HINTERGRUND
Joshua Kimmich ist kein gewöhnlicher Fußballer. Und auch kein gewöhnlicher 22-Jähriger. Einerseits natürlich, weil er eben ein außergewöhnlicher Fußballer ist. Weil er so Fußball spielt, als wäre er schon ewig dabei. Wie ein 32-Jähriger im Körper eines 22-Jährigen. Ruhig und routiniert, aber schnell. Andererseits, weil er auch abseits des Platzes so reif wirkt. Weil er auch spricht wie ein 32-Jähriger. Nicht weil er so eine tiefe Stimme hätte, sondern weil seine Worte von beachtlichem Inhalt sind.
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Am Freitagabend sprach zunächst ein anderer. Hasan Salihamidzic, 40 Jahre alt und Sportdirektor des FC Bayern. Die Münchner hatten ihr Auftaktspiel gerade mit 3:1 gegen Bayer Leverkusen gewonnen, spielerisch aber deutlich mehr Probleme, als ihnen lieb sein konnte. Salihamidzic jedoch wollte von Problemen nichts wissen. Nicht im ZDF-Studio und auch nicht in der Interviewzone der Allianz Arena. "Es läuft nach Plan", versicherte Salihamidzic also mit breitem Grinsen auf den Lippen.
Die Kritik von Oliver Kahn lachte er weg. Als ihm später die Frage gestellt wurde, welche Defizite er gesehen habe, entgegnete er umgehend: "Was waren denn die positiven Dinge? Das wollen wir wissen. Ich finde es nicht gut, dass Ihr nur negativ draufhaut." Dabei wird auch er die Probleme gesehen haben. Was er aber von sich gab, das klang nicht nach Sportdirektor. Nicht so, als hätte er in zwei Wochen tatsächlich mehr dazwischengehauen als Matthias Sammer in einem ganzen Jahr, wie es Uli Hoeneß verkündet hatte.
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Nach Sportdirektor klang das, was Joshua Kimmich sagte. Der wollte sehr wohl über die Defizite sprechen. "Wir haben es 30 Minuten sehr gut gemacht. Danach haben wir mit Beginn des Unwetters den Faden verloren, was aber mit dem Unwetter nichts zu tun hatte. Insbesondere in der zweiten Halbzeit war es überhaupt nicht gut, was wir gespielt haben. Wir haben defensiv gar keinen Zugriff mehr bekommen, viel zu viele Chancen zugelassen und auch die Konter nicht gut ausgespielt. Da hatten wir Glück, dass wir schnell das 3:0 gemacht haben, sonst wäre es hinten heraus vielleicht nochmal eng geworden", analysierte Kimmich kritisch. Das war Klartext. Und es zeigt, wie wichtig Kimmich inzwischen auch abseits des Platzes ist.
Sammer: "Bei Joshua ist das etwas Ursprüngliches"
"Solche Typen, wie es Josh zweifelsohne ist, braucht der deutsche Fußball", schwärmte Sammer zuletzt gegenüber Eurosport. Kimmich werde eine ganz prägende Rolle im deutschen Fußball einnehmen, prophezeite er. "Josh wird in meinen Augen der Führungsspieler. Er bringt Eigenschaften mit, die außergewöhnlich sind - ob in der Offensive oder Defensive. In der Art und Weise, wie er auftritt, was er sagt und wie er es sagt. Und das geht auch noch alles ohne Kriegsbemalung und ohne behangene Ohren. Bei Joshua ist das etwas Ursprüngliches. Und das ist einfach schön."
Früher oder später wird Kimmich die große Lücke füllen, die Lahm hinterlassen hat - nicht nur auf dem Platz. Schon jetzt übernimmt er fernab der Bundesliga-Stadien wichtige Aufgaben. Verantwortung. Etwa bei der Integration von Neuzugängen. Als Kimmich gefragt wurde, ob er Sebastian Rudy und Niklas Süle anfangs geholfen habe, entgegnete er, das müsse man eher die ehemaligen Hoffenheimer selbst fragen. Erst auf erneute Nachfrage erzählte Kimmich: "Ich verstehe mich mit beiden super. Ich verstehe mich aber auch mit Coco (Corentin Tolisso, Anm. d. Red.) ganz gut. Ich bin, glaube ich, nicht der Mensch, mit dem es schwer ist, sich zu verstehen. Ich versuche da schon auf die Jungs zuzugehen." Sagt Kimmich. Der 22-Jährige.
Kimmich kann nur so selbstbewusst auftreten, so kritisch in die Analyse gehen, so klar seine eigenen Ambitionen formulieren, weil er sich dieses Standing erarbeitet hat. In Rekordzeit. Beim Rekordmeister.
Kimmich ist ein geradliniger Kerl, einfach geradeaus, als Mensch, aber auch als Fußballer. Er macht kaum Fehler, besinnt sich auf seine Stärken, ohne die große Show. "Man neigt ja immer dazu, das Extravagante in den Mittelpunkt zu stellen, dabei aber das Solide, das Einfache, das Phantastische – siehe Philipp Lahm – zu vergessen. Aber das ist das Entscheidende. Und genau das hat Joshua", weiß Sammer.
Auch das ist Typsache. Erntet Kimmich Lob, wirkt er beinahe schüchtern. Auf einer Sponsorenveranstaltung meinte er neulich auf die Frage, wie man denn ein großer Sportler werde, er könne das nicht beantworten. "Ich bin ja noch kein Großer", erklärte er mit Verweis auf seine Kollegen, die ja schon deutlich mehr erreicht hätten. Geht es aber um die wichtigen Dinge, um die mannschaftliche Entwicklung, dann ist Kimmich gar nicht schüchtern. Dann denkt er progressiv, spricht Klartext. Mit 22.


