HINTERGRUND
Die Ingolstädter Straße 272 ist selbst kürzlich aktualisierten Navigationssystemen noch kein Begriff. FC Bayern Campus? Auch Google Maps ist überfragt. Gut also, dass das neue Nachwuchsleistungszentrum des deutschen Rekordmeisters kaum zu übersehen ist. Eine eigene Bushaltestelle markiert den richtigen Weg. Dahinter tut es sich auf, das gigantische, hochmoderne Areal. 30 Hektar misst das Gelände, und ist damit viermal so groß wie die Säbener Straße. Hier sollen sie also ausgebildet werden, die neuen Thomas Müllers und Philipp Lahms.
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"Wir haben Steine gebaut, und jetzt müssen wir den FC Bayern mit Beinen besser machen", sagt Uli Hoeneß. 70 Millionen Euro betrugen alleine die reinen Baukosten für die neue Akademie. Seit drei Wochen wird hier trainiert, am Montag wurde die Anlage offiziell eröffnet. Bei strahlendem Sonnenschein war die Münchner Prominenz gekommen. Auch Horst Seehofer, Bayerns Ministerpräsident, sowie Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Der Vorstand und die sportliche Führung sowieso. Es gab leckere Häppchen und Sekt. Alles vom Feinsten.
So auch die neue Anlage. Acht Fußballplätze finden sich dort, fünf davon beheizt, einer umzingelt von Tribünen mit Platz für 2500 Zuschauer. Im Stadion werden künftig die U17 sowie die U19 des Vereins ihre Spiele austragen. Beide Teams waren in der jüngeren Vergangenheit nicht unbedingt erfolgreich, schafften es aber dieses Jahr bis ins Finale der Deutschen Meisterschaft. Die U17 holte den Titel – und das soll keine Ausnahme bleiben. Deshalb wird fortan nichts mehr dem Zufall überlassen.
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14 Teams können am neuen Standort im Münchner Norden trainieren, zehn Herren- und vier Damenmannschaften. Federführend verantwortlich für den Campus zeichnen sich Hermann Gerland sowie Jochen Sauer, die als Leiter der Institution fungieren. Auch Sportdirektor Hasan Salihamidzic wird Entscheidungen fällen - und letztendlich wohl auch dieVerantwortung für das große Ganze tragen.
Ein ambitioniertes Ziel
Ihre Mission: den FC Bayern auch im Nachwuchs an die Spitze führen. "Hier haben wir die Möglichkeit, es viel besser zu machen als an der Säbener Straße, wo es aus allen Nähten geplatzt ist", sagt Hoeneß. "Es gibt keine Ausreden mehr", meint Gerland. Der sportliche Erfolg steht allerdings nur an zweiter Stelle. Viel wichtiger ist es den Münchnern, endlich wieder Spieler für die erste Mannschaft zu produzieren.

Getty Images"Mein Herz geht nur dann auf, wennwirdie sehr guten Nachwuchsfußballer von der Ingolstädter Straße zurück zur Säbener schicken können", sagt Gerland und betont: "Im Nachwuchs ist der Erfolg des Einzelnen wichtiger als der der Mannschaft. Ich werde lieber Dritter oder Vierter und habe jedes Jahr einen Spieler zur Säbener gebracht, als dass es kein Spieler schafft und wir Meister werden."
Der letzte, der den Sprung geschafft hat, war David Alaba. Und der ist inzwischen 25 Jahre alt. Umso größer ist die Sehnsucht nach neuen Eigengewächsen, die bei den Profis Fuß fassen. "Wir wollen in der Lage sein, jedes zweite Jahr ein Talent in die erste Mannschaft zu führen. Noch besser wäre jedes Jahr", formuliert Gerland das ambitionierte Ziel.
Hoeneß' Antwort auf Neymar
Hoeneß sieht das genauso. Er will das neue NLZ auch als Gegenmodell zum modernen Fußballgeschäft verstanden wissen. Als richtige Antwort auf die jüngsten Entwicklung im internationalen Fußball.
"Möglicherweise ist dieser Campus die Antwort des FC Bayern München auf das, was zurzeit außen an Transferwahnsinn und Gehaltsexplosionen passiert. Vielleicht gelingt es uns mit diesem Campus, den Vorsprung, den andere durch Geld aus Nahost, Russland oder sonst woher haben, durch geschicktes Taktieren und Ausbilden von großen Talenten auszugleichen", hofft er.
Damit der Plan aufgeht, soll es dem Nachwuchs an nichts fehlen. Trainieren sie nicht auf einem der acht Plätze, können sie auf einem Kleinfeld mit Banden kicken. Oder auf einem Beachsoccerfeld. Dazu gibt es ein reichhaltiges Angebot weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten: eine Kletterwand, Tischtennisplatten und ein Beachvolleyballfeld. Einen Fitnesshügel, ein Kopfballpendel und eine Sporthalle.
Es gibt auch einen geräumigen Fitnessraum, ein Zentrum zur Leistungsdiagnostik und eine eigene Arztpraxis. Ein Schwimmbad, einen Reha-Bereich und eine Mensa. Und es gibt klare Regeln.
Klare Regeln für die 26 Bewohner
Unter 18-Jährige etwa dürfen keinen Fernseher auf ihren Zimmern haben. Volljährige können sich zwar einen kaufen, allzu gerne gesehen ist das aber nicht. Auch Damenbesuch ist verboten. Fußball gucken können die jungen Talente nur gemeinsam. Im Aufenthaltsraum, der sogenannten Player's Lounge. Hier gibt es auch einen Billardtisch, dazu stehen Gesellschaftsspiele bereit. Monopoly, Trivial Pursuit und Vier gewinnt.
Auch gefrühstückt wird gemeinsam. Dazu gibt es – je nach Alter – feste Ruhe- und Bettzeiten. Dabei vertrauen die Münchner zunächst auf die Eigenverantwortung der Spieler. "Wir haben aber auch Pädagogen, die das schon mal kontrollieren können. Irgendwann kennt man ja seine Pappenheimer", sagt Sauer mit einem verschmitzten Grinsen. Insgesamt 75 Angestellte kümmern sich um das Wohl der neuen Alabas, Müllers und Lahms.
Getty ImagesDer Campus verfügt über 35 Apartments, 26 davon sind derzeit belegt. Aktuell wohnen ausschließlich 14- bis 18-Jährige dort, die nicht aus dem Großraum München kommen,allesamt deutschsprachig. Das allerdings könnte sich schnell ändern. Die Bayern arbeiten bereits mit der Bavarian International School zusammen, um auch ausländischen Talenten die Möglichkeit zu geben, eine gute Schulausbildung zu genießen. Und schon bald soll dieses Angebot auch genutzt werden.
Hoeneß kündigt große Investitionen in Talente an
"Wir werden dieses Zentrum jetzt auch immer mehr mit Geld versorgen, sodass die Verantwortlichen auch entsprechende Talente ausbilden können", kündigt Hoeneß an und erklärt: "Bisher haben wir ja nicht so viel Geld ausgegeben für die Transfers in der Altersklasse von 16 bis 18. Aber das wird sich ändern." Die Konkurrenz aus der Bundesliga hat schon in der jüngeren Vergangenheit bemerkt, dass sich die Münchner intensiver und aggressiver um Nachwuchskräfte bemühen. Spätestens jetzt macht der Rekordmeister ernst.
"Ab 16, 17 muss man schon versuchen, hinzulangen, wenn man etwas Gescheites will. Da sind unsere Scouts in der ganzen Welt unterwegs. Man kann hier relativ viel Geld reinstrecken, und trotzdem nur Bruchteile der Ablösesummen ausgeben, die man auf dem Transfermarkt teilweise ausgeben muss. Wenn man mal 30, 40 Millionen Euro für junge Spieler ausgibt und sechs bis acht Talente holt, dann müssten ein, zwei dabei sein, die man nachher bei uns in der ersten Mannschaft wiederfindet", sagt Hoeneß. Wie ernst es die Bayern wirklich meinen, ist spätestens damit klar.
Neben Steinen und Beinen braucht es allerdings auch eine klar erkennbare Spielphilosophie, die sich durch alle Altersklassen hindurch zieht. Viel Ballbesitz wollen die Münchner haben, bei den Profis wie in der Jugend, so viel ist klar. Ansonsten aber ist vieles offen. Auch, weil sich die Münchner noch in der Findungsphase befinden.
Die Frage nach der Philosophie
"Kurzfristig ist es so, dass wir diese Saison für uns als Übergangssaison deklariert haben", erklärt Sauer. Gerland ist schließlich gerade erst von den Profis in den Nachwuchs zurückgekehrt. Auch wenn er jeden einzelnen Spieler aus der Akademie kennt, wie er betont, wird er sich noch einarbeiten müssen. Das gilt umso mehr für Sauer selbst, der Mitarbeiter und Talente erst kennenlernen muss. Er kam im Januar von RB Salzburg nach München, war dort zuvor Geschäftsführer.
"Es geht jetzt erstmal darum, die Infrastruktur in Betrieb zu nehmen und zu schauen, welche Themen wir hier kurzfristig umstellen können, etwa im Trainingsbetrieb. Auch werden wir diese Saison dazu nutzen, die konzeptionellen Dinge anzugehen, sprich die Scoutingstruktur zu überprüfen. Das heißt zum Beispiel, zu schauen, in welchen Bereichen Deutschlands wir bislang nicht gescoutet haben, weil wir nicht die Infrastruktur hatten, um die Spieler hier unterzubringen", erklärt Sauer gegenüber Goal.
Ebenfalls dazu zählt die Entwicklung einer übergeordneten Spielidee. Es bedarf allerdings noch klärender Gespräche, um eine klare Marschroute zu entwickeln. "Da werden wir versuchen zu konzeptionieren und darüber nachzudenken. Mit den mittel- und langfristigen Strategien können wir also erst zur neuen Saison in die Umsetzung gehen, wenn wir etwas aufgesetzt haben, das wir verfolgen können", gibt Sauer zu bedenken, unterstreicht aber die grundsätzliche Wichtigkeit einer klaren Philosophie: "Durch eine einheitliche Idee gewinnt man Zeit. Und das ist im europäischen Fußball auf dem Niveau sehr, sehr wichtig. Durch gewisse Leitplanken bei der Spielidee kann sich ein Spieler in der nächsten Altersstufe deutlich früher anpassen."
Nun also liegt es an ihm, an Hermann Gerland und an Hasan Salihamidzic, möglichst schnell klare und erkennbare Werte zu schaffen. "Die Bedingungen sind erstklassig", sagt der Tiger, "jetzt müssen wir nur noch erstklassig ausbilden."


