GFX England Nachwuchs 21072017Getty Images

Nachwuchsarbeit auf der Insel: 'Make England Great Again'


HINTERGRUND

"England feiert sein Sommermärchen 2017" - Zugegeben, diese Schlagzeile scheint in Anbetracht der tatsächlichen Erfolge des englischen Fußballs ein wenig übertrieben. Aber dennoch sollte dem Nachwuchs aus dem Vereinigten Königreich spätestens nach den Leistungen in den letzten Wochen wieder größere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Ein Mini-Sommermärchen war es nämlich schon, was die heranwachsenden Three Lions den Fans auf der Insel bescherten.

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Gleich in zwei Altersklassen setzte man sich bei großen Turnieren die Krone auf. So wurde die U20-Auswahl in Korea Weltmeister, ehe die U19 sich knapp vier Wochen später bei der Europameisterschaft in Georgien im Finale gegen Portugal durchsetzte. Auch bei den anderen Ländervergleichen spielten die Engländer eine spannende Rolle. Die U21 musste sich im EM-Halbfinale gegen den späteren Turniersieger Deutschland im Elfmeterschießen geschlagen geben, während das U17-Team sogar erst im Finale ebenfalls vom Punkt den Spaniern den Vortritt lassen musste.

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Und dennoch sind solche Erfolge längst keine Garantie dafür, dass in Zukunft auch die A-Nationalmannschaft wieder um Titel und Trophäen kämpfen wird. Die Grundlage dafür wurde augenscheinlich inzwischen aber gelegt. Doch was genau hat sich in der britischen Talentförderung in den letzten Jahren getan, dass man im Mutterland des Fußballs heutzutage wieder mit einem positiven Gefühl in die Zukunft blicken kann?

Neidisch blickte man in der jüngeren Vergangenheit auf die ertragreiche Nachwuchsarbeit in Spanien, Frankreich und Deutschland. Vor allem die Klubs ignorierten die Missstände in den eigenen Reihen. Ein Funktionär namens Greg Dyke erkannte schon vor allen anderen, dass sich in vielen Bereichen etwas ändern müsse, um in Zukunft mit den großen Konkurrenten mithalten zu können. Er stellte einen Plan auf, wollte das komplette System umkrempeln und das Mutterschiff so wieder auf den richtigen Dampfer bringen.

"Vor zwanzig Jahren waren 69 Prozent aller Spieler der Premier League spielberechtigt für England", erklärte Dyke im September 2015 in seiner inzwischen legendären Rede zu den Missständen des englischen Fußballs. "2013/14 waren es nur noch 32 Prozent und der Wert sinkt weiter."

England U20 World Cup 0617 Englands U20-Auswahl nach dem Sieg im WM-Finale gegen Venezuela

In England ist oftmals kaum Platz für den eigenen Nachwuchs. "Es gibt für gute 18- bis 21-Jährige unzureichende Spielmöglichkeiten in den Top-Vereinen. Und wenn wir jungen, englischen Fußballern nicht die Gelegenheit geben, ihr Höchstpotential zu erreichen, dann versagen wir", so Dyke. Tatsächlich hat sich daran (noch) nicht wirklich viel geändert, besteht die Premier League noch immer zu über 65 Prozent aus Legionären.

Leider bekam Dyke auf der Insel mit seinen Ansätzen viel Gegenwind zu spüren, was ihn letztendlich nach der enttäuschenden EM 2016 dazu veranlasste, sein Amt niederzulegen. Dennoch scheint es so, als würde seinen Ideen mittlerweile mehr Beachtung zuteilkommen als angenommen. So ist auf der Webseite des englischen Verbandes FA (Football Association) ein Leitfaden zu finden, mit welcher DNA die zukünftigen Auswahlteams ausgestattet werden sollen.

Entwicklung von "siegreichen englischen Teams"

Dabei beruft man sich auf fünf Kernelemente: "Wer sind wir? Wie spielen wir? Wie soll der künftige englische Spieler aussehen? Wie trainieren wir? Wie unterstützen wir die Teams?"

Das Ziel dahinter ist klar. Es sollen "siegreiche englische Teams entwickelt werden", die bei jedem Turnier "absolut wettbewerbsfähig sein sollen". Eine "individuelle Entwicklung von jungen Spielern" soll oberste Priorität genießen. Diese und viele weitere Punkte des Leitfadens sollen nach und nach "mit eigenen Ideen, Methoden und Arbeitsweisen upgedatet werden".

Erstellt wurde dieser Ansatz von den Nationaltrainer aller Altersklassen sowohl der Männer als auch der Frauen. Umgesetzt werden soll er einheitlich von der U15 bis hin zu den Herren. Inwiefern die Vereine mitziehen, kann der Verband bisher jedoch nur bedingt beeinflussen.

"Natürlich sind 90 Prozent der Entwicklung Aufgabe der Vereine, weil sie deutlich mehr Zeit mit den Spielern verbringen", erklärte Englands Nachwuchschef Dan Ashworth schon vor längerer Zeit. "Aber die Interaktion ist besser denn je. Es heißt nicht Vereine gegen Verband sondern Vereine mit Verband. Sie wollen gute Spieler aus ihren eigenen Akademien und wir wollen gute junge englische Spieler."

Gareth Southgate Dan Ashworth England Nationaltrainer Gareth Southgate (l.) mit Dan Ashworth

Dieser Plan scheint nun allmählich immer stärker umgesetzt zu werden. Zumindest im Jugendbereich. Je näher man sich an den Herrenbereich nähert, umso vorsichtiger muss man bei der Einschätzung sein. So war es beispielsweise bei der U21-EM schon auffällig, dass bei den Three Lions deutlich weniger Akteure mit Profierfahrung auf dem Platz standen als bei den restlichen Halbfinalisten aus Italien, Spanien und Deutschland.

Bislang gibt es einfach noch zu wenige Regularien, welche die Klubs aus der finanzstarken Premier League dazu zwingen, mehr auf die eigenen Talente zu setzen. Daraus resultiert die Tatsache, dass man sich für das viele Geld – welches zweifellos vorhanden ist – lieber mit gestandenen ausländischen Spielern verstärkt, um innerhalb der Liga konkurrenzfähig zu bleiben, als die eigene Nachwuchsförderung voranzutreiben.

Alli, Kane und Co. als gute Beispiele

Dabei zeigt vor allem Tottenham Hotspur, dass man auch mit jungen englischen Spielern erfolgreich sein kann. Mit Dele Alli und Harry Kane haben zwei Stützen der englischen Nationalmannschaft ihren Durchbruch an der White Hart Lane geschafft und sich dort zu absoluten Top-Spielern entwickelt. Auch die Außenverteidiger Kyle Walker und Danny Rose sind bei den Spurs zu jenen Spielern gereift, die heute auf ihrer Position zu den Top-Akteuren der Liga gehören. Und vielleicht wagen nun auch andere Teams diesen Schritt, nachdem in den vergangenen Wochen viele englische Talente ihr Können aufblitzen haben lassen.

Inwieweit die englische Nachwuchsarbeit schon auf die Vorreiter aus Frankreich, Spanien und Deutschland aufgeholt hat, sollte man nicht anhand eines erfolgreichen Sommers beurteilen. Dennoch scheint es so, dass man im Mutterland des Fußballs verstanden hat, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss. Ob sich die Erfolge bei den Juniorenturnieren als Strohfeuer erweisen oder doch Anzeichen für die nachhaltige Verbesserung der Nachwuchsarbeit sind, wird sich vermutlich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Gemessen wird man dann aber wohl an den Erfolgen der A-Nationalmannschaft, wo man seit 1996 bei den großen Turnieren nicht mehr über das Viertelfinale hinausgekommen ist. Eine neue Generation, die diese Bilanz in den kommenden Jahren aufbessern könnte, scheint im Anmarsch. Und vielleicht gibt es dann auf der Insel in naher Zukunft nach dem ersten und einzigen WM-Triumph 1966 endlich wieder einen bedeutenden Titel zu bejubeln. Die kommenden Talente haben jedenfalls angedeutet, dass mit ihnen zu rechnen ist – solange es nicht zu einer Entscheidung im Elfmeterschießen kommt.

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