In der Schweiz rätseln sie gerade, ob bereits der Zeitpunkt gekommen ist, um Ardon Jashari gemeinsam mit Platzhirsch und Kapitän Granit Xhaka bei der Nationalelf aufzubieten, deren Spiel ganz auf den Mittelfeldspieler von Bayer Leverkusen zugeschnitten ist. Am Samstag beim 4:2-Sieg gegen Mexiko entschied Murat Yakin: Nein, ist er noch nicht.
getty"Als Captain nicht mehr tragbar": Wie Niko Kovacs BVB-Wunschspieler für einen brisanten Transferzoff sorgte
Der Trainer wechselte Jashari dagegen für Xhaka zur zweiten Halbzeit ein. Für den 22-Jährigen war es nach zuvor zwei einmütigen Auftritten der längste Länderspieleinsatz seiner bisherigen Karriere. Bezüglich Xhaka sagte Jashari nach dem Spiel bei SRF: "Wenn es nach mir ginge, würde ich sehr gerne mit ihm auflaufen. Ich habe keine Zweifel, dass dies funktionieren würde."
Beim Sieg gegen die USA ließ Yakin dann beide gemeinsam von Beginn an aufs Feld, wenn auch in anderen Rollen. Jashari spielte etwas offensiver - und schon zur Pause hatten die Schweizer den 4:0-Endstand herausgeschossen.
Während Jasharis genaue Rolle in der Nati wohl auch weiterhin einige Diskussionen nach sich ziehen wird, ist immerhin eine Sache nun geklärt: Nämlich, dass Jashari überhaupt Teil der Schweizer Elite-Auswahl ist. "Seine Karriere ist nicht mehr aufzuhalten", hatte Mario Frick schon im Mai 2022 prophezeit.
Der Liechtensteiner hatte den FC Luzern ein halbes Jahr zuvor als Tabellenletzter übernommen. Es war der Beginn einer rasanten Entwicklung, die den FCL dank des mitunter attraktivsten Fußballs in die Top 4 der Schweizer Super League spülte. Von Beginn an mittendrin: Der damals 19-jährige Jashari.
gettyArdon Jashari wurde mit 20 Kapitän des FC Luzern
Ihn holte Frick als Kapitän der U21 auf Anhieb in die erste Mannschaft, Jashari erfuhr davon im Winterurlaub. "Er ist mir schon im zweiten Training aufgefallen mit seiner Dynamik und Persönlichkeit", sagte Frick. Jashari dankte es dem Coach mit tadellosen Leistungen im defensiven Mittelfeld. In 19 von 20 Partien stand er auf dem Platz, einmal musste er wegen einer Gelbsperre pausieren. "Für mich war es nie ein Problem, plötzlich bei den Profis zu spielen", sagte er.
Der Lohn: Nach der Saison wurde Jasharis Vertrag bis 2026 verlängert. Schon zu jenem Zeitpunkt hatte Branchenprimus FC Basel Interesse an ihm. Doch der gebürtige Chamer blieb aus Dankbarkeit zu seinem Ausbildungsklub, zu dem er 2013 kurz vor seinem elften Geburtstag wechselte. Noch mehr: Luzern ernannte Jashari mit 20 gar zum Kapitän.
Zusammen mit dem Verein entwickelte sich Jashari prächtig weiter, er wurde zum wichtigsten Spieler der Mannschaft. Yakin nahm ihn direkt mit zur WM in Katar, wo er beim 1:6 im Achtelfinale gegen Portugal kurz vor Abpfiff zu seinem Debüt kam. "Wenn er sich so weiterentwickelt wie bisher, dann wird auch die Nati bald nicht mehr auf ihn verzichten können", prognostizierte Entdecker Frick damals.
Getty Images SportArdon Jashari will Wechsel nach Basel mit Interview erzwingen
Luzern beendete die Saison als Vierter und qualifizierte sich für die 2. Qualifikationsrunde der Conference League. Doch Jashari war das zu wenig, er wollte mit aller Macht einen Wechsel nach Basel durchdrücken. Die Schlagzeilen in der Schweiz überschlugen sich.
"Ich habe mit meinem Berater und meiner Familie entschieden, dass jetzt der Moment ist, um den Wechsel zu vollziehen. Ich bin überzeugt, dass ich beim FCB fussballerisch einen weiteren Schritt machen kann. Und die Türen dann für mich in ganz Europa offen sein werden", sagte Jashari der Luzerner Zeitung. "Ich fordere von den Verantwortlichen, dass sie mit dem FCB verhandeln. Bekommt der FCL das Geld, welches ich wert bin, dann soll man mich gehen lassen."
Doch Luzern, das angeblich nichts davon wusste, dass die Baseler an Jashari herangetreten waren, blieb eisern. Einen Wechsel ins Ausland hätte man mit sich machen lassen, einen Transfer zu einem direkten Konkurrenten aber nicht. Und dabei blieb es auch, Jashari musste letztlich in der Zentralschweiz ausharren.
getty"Als Captain nicht mehr tragbar": Konsequenzen nach Wechseltheater
Das Tischtuch mit dem FCL war zwischenzeitlich zerschnitten, Frick nahm Jashari die Kapitänsbinde weg. "Ardon ist als Captain nicht mehr tragbar", sagte er und erklärte, dass "auch sein Gesinnungszustand" darüber entscheiden werde, welche Rolle der Youngster fortan noch spielen würde.
Luzerns Entwicklung bekam in der Folge einen Bruch. Es hagelte Niederlagen und eine peinliche Pokalpleite gegen Drittligist SR Delemont. Mitten in der Krise machte Coach Frick im November 2023 Jashari auf einmal wieder zum Kapitän, betonte die Notwendigkeit einer Veränderung und lobte ihn als "geborenen Leadertypen". Das nächste Spiel gewann Luzern, beim 2:0 gegen Grasshopper Club Zürich traf prompt auch Jashari.
Wirklich stabilisieren konnte sich das Team in der Folge nicht mehr. Luzern wurde Siebter - und verlor Jashari endgültig. Nach 96 Startelfeinsätzen in 100 Pflichtspielen unter Frick trennten sich die Wege. Für sechs Millionen Euro, bis dato die höchste Transfereinnahme in der Klubhistorie, wechselte Jashari zum FC Brügge nach Belgien und unterschrieb einen Vierjahresvertrag.
gettyArdon Jashari in Belgien: Bestes Talent und bester Spieler der Saison
Und dort gab er nun im vergangenen Jahr trotz neuer Umgebung, neuer Sprache und neuer Liga eine beeindruckende Antwort auf die Frage nach seiner Zukunft - ob im Schweizer Nationalteam oder auf höchstem europäischen Niveau. Jashari spielte trotz anfänglicher Schwierigkeiten eine überragende Saison, die er durch den Pokalsieg mit seinem ersten Titel der Laufbahn krönte. Zudem wurde er als bestes Talent und als bester Spieler der Saison ausgezeichnet.
Bereits im Januar erhielt er bei den Swiss Football Awards die Trophäe für den "Male Youngster 2024". Damals freute sich Ex-Trainer Frick: "Auf diesem Niveau ist Persönlichkeit der größte Unterschied. Ardon ist der geborene Führungsspieler. Er hat in jungen Jahren schon extrem viel Verantwortung übernommen. Darum sehe ich für ihn kein Limit nach oben. Ich denke, Brügge ist nur ein Zwischenschritt. Danach wird er irgendwann in der Bundesliga oder der Premier League zu bestaunen sein."
Diese Möglichkeit besteht jetzt offenbar. Jashari soll besonders bei Borussia Dortmund ein Wunschspieler von Coach Niko Kovac sein. Die Gerüchteküche widerspricht sich dieser Tage gleich mehrfach, wenn es darum geht, ob der Transfer von Jobe Bellingham zum BVB nicht einem Wechsel von Jashari nach Dortmund die Tür zugeschlagen habe.
Getty ImagesKovacs Wunschspieler: Warum Ardon Jashari dem BVB guttun würde
Rein positionell muss das nicht zwingend der Fall sein. Bellingham soll bei den Westfalen eine offensivere Rolle auf der Acht zugedacht sein, möglich seien scheinbar auch Einsätze als Zehner. Linksfuß Jashari dagegen ist zwar kein ganz klassischer Sechser, würde dem BVB als stets anspielbarer, passstarker Mann vor der Abwehr aber zweifelsfrei guttun. Gerade auch in Sachen Energie und Körpersprache, die der eines Xhaka nicht unähnlich ist.
Jashari vereint Spielintelligenz mit der nötigen Aggressivität und die Ruhe am mit einer guten Antizipation gegen den Ball. Er ist laufstark, besitzt Vorwärtsdrang und ist in seinem Spiel flexibel. In Brügge bewies er zudem, dass er auch auf Champions-League-Niveau performen kann - im Februar kürte ihn die UEFA gegen Atalanta Bergamo zum Spieler des Spiels.
Bereits nach einem halben Jahr verlängerte Brügge daher mit ihm vorzeitig bis 2029 und machte Jashari zu einem der bestbezahlten Spieler der Liga. Er wurde Publikumsliebling und sorgte als solcher nach dem Brügge-Derby gegen Cercle, das der FC mit 3:1 gewann, für Tumulte.
AFPArdon Jashari löste mit Fahne Tumulte im Derby aus
Nach Abpfiff rannte Jashari mit einer blau-schwarzen Fahne Richtung Mittellinie und rammte sie dort in den Boden - eine ähnliche Aktion ging vor einigen Jahren von Cercle aus. Cercle-Keeper Maxime Delanghe riss die Fahne daraufhin sofort aus dem Rasen und warf sie weg. Es folgte eine Rudelbildung.
"Ardon strahlt ein enormes Charisma aus. Mir gefällt seine Intelligenz auf und neben dem Rasen. Seine Qualität überrascht mich nicht. Wie er alles im Gleichgewicht hält, ist hingegen beeindruckend. In seinem Spiel sehe ich viel Feuer. Sein Temperament steht für eine gesunde Aggressivität, verpackt in fußballerische Kunst", lobte ihn Sportchef Dévy Rigaux im März im Schweizer Blick. "Im Europacup machte Ardon, was ihm schon in der Liga glänzend gelungen ist: Er hob sein Niveau jedes Mal an. Er war immer in der Lage, die Energie, die Schnelligkeit des Spiels aufzunehmen. Der nächste Schritt macht ihm keine Mühe, das Tempo ist für ihn kein Problem. Für einen 22-Jährigen im ersten Jahr im Ausland ist das außergewöhnlich gut."
Ob ein zweites Jahr in Brügge dazukommt, ist mehr als fraglich. Jashari, den Yakin im Februar als "Mann der Schweizer Zukunft" bezeichnete, hat sich mit seinen konstanten Leistungen in die Notizblöcke vieler Klubs gespielt, die größer sind und mehr zu bieten haben als die Belgier. "Brügge fühlt sich schon wie mein zu Hause an", hatte er kürzlich bei Instagram geschrieben.
AFP"Ich weiß ich, dass ein Top-Klub in einer der großen Ligen realistisch ist"
Vor einigen Tagen aber sagte er dem Blick: "Ich weiß, dass das mein erstes Jahr im Ausland war. Gleichzeitig möchte jeder Fußballer die Spitze erreichen. Wenn das richtige Angebot kommt, gut. Wenn es in Brügge weitergehen sollte, habe ich aber auch nichts dagegen. [...] Ich konnte in dieser Saison in der Champions League einige gute Leistungen zeigen. Darum weiß ich selbst, dass ein Top-Klub in einer der großen Ligen für mich realistisch ist. Auch dort muss man sich zuerst beweisen. Aber ich habe gesehen, dass ich mithalten kann."
In Luzern wird man anders als vor zwei Jahren auf einen erneuten Wechsel seines einstigen Juwels hoffen. Zurück in die Schweiz wird es Jashari mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst ja ohnehin nicht mehr ziehen. Der in finanziellen Schwierigkeiten steckende Klub hat sich damals eine Weiterverkaufsbeteiligung gesichert.