Bayern Munich protestGetty/Goal

TSG Hoffenheim vs. FC Bayern: Die Chronologie des Grotesken


HINTERGRUND

Die Sonne wusste die wenigen kleinen Löcher in der dichten, grauen Wolkendecke zu nutzen. Immer wieder gelang es ihr, Licht in die erwartbare Tristesse eines 29. Februars zu bringen, während das Thermometer parallel zum Erstarken der Strahlen auf februaruntypische 18 Grad kletterte. Sinsheim bereitete seinen Gästen aus München also einen warmen Empfang, zumindest temperaturtechnisch. Alles war angerichtet für ein handelsübliches Bundesliga-Spiel, das aus sportlicher Sicht im Vorfeld eigentlich nur eine zentrale Frage aufwarf: Wie würde der FC Bayern ohne seinen verlässlichen Torjäger Robert Lewandowski klarkommen?

Kommentar zu Hoffenheim vs. Bayern: Solidarität mit Beigeschmack

Auch im für die Schlachtenbummler vorgesehenen Block dürften die Anwesenden darüber diskutiert haben, viele zeigten sich womöglich überrascht, dass Trainer Hansi Flick den jungen Joshua Zirkzee von Beginn an als Ersatz für den Polen auf den Rasen schickte.

Einige bereiteten sich vielleicht schon auf die geplante Choreografie vor, wieder andere freuten sich vermutlich diebisch darüber, in wenigen Augenblicken ihre Pyrofackeln zünden zu können. Als der Block zum ersten Mal erhellt wurde, erinnerte Stadionsprecher Mike Diehl die Auswärtsfans halbwegs entspannt daran, dies doch bitte zu unterlassen. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, noch vor dem Anpfiff, dass die Stimme Diehls im Laufe des Nachmittags noch einige Male durchs Rund hallen wird – weniger entspannt.

FC Bayern: Zirkzee ersetzt Lewy, Gnabry eröffnet Torreigen

Zunächst einmal blieb es allerdings beim Sportlichen. Die Frage, wie es dem Rekordmeister gelingen würde, Lewandowski zu ersetzen, war schnell beantwortet. Serge Gnabry traf schon in der 2. Minute artistisch, ehe Joshua Kimmich kurz darauf per Flachschuss von der Strafraumgrenze die Weichen vorzeitig auf souveränen Auswärtssieg stellte.

Zirkzee drehte in Minute 14 den erfahrenen Sebastian Rudy auf dem Bierdeckel ein und markierte sein drittes Saisontor im vierten Bundesliga-Einsatz und Philippe Coutinho durfte auch noch ein bisschen Selbstvertrauen tanken. Nach seinem Treffer zum 4:0 scharrten sich seine Teamkollegen ihm den kleinen Brasilianer, der zuletzt nicht überzeugt, eher unglücklich agiert hatte. Die Symbolik der Jubeltraube: in dieser Mannschaft stimmt aktuell alles.

Joshua Zirkzee Bayern 29022020Getty

Ein Gala-Auftritt in den ersten 45 Minuten, der im Bayern-Block für Freude und in der Hoffenheimer Südkurve für Ernüchterung sorgte. Als die beiden Mannschaften nach der Pause wieder auf den Platz traten und Schiedsrichter Christian Dingert die zweite Halbzeit anpfiff, erstrahlte der Nordosten der PreZero Arena erneut in grellem Rot.

TSG-Stadionsprecher rügt Bayern-Anhang erneut

Stadionsprecher Diehl wies erneut, diesmal merklich genervter vom Gäste-Anhang, darauf hin, dass das Abbrennen von Feuerwerkskörpern nicht gestattet sei. So weit, so einigermaßen bundesligaalltäglich. Sechs Minuten warteten die Teams darauf, dass es weiterging. Die Bayern machten sofort klar, dass sie auch nach dem Seitenwechsel keinerlei Mitleid für den völlig desillusionierten Kontrahenten aufbringen würden, nach wenigen Sekunden hatte Coutinho schon wieder zugeschlagen.

Leon Goretzka, der für Thomas Müller ins Spiel gekommen war, reihte sich sofort ins herausragend aufspielende Bayern-Kollektiv ein und veredelte eine Vorlage Corentin Tolissos mit einem schönen Lupfer über Hoffenheim-Keeper Oliver Baumann. Das halbe Dutzend war voll, als etwas mehr als eine Stunde gespielt war. Und dann, dann überschlugen sie sich, die grotesken Ereignisse, die in die Bundesliga-Geschichte eingehen werden.

ONLY GERMANY Bayern Munchen fans Hoffenheim Hopp 2020Imago Images

Nachdem im Gästeblock unterdessen stetig kleine Störfeuer in Form von Pyrofackeln gezündet worden waren, wurde ebenda nun ein Spruchband ausgerollt. Vorwürfe an den DFB, der sein "Versprechen" nicht gehalten habe, zudem Beleidigungen gegen SAP-Gründer und TSG-Mäzen Dietmar Hopp, der "ein H****sohn" bliebe . 67 Minuten waren da absolviert.

BVB-Fans müssen in Sinsheim bald draußen bleiben

Zum Hintergrund: Obwohl der DFB versichert hatte, für Fans keine Kollektivstrafen mehr aussprechen zu wollen, hatte das verbandsinterne Gericht unter der Woche geurteilt, dass alle Anhänger von Borussia Dortmund in den kommenden zwei Jahren keinen Zugang zum Sinsheimer Stadion haben werden . Die Schwarz-Gelben müssen also im Kraichgau ohne großen Support auskommen. In der Vergangenheit hatten einige BVB-Fans Hopp regelmäßig verunglimpft, sein Konterfrei unter anderem in einem Fadenkreuz dargestellt.

Diehl, der Stadionsprecher, appellierte mit bebender Stimme an die Münchner, die beleidigenden Banner umgehend einzurollen, auch Flick und einige seiner Schützlinge wurden nun tätig, auf der Tribüne legte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge den Arm um Hopp. Unverständnis. Kopfschütteln. Spielunterbrechung. Einige Protagonisten vermittelten ihrem eigenen Anhang: "Wir führen 6:0 und ihr riskiert gerade, dass die Begegnung abgebrochen wird."

Hansi Flick Bayern 29022020Getty

Mittlerweile war auch im Block der Hoffenheimer ein Banner aufgetaucht, das sich mit der Thematik auseinandersetzte und die Bayern auf den "eigenen Kommerz" hinwies. Auch diese "menschenverachtenden" Sprüche prangerte Diehl an. Fragende Blicke, weil nichts Menschenverachtendes zu erkennen war. Nach einigen Minuten holten die Bayern-Fans das Spruchband ein und Dingert setzte die Partie fort, nur um kurz darauf das nächste H****sohn-Plakat über die Brüstung zu werfen . Nun griff er, der so genannte Drei-Punkte-Plan, der vorsieht, die Mannschaften bei derlei Situationen in die Kabine zu schicken.

Bayern-Granden marschieren in Richtung Fanblock

Diehl wurde nun fuchsteufelswild, brüllte in sein Mikrofon, schien sich in der Rolle des Mahners allerdings auch ein Stück weit zu gefallen. Flick und Co-Trainer Hermann Gerland sprinteten quer übers Feld, um die Störenfriede zur Raison zu bringen , auch Sportdirektor Hasan Salihamidzic, Rummenigge und Oliver Kahn setzten sich in Bewegung, um Teilen des Blocks die Leviten zu lesen. Im Innenraum, der über Monitore auf der Pressetribüne zu beobachten war, beratschlagten sich Spieler, Schiedsrichter und Funktionäre über das weitere Vorgehen, die Hoffenheim-Kurve skandierte wechselweise: "Spielabbruch" und "Dietmar Hopp".

Über eine Viertelstunde dauerte die Unterbrechung. Selbst die Sonne hatte sich mittlerweile ob der Wirrungen aus Sinsheim verabschiedet, passend zur Szenerie goss es aus Eimern. Als die Spieler herauskamen, um die ausstehenden Minuten zu absolvieren, folgte das Novum. Beim Austausch im Kabinentrakt hatte man sich offenbar darauf geeinigt, die Kugel untereinander hin- und herzuspielen.

Solidarität für Dietmar Hopp

Aus Solidarität für Hopp, aus Protest gegen die Schmähungen. Beifall allerorten. Ein Zeichen, das man in der Vergangenheit gerne auch einmal gesehen hätte, als Spieler rassistisch beleidigt wurden oder sexistische Banner den einen oder anderen Block zierten .

ONLY GERMANY Rummenigge HoppImago Images

Und so strichen sie dahin, die Minuten, in denen Manuel Neuer mit Andrej Kramaric diskutierte, Zirkzee mit der Kugel jonglierte und Lucas Hernandez kleinere Läufe machte, um warm zu bleiben . Hopp und Rummenigge plauderten am Spielfeldrand. Als endlich der Abpfiff erfolgte herrschte große Eintracht. Die Akteure standen Arm in Arm, blickten in Richtung der TSG-Fans, die mitgereisten Bayern wurden mit Nichtbeachtung gestraft. Absichtlich. Hopp-Sprechchöre, Klatschen, gutmütiges Lächeln des zuvor beleidigten Hoffenheim-Machers.

Nur Rummenigge spricht aufseiten der Bayern

Im Anschluss wollte dann jedoch niemand so wirklich über das Erlebte sprechen. Aufseiten der Bayern bezog lediglich Rummenigge Stellung, Spieler suchte man in der Mixed-Zone vergebens. Er schäme sich und es sei jetzt der Zeitpunkt, um "Flagge zu bekennen", sagte Rummenigge, der einen "schwarzen Tag" des deutschen Fußballs ausgemacht hatte .

Und Stadionsprecher Diehl? Der musste sich erst einmal bei den eigenen Fans entschuldigen, nachdem er sie unberechtigterweise angepflaumt hatte. Er habe gedacht, auch die Hoffenheimer hätten im Zuge der Bayern-Banner etwas ähnlich "Menschenverachtendes" gezeigt. War aber gar nicht so. Abschließender Applaus, bevor der Vorhang fiel und das Theaterstück beendete. 

Werbung