GFX Quote Gelson Fernandes

Gelson Fernandes von Eintracht Frankfurt im Interview: "Boateng hat uns als Champion verlassen"

Während sich andere Profifußballer auch im Herbst ihrer Karriere noch Titel und fette Verträge wünschen, hat Eintracht Frankfurts Mittelfeldspieler Gelson Fernandes nur einen Wunsch: Gesund bleiben, um auch nach Karriereende schmerzfrei mit seinem Nachwuchs spazieren gehen zu können.

Erlebe die UEFA Europa League live auf DAZN. Hol' Dir jetzt Deinen Gratismonat!

Die Eintracht ist bereits der zehnte Profiklub in seiner Laufbahn. Auch wegen dieser vielen Transfers spricht der 67-malige Schweizer Nationalspieler inzwischen sieben Sprachen, die ihn in der Kabine des Pokalsiegers auch mal zum Dolmetscher machen.

Artikel wird unten fortgesetzt

Im Interview mit Goal und SPOX spricht der 32-Jährige über das multikulturelle Frankfurt, Integration von Neuzugängen, Sprachbarrieren, die Bayern-Krise und Zeiten, in denen Fernandes im Old Trafford Stars wie Cristiano Ronaldo, Rio Ferdinand oder Edwin van der Sar düpierte.

Gelson, wissen Sie noch, was Sie am 10. Februar 2008 gemacht haben?

Gelson Fernandes: Puh. Ich stand auf jeden Fall bei Manchester City in England unter Vertrag.

Richtig, an diesem Tag haben Sie das Derby gegen Manchester United im Old Trafford mit 2:1 gewonnen. Unter anderem standen damals auch Spieler wie Cristiano Ronaldo auf dem Platz.

Fernandes: Klar, diesen Tag werde ich nie vergessen. Wir haben damals in Retro-Trikots gespielt und Benjani hat das Siegtor geschossen. Es war sein erstes Spiel für City, nachdem ihn der Klub erst wenige Tage zuvor verpflichtet hatte. Ich war jung und habe damals das erste Mal im Old Trafford gespielt. Bei United standen noch Legenden wie Edwin van der Sar, Ryan Giggs, Nemanja Vidic und Rio Ferdinand auf dem Platz. Es war ein unglaubliches Spiel.

Mit 21 waren Sie Stammspieler in der Premier League. Warum haben Sie rückblickend nur zweieinhalb Jahre in England gespielt?

Fernandes: Ich wollte nicht unbedingt weg, aber Manchester City hat mit Nigel de Jong, Patrick Vieira und Yaya Toure damals drei neue Spieler für meine Position verpflichtet. Für mich war da kein Platz mehr. Ein Wechsel innerhalb Englands kam nicht infrage, da City mich nicht an einen Konkurrenten abgeben wollte. So bin ich dann in der Ligue 1 bei AS Saint-Etienne gelandet.

Egal, ob in England, Frankreich, Deutschland, Portugal oder mit der Nationalmannschaft: Sie standen im Laufe Ihrer Karriere mit zahlreichen großen Spielern auf dem Platz. Wer hat Sie rückblickend am meisten beeindruckt?

Fernandes: Ich habe viele tolle Persönlichkeiten und Top-Sportler kennengelernt, doch gerade in meiner Zeit bei Manchester City hat Didi Hamann mich sehr geprägt. Er war ein unglaublich cleverer Spieler, hatte Persönlichkeit, Ausstrahlung und war ein echter Anführer. Auch für mich persönlich war er sehr wichtig, denn er hat mir viele Tipps gegeben, die mir im Laufe meiner Karriere sehr geholfen haben.

Rund zehn Jahre später haben Sie in Frankfurt mit Kevin-Prince Boateng zusammengespielt, der ebenfalls eine große Fußballpersönlichkeit ist. Welchen Einfluss hatte Boateng in der vergangenen Saison auf die Mannschaft?

Fernandes: Er war sehr wichtig, denn mit seiner Erfahrung und seinen fußballerischen Qualitäten war er ein Anführer. Egal, ob auf dem Platz oder in der Kabine. Wir haben uns sehr gut verstanden, hatten Spaß zusammen und werden auch in Zukunft irgendwo im Fußballbereich zusammenarbeiten.

GFX Quote Gelson Fernandes

Wie meinen Sie das?

Fernandes: In welcher Form genau, wissen wir noch nicht, doch es ist vereinbart, dass wir wieder zusammenarbeiten werden. Wir haben uns einfach gefunden.

Für viele überraschend hat Boateng die Eintracht nach nur einem Jahr wieder verlassen. Wie haben Sie als Mannschaft den Wechsel aufgefasst?

Fernandes: Er hat sich ja nicht gegen Frankfurt, sondern für seine Familie entschieden. Daher konnten wir seine Entscheidung verstehen. Es ist nicht einfach, so weit von seiner Familie entfernt zu sein. Er war zwar nur ein Jahr hier, doch hat in diesem Jahr alles für die Eintracht und die Stadt Frankfurt gegeben, weshalb wir uns bei ihm bedanken sollten. Er hat uns als Champion verlassen.

Obwohl im Vorfeld viele Experten prognostiziert haben, dass Sie aufgrund der Abgänge von Boateng, Lukas Hradecky und Niko Kovac Probleme bekommen könnten, sind Sie gut in die Saison gestartet. Wie haben Sie all diese Veränderungen aufgefangen?

Fernandes: Wir hatten auch in der vergangenen Saison eine gute Truppe, obwohl wir ständig rotiert haben. Egal, ob der Trainer drei, vier oder fünf Veränderungen vorgenommen hat – wir waren fast immer erfolgreich. Zwischen November und März war die Leistungsdichte so eng, dass es vorkam, dass man in einem Spiel noch 90 Minuten auf dem Platz stand und in der nächsten Woche dann plötzlich auf der Tribüne saß. Das zeigt, dass unser Kader sehr gut aufgestellt war.

Gerade Boateng und Hradecky waren jedoch absolute Führungsspieler.

Fernandes: Aber auch sie kamen nicht als Führungsspieler, sondern haben sich erst in Frankfurt dazu entwickelt. Diese Chance müssen wir den Neuzugängen jetzt auch geben. Wir haben viele junge Spieler mit großer Qualität, die diese Lücken ausfüllen können. Trotzdem muss man ihnen Zeit geben, sich zu entwickeln und die Sprache zu lernen.

Während es in Frankfurt weiter gut läuft, hat Niko Kovac beim FC Bayern erste Probleme. Hätten Sie damit gerechnet?

Fernandes: Vor Wochen wurde er noch mit Lob überschüttet und ist so gut in die Saison gestartet wie kein Bayern-Trainer vor ihm. Nun gewinnt er vier Spiele in Serie nicht und schon brennt der Baum. Ich kann mir vorstellen, dass die Mannschaft einen Tiefpunkt hat, weil die Vorbereitung hart war. Trotzdem bin ich sicher, dass sie wieder zurück zu alter Stärke finden werden. Niko Kovac weiß, was er will, und kann der Mannschaft einen klaren Weg aufzeigen. Natürlich hat man beim FC Bayern traditionell nicht viel Zeit, doch ich bin davon überzeugt, dass er den Klub aus der Krise führen kann.

Wie haben Sie Kovac wahrgenommen, wenn es über mehrere Wochen nicht so gut lief?

Fernandes: In der vergangenen Saison hatten wir keine großen Schwächephasen. Am Saisonende haben wir zwar ein paar schlechte Spiele gemacht und mehrere Partien verloren, doch aufgrund des Pokalfinales stand das unter einem anderen Stern.

In Ihrer langen Karriere haben Sie schon einiges erlebt. Wie kommt es, dass Sie Erfahrungen bei zehn Profivereinen gesammelt haben, aber trotzdem nirgendwo sesshaft geworden sind?

Fernandes: Vor meinem Wechsel nach Frankfurt habe ich immerhin drei Jahre in Rennes gespielt. Jetzt bin ich im zweiten Jahr bei der Eintracht. Doch der Fußball hat sich gewandelt und Transfers sind alltäglich geworden. Um ehrlich zu sein, wollte ich nie wirklich wechseln, doch dann kam immer ein gutes Angebot. Vielleicht hätte ich manchmal mehr Geduld haben sollen, doch auch so habe ich sehr viel gelernt und viele Sprachen und Kulturen kennengelernt.

Warum haben Sie Rennes für einen Wechsel nach Frankfurt verlassen?

Fernandes: Der Trainer, Bruno Hübner und Fredi Bobic haben mir damals von ihrem Projekt erzählt und für mich war schnell klar, dass ich diesen Schritt gehen möchte. Schon aus meiner Zeit in Freiburg kannte ich die Eintracht natürlich und wusste daher ungefähr, was mich erwartet. Ich habe mich auch bei Pirmin Schwegler, Christoph Spycher und Haris Seferovic erkundigt, die in Frankfurt alle eine tolle Zeit hatten.

Gerade nach dem Pokalfinale und im Zuge der Europa-League-Partie gegen Lazio Rom haben die Fans der SGE bewiesen, dass sie außergewöhnlich sind. Wie nimmt man diese Begeisterung als Spieler wahr?

Fernandes: Es ist Wahnsinn, was für ein Potenzial in diesem Verein steckt. Einfach unglaublich. Auch auf dem Platz bekommt man mit, was auf den Tribünen abgeht. Die Eintracht steht für Tradition und Leidenschaft.

Sie sprechen sieben Sprachen. Sind Sie bei der Eintracht manchmal auch Dolmetscher?

Fernandes: Wir haben zwar auch Übersetzer, aber ich helfe den Jungs natürlich gern. Trotzdem ist es sehr wichtig, dass jeder Spieler lernt, Deutsch zu sprechen. Es hilft ihnen auf Dauer nicht, wenn ich immer alles für sie übersetze. Es ist nicht förderlich, wenn ein Spieler nach jeder Besprechung kämpfen muss, um die Infos zu bekommen.

GFX Quote Gelson Fernandes

Im Kader der Eintracht tummeln sich viele verschiedene Nationalitäten. Was macht das so besonders?

Fernandes: Frankfurt ist eine sehr internationale Stadt, doch trotzdem ist es wichtig, dass man sich für die deutsche Kultur öffnet. Wenn man hier lebt und sich wohlfühlen will, sollte man sich darauf einlassen und das Stadtleben annehmen. Es bringt nichts, nur in seiner Muttersprache mit anderen Ausländern zu sprechen.

Herrscht in der Kabine durch die verschiedenen Kulturen ein besonderer Spirit?

Fernandes: Es kann schon mal vorkommen, dass in der Kabine gleichzeitig sechs verschiedene Sprachen gesprochen werden. Doch, wenn wir bemerken, dass es ausartet, versuchen wir, wieder Deutsch zu sprechen, damit wir uns alle verstehen.

Sie sind jetzt seit 14 Jahren Profi. Wie haben Sie sich in dieser Zeit verändert?

Fernandes: In dieser Zeit hat sich das komplette Fußballgeschäft verändert. Heute geht alles viel schneller und es entsteht mehr Druck für Spieler und Trainer – das war nicht immer so. Das ganze Geschäft hat enorm an Fahrt aufgenommen. Erst vor zwei Wochen habe ich noch mit Mannschaftskollegen darüber gesprochen und glaube, dass es vor 20 Jahren einfacher gewesen wäre, Profi zu sein.

Hatten junge Spieler damals mehr Respekt vor den Routiniers?

Fernandes: Ja, aber das lag auch daran, dass die älteren Spieler nicht so nett zu den Jungen waren. Damals habe ich erlebt, dass ein Routinier wütend oder beleidigt war, wenn ein Jüngerer kam, besser war und ihm seinen Stammplatz streitig gemacht hat. Da kam es schon mal vor, dass die Alten dem aufstrebenden Talent nicht die Hand gegeben haben. Heute ist das – zumindest bei uns – komplett anders.

Auch Sie gehören inzwischen zu den erfahrenen Spielern. Mit Blick auf Ihre Familie fällt auf, dass auch fünf Ihrer Cousins den Sprung in den Profifußball geschafft haben. Gibt es im Hause Fernandes andere Themen als den Fußball?

Fernandes: (lacht) Nicht viele. Egal, ob bei meinen Eltern, meinen Onkel oder Tanten, bei uns ist der Fußball allgegenwärtig. Natürlich gibt es in unserer Großfamilie auch kleine Kinder und es geht um die Schule. Meist kommen wir aber schnell wieder auf den Fußball zu sprechen.

Besonders Ihr jüngerer Cousin Edmilson gilt als großes Talent. Aktuell ist er von West Ham United an den AC Florenz ausgeliehen. Unterstützen Sie ihn bei seinen Entscheidungen?

Fernandes: Natürlich, ich habe guten Kontakt zu ihm und unterstütze ihn, wo ich nur kann. Ich habe in meiner Karriere schon einiges erlebt und versuche, ihm so viele Tipps wie möglich zu geben. Er ist ein großes Talent und mit 22 schon Nationalspieler. Trotzdem muss er weiter hart arbeiten, um den nächsten Schritt zu schaffen.

In der vergangenen Saison waren Sie kein unumstrittener Stammspieler und im Sommer stand ein Wechsel in die Ligue 1 im Raum. Warum haben Sie sich entschieden, in Frankfurt zu bleiben?

Fernandes: Ich hatte gute Angebote über zwei oder drei Jahre in Frankreich vorliegen. Im Gespräch mit Fredi Bobic und Bruno Hübner habe ich aber klargemacht, dass ich gerne in Frankfurt bleiben würde, wenn ich weiterhin gebraucht werde und den Jungs weiterhin helfen soll. Meine Familie fühlt sich hier wohl, warum sollte ich die Stadt also schon nach einem Jahr wieder verlassen?

Haben Sie mit 32 Jahren noch Pläne für den Rest Ihrer Karriere?

Fernandes: Das Einzige, was ich mir wünsche, ist Gesundheit. Ich hoffe, dass meine Knie heil bleiben und ich auch nach meinem Karriereende ohne Schmerzen mit meinen Kindern spazieren gehen kann. (lacht)

Ist die Eintracht Ihre letzte Station im Profifußball?

Fernandes: Ich habe in Frankfurt noch einen Vertrag bis zum Saisonende. Was danach passiert, weiß ich noch nicht. Für mich ist nur klar, dass ich noch nicht aufhören werde.

Mehr zu Eintracht Frankfurt:

Werbung