Marc Andre ter Stegen Borussia Monchengladbach 2013Getty Images

Essens Marcel Platzek nach RWE-Pokalwunder gegen Leverkusen exklusiv: "Die Fans hätten das Stadion abgerissen"


EXKLUSIV-INTERVIEW

Exakt um 21.02 Uhr am Dienstagabend twitterte der offizielle Account von Rot-Weiss Essen: "Hier ist Feierabend!" Gerade hatte der Regionalligist für eine Sensation im Achtelfinale des DFB-Pokals gesorgt, hatte Bundesliga-Top-Team Bayer Leverkusen mit 2:1 nach Verlängerung geschlagen .

Als Marcel Platzek sich für seinen Einsatz bereit machte, sah allerdings noch alles so aus, als würde sich der Favorit durchsetzen. Leon Bailey hatte Leverkusen in der 105. Minute in Führung gebracht - doch mit Platzek, der zur zweiten Halbzeit der Verlängerung eingewechselt wurde, drehte RWE die Partie noch um und durfte am Ende über den Einzug ins Viertelfinale jubeln.

Goal und SPOX haben mit Urgestein Platzek, der schon in der Jugend für Essen kickte und 2013 nach vier Jahren bei Borussia Mönchengladbach II zurückkehrte, über den großen Pokalabend und die Feier danach gesprochen. Zudem nannte der 30-jährige Mittelstürmer sein Wunschlos für die nächste Runde.

Herr Platzek, wie lange ging die Feier am Dienstagabend?

Marcel Platzek:  Genau weiß ich es gar nicht, wir haben den Sieg aber genossen und natürlich auch ein paar Bier getrunken, was man nach so einem Spiel auch machen muss (lacht). 

Wie sieht das in Zeiten von Corona aus? 

Platzek:  Wir waren mit der ganzen Mannschaft in der Kabine, das ganze Trainer-Team war dabei. Das war schon eine Gänsehautstimmung, wie ich sie vielleicht noch nie erlebt habe. Wir waren komplett euphorisiert, manche wirkten sogar abwesend und konnten überhaupt nicht glauben, was da gerade passiert war. Als wir dann "Zweimal leise, einmal laut“, eines der Lieder unserer Fans zelebriert haben, war das Eskalation pur.

Sie haben auch die Vereinshymne "Der Schreck vom Niederrhein“ angestimmt.

Platzek:  Genau, deshalb ist meine Stimme auch noch ein bisschen angeschlagen. Ich habe zwar eine Zeile vom Text vergessen, aber wir werden bestimmt noch eine Gelegenheit bekommen, das zu wiederholen. Da habe ich mir also ganz bewusst noch Luft nach oben gelassen. (lacht)

Einige Fans haben per Autokorso gefeiert. Was haben Sie davon mitbekommen? 

Platzek:  Unsere Fans waren komplett aus dem Häuschen, haben Bengalos gezündet und uns Videos von ihren Feiern geschickt. Es ist wirklich schade, dass sie nicht dabei sein konnten. Ich denke, die hätten das Stadion abgerissen. So etwas haben wir in Essen ja schon lange nicht mehr erlebt. Es tut einfach weh, dass die Fans nicht dabei waren. Aber wir sind froh, dass wir ihnen in dieser schwierigen Zeit etwas zurückgeben konnten.

Die meisten Zuschauer dachten nach dem 1:0 wohl, das Spiel sei entschieden. Haben Sie wirklich noch an das Weiterkommen geglaubt?

Platzek:  Definitiv, wir haben alle daran geglaubt, dass wir noch ein Tor machen und es zumindest ins Elfmeterschießen schaffen. Dass wir das Spiel dann noch in der Verlängerung gewinnen, war natürlich sensationell.

Wie hatten Sie sich auf das Spiel gegen den haushohen Favoriten eingestellt?

Platzek:  Der Trainer hat uns taktisch unglaublich gut auf Leverkusen eingestellt. Zudem hat er uns mega-heiß gemacht. Vor dem Spiel hat er nochmal ganz klar gesagt: 'Es regnet, der Platz ist scheiße, wir können das packen.‘ Da hat jeder an unsere Chance geglaubt.

Essen Leverkusen 2021Getty Images Bild: Getty Images

Nach den Feierlichkeiten wurde bereits am Mittwochvormittag wieder trainiert, weil am Samstag das wichtige Spiel in der Regionalliga gegen Tabellenführer Borussia Dortmund ansteht. 

Platzek: Wir hatten nur eine ganz lockere Einheit, wie wir es nach jedem Spiel haben. Manche sind joggen gegangen, andere bekamen eine Massage oder waren in der Sauna. Müde waren wir alle, ich habe auch nur drei oder vier Stunden geschlafen. Nach so einem Spiel einzuschlafen, dauert eben.

Welche Bedeutung hatte das Spiel mit ein paar Stunden Abstand?

Platzek:  Ich würde schon sagen, dass es das größte Spiel meiner Karriere war. In der Nacht musste ich mich erst einmal kneifen und mich fragen, ob das alles wirklich passiert ist. So richtig kann ich es immer noch nicht fassen.

Nüchtern betrachtet sind es jetzt nur noch zwei Siege bis zum Pokalfinale in Berlin. Träumen Sie schon?

Platzek: Viele Fans haben mir schon geschrieben: 'Bald geht’s ab nach Berlin!‘. Aber wir genießen jetzt erst einmal den Sieg gegen Leverkusen und freuen uns auf die Auslosung am Sonntag.

Auch in der Liga läuft es momentan sehr gut für RWE. Sie stehen auf Platz zwei und dürfen vom Aufstieg träumen. Woran liegt das?

Platzek:  Wir haben eine Super-Mannschaft von Nummer 1 bis 26. Jeder zieht komplett mit und wenn einer gebraucht wird, ist er da. Die Saison ist aber noch lange nicht vorbei.

Wie wichtig wäre ein Aufstieg für den Verein?

Platzek : Extrem wichtig, Essen gehört einfach in den Profi-Fußball. Gerade für unsere Fans wollen wir das unbedingt packen, nachdem sie in den vergangenen Jahren auch leiden mussten. Ich bin schon so lange bei RWE und jedes Jahr haben wir uns dasselbe vorgenommen, nämlich aufzusteigen. In diesem Jahr habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass wirklich alles passt. Wir bleiben auch bei Nackenschlägen wie Rückständen oder Niederlagen stabil. Diese Kontinuität hat in den vergangenen Jahren einfach gefehlt.

Auch wirtschaftlich würde der Aufstieg dem Verein sicherlich enorm weiterhelfen.

Platzek:  Natürlich ist ein Viertligist wie RWE mehr durch die aktuelle Situation gebeutelt als irgendwelche Bundesligisten. In diesem Zuge müssen wir uns bei unseren absolut positiv-bescheuerten Fans bedanken, die Geistertickets ohne Ende kaufen und uns so den Arsch retten. Sie tun alles für den Verein und halten ihn am Leben.

Was war für Sie persönlich das verrückteste Erlebnis mit den Fans?

Platzek : Vor einem Spiel im Niederrhein-Pokal in Wuppertal standen sie mal vor dem Tennis-Heim, in dem wir zu Mittag aßen und haben dort schon Bengalos gezündet und uns heiß gemacht. Das war sensationell. Auch die Choreografien, die sie immer wieder auf die Beine stellen, sind herausragend.

Sie haben von 2009 bis 2013 vier Jahre lang bei Gladbach II gespielt. Waren Sie mal nahe dran, den Sprung zu den Profis zu schaffen?

Platzek:  Ich habe einmal eine Woche oben reingeschnuppert, als Michael Frontzeck noch Trainer der Profis war. Leider ist daraus dann nie mehr geworden. Es war allgemein schon sehr viel Konkurrenz damals im Sturm bei der Borussia, auch in der zweiten Mannschaft.

GER ONLY Marcel Platzek Essen LeverkusenImago Images / Revierfoto Bild: imago images / Revierfoto

Bei Gladbach II haben Sie zum Beispiel mit Amin Younes oder auch Marc-Andre ter Stegen gespielt. Was haben Sie für Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit ihnen?

Platzek:  Sie waren damals gerade mal 18 oder 19 Jahre alt, aber man konnte schon sehen, dass sie es nach oben schaffen würden. Wenn ich mir anschaue, wo sie heute spielen, ist es schon eine geile Geschichte, mit ihnen mal zusammengespielt zu haben. Younes ist Nationalspieler geworden und spielt jetzt in Frankfurt, ter Stegen ist seit Jahren Stammkeeper in Barcelona.

Konnte man bei ter Stegen schon erahnen, dass er mal einer der besten Torhüter der Welt wird?

Platzek:  Das vielleicht noch nicht unbedingt. Aber was er im Training manchmal gemacht hat, war schon unglaublich stark. Vor allem seine Abstöße und Flugbälle, die alle punktgenau beim Mitspieler landeten.

Waren bei Leverkusen Spieler dabei, die Sie besonders beeindruckt haben?

Platzek : Diaby und Bailey. Was die für ein brutales Tempo mit Ball am Fuß haben, ist schon erstaunlich. Da schaut man gerne zu, das ist ja auch in der Bundesliga so.

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