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Willi Orban im Interview: "Mein Investment in eine brasilianische Ölfirma war ein kompletter Reinfall"


EXKLUSIV-INTERVIEW

Der langjährige Innenverteidiger von RB Leipzig Willi Orban (28) trifft bei der EM mit der ungarischen Nationalmannschaft in Gruppe F auf Deutschland. Im Interview mit Goal und SPOX erzählt er, was ihn bewegt.

Orban spricht über inspirierende Bücher, eine Fehlinvestition in eine brasilianische Ölfirma und die schwierigen Umstände seines Wechsels vom 1. FC Kaiserslautern nach Leipzig. Außerdem berichtet er von Timo Werners Umgang mit Anfeindungen, Julian Nagelsmanns Analogien und Peter Gulacsis Statement gegen Homophobie.

Herr Orban, Sie gelten als begeisterter Leser. Welches Buch liegt bei Ihnen gerade am Nachttisch?

Willi Orban: Ein Buch über Krafttraining namens "Dinosaur Training". Darin geht es um vergessene Geheimnisse des Krafttrainings und die Besinnung auf altbekannte Übungen. Wenn man sich zum Beispiel bei Instagram über das Thema Krafttraining informieren will, findet man nur hochmoderne Übungen und neue Erfindungen. Letztlich haben die Klassiker aber meistens den besten Trainingseffekt: Kniebeugen, Klimmzüge und so weiter. Generell lese ich hauptsächlich Fachbücher.

War das immer schon so, oder hat sich diese Leidenschaft erst entwickelt?

Orban: Zu meiner Schulzeit habe ich eher ungern gelesen. Die Leidenschaft zum Lesen hat sich bei mir zeitgleich mit dem Interesse am menschlichen Körper entwickelt. Die Initialzündung dafür war meine erste ernsthafte Verletzung, eine Knieblessur im Alter von 18 Jahren. Nach der Operation hatte ich unfassbare Schmerzen und konnte ein paar Wochen lang nicht gehen. In dieser Zeit habe ich damit begonnen, mich intensiv mit meinem Körper auseinanderzusetzen. Es gibt leider genügend Spieler, die zum Ende ihrer aktiven Karriere körperlich völlig am Ende sind und Folgeschäden haben werden. So soll es mir nicht ergehen und deshalb versuche ich, mich so gut wie möglich zu informieren.

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Haben Sie Vorbilder, an denen Sie sich in dieser Hinsicht orientieren?

Orban: Wie fit Zlatan Ibrahimovic trotz seiner 39 Jahre ist, finde ich beeindruckend. Bei Pepe und Cristiano Ronaldo ist es ähnlich. Es würde mich sehr interessieren, was sie neben dem Mannschaftstraining für ihre Körper tun.

Dann schreiben Sie Cristiano Ronaldo doch mal an!

Orban: Das könnte ich probieren, aber ich wage zu bezweifeln, dass er antwortet. (lacht) Spieler verraten ihre persönlichen Arbeitsweisen nur ungern, weil sie damit einen Wettbewerbsvorteil verlieren würden. Über solche Themen wird unter Kollegen wenig gesprochen. Ich habe das Gefühl, dass einige Klubs in diesen Bereichen noch Steigerungspotential haben, weshalb sich viele Spieler bei Experten zusätzliche Hilfe und Informationen über die neuesten Methoden holen.

Würden Sie Ihre persönlichen Arbeitsweisen teilen, sofern Sie ein Mitspieler danach fragt?

Orban: Ja, klar. Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem ich so denke. Wenn man jemanden anderen hilft, dann wird einem irgendwann selbst auch geholfen.

Zurück zum Thema Literatur: Lesen Sie auch Romane?

Orban: Manchmal. Mein Lieblingsbuch ist "Der Alchimist" von Paulo Coelho. Das hat mich inspiriert, große Träume zu haben und alles für ihre Erfüllung zu tun.

Kennen Sie Mitspieler mit ähnlichen Interessen - oder werden Sie in der Mannschaft als der Intellektuelle gesehen?

Orban: Nein, so hat mir das noch niemand gesagt. Jeder Fußballer nutzt seine Freizeit anders. Manche zocken lieber an der Playstation Fortnite oder FIFA und das ist auch völlig okay. Jeder soll machen, was er will. Mit dem Alter kommen denke ich ein paar andere Interessen hinzu.

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Sie beschäftigen sich in Ihrer Freizeit auch intensiv mit dem Thema Geldanlage. Wann und warum haben Sie damit angefangen?

Orban: Wir Fußballer verdienen sehr gutes Geld - aber das gilt nur für eine begrenzte Zeit. Um nach dem Karriereende immer noch ein abgesichertes Leben führen und seine Familie versorgen zu können, muss man sich frühzeitig überlegen, was man mit seinem Einkommen anstellt. Meiner Meinung nach sollte sich jeder Fußballer aktiv mit dem Thema Geldanlage beschäftigen. Ich tue das seit einigen Jahren und setze auf Aktien und Immobilien, vermeide aber die ganz großen Risiken. Grundsätzlich bin ich eher der sparsame Typ und mache mir nicht so viel aus Statussymbolen.

Ist Ihnen trotzdem schon mal eine grobe Fehlinvestition unterlaufen?

Orban: Natürlich, Lehrgeld gehört dazu! Mein Investment in eine brasilianische Ölfirma war ein kompletter Reinfall. (lacht) Aber auch da nehme ich was mit: Man sollte so früh wie möglich so viele Fehler wie möglich machen, um daraus lernen und später bessere Entscheidungen treffen zu können.

Beschäftigt Sie das Thema Geldanalage in ähnlichem Maße wie Zukunfts-Entscheidungen im Fußball, beispielsweise Vertragsverlängerungen oder Klub-Wechsel?

Orban: Nein, das sind zwei komplett verschiedene Themenfelder. Aber generell versuche ich, sämtliche Entscheidungen möglichst schnell und mit möglichst wenig Energie langfristig zu lösen. Bei meinen bisherigen Verlängerungen war ich mir mit meinem Klub immer schnell einig. Letztmals vor ein paar Wochen mit Leipzig.

Klub-Wechsel haben Sie bisher erst einen hinter sich, 2015 von Ihrem Heimatklub 1. FC Kaiserslautern nach Leipzig. Wie lange mussten Sie damals überlegen?

Orban: Nur ein, zwei Wochen. Zunächst lag mein ganzer Fokus auf einem möglichen Aufstieg mit Lautern. Als feststand, dass wir es nicht schaffen, hatte ich die Möglichkeit zu wechseln und habe Gespräche mit einigen Klubs geführt. Die entscheidende Komponente für den Transfer nach Leipzig war Ralf Rangnick. Er hat mich mit seiner Begeisterungsfähigkeit und seinem Feuer von seiner Vision von RB Leipzig überzeugt. Im Nachhinein betrachtet war der Wechsel die eindeutig richtige Entscheidung.

Mit Lautern ging es in den vergangenen Jahren rapide bergab, in dieser Saison drohte sogar der Absturz in die Regionalliga. Wie nahe geht Ihnen das?

Orban: Als Fan würde ich mich nicht bezeichnen, aber als Sympathisant finde ich das sehr traurig. Mit der Strahlkraft, den Werten und der ganzen Pfalz im Rücken hat Lautern ein unheimliches Potenzial. Ich hoffe, dass der Klub langfristig in die Bundesliga zurückkehrt. Dort gehört er hin.

Willi Orban 1. FC Kaiserslautern 12092014Getty

Erleben Sie nach Erfolgen mit Leipzig die gleiche Euphorie im Umfeld wie einst bei Kaiserslautern?

Orban: Es ist anders, aber definitiv nicht weniger leidenschaftlich oder gar schlechter. Bei Lautern stehen in der Kurve geschätzt zu 80 Prozent junge Kerle, die ordentlich Krach machen. Hier unterstützen uns im Stadion hauptsächlich Familien, die aber nicht weniger begeisterungsfähig sind.

In Kaiserslauterns Fanszene hat Ihr Wechsel nach Leipzig für große Kritik gesorgt. Hatten Sie damit gerechnet?

Orban: Mir war schon davor klar, dass die Fans meinen Wechsel kritisieren werden. Ich stand bei Lautern jahrelang selbst in der Kurve und wusste über die Meinung der Fans zu RB Leipzig Bescheid. Viele haben Leipzig als Schuldigen ausgemacht, wenn es beim eigenen Verein nicht so gut läuft.

Konnten Sie die Kritik verstehen?

Orban: Natürlich konnte ich die Sichtweise der Fans verstehen. Aber man muss alles immer aus zwei Perspektiven betrachten. Als leidenschaftlicher Fan hast du eben eine ganz andere Sicht auf die Dinge als jemand, der aktiv auf dem Platz steht.

Wie war Ihre Sichtweise?

Orban: Ich habe eine unglaubliche Verbindung zu Lautern gespürt und hätte - rein emotional betrachtet - am liebsten vom Anfang bis zum Ende meiner Karriere bei meinem Heimatklub gespielt. Aber das ließ sich mit meinen sportlichen Ambitionen leider nicht vereinbaren. Mein großes Ziel war es schon damals, in der Champions League zu spielen. Um das zu erreichen, sah ich bei Leipzig die besten Chancen - und in dieser Saison habe ich es zum vierten Mal geschafft. Ich bin jetzt sechs Jahre hier und identifiziere mich voll mit dem Klub und der Stadt.

Bei Ihrem ersten Auswärtsspiel in Kaiserslautern nach dem Wechsel zeigten Fans einen Doppelhalter mit Ihrem Gesicht im Fadenkreuz. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Orban: Ich verstehe Kritik, aber nur so lange es nicht zu Drohungen gegen einen selbst oder die Familie kommt. Was in der Öffentlichkeit nicht gesehen wurde, waren die zahlreichen positiven Rückmeldungen, die ich nach diesem Spiel bekommen habe. Viele Leute aus dem Klub-Umfeld haben sich bei mir entschuldigt und gemeint, dass diese Fans nicht für die Werte des Klubs, die Werte von Fritz Walter stehen. Der Großteil der Lautern-Fans kann sich trotz meines Wechsels weiterhin mit mir identifizieren und ich mich mit ihnen.

Haben Sie überlegt, gegen die Fadenkreuz-Doppelhalter juristisch vorzugehen?

Orban: Nein, das war für mich keine Option.

Ihr ehemaliger Teamkollege Timo Werner musste nach seiner legendären Schwalbe gegen den FC Schalke 04 2016 - und der anschließenden Leugnung dieser - ähnliche Anfeindungen ertragen. Haben Sie sich mit ihm darüber ausgetauscht?

Orban: Ich habe mit ihm geredet, aber letztlich musste er damit allein klarkommen. Für Timo war das eine schwierige Zeit und natürlich war er nicht happy. Im Nachhinein hat er sicher auch eingesehen, dass seine Aussagen unglücklich waren. Er hätte direkt nach der Schwalbe ehrlicher, authentischer reagieren sollen. Langfristig hat ihn der Umgang mit dieser Situation als Persönlichkeit reifen lassen. Vielleicht hat ihm das auch dabei geholfen, nach der Kritik in England die richtige Reaktion zu zeigen. Das Schöne als Fußballer ist, dass man solche Dinge mit guten Leistungen vergessen machen lassen kann.

Genau wie vergangenen Sommer Werner verlässt nun auch Trainer Julian Nagelsmann Leipzig, er wechselt zum FC Bayern München. Was zeichnet ihn als Trainer aus?

Orban: Taktisch gibt er viel mehr Input als jeder andere Trainer, den ich bisher hatte - vor allem bezüglich des Spiels mit dem Ball. Bis er 2019 nach Leipzig kam, lag unser Fokus auf dem Spiel gegen den Ball. Durch Julian haben wir eine andere Sichtweise auf Taktik bekommen. Er sieht den Fußball ganzheitlich und will, dass man gegen den Ball gut organisiert und mit dem Ball kreativ ist. Das ist zwar fordernder, aber auch erfolgsversprechender, weil man dadurch schwerer ausrechenbar ist.

In Interviews fällt Nagelsmann regelmäßig mit kuriosen Analogien auf, zuletzt verglich er sein damals noch nicht fixiertes Engagement beim FC Bayern mit einer Beziehung zu Model Lena Gercke. Äußert er sich im Mannschaftskreis ähnlich?

Orban: Ja, er bringt auch bei Ansprachen regelmäßig solche Vergleiche - und Lena Gercke kam schon mal vor. (lacht) Im ersten Moment habe ich mich oft gefragt, was er eigentlich von einem will. Aber letztlich bringt er seine Botschaft damit meistens genau auf den Punkt. Seine Lockerheit und seine Wortgewandtheit sind außergewöhnlich.

Gemeinsam mit Nagelsmann wechselt auch Ihr Innenverteidiger-Kollege Dayot Upamecano zum FC Bayern, der einst mit 18 Jahren nach Leipzig kam. Wie hat er sich seitdem entwickelt?

Orban: Am Anfang war er sehr zurückhaltend, mittlerweile ist er aber etwas offener geworden. Wenn er sich wohlfühlt, redet er viel - auch auf Deutsch. Die Sprache ist jedenfalls kein Problem mehr für ihn. Er kam als "Kind" ohne Sprachkenntnisse und geht als gestandener Mann, der im Spiel teilweise Kommandos auf Deutsch gibt.

Willi Orban Dayot Upamecano Kingsley ComanGetty Images

In Ihren sechs Jahren bei Leipzig haben Sie etliche Talente kommen und entwickeln sehen. Welcher Mitspieler hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt?

Orban: Naby Keita mit seiner außergewöhnlichen Ballbehandlung, seiner Dynamik und seinem Abschluss. Er war einfach komplett.

Bei seinem neuen Klub FC Liverpool hat sich Keita auch verletzungsbedingt noch nicht restlos durchgesetzt. Überrascht Sie das?

Orban: Nein. Naby ist ein sehr sensibler Typ, der sich in seinem Umfeld komplett wohlfühlen muss, um Top-Leistungen zu bringen. Man muss sich um ihn besonders kümmern, viel mit ihm reden. Außerdem brauchte er bei uns auch immer wieder mal Pausen. Die Premier League ist diesbezüglich sicher noch fordernder.

Mit Jesse Marsch bekommen Sie im Sommer einen neuen Trainer. Hatten Sie seit der Verkündung schon Kontakt mit ihm?

Orban: Ja, gerade vor ein paar Tagen. Ich kenne ihn auch noch sehr gut aus seiner Zeit als Co-Trainer von Ralf Rangnick, in der er zum Beispiel für Standards zuständig war. Am meisten hängengeblieben ist bei mir, dass er ein guter Mensch ist. Sehr lernfähig und authentisch, ein guter Motivator mit einer coolen Art. Ich bin sehr gespannt, wie er sich in den zwei Jahren in Salzburg weiterentwickelt hat.

Bevor die Zusammenarbeit mit Marsch beginnt, werden Sie mit Ungarn an der Europameisterschaft teilnehmen. Sie sind in Kaiserslautern geboren und aufgewachsen und sprechen kaum ungarisch. Wie eng ist Ihr Bezug zum Heimatland Ihres Vaters?

Orban: Als ich zwei oder drei Jahre alt war, hat sich mein Vater von meiner Mutter getrennt und ist zurück nach Ungarn gezogen. Dadurch war ich als Kind regelmäßig bei ihm und konnte auch ganz gut ungarisch sprechen. Im Laufe der Jahre wurden die Besuche seltener, aber der Kontakt ist natürlich nie abgerissen.

Stimmt es, dass Sie bei einem dieser Besuche mit blauen Haaren zurück nach Kaiserslautern kamen?

Orban: Da war ich sechs Jahre alt und im Sommer bei ihm. Ich weiß nicht mehr warum, aber ich wollte unbedingt blaue Haare haben. Meine Mutter war bei meiner Rückkehr nicht so begeistert, weil ein paar Tage später die Einschulung anstand. Bis dahin hat sie dafür gesorgt, dass die blaue Farbe wieder weg war. Sie wollte, dass ich auf dem Schulfoto ordentlich erscheine.

Haben Sie als Kind der deutschen oder der ungarischen Nationalmannschaft die Daumen gedrückt?

Orban: Der deutschen, aber mittlerweile identifiziere ich mich voll mit Ungarn. Mein Vater freut sich jedes Mal, mich für Ungarn spielen zu sehen. Vor der Corona-Pandemie schaute er regelmäßig bei meinen Länderspielen zu. Wenn alles gut geht, wird er auch bei den EM-Spielen in Budapest im Stadion sein.

Haben Sie sich trotz Ihrer fehlenden Sprachfähigkeiten in der ungarischen Nationalmannschaft direkt gut aufgenommen gefühlt?

Orban: Wegen der Sprache gab es nie ein Problem. Obwohl mir das Sprechen etwas schwerfällt, verstehe ich viele Worte. Unser Trainer Marco Rossi ist außerdem aus Italien und hält seine Ansprachen auf Englisch.

Willi Orbanmlsz.hu

Ihr Klub- und Nationalmannschaftskollege Peter Gulacsi hat neulich in einem Facebook-Post ein neues ungarische Gesetz, wonach homosexuelle Paare keine Kinder adoptieren dürfen, kritisiert. Wie fanden Sie das?

Orban: Es war ein mutiges Statement und ging in die richtige Richtung. Für uns ist es selbstverständlich, Werte wie Offenheit zu vertreten.

Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Orban: Ja. Er meinte, dass er viel Feedback bekommen hat: teilweise positives und teilweise negatives. Die Entlassung von Zsolt Petry (ehemaliger Torwarttrainer von Hertha BSC, Anm. d. Red.) hat er beispielsweise sicher nicht beabsichtigt.

Wie intensiv verfolgen Sie die ungarische Politik?

Orban: Ich kriege zwar viele Dinge mit, bin aber auch wegen der Sprachbarriere nicht ganz so tief im Thema. Nach meiner Karriere will ich das jedoch intensivieren - ein Politiker wird aber vermutlich nicht mehr aus mir.

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