Nicht einmal das Theater um Kylian Mbappé hat Schaden angerichtet: Wie Luis Enrique PSG umgekrempelt hat

Hat Paris Saint-Germain endlich einen passenden, richtigen Trainer gefunden? Diese Frage stellen wir uns eigentlich fast zu jedem Saisonbeginn - um dann relativ schnell ernüchtert zu sein.

Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass es dieses Mal anders kommen wird. Luis Enrique, der im Sommer als Nachfolger von Christophe Galtier kam, hat in nur wenigen Wochen wichtige und grundlegende Veränderungen durchgesetzt. Veränderungen, deren Auswirkungen bereits spürbar sind und die eine hoffnungsvolle Saison andeuten.

Ja, die bisherige Bilanz ist nicht perfekt. Es wurden bereits vier Punkte liegen gelassen (von den zwölf auf dem Spiel stehenden) und die AS Monaco liegt in der Tabelle der Ligue 1 vor dem amtierenden französischen Meister. Aber sollte man so früh in der Saison nur auf die Ergebnisse und die Tabelle schauen?

Vielmehr ist es angebracht, tiefgreifender zu analysieren. Denn es ist bereits jetzt zu vernehmen, dass der einstige Nationaltrainer Spaniens auf dem besten Weg ist, dort mit Erfolg anzusetzen, wo seine Vorgänger um den heutigen Bayern-Trainer Thomas Tuchel scheiterten.

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    Luis Enrique setzt den Fokus des PSG-Projekts auf die Mannschaft

    Luis Enrique entschied sich gleich zu Beginn für einen starken Vorsatz: Er wollte dafür sorgen, dass die Mannschaft über allem steht - nicht einzelne Stars, nicht der Glamour.

    Viele seiner Vorgänger dachten, dass sie das durchsetzen könnten. Doch ihren Worten folgten keine Taten. Beim asturischen Trainer hingegen dauerte es nicht lange, bis er umsetzte, was er sich vorstellte.

    Schon in den ersten Trainingseinheiten machte er seinen Spielern klar, dass niemand wichtiger ist als die gesamte Gruppe und dass dies die einzige Regel ist, die gilt. Wer sich nicht daran hält, kann gehen.

    Die Abgänge von Neymar und Lionel Messi dürften ihm in dieser Hinsicht entgegengekommen sein. Aber selbst wenn die beiden Weltstars geblieben wären, hätte ihn das wohl nicht davon abgehalten, seine Autorität zu demonstrieren. Der Beweis: Auch Marco Verratti, der seit 2012 bei PSG spielte, wurde aus dem Weg geräumt.

    Durch Enrique werden neue Standards in Paris gesetzt, außer vielleicht der von Kylian Mbappé.

    Aber dass der 24-Jährige es nun ohne zu Murren akzeptiert, ausgewechselt zu werden, ist ein Beweis dafür, dass er sich (mehr) nicht über seine Teamkollegen stellt. Enrique hat zudem keine Stammelf, von Spiel zu Spiel nimmt er zahlreiche Änderungen vor - und bisher meckert auch deswegen keiner.

    Die ersten Turbulenzen der Saison gab es bereits mit nur zwei Punkten aus den ersten zwei Spielen, doch seitdem läuft es rund. Es bleibt abzuwarten, wie gut Enriques Pläne weiterhin aufgehen - aber schon jetzt ist zu erkennen, dass er einige alte, schlechte Pariser Traditionen erfolgreich entfernt hat.

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  • Luis Enrique PSGGetty

    Luis Enrique hat höhere Ansprüche im alltäglichen Trainingsbetrieb

    Luis Enrique betont nicht nur, dass die Mannschaft der Star ist, sondern stellt auch täglich hohe Anforderungen an seine einzelnen Spieler. Sowohl beim Training als auch bei den Spielen achtet er darauf, dass seine Truppe ihr Bestes gibt. Das gilt auch für Spiele, die nach einer Halbzeit schon entschieden sind - wie kürzlich beim 4:1-Auswärtssieg bei Olympique Lyon zu sehen. Torhüter Gianluigi Donnarumma kann das bestätigen, der Italiener erhielt während des Spiels eine ordentliche Standpauke von Enrique.

    Der 53-Jährige ist nicht gerade dafür bekannt, ein starrköpfiger oder unangenehmer Trainer zu sein. Er weiß mit Zuckerbrot und Peitsche umzugehen. Denn obwohl er seinen Leuten konsequent auf die Finger schaut, ist er nicht der peitschende Vater. Er schafft es auch, die Atmosphäre zu entspannen und eine gewisse Nähe zu seinen Spielern herzustellen. Das zeigte sich bei Marketingaktionen oder Reisen außerhalb der Hauptstadt.

  • Luis Enrique PSGGetty

    Luis Enrique bringt andere Formation und Spielstil als seine PSG-Vorgänger mit

    Der taktische Aspekt ist vielleicht der offensichtlichste in der Metamorphose, die PSG von nur einer Saison auf die nächste erfährt. Luis Enrique hat der Mannschaft den Ballbesitz eingetrichtert, was man schon vor seiner Ankunft in der französischen Hauptstadt vermuten konnte.

    Es ist nicht so, dass sich PSG zuvor mit Ball am Fuß unwohl gefühlt hätte. Doch so dominant und spielfreudig war der Klub schon lange nicht mehr auf dem Feld. Zuletzt gelang das vielleicht unter Trainer Laurent Blanc (2013 bis 2016) - der nun ironischerweise bei OL entlassen wurde, weil sein "Nachfolger" Enrique ihn mit seinem Ballbesitz-Fußball an die Wand spielte. Mit einem ständigen Willen, das Leder zu konfiszieren und dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen. Manchmal ist das jedoch zu viel des Guten und erinnert an die sterilen Auftritte der Roja bei der WM 2022, die schon im Achtelfinale gegen Marokko ausschied (0:0, 0:3 n. E.). Aber zumindest ist dieses Paris angriffslustig.

    Die Mannschaft ist die meiste Zeit in einem 4-3-3-System positioniert. Mit einem soliden Mittelfeld, in dem sich Neuzugang Manuel Ugarte und Supertalent Warren Zaïre-Emery bereits als Taktgeber etabliert haben, sowie einem explosiven Angriff, dem es nicht an Talent und Durchschlagskraft mangelt. Die Abwehr steht ebenfalls sicher.

    Wenn man von den ersten beiden Spielen absieht (0:0 gegen Lorient und 1:1 gegen Toulouse), in denen man sich noch einspielen musste, scheint dieses PSG nun bereits auf Hochtouren zu laufen.

    Jeder in dieser Mannschaft ist sich seiner Rolle bewusst, was jedoch nicht verhindert, dass man sich gegenseitig aushilft. Die Außenverteidiger beispielsweise rücken während Offensivphasen auf und die Stürmer tauschen gelegentlich Seiten. Außerdem versucht der französische Meister zwar, seinen Gegner mit seiner Technik zu ersticken, kann aber auch per Konter zustechen. In Lyon wurden zwei Tore nach blitzschnellen Gegenangriffen erzielt, was beweist, dass Enriques PSG mehr als nur eine Saite in seinem Bogen vibrieren und erklingen lassen kann.

  • Marco Asensio Ousmane Dembele PSG 2023-24Getty Images

    Luis Enrique gibt den PSG-Fans wieder Anlass zur Freude und Stolz

    Dieser Punkt hängt mit dem vorherigen zusammen, sollte aber unbedingt gesondert erwähnt werden, da nicht jede Systemänderung zu einem schön anzusehenden Spiel führt - bei Enrique jedoch schon. Dieses PSG besticht durch einen begeisternden Fußball. Man muss sich nur die Kommentare der Fans nach den Spielen anhören, um sich davon zu überzeugen, dass es eine positive Entwicklung gibt. Der Parc des Princes bebt wieder - mit einer Atmosphäre, die zumindest halbwegs derjenigen ähnelt, die bei den größten Vereinen und in den größten Stadien herrscht, wie beispielsweise bei den Ligue-1-Konkurrenten Olympique Marseille im Stade Vélodrome oder beim RC Lens im Stade Bollaert-Delelis.

    Paris macht den Fans Freude, und das nicht nur durch seine Tore und Abschlussstärke. Auch das Engagement ist auf einem neuen Level. Das Verteidigen ist wieder zu einer Angelegenheit für alle geworden (nicht wie mit Neymar und Messi). Bei Ballverlust sind die Stürmer die ersten, die zum Pressing ausholen - auch der als lauffaul geltende Ousmane Dembélé. Es ist fraglich, ob dieser Momentaufnahme zu einer Konstante wird. Wenn die körperliche Vorbereitung gut war, was der Fall zu sein scheint, gibt es auch in dieser Hinsicht Grund zu Optimismus.

  • PSG-Trainer Luis Enrique und Präsident Nasser Al-Khelaifi.Getty

    Luis Enrique verbreitet Einheit in der Führungsetage

    Was sich bei PSG unter Luis Enrique geändert hat, ist auch die Art der Beziehungen innerhalb des Organigramms des Vereins.

    Die Verantwortlichen waren sich in der Vergangenheit oft uneinig, es gab sogar öffentliche Streitigkeiten.

    Nun kann man hingegen behaupten, dass in dieser Hinsicht alles in bester Ordnung ist. Der spanische Trainer versteht sich sehr gut mit Sportdirektor Luis Campos und die Beziehung zu Präsident Nasser Al-Khelaifi ist ebenso reibungslos. Natürlich sorgen der erfolgreiche Transfermarkt und die nun guten Ergebnisse in der Ligue 1 für eine friedliche Atmosphäre. Dieses Trio arbeitet offensichtlich solidarisch und ohne jegliche Probleme zusammen. Nur als Mbappé wieder mal sein Spielchen mit PSG und Real Madrid spielte, zeigte Enrique klare Kante - während Al-Khelaifi wieder einmal Mbappés Schoßhündchen spielte. Doch auch diese Meinungsverschiedenheit sorgte letztlich nicht für Aufruhr im Verein.

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