In diesem Text wird es nicht umsMia san Miagehen, versprochen. Doch auf die Gefahr hin, dassOliver Kahn auch das nicht mehr hören kann, müssen wir noch einmal über die Umstände des Trainerwechsels von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel reden.
Womöglich war der Einstellung Tuchels in den Verhandlungen ein mindestens mittelgigantisches Missverständnis vorangegangen. Oder es liegt zumindest ein gewisser Zielkonflikt zwischen Klub- und Mannschaftsverantwortlichen vor.
Getty ImagesFC Bayern: Was, wenn es keinen Tuchel-Effekt geben konnte?
Fast genauso vehement wie Bayerns Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn Nagelsmanns Freistellung mit der Sorge der Verantwortlichen begründete, die Klubziele nicht mehr erreichen zu können und die Freistellung des Trainers also als eine "wohlüberlegte" Panikreaktion darstellte (wobei er sich gegen das Wort Panikreaktion freilich verwehrte), tat Tuchel ein paar Mal demonstrativ kund, wie überrascht er gewesen sei, dass Bayerns Bosse ihm die sofortige Übernahme der Mannschaft andienten.
Das bedeutet auch: Tuchels Einstellung kurz vor den vier saisonentscheidenden Partien gegen den BVB in der Bundesliga, dem SC Freiburg im DFB-Pokal und Manchester City im Viertelfinale der Champions League geschah aus Sicht von Bayerns Verantwortlichen Kahn und Sportchef Hasan Salihamidzic also nicht, weil Tuchel gerade frei war und im Sommer womöglich schon wieder nicht. Der riskante Trainerwechsel zum vielleicht sensibelsten Saison-Zeitpunkt war demnach nicht von einer strategischen Weitsicht motiviert, sondern folgte einem Impuls, so "wohlüberlegt" (immer noch Kahn) er gewesen sein mag, und der vagen Hoffnung nach einem Tuchel-Effekt.
Was aber, wenn es gar keinen Tuchel-Effekt geben konnte? Was, wenn die Probleme zwischen Mannschaft und Nagelsmann nicht so groß waren, wie kolportiert? Was, wenn kein Wunderheiler nötig war und die Bosse die zugegeben fragile Mannschaft durch den Trainerwechsel noch mehr verunsichert haben?
Wie auch immer: Der überraschte Tuchel ging die Wette der Bosse ein, die noch alles andere als verlorene Saison zu retten. Jedoch arbeitete er vom ersten Tag an so mit seinen neuen Spielern, als ob er den stürmischen und verregneten Münchner Frühling 2023 vor allem schon als Vorbereitung für den hoffentlich schöneren Sommer nutzen wollte.
Tuchel und seine Assistenten verordneten der Mannschaft in den ersten Tagen eine schnörkellose Formation, stellten einen fünften Spieler in die Restverteidigung, brachten ihr ein paar Tricks für Standardsituationen bei und trainierten vor allem Pass- und Positionsspiel, kurz: Sie begannen bei den Basics der Tuchelschen Fußballlehre.
GettyFC Bayern: Wer Tuchel holt, bekommt keinen Wunderheiler
Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, wer Tuchel holt, bekommt eben in erster Linie einen fantastischen Trainer und leidenschaftlichen Fußballlehrer und keinen Wunderheiler.
Der FC Bayern hat ganz sicher nicht wegen Tuchels Trainingsmethoden oder seiner taktischen Entscheidungen in den ersten vier Spielen unter ihm zwei von drei möglichen Titeln schon so gut wie sicher verloren. Tuchel hätte bestimmt gerne schon in seinen ersten Wochen in München das Triple gewonnen. Aber es scheint, dass er die Möglichkeit, dass das nicht unbedingt klappen würde, nicht nur theoretisch einberechnet hatte.
So kann dann auch seine"schockverliebte" Huldigung an die Mannschaft nach dem 0:3 in Manchesterals vertrauens- und teambildende und prozessorientierte Maßnahme verstanden werden.
Während Bayerns Bosse nach der Pleite in Manchester weiter der Illusion nachjagten, was der von ihnen erklärtermaßen als "einer der besten Europas" (wieder Kahn) zusammengestellte Kader zu leisten im Stande sein müsste, sieht Tuchel, was im Laufe des Prozesses entstehen könnte.
Indem Tuchel die Rolle des Wunderheilers ablehnte und sich in Manchester gar "weigerte, das Ergebnis zu sehen", hat er die Mannschaft - und sicher auch ein wenig sich selbst - aus der Schusslinie genommen. Es braucht schließlich keinen Meteorologen, um zu wissen, dass es in den nächsten Wochen ungemütlich werden könnte in München, zumal der einzig mögliche Titel noch lange nicht sicher ist. Den Bayern droht die erste titellose Saison seit dem Triple-Vize-Jahr 2012.
Natürlich dürfen und werden die individuellen Fehler vonJamal Musiala beim Pokalspiel gegen Freiburgoder von Dayot Upamecano in Manchester bei der Bewertung der Arbeit von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic keine Rolle spielen. Auch wäre es sicher zu weit gegriffen, sie für den persönlichen Frust oder für angeblicheWatschn von Spieler an Spielerverantwortlich zu machen.
Ihre Managemententscheidungen des vergangenen Sommers und dieser Saison schreien aber nach Erklärungen - und den richtigen Fragen des Aufsichtsrats - die hoffentlich nicht darauf abzielen werden, Thomas Tuchel in Frage zu stellen.
Jedoch sollten sich diese Fragen auch nicht darauf beschränken, handfeste Erklärungsansätze dafür zu verlangen, wie die Verantwortlichen Mitte März auf die Idee kommen konnten, die irre teure Wette einzugehen und Nagelsmann sofort durch Tuchel zu ersetzen und welche Konsequenzen sie aus dieser Entscheidung für die Zukunft ziehen. Oder anders formuliert: Rechtfertigt die (Hab)-gier nach Titeln ungeplante zweistellige Millionenausgaben auf der Trainerposition?
Imago ImagesFC Bayern: Ist Konrad Laimer der richtige Zugang?
Weitere relevante Fragen an Kahn und Salihamidzic könnten lauten:
Wieso wirkt einer der besten Kader Europas nicht nur im Vergleich zum tatsächlich herausragenden Kader von Manchester City auf einigen Positionen doch mindestens ein wenig rudimentär und inhomogen zusammengestellt?
Wie ist das Gehalt von Sadio Mané, das dem Vernehmen nach bei 23 Millionen Euro pro Jahr liegen soll, zu rechtfertigen? Mané soll somit ähnlich viel verdienen wie letzte Saison noch Top-Torjäger Robert Lewandowski?
Gab es letzten Sommer, als sichWunschspieler Erling Haalandund Flirt Harry Kane als zu teuer herausstellten, wirklich keine einigermaßen vielversprechenden Alternativen für die Mittelstürmerposition auf dem Transfermarkt?
Wie viel günstiger wären die angeblichen aktuellen Stürmerkandidaten Randal Kolo Muani, Dusan Vlahovic undVictor Osimhenim Sommer 2022 zu haben gewesen?
Waren die nicht ganz billigen Nachverpflichtungen im Winter, Keeper Yann Sommer und die Verteidiger Daley Blind und João Cancelo, wirklich nötig?
Auf welchen Positionen müssen die Bayern im Kader durch den Trainerwechsel ungeplant nachbessern, um Tuchel die Arbeit zu erleichtern?
Ist Konrad Laimer der richtige zentrale Mittelfeldspieler neben Joshua Kimmich, der die Bälle verteilen und den Takt vorgeben kann? Oder kommt der Noch-Leipziger als Alternative zu Kimmich und müsste dann noch ein weiterer kommen? Leon Goretzka etwa hat unter Tuchel bisher nicht schlecht gespielt, er scheint aber gegen sein Naturell zu spielen. Wie wäre der Zugang, sollte er nötig sein, zu finanzieren?
Was waren die Gedankengänge, als man Serge Gnabry zum Beispiel Kurztrips zur Fashion Week nach Paris durchgehen ließ und Leroy Sanés wiederholtes Zuspätkommen nicht empfindlich sanktionierte. Hatte die Mannschaft ein Disziplinproblem?
Kahn und Salihamidzic werden höchstwahrscheinlich auch in der kommenden Saison verantwortlich sein für Wohl und Wehe des FC Bayern, dochThomas Müller sollte nicht der Einzige sein, der die richtigen Fragen an einen der beiden Verantwortlichen weiterleitet.

