Neymar und PSG: Es ist vorbei

Es gibt diese eine Szene, die jeder Fan vor Augen hat, wenn er an Neymar denkt. Dieses eine Tor, das den Superstar perfekt symbolisiert: Der damals 17 Jahre alte Brasilianer weicht zwei Grätschen aus, spielt einen Doppelpass mit einem Mannschaftskameraden, lässt den Ball durch seine Beine gleiten, legt ihn mit der Innenseite an zwei Verteidigern vorbei und spitzelt ihn schließlich am herausstürmenden Keeper vorbei. Wow!

Mit dem Tor für Santos wurde Neymar schlagartig bekannt. Zwölf Jahre später wirkt die Szene, als sei sie eine Ewigkeit entfernt.

PSG: Neymar polarisiert überall

Derselbe Spieler ist gerade mit seiner vierten schweren Knöchelverletzung in vier Jahren außer Gefecht gesetzt. Er hat das größte (Liga-)Spiel der Saison verpasst und droht auch, das wichtigste Match in der Königsklasse zu verpassen. Es ist an der Zeit, dass dieser Spieler weiterzieht und bei einem anderen Klub den 17-Jährigen wiederentdeckt, der einst die Welt im Sturm eroberte.

Neymar polarisiert, wo auch immer er hingeht. Das war schon immer so. Extreme Sichtweisen sind an der Tagesordnung, was ihn angeht. Die einen halten ihn für die Verkörperung des Samba, für den legitimen Nachfolger von Ronaldinho und Pelé. Seine Kritiker dagegen sehen in Neymar ein schlampiges Genie, das sein Potenzial nicht ausschöpft und dem das Scheinwerferlicht die Sinne vernebelt hat. Neymar, so der Vorwurf, kenne keine harte Arbeit, sei mehr Star als Fußballer und trübe sein Spiel mit Theatralik und einer Laissez-Faire-Einstellung.

Es macht aber auch einen Teil seines Reizes aus. Neymar gehen die Dinge so leicht von der Hand, nahezu spielerisch ist er in die absolute Weltklasse vorgedrungen. Thomas Tuchel nannte ihn einst "einen Künstler". Wäre es da nicht eine Schande, wenn man versuchte, das Wesen seines Spiels mit zu viel Regeln zu zerstören? Neymar ist gewissermaßen ein Individualist, den man am besten genießen kann, wenn er alleine auftrumpft.

Das Problem an der Sache: So funktioniert der Fußball nicht. Die Besten der Welt sollen das Niveau der Spieler um sie herum anheben. Sie sind dazu da, Titel zu gewinnen. GOAT-Debatten werden nicht allein durch Eleganz entschieden.

Warum wechselte Neymar einst zu PSG?

Und da kommen wir vielleicht auch zu dem Grund, aus dem Neymar überhaupt zu PSG gewechselt ist.

Nach seinen eigenen hohen Maßstäben hatte er 2017 in Barcelona eine mittelmäßige Saison hinter sich gebracht.

Die Blaugrana wurden Zweiter in LaLiga und schieden im Viertelfinale der Champions League gegen Juventus aus. Neymar war zwar ein wichtiger Teil des Teams, konnte aber nicht an seine starke Form aus dem Vorjahr anknüpfen. Lionel Messi und Luis Suárez beherrschten die Schlagzeilen. Und obwohl Neymar beim größten Champions-League-Comeback der Geschichte der X-Faktor war, erhielt er selten die Anerkennung, die er seiner Meinung nach verdient gehabt hätte.

Ein Wechsel zu PSG ergab also tatsächlich Sinn. Neymar konnte der Protagonist sein und sich im Pariser Rampenlicht sonnen. Er hatte sein eigenes Team, seine eigene Liga, seine Chance, zu zeigen, dass er die Spieler um sich herum zum Erfolg führen kann.

Und das tat er eine Saison lang! In seiner ersten Spielzeit in Frankreich erwachte Neymar zum Leben. In 20 Einsätzen in der Ligue 1 kam er auf 32 Torbeteiligungen und erzielte sechs Treffer in sieben Partien in der Champions League. PSG schaffte das nationale Triple und gewann die Ligue 1 mit 13 Punkten Vorsprung.

Verletzungen prägen Neymars Zeit bei PSG

Doch die Saison geriet ins Wanken, als sich Neymar eine Verletzung zuzog. Im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League verlor PSG mit 1:3 gegen Real Madrid. Im zweiten Spiel musste der Brasilianer wegen einer Knöchelverletzung pausieren. PSG verlor 1:2.

Und Neymar ist seitdem nicht mehr derselbe. Er kehrte zwar rechtzeitig zur Weltmeisterschaft 2018 von seiner Verletzung zurück, konnte das Ausscheiden seiner Selecão im Viertelfinale aber auch nicht verhindern. Dass es der Stürmer in die Mannschaft des Turniers schaffte, war ein schwacher Trost. Schwerer wog da die öffentliche Häme, die von Fans und Medien über ihn ausgegossen wurde. 14 Minuten, so wurde es ausgerechnet, verbrachte Neymar in Russland nach Fouls an ihm auf dem Boden. Völlig frustriert kündigte er an, möglicherweise nie wieder für Brasilien spielen zu wollen.

Statt mit Wut im Bauch es in Paris allen zu zeigen, kamen an der Seine neue (Luxus-)Probleme auf Neymar zu. Denn PSG verpflichtete einen jungen französischen Flügelstürmer namens Kylian Mbappé.

Und damit begannen die wahren Schwierigkeiten. Neymar wurde mit Fragen zu seiner Beziehung zu seinem neuen Mannschaftskameraden überhäuft, und die lokalen Medien streuten die Behauptung, er sei eifersüchtig auf Mbappés Erfolge bei der Weltmeisterschaft.

Kylian Mbappé läuft Neymar bei PSG den Rang ab

Mbappé verteidigte Neymar zunächst, bezeichnete den Brasilianer brav als den Besten der Welt und betonte, dass er von seinem neuen Mitspieler viel lernen wolle.

Allen Bekundungen zum Trotz: Die Anzeichen dafür, dass die beiden nie wirklich ein Herz und eine Seele waren, häuften sich. Sie stritten sich offen auf dem Spielfeld und immer wieder gab es Berichte über Unstimmigkeiten abseits des Rasens. Einen Sommer später hatte Neymar wieder mit Verletzungen zu kämpfen, während Mbappé seine zweiten PSG-Saison mit einem Feuerwerk begann und das Jahr mit 40 Toren beendete.

In der Zwischenzeit häuften sich bei Neymar die Verletzungen.

Und da haben wir auch schon die Wurzel von Neymars bröckelnder Beziehung zu PSG: seine Unfähigkeit, fit zu bleiben.

Er hat sich zweimal den Mittelfuß gebrochen, dreimal die Bänder im Knöchel gerissen und mit einer Reihe von Muskelverletzungen zu kämpfen gehabt.

PSG: Die Trainer haben Probleme mit Neymar

Individuelle Klasse kann vieles über einen kurzen Zeitraum übertünchen. Aber Neymar war kaum noch in der Lage, seinen Rhythmus oder die Kontinuität zu finden, die nötig sind, um eine Mannschaft zu führen. Neymar kann ganz einfach nicht der Star sein, wenn er nicht auf dem Platz steht.

Alles andere ist nur ein Nebeneffekt davon. Neymars Probleme abseits des Spielfelds wurden schon zu Tode analysiert - und davon gibt es eine ganze Menge. Von Streitereien mit Teamkollegen bis hin zu einem mitternächtlichen McDonald's-Besuch nach einer schmerzhaften Niederlage - Neymar hat seinem Ruf nicht gerade geholfen.

Aber wenn er auf dem Platz gestanden und seine Leistung gebracht hätte, dann wären diese Verfehlungen vielleicht kein großes Thema gewesen.

Stattdessen dreht sich jetzt alles um die Person Neymar.

Eine Reihe namhafter Trainer hat sich an ihm abgearbeitet: Unai Emery, Thomas Tuchel, Mauricio Pochettino und jetzt Christophe Galtier. Ehrlicherweise hatte keiner von ihnen den Edeltechniker, oder besser gesagt die Schlagzeilen um ihn, dauerhaft unter Kontrolle.

Und nun? Neymar ist also wieder verletzt, und PSG droht im Achtelfinale der Champions League gegen Bayern München das Aus. Die Ligue 1 wird das Starensemble wohl gewinnen, der Titel im Coupe de France ist dagegen futsch. Kein Wunder, dass die Unzufriedenheit groß sein soll.

Verlassen Neymar, Messi und Mbappé PSG?

Mbappé könnte diesen Sommer gehen, Messi könnte ihm folgen. Und Neymar könnte der nächste sein.

Das ist der beste Weg, um das Ganze zu beenden. Die Spannungen im Parc des Princes sind groß. PSG hat drei der letzten fünf Spiele verloren, Galtier hat Mühe, den Medienrummel in den Griff zu bekommen. Neymar ist nicht das einzige Problem - Mbappé hat sicherlich seinen Teil zum Drama beigetragen.

Aber Neymar ist wahrscheinlich derjenige, dessen Abgang sich PSG am meisten leisten kann. Die Verletzungen, die Störungen und der Lärm machen das Samba-Flair im Moment fast irrelevant. Neymar weiß das im Grunde genommen auch. Dazu kommen sein horrendes Gehalt (angeblich rund 45 Millionen Euro pro Jahr) und die lange Vertragslaufzeit (bis 2025 plus Option auf ein weiteres Jahr).

Dazu passt, dass es nach der Niederlage gegen die Bayern zu einem Treffen zwischen PSG-Boss Nasser Al-Khelaifi und Chelseas Besitzer Todd Boehly gekommen sein soll. Dabei ging es um Neymar und einen möglichen Blockbustertransfer im Sommer. Laut Marca ruft PSG "nur noch" 60 Millionen Euro Ablöse für seinen Star aus.

Messi Mbappe NeymarGetty

Es ist an der Zeit, dass die unglückliche Ehe ein Ende findet, dass der Spieler die Chance bekommt, wieder der zu sein, der er vor 17 Jahren war.

Und das könnte für beide Seiten von Vorteil sein.

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