Ilkay Gündogan Thomas Müller Germany EC Qualification 07092015Getty Images

DFB-Team nach 3:2: Kein Grund zur Sorge

Mit versteinerter Miene betrat Deutschlands Bundestrainer Jogi Löw nach dem Schlusspfiff den Rasen des Glasgower Hampden Parks und klatschte den deutschen Fans zu. Das 3:2 seines Teams gegen Schottland war zu chaotisch gewesen, als dass der Weltmeister-Trainer sich wirklich darüber freuen konnte.

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Das Spiel lieferte in erster Linie zwei Erkenntnisse. Erstens: Deutschland wird die Qualifikationsgruppe D mit großer Wahrscheinlichkeit als Erster abschließen und letztlich souverän zur EM-Endrunde nach Frankreich reisen. Die zweite, und wichtigere Erkenntnis: Die Souveränität fehlt.

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Seltsame Unordnung

Stellvertretend für diese These stehen die beiden Gegentore, bereits Nummer sechs und sieben in der laufenden Quali. Beim ersten lieferten Manuel Neuer und Mats Hummels Slapstick vom Feinsten (28.) und beim zweiten fehlte das geordnete Herausrücken. Ilkay Gündogan hob das Abseits auf und plötzlich stand es 2:2 (43.).

Natürlich, man darf zwei Gegentore nicht überbewerten. Natürlich, Deutschland hat gewonnen und nur darum geht es. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass Deutschland die Leidenschaft, die Klasse, die Ordnung seit dem Titel von Rio abgeht. Gegen Polen lieferte man 60 Minuten lang eine ästhetisch ansehnliche Gegenthese, gegen Schottland war es dann wieder da: das seltsam Ungeordnete im deutschen Spiel trotz Aufbauspezialisten wie Kroos, Schweinsteiger, Boateng oder Hummels.

Es fehlte an Abstimmung in der Offensive und konsequenter Verteidigung der Außenbahnen. Mesut Özil und Mario Götze agierten nicht zielstrebig genug und die Schlussphase erinnerte in unangenehmer Intensität an die Chaos-Schlussminuten beim 4:4 gegen Schweden. 

Panikmache ist nicht angebracht

Ein großes Problem ist all das aber noch nicht. Denn bei neun verbleibenden Monaten bis zum Turnier ist es nur normal, dass nicht alles glatt läuft. Vor allem, wenn als Vergleich immer wieder der historische Sieg von Brasilien herangezogen wird. "Es war ein schweres Spiel, weil Schottland nichts für ein gutes Spiel getan hat. Sie haben auf Standardsituationen gesetzt, da haben wir zwei Tore kassiert. Ansonsten haben wir keine Chance aus dem Spiel zugelassen", analysierte Löw passend und gelassen. Neben den offensichtlichen Schwächen war der Partie schließlich auch einiges Positives abzugewinnen.

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Ilkay Gündogans Auftritt zum Beispiel. Der Dortmunder wirkte spritzig, hatte einen wunderbar kreativen ersten Kontakt und hatte neben seinem Siegtreffer noch zwei weitere Tore auf dem Fuß. Ausgerechnet der im letzten Jahr formschwache Sechser wirkte im deutschen Mittelfeld neben dem bemühten Schweinsteiger und dem risikoscheuen Kroos am vitalsten.

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Torschützen unter sich: Thomas Müller (l.) traf doppelt, Ilkay Gündogan erzielte den Siegtreffer

Im Zentrum könnte das langfristig die Lösung sein: ein Dreiergespann aus dem tiefliegenden und kommandierenden Schweinsteiger, Passgeber Kroos und dem freien, kreativen Achter Gündogan. Weit von einer Lösung entfernt ist man weiter auf der Position des Rechtsverteidigers, wo Löw zum zweiten Mal in Serie dem erst gegen Polen debütierenden Emre Can das Vertrauen schenkte. Can ist bei Liverpool ohne Zweifel gereift, ein Außenverteidiger ist er aber nicht. Er ist zu robust und zu sehr einer, der das Spiel gerne vor sich hat, als dass er eine langfristige und zufriedenstellende Lösung darstellt. Selbiges gilt dort auch für Hoffenheims Sebastian Rudy.

Bis Frankreich darf man gespannt sein, wie Löw die bei Philipp Lahms Rücktritt entstandene Lücke füllt. Gefüllt hat er bereits die bis vor kurzem ebenso zur Problem-Position deklarierten Pendant-Stelle hinten links. Dort hat sich der Kölner Jonas Hector einen Stammplatz erarbeitet, den er gegen Polen mit zwei Assists und seiner bisher stärksten Leistung im DFB-Dress manifestierte und gegen leidenschaftliche Schotten behauptete.

Müller in grandioser Form

Positiv war auch die schier nie endende Leichtigkeit von Thomas Müller, der den Ball zweimal irgendwie ins Tor fuhrwerkte. Der Bayer ist in grandioser Form, er ist beim FCB und unter Löw ein Schlüsselspieler und momentan der mit Abstand torgefährlichste Deutsche. Gemeinsam mit dem derzeit verletzten Marco Reus soll und kann er die viel diskutierte Stelle des Verwerters im deutschen Angriff einnehmen. 

Grund für die negative Grundstimmung und die Skepsis, die Deutschlands Quali-Auftritte bisher hinterlassen haben, ist auch die nach die dem vierten Stern ins Unermessliche gestiegene Erwartungshaltung der Deutschen.

Inzwischen sollte man Jogi Löw gut genug kennen, um zu wissen, dass die fehlende Souveränität etwas ist, das er bis zur EM abstellen wird. Bis dahin ist es sein gutes Recht zu experimentieren. Denn er muss Spieler wie Gündogan und Reus im WM-Team verankern und gleichzeitig Lahm und auch Klose ersetzen. Man sollte Löw einfach Vertrauen schenken, denn mit dem Hochglanz-Kader, den er trotz der offensichtlichen Problemzonen hat, und seiner Expertise stehen die Chancen gut, dass er in Frankreich nach den Spielen sein breites und herzliches Lachen zeigen wird. An einen etwas chaotischen Abend in Glasgow und einen kühl dreinblickenden Bundes-Jogi wird dann niemand mehr denken.

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