Bei der U17-Europameisterschaft 2015 hatte man beim Deutschen Fußball-Bund ein gutes Gefühl, dass dieser Jahrgang das Turnier erstmals seit 2009 wieder gewinnen kann. 2011 und 2012 gab es jeweils Finalniederlagen. 2013 fehlte man komplett, 2014 war in der Gruppenphase Schluss. Bis zum Endspiel sah es 2015 dann auch ganz gut aus.
Die deutsche Mannschaft, bei der Johannes Eggestein, Felix Passlack und Co. spielten, kassierte bis zum Endspiel kein Tor aus dem Spiel heraus. Im Finale kam die Truppe von Christian Wück gegen Frankreich aber dann mit 1:4 unter die Räder.
Allein drei Tore gingen auf das Konto von Odsonne Edouard, der wenig überraschend zum Spieler des Turniers gewählt wurde. Aufatmen konnte vor allem Trainer Jean-Claude Giuntini, der vor dem Turnier einen gewissen Kylian Mbappe zuhause gelassen und auf Edouard gesetzt hatte. "Mbappe war noch in der Entwicklung. Wir mussten ihm Zeit geben", erinnerte sich der Coach bei BBC Scotland. Und Edouard? "Für einen U17-Spieler hatte Odsonne eine beeindruckende emotionale Kontrolle, vor allem vor dem Tor." Die er dann auch zeigte.
Es war ein Punktsieg für Edouard im noch jungen, aber schon seit Kindesbeinen andauernden Konkurrenzkampf mit Mbappe. Allerdings war es dann auch der letzte.
Während Mbappe danach zu einem der weltbesten Spieler avancierte, stand Edouard als Teenager kurz davor, seine Karriere zu beenden. Dass er heute bei Crystal Palace in der Premier League spielt und längst wieder das zeigt, was ihn einst zur besseren Wahl als Mbappe machte, ist keine Selbstverständlichkeit.
Rivalität mit Kylian Mbappe seit der Kindheit
Die Geschichte des Odsonne Edouard beginnt in Kourou, Französisch-Guyana. Als Sohn haitianischer Eltern hatte er im französisches Überseedepartement an der Nordostküste Südamerikas nach eigenen Angaben eine glückliche Kindheit.
Daran änderte sich auch nichts, als die Edouards sich entschieden, nach Frankreich auszuwandern. Sie zogen nach Bobigny, einem Banlieue im Nordosten von Paris. Die Geburtsstädte vieler späterer Nationalspieler.
Getty ImagesHier begann auch die Freundschaft mit Mbappe. "Ich kenne Kylian sehr gut, denn wir sind Freunde seit der Kindheit. Wir wohnten sehr nah beieinander, haben aber nie für denselben Verein gespielt", so Edouard, der für die Academie Football Bobigny spielte, einst bei Onze Mondial. Mbappe kickte für AS Bondy: "Es gab also von Anfang an eine Rivalität."
Zusammen spielten die Beiden eigentlich nur in den Jugendmannschaften Frankreichs. Edouard ist elf Monate älter und war in der Entwicklung anfangs immer einen Schritt voraus. Ihm gelang auch weit vor Mbappe der Schritt zur Paris Saint-Germain. Scouts wurden auf den jungen Stürmer mit dem unfassbaren Torriecher aufmerksam. Trainiert wurde er damals auch von Said Aigoun, was sich später als glückliche Fügung herausstellen sollte. Edouard schoss in der PSG-Akademie reihenweise Tore und wurde als kommender Top-Star gehandelt. Mit 16 bekam er den ersten Profivertrag bei PSG.
Odsonne Edouard: Dann fiel ein Schuss ...
Kurze Zeit, nachdem er den DFB-Traum im U17-Finale zerstört hatte, durfte er auch bei den Profis ran. In einem Testspiel gegen Leicester City gelang ihm sogar nach Einwechslung ein Tor. Aber man entschied sich, den jungen Burschen zu verleihen. Zu gut für die Jugend, noch zu grün für die Profis, wo sich im Sturm Kaliber wie Zlatan Ibrahimovic und Edinson Cavani tummelten.
Es sollte ein schicksalhafter Wechsel werden. Der FC Toulouse bekam den Zuschlag und der junge Odsonne durfte regelmäßig spielen. Bis er eines Tages mit seinem Teamkollegen Mathieu Cafaro auf die Idee kam, in ein Auto zu steigen, eine Luftpistole mit dabei, und dann im Busca-Viertel auf einen Passanten zu schießen.
Der Betroffene war der damals 62 Jahre alte Francis Guiral. "Ich ging in Busca spazieren, als plötzlich ein Auto anhielt", erzählt er. "Ich dachte, sie wollen nach dem Weg fahren." Doch es kam anders: "Ich hielt meinen Kopf an das Fenster und es gab einen Knall. Ich sackte auf den Boden, mein Ohr blutete. Er sah mich an, ohne etwas zu sagen, und entfernte sich dann leise."
Toulouse schickt Edouard zurück zu PSG
Guiral ist seit dem Vorfall auf seinem linken Ohr taub. Identifiziert werden konnten die Übeltäter, weil eine Sicherheitskamera in der Nähe das Kennzeichen aufzeichnete. Für Verwirrung sorgte Cafaro, der zunächst aussagte, er habe geschossen. Die Aussage nahm er aber dann später zurück. Edouard drohte eine Gefängnisstrafe, von der er wohl nur verschont blieb, weil er noch jung war. Das Urteil lautete vier Monate auf Bewährung. Zudem musste er ein Schmerzensgeld in Höhe von knapp 20.000 Euro zahlen, was Edouard aber lange Zeit ignorierte.
Das Opfer ging nach dem Ausbleiben der Zahlung an die Medien. "Ich werde ihm einen Gerichtsvollzieher schicken, wenn ich die Adresse weiß", sagte er. Die Adresse war da schon längst nicht mehr in Toulouse. Der Klub suspendierte Edouard sofort und schickte ihn zurück nach Paris. Eine Karriere, die so vielversprechend begann, schien früh am Ende zu sein. Edouard spricht heute ungern über diese Zeit. Eigentlich spricht er grundsätzlich ungern.
Aber was war da los? Ein Draufgänger war er schon immer, kriminell nie. "Ich war zum ersten Mal in meinen Leben aus Paris raus. Zum ersten Mal weg von Zuhause", sagt er. Natürlich kein Grund, jemanden taub zu schießen.
Die Entfernung war erst das Problem, später die Lösung. Im folgenden Sommer fanden sich dennoch einige Interessenten, die dem Jungen eine Chance geben wollten. Da flatterte ein Angebot von Celtic aus Glasgow herein. Noch weiter weg von Paris, noch weiter weg von Zuhause. "Aber genau das richtige", sagt Entdecker Giuntini: "Er musste raus aus Frankreich."
Getty ImagesAber natürlich hatte die Luftpistolen-Geschichte auch Schottland erreicht. Medien stürzten sich auf dieses Thema. Auch Lokalgrößen wie Andy Walker äußerten sich in den Medien kritisch. Aber sie bekamen ein Problemkind und machten aus ihm einen Erwachsenen.
Interesse von Borussia Dortmund
Nachdem er bei Celtic anfangs nur Ersatzmann für den gesetzten Moussa Dembele gewesen war, gelang ihm nach dessen Abgang der Durchbruch. 11,4 Millionen Euro ließ sich Celtic den jungen Franzosen kosten, der zum teuersten Einkauf der Klub-Geschichte wurde. Ex-Celtic-Coach Brendan Rodgers schwärmte in den höchsten Tönen: "Er hat einen hohen Fußball-Sachverstand und eine hervorragende Technik für sein Alter. Er ist physisch sehr stark und schießt eine Menge Tore."
86 Treffer waren es am Ende für Celtic, in 179 Spielen. "Schottland hat ihm geholfen, erwachsen zu werden", sagt Giuntini. So kann man auch sein Spiel bezeichnen. Trotz vieler Fähigkeiten ist Edouard kein Einzelkünstler. Die 39 Torvorlagen in Glasgow lassen auch darauf schließen, dass er sich zu einem torgefährlichen Teamplayer entwickelt hat. Klar war auch, dass diese Statistiken und Fähigkeiten in besseren Ligen nicht verborgen bleiben.
Auch hierzulande, wo man beispielsweise bei Borussia Dortmund 2020 angeblich Interesse hatte. Aber vor allem aus der Premier League gab es zahlreiche Klubs, die natürlich die Entwicklung des Angreifers im nahen Glasgow verfolgten. Dass zu Saisonbeginn Crystal Palace dann den Zuschlag bekam, ist auch kein Zufall. Nicht nur, dass Trainer Patrick Vieira Franzose ist, sprach für die Londoner. Der Co-Trainer heißt Said Aigoun. Edouards Trainer aus der Pariser Jugend. Ein Wegbereiter zu Pariser Zeiten. Einer, der weiß, wie der Junge tickt und funktioniert.
Rekord von Agüero eingestellt
Bei seinem Debüt gegen Tottenham erzielte er mit seiner ersten Ballberührung 28 Sekunden nach der Einwechslung sein erstes Tor. Das schnellste Debütanten-Tor der Liga-Geschichte. Kurze Zeit später gelang ihm auch sein zweiter Treffer. Ein Doppelpack zum Premier-League-Debüt gelang bisher nur Sergio Agüero 2011 für Manchester City.
Aktuell steht er bei sechs Toren und drei Vorlagen in 19 Spielen. Nicht schlecht für den Anfang, zumal er selbst zugibt, dass das Niveau in der Premier League deutlich höher als in Schottland ist.
Außerdem ist er ja noch im Lernprozess. Und hört zu, was Trainer Vieira sagt: "Patrick ist eine Legende in Frankreich. Wenn er dir also sagt, dass du etwas tun sollst, musst du es tun. Wenn er dir zum Beispiel sagt, dass du diesen Lauf machen sollst, dann musst du diesen Lauf machen. Man muss auf ihn hören", so Edouard. Kindheitsfreund Kylian Mbappe ist ihm inzwischen entwischt, aber wer weiß, vielleicht sehen sie sich ja bald in der Nationalmannschaft wieder.
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