*NO GALLRY* Mats Hummels Jerome Boateng Deutschland Germany DFBGetty Images

Mats Hummels: Stabilisator in Boatengs Schatten

Es wird so viel über Jerome Boateng geredet, da geht die Leistung von Mats Hummels beinahe unter. Zwar mag der 27-Jährige auf und abseits des Platzes bei dieser Europameisterschaft keine so prägende Figur sein wie sein künftiger Vereinskollege, sehr gute Leistungen zeigt er aber sehr wohl. Hummels ist längst eine feste Größe in der deutschen Nationalmannschaft. Das war nicht immer so.

Nicht selten stand Hummels in der Vergangenheit aufgrund seiner riskanten Spielweise in der Kritik, wurde mitunter gar als überschätzt tituliert. Auch Joachim Löw war zunächst kein so großer Fan seiner Qualitäten wie die Verantwortlichen bei Borussia Dortmund. Nein, Liebe auf den ersten Blick war es nicht zwischen Hummels und dem Bundestrainer. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis Löw dem U21-Europameister sein Vertrauen schenkte. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika etwa war Hummels trotz einer starken Spielzeit im Rücken für viele überraschend gar nicht dabei, in der Qualifikation zur WM in Brasilien verlor er zwischenzeitlich seinen Stammplatz.

Löw missfielen Hummels' Dominanz im Aufbauspiel und die ebenso lässig anmutenden wie gewagten Flugbälle mit dem Außenrist. Ausgerechnet seine Stärken, die beim BVB so sehr gefragt waren, sollten im Kreise des DFB-Teams ein Tabu sein. Hummels schluckte, passte sich an, spielte einfacher, sodass kein Weg an ihm vorbeiführte. Beim Triumph am Zuckerhut war er schließlich gesetzt, und wichtiger Bestandteil der Weltmeister-Mannschaft. Anschließend erlebte er die wahrscheinlich schwierigste Zeit seiner Karriere.

Artikel wird unten fortgesetzt

Borussia Dortmund und Hummels persönlich erlebten einen Absturz, der seinesgleichen sucht. Einen, der nach dem 18. Spieltag der Saison 2014/15 seinen endgültigen Tiefpunkt fand, als der Vizemeister plötzlich mit lächerlichen vier Siegen als Tabellenschlusslicht dastand. Hummels spielte unterirdisch, die meisten seiner Kollegen genauso. Nur war er doch der Kapitän, und damit ein, wenn nicht sogar das Gesicht der Krise. Hummels wackelte, machte auf dem Rasen haarsträubende Fehler und vor dem Mikrofon teilweise keine gute Figur. Hummels kritisierte die Mannschaft. Er zählte sich freilich dazu, sagte das aber nicht explizit, was den Eindruck erweckte, ausgerechnet der intellektuelle Innenverteidiger sei nicht selbstkritisch genug. Ein Trugschluss.

"Ich habe gemerkt, dass mein Selbstvertrauen zum ersten Mal in meiner Karriere etwas angeknackst war, dass ich in Spiele reinging und dachte: bloß keine Fehler machen“, erklärte Hummels rückblickend. Seine eigenen Leistungen bewertete er mit etwas Abstand durchaus selbstkritisch, sogar in beachtlicher Deutlichkeit. "Diese Hinrunde war das wahrscheinlich Schlechteste, was ich in meinem ganzen Leben bisher gespielt habe", sagte Hummels dem kicker. Gewichtsmäßig sei er in einem katastrophalen Zustand gewesen, meinte er weiter und sprach vom Laster des Frustessens: "Und weil mir die Hinrunde eben viel Frust beschert hat, bin ich in einen kleinen Teufelskreis geraten."

Im Vorfeld der EM verletzt

Hummels und der BVB kämpften sich aus dem Teufelskreis, und beendeten die Saison nach zeitweise ernsthaften Abstiegssorgen doch noch auf Rang sieben. Spätestens seitdem funktioniert Hummels wieder zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. In seiner neunten und letzten Spielzeit im schwarzgelben Trikot war er wie in so vielen Spielen in den Jahren zuvor die Schlüsselfigur in der Defensive. Auch im DFB-Pokalfinale gegen seinen künftigen Arbeitgeber spielte er stark - bis zu seiner Auswechslung.

Ausgerechnet in seinem letzten Spiel für die Dortmunder musste er mit einer zunächst allem Anschein nach harmlosen Verletzung in Folge eines Krampfes das Spielfeld verlassen und mitansehen, wie seine Kollegen im Elfmeterschießen den Kürzeren zogen. "Ein Scheiß-Abend", wie Hummels später resümierte. Dabei dürfte er in diesem Moment noch gar nicht geahnt haben, dass sich die Blessur als Muskelfaserriss in der Wade entpuppen würde.

Doch das tat sie. Und so reiste Hummels angeschlagen ins DFB-Trainingslager nach Ascona, konnte erst nur im Kraftraum, dann individuell trainieren. Fürs erste EM-Gruppenspiel fiel er aus, beobachtete, wie sein Vertreter Shkodran Mustafi ordentlich spielte und beim 2:0-Sieg über die Ukraine zur Führung einköpfte.

Uneingeschränktes Vertrauen von Löw

Wie sehr Löw dem 1,92-Meter-Hünen mittlerweile vertraut, wurde in der Folge deutlich. Obwohl der 56-Jährige Änderungen nach erfolgreichen Auftaktspielen scheut - noch nie zuvor hatte der Bundestrainer im zweiten Gruppenspiel seine Aufstellung verändert -, brachte er Hummels nach nur drei Trainingseinheiten mit der Mannschaft gegen Polen und den nominell besten Angreifer dieser EM von Beginn an.

20 Minuten und drei kleinere bis größere Wackler später war Hummels in Frankreich angekommen. Dann hatte er Lewandowski gemeinsam mit Boateng im Griff - genauso wie die zugegeben harmlosen Offensivkräfte der Nordiren und Slowaken im weiteren Turnierverlauf. Insbesondere im Achtelfinale klärte Hummels mehrfach stark, und stellte dabei seine herausragende, aber eben riskante und daher teilweise umstrittene Fähigkeit in der Antizipation unter Beweis.

Weil Boateng aber noch stärker performte, im Spielaufbau die dominantere Rolle einnahm, und am vergangenen Sonntag auch noch zum Goalgetter mutierte, befand sich Hummels in der Wahrnehmung stets im Schatten seines zuverlässigen Nachbars. Als ein Reporter Hummels kürzlich auf einer Pressekonferenz fragte, wer denn der Abwehrchef im deutschen Team sei, dürfte er mehr an Boateng denn an den Befragten gedacht haben. "Als Abwehrboss", machte Hummels deutlich, "habe ich mich auch in Dortmund nicht gesehen, obwohl ich der ja vermeintlich war. Jeder muss Kommandos geben. Auch Jonas Hector gibt mir Anweisungen, und so muss es auch sein."

Abwehrchef? Nein, danke!

Die medial aufgebauschte Debatte um die Rollenverteilung in der deutschen Verteidigung war für Hummels nie ein Thema, genauso wenig wie für Boateng. Abwehrchef? Nein, danke! Die Innenverteidger verstehen sich als gleichwertige Partner, und konzentrieren sich lieber darauf, im Defensivzentrum gemeinsam mit Manuel Neuer ein bis dato unüberwindbares Bollwerk zu bilden. In vier EM-Spielen kassierte die DFB-Elf noch kein Gegentor. Neuer musste gar seit 450 Minuten nicht mehr hinter sich greifen - deutscher Rekord.

Mit Spanien-Bezwinger Italien trifft die Löw-Elf am Samstag in Bordeaux (21.00 Uhr im LIVE-TICKER) erstmals auf eine Weltklasse-Mannschaft. Die bisherigen Gegner seien bei allem Respekt kein Gradmesser gewesen, wenngleich Polen eine starke Mannschaft sei, machten die deutschen Spieler und Verantwortlichen unisono deutlich.

Gegen die Squadra Azzurra kann das deutsche Weltklasse-Defensivzentrum um Boateng und Hummels nun beweisen, dass es seinen Ruf als bestes Innenverteidiger-Duo dieser EM zurecht inne hat. Sollte Boateng dann erneut mit spektakulären Rettungstaten oder mit einem Treffer glänzen, hätte Hummels gewiss nichts dagegen. Er muss nicht die prägende Figur sein, um glücklich zu sein. Der EM-Titel würde da schon reichen.

Folge Niklas König auf

Goal-Journalisten werden ausgestattet mit dem Samsung Galaxy S7 und Gear 360

Werbung