in der Rückrunde enorm aufgedreht und sich in Top-Form in den Urlaub verabschiedet hatte. Ohne den unermüdlichen Antreiber und Kämpfer Sabitzer hätte es die Borussia niemals ins am Ende verloren gegangene Champions-League-Finale geschafft.
Dort sah man den mittlerweile 31-Jährigen nach Schlusspfiff, wie er sein Gesicht in den Händen vergrub und bittere Tränen weinte. Vielleicht war es die herbe Enttäuschung, den größten Titel im Vereinsfußball so knapp verpasst zu haben, die ihn anschließend in ein sehr tiefes Loch fallen ließ.
Wer jedoch genau hinsah, konnte damals schon sehen, dass zwischen Sabitzers Leistungen in der Königsklasse und jenen in der Bundesliga eine Diskrepanz bestand. Freilich keine allzu eklatante, doch es kommt nicht von ungefähr, dass es Sabitzer selbst war, der den BVB einmal als Turniermannschaft bezeichnete.
GettyMarcel Sabitzer hat beim BVB ein regelrechtes Horrorjahr hinter sich
Und da die Liga kein Turnier ist, ging der Mittelfeldspieler, der 2023 für knapp 20 Millionen Euro Ablöse vom FC Bayern gekommen war, analog zu seiner eigenen These in der lange Zeit sehr unrühmlichen Vorsaison mit unter. Sabitzer war im Grunde nicht wiederzuerkennen, so schwach waren seine Auftritte über tatsächlich die gesamte Saison. Natürlich ließ auch er sich von der Dauerkrise anstecken, doch kein Spieler der Westfalen war dermaßen konstant weit entfernt von seinem Potenzial wie er. Zur Hinrunde lag seine Zweikampfquote bei deutlich unter 50 Prozent gewonnener Duelle.
Dass zwischenzeitlich Berichte veröffentlicht wurden, die dem "Querkopf" (Bild) Sabitzer ein Image als Stinkstiefel andichteten, der "für schlechte Energie innerhalb des Teams" (Sky) sorge, setzte der Negativ-Entwicklung gewissermaßen die Krone auf. Das Problem für den Verein: Nicht nur Sabitzer besitzt noch einen - in seinem Fall bis 2027 - gültigen Vertrag, er verdient beim BVB auch sehr gutes Geld.
Entsprechend mager gestaltet sich der Transfermarkt für einen Spieler wie ihn, der gerade ein regelrechtes Horrorjahr hinter sich und einen nicht dazu passenden Verdienst hat - wenn man mal die offenbar auch in Sabitzers Fall vorhandenen, finanziell äußerst lukrativen Offerten aus Saudi-Arabien außer Acht lässt. Und wenn sich nichts Passendes auftut, wieso sollte ein Spieler dann von sich aus das Weite suchen?
Getty ImagesMarcel Sabitzer: Nur eine einzige Torbeteiligung in 39 Spielen
"Ich weiß nicht, ob man von mir irgendetwas anderes gehört hat. Ich habe noch zwei Jahre Vertrag. Ich bin sehr zufrieden und glücklich hier", sagte Sabitzer während der Klub-WM dann auch fast schon überrascht, als hätte er von den dutzenden Berichten, er stünde intern auf der Abschussliste, noch nie etwas gehört. "Deshalb weiß ich nicht, woher das kommt. Aber man braucht immer etwas zum Schreiben. Wenn es auf meine Kosten geht, dann nehme ich das so hin. Kein Problem."
Die jüngsten Eindrücke lassen immerhin Aussicht auf Besserung vermuten. Im fulminanten Saisonendspurt musste Dortmund wegen eines Innenbandrisses zwar sechs Wochen auf den 89-maligen Nationalspieler verzichten, doch in den beiden finalen Partien stand Sabitzer wieder zur Verfügung - und überzeugte.
Am 33. Spieltag trug er beim höchst effektiven 4:2-Sieg in Leverkusen zur Pause eingewechselt massiv dazu bei, das zuvor haushoch unterlegene Zentrum zu schließen und agierte als Sechser glänzend. Eine Woche später trug er sich dann beim 3:0-Erfolg gegen Kiel in seinem 39. Saisonspiel erstmals in die Torschützenliste ein. Es war tatsächlich Sabitzers einzige Torbeteiligung der Spielzeit - im Jahr zuvor waren es noch 15 (sechs Tore, neun Vorlagen).
GettyMarcel Sabitzer beim BVB: Anzeichen eines Aufschwungs
Auch in den ersten beiden Testspielen der derzeit laufenden Vorbereitungsphase - nicht jedoch bei seinem Auftritt gegen Juventus am Sonntag - zeigte sich Sabitzer stark formverbessert, auch wenn man ketzerisch behaupten könnte, dass es schlimmer ohnehin kaum mehr gegangen wäre. Sabitzer hat den großen Konkurrenzkampf allem Anschein nach angenommen ist wohl gewillt, sich selbst noch einmal aus der Versenkung zu ziehen.
Dazu passt, dass zuletzt kolportiert wurde, Trainer Niko Kovac habe signalisiert, künftig verstärkt auf ihn zu setzen. Mit Jobe Bellingham, Pascal Groß, Felix Nmecha, Julian Brandt, theoretisch auch Salih Özcan und Kapitän Emre Can, streitet sich Sabitzer um drei Positionen. Eher nur um zwei, denn Bellingham dürfte gesetzt sein. "Ich glaube, das ist das Normalste im Fußball, dass du nicht nur zwei Spieler auf zwei Positionen hast, sondern vier, fünf. Deshalb ist das nichts Neues und nichts Besonderes", ließ er in den USA bereits verlauten.
Auf welcher Position Sabitzer am Ende auflaufen könnte, ist nicht so leicht zu prognostizieren. Er ist einer von (zu) vielen Spielern im Kader, die polyvalent sind, aber keine ausgewiesenen Experten auf einem bestimmten Gebiet. Dass der BVB allem Anschein nach nicht auf der Suche nach einem echten Sechser ist, der dominant gegen den Ball agieren und zugleich spielerische Akzente setzen kann, verwundert angesichts der Kaderstruktur daher auch weiterhin schwer.
GettyMarcel Sabitzer steht vor einer richtungsweisenden Saison
Sabitzer war als Achter schon hervorragend, aber vor allem besonders stark, wenn er als einer von zwei Sechsern agierte, sein Nebenmann aber tatsächlich eine reine Sechs war. Doch es war auch schon das genaue Gegenteil der Fall. Ganz sicher ist nach Nuri Sahins missglücktem Experiment zu Saisonbeginn des Vorjahres immerhin: Auf der Außenbahn hat Sabitzer nichts zu suchen.
"Wenn man eine starke Position haben möchte, um das Spiel zu kontrollieren, sollte ich die Mitte stabil besetzen. Denn dann kann ich von dort aus die Umgebung dominieren", hatte Coach Kovac vor seiner Dortmunder Zeit im vergangenen November der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt.
Aktuell am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass er dieses Mandat entweder Nmecha oder eben Sabitzer erteilt. Doch unabhängig davon, auf wen die Wahl zunächst fallen wird: Sabitzer steht vor einer richtungsweisenden Saison. Geht sie erneut in die Hose, sind im nächsten Sommer mit seinem dann nur noch ein Jahr laufenden Vertrag sowohl er als auch der Verein die Leidtragenden.
Marcel Sabitzer: Seine Leistungsdaten beim BVB
Wettbewerb Spiele Tore Vorlagen Bundesliga 51 5 3 DFB-Pokal 5 1 1 Champions League 23 1 5 Klub-WM 4 - -

