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Franca bei Bayer Leverkusen: Der Magier, der den FC Bayern zerlegte und dann in Japan seinen Frieden fand

In glanz-goldene Trikots getaucht war der große FC Bayern München an jenem Samstag im August 2004 nach Leverkusen gereist. 90 Bundesliga-Minuten später war von diesem erhobenen Glanz urplötzlich nichts mehr zu spüren, denn das eigentlich so auffällige Jersey des Rekordmeisters wurde von den tristen Mienen der Münchner Millionenkicker überschattet. Wie versteinert schlichen die FCB-Stars vom Feld, zu heftig war die Schmach an diesem lauen Mittsommernachmittag in der BayArena.

Ganz anders erging es indes der Mannschaft von Bayer Leverkusen: Die Werkself ließ sich nach Abpfiff von ihren Fans feiern, die Stimmung war ausgelassen. So als hätte man am 3. Bundesligaspieltag bereits den Meistertitel geholt. Mitten unter der feiernden Meute: ein frohlockender Brasilianer, der dem Leverkusener Anhang mit seiner sensationellen Performance das pure Lächeln erst ins Gesicht gezaubert hatte. Einer, der das Publikum schon im Vorjahr mit seiner Eleganz und seiner Magie begeisterte und von dem man sich noch viel mehr erhoffte.

Franca, mit bürgerlichem Namen Francoaldo Sena de Souza, hatte nämlich soeben dafür gesorgt, dass man die Roten von der Isar mit einem fulminanten 4:1 aus dem eigenen Stadion schoss. Und wie: Zunächst bediente der Brasilianer Sturmkollege Dimitar Berbatov mit einem sensationellen Pass in die Gasse, ehe er anschließend selbst zwei blitzsaubere Buden beisteuerte und auch am vierten Leverkusener Treffer beteiligt war. Ein irrer Nachmittag für den damals 28-Jährigen, dessen Qualitäten unbestritten waren.

"Er hat da ein sensationelles Tor gegen Oliver Kahn gemacht", erinnert sich der damalige Leverkusener Trainer Klaus Augenthaler im exklusiven Gespräch mit GOAL und SPOX an den traumhaften Piken-Heber seines Ex-Schützlings zum zwischenzeitlichen 2:0. "Er war ein Schlitzohr, war technisch stark und war gedanklich schon immer weiter als alle anderen. Ein Künstler oder Zauberer mehr oder weniger", so Augenthaler weiter. Dieses Spiel stand symbolisch für den Mann, der am Höhepunkt seiner Karriere angekommen zu sein schien.

Jeder, dessen Herz in der Saison 2004/05 für Bayer 04 schlug, dachte nämlich spätestens seit jenem Samstag, dass der geniale Franca seine bärenstarke Vorsaison fortsetzen und nun sogar noch einen draufsetzen würde. Er sollte vorangehen, den Klub in die Champions League, ja wenn nicht sogar zum Meistertitel führen.

Franca bei Bayer Leverkusen: Der Rekordtransfer braucht Zeit

Der Mann mit den Geheimratsecken und dem lockigen Haar, der immer ein Grinsen im Gesicht zu haben schien, war im Juli 2002 mit immens hohen Erwartungen ins Rheinland geholt worden. Mit 26 Jahren hatte der Brasilianer in seinem Heimatland von sich reden gemacht und so auch das Interesse des Bundesligisten geweckt. Trickreich, flink und abschlussstark, so wurde er wahrgenommen. "Er war der absolute Wunschspieler von Klaus Toppmöller" erinnert sich der damalige Geschäftsführer Reiner Calmund auf Nachfrage von GOAL und SPOX an den Transfer. Nachvollziehbar, denn das Empfehlungsschreiben Francas von 182 Toren in 327 Spielen für den FC Sao Paulo konnte sich sehen lassen.

Die Fans in Sao Paulo vergötterten Franca, er war es gewohnt, der Star zu sein. Leverkusen wollte ihn unbedingt und legte die damalige vereinsinterne Rekordsumme von 8,5 Millionen Euro auf den Tisch. Ein Wunschspieler, den man in Leverkusen am liebsten sofort als nicht-ersetzbaren Goalgetter gesehen hätte. Doch Franca brauchte Zeit. Zeit, um sich von der Tatsache erholen zu können, die WM 2002 aufgrund einer bitteren Verletzung verpasst zu haben. Und: Zeit, um sich an die Kultur, die Sprache, sein neues Umfeld um Trainer Klaus Toppmöller zu gewöhnen.

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"Er war, soweit ich mich erinnere, nicht derjenige, der jeden Tag deutsch büffelte, um sich so verständigen zu können. Aber es ging letztendlich ja eher darum, was auf dem Platz passiert", so sein ehemaliger Teamkollege Jens Nowotny gegenüber GOAL und SPOX. Doch auch auf dem Platz startete der hoch veranlagte Franca nicht sofort durch, Anlaufschwierigkeiten prägten seine gesamte erste Saison in der Bundesliga. Er galt als Sorgenkind und nach einer Weile auch schon als Fehlinvestition des Klubs.

Zudem waren die deutschen Trainingsbedingungen anfangs eine Qual für den Südamerikaner. "Als ich die ersten zehn Kilometer Waldlauf hinter mir hatte, dachte ich, es reißt mir die Lungen raus. Ich hatte keine Kraft mehr gegen den Ball zu treten", verriet er der Welt am Sonntag im Oktober 2003. Noch dazu warfen ihn Verletzungen in seiner Debütsaison aus der Bahn, nur ein einziger Treffer gelang ihm in 16 Spielen 2002/03. Franca war ein "typischer Brasilianer", wie Augenthaler ihn heute beschreibt. Heißt: Auch der Angreifer hatte hohe Ansprüche an sich selbst, war er doch als Rekordtransfer nach Leverkusen geholt worden. Schnell machten sich auch bei ihm Unzufriedenheit und Trotz bemerkbar. "Franca war nahe dran hinzuschmeißen", gestand der damals 27-Jährige, der von sich selbst immer in der dritten Person sprach, im WamS -Interview. An die etwas andere Gangart der Bundesliga musste sich der lebensfrohe Zauberer vom Zuckerhut schließlich erst noch anpassen. "Im Training haben sie mich teilweise angepflaumt wie einen Jugendspieler", so Franca über die zähe Anfangssaison.  

Bayer Leverkusen: Franca blüht unter Klaus Augenthaler auf

Im Sommer 2003 flatterten zahlreiche Transferangebote in Leverkusen ein, Bayer 04 dachte ernsthaft über einen Verkauf nach, wie Reiner Calmund einst bestätigte. "Wir haben ernsthaft erwogen, eine Offerte anzunehmen", bestätigte der heute 73-Jährige im Jahr 2003. Doch man entschied sich schließlich dafür, Franca Zeit zu geben. Auch, weil ein Trainerwechsel ins Haus stand und Klaus Augenthaler auf den Brasilianer bauen wollte. Dem Ex-Nationalspieler gelang es schließlich, einen besonderen Draht zum nicht immer einfachen Franca aufzubauen. "Klaus hat es geschafft, dass Franca wieder Mut gefasst hat", sagte der Offensivspieler der Welt am Sonntag damals. Das neue Umfeld und auch der neue Trainer zeigten schnell Wirkung.

Nach der völlig verkorksten ersten Saison ging es für Franca so richtig bergauf. Er glänzte auf dem Platz sowohl als Torschütze als auch als Vorlagengeber. Zusammen mit seinem kongenialen Sturmpartner Dimitar Berbatov mischte er die Liga gewaltig auf. Franca gelangen 14 Tore und 13 Assists, Berbatov netzte sogar 16-mal ein. Leverkusen belegte auch dank des Duos in der Bundesliga Platz drei, nur die Bayern und Werder Bremen waren besser. "Die beiden haben sich sehr gut ergänzt. Wir haben immer Spiele gewonnen, wenn beide gut nach hinten gearbeitet haben", beschreibt Augenthaler Franca und Berbatov, auch wenn "gegen vermeintlich kleinere Mannschaften oft vergessen wurde, dass es eine Mittellinie gibt." Der Bulgare Berbatov hatte Franca dabei eines voraus: "Wenn einer mal härter hingelangt hat, dann hat man von Franca immer weniger gesehen. Das habe ich bemängelt und immer wieder mit ihm besprochen. Berbatov hat das gelernt", gibt Augenthaler bei Goal und SPOX zu verstehen. Trotz seiner brasilianischen Charakterzüge war die Franca-Welt in bester Ordnung, er war Top-Scorer seines Teams und hatte sich nach einem Jahr nun in Deutschland eingelebt. So schien es zumindest.

Der Start in die darauffolgende Saison verlief vielversprechend, nach drei Saisonspielen stand Franca bereits bei drei Treffern und zwei Assists. Alles sollte wohl so kommen, wie es die Fans und Verantwortlichen sich erhofft und erwartet hatten. Doch der 28. August 2004 war die letzte große Gala von Franca. Nach dem Husarenritt gegen die Bayern fiel der damals 28-Jährige in ein tiefes Loch, sportlich und auch menschlich. In den verbleibenden 31 Bundesligaspielen kam Franca nur noch 19-mal zum Zug (drei Tore). Der vom 1. FC Köln neu gekommene Andrej Voronin hatte ihm den Rang abgelaufen und ihm den Platz an der Seite von Berbatov vor der Nase weggeschnappt. Meistens reichte es für Franca nur zu Kurzeinsätzen.

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Franca hatte in Leverkusen große private Probleme

Der Südamerikaner verfiel zurück in alte Muster, Unzufriedenheit machte sich breit. Er fühlte sich unwohl, sich in seiner Ehre gekränkt und pochte auf Einsatzminuten. Zudem blieb die Kommunikation weiter schwierig. Der Brasilianer konnte noch immer kein richtiges Deutsch und auch nur teilweise Englisch, neben dem Platz war er ohnehin ein Einzelgänger. "Franca war sicherlich kein Spieler, der sich in der Umgebung von vielen Spielern bewegt hat. Er war nicht der Typ, der von sich aus versucht hat, in die Gemeinschaft einzutauchen. Und er war sehr introvertiert, wenn es um Privates ging", sagte Wolfgang Holzhäuser, der damals den Posten als Sprecher der Geschäftsführung von Bayer 04 bekleidete, auf Nachfrage von GOAL und SPOX.

Franca war nicht immer in der Lage, seinen vollen Fokus auf den Fußball zu legen. Den neunfachen brasilianischen Nationalspieler beschäftigte seine private Situation auch abseits des Rasens. "Ich habe oft mit ihm gesprochen, auch weil ich seine private Situation kannte. Sein Kind und seine Frau, die in der Finanzbranche tätig war, waren aufgrund privater Probleme für eine Zeit in Brasilien. Da merkte man dann auch bei ihm, dass die Leistungen nachlassen. Stimmte es privat, dann stimmte es auch auf dem Platz", so Ex-Leverkusen-Coach Augenthaler zu GOAL und SPOX

Franca verlässt Bayer Leverkusen als Problemkind

"Er hat in wichtigen Spielen große Klasse gezeigt und konnte auftrumpfen. Letztendlich fehlte unter dem Strich die Konstanz. Ich glaube aber, dass er unter der ganzen privaten Situation gelitten hat und Heimweh hatte", sagte Calmund über Francas letzte Wochen in Leverkusen. Auch innerhalb der Mannschaft war seine Situation abseits des Rasens bekannt. "Man hat das natürlich mitbekommen. Das sind Dinge, mit denen man natürlich vieles entschuldigen kann und erklären kann, auch leistungstechnisch", erklärt Jens Nowotny.

Doch die Beziehung zwischen Franca und Bayer Leverkusen neigte sich langsam, aber sicher dem Ende entgegen. Der Unzufriedene gab seinen Unmut dann sogar öffentlich zu bekennen. "Als ich in Leverkusen unterschrieb, war ich ganz oben. Ich war neben Ronaldo in der Nationalelf gesetzt, das ganze Land schwärmte von mir. Jetzt habe ich alles verloren. Den Respekt meines Landes, die Liebe der Fans. Jetzt bin ich ganz unten. Wenn ich sage, ich bin glücklich, wäre ich ein Lügner. Mein Herz ist gebrochen. Ich will nur noch weg", sagte er im Juli 2005 dem Sunday Express.

Bayer 04 zögerte zunächst, beschloss aber dann doch, dem Wechselwunsch des abtrünnigen Brasilianers zu entsprechen. Für nur mehr 2,5 Millionen Euro verkaufte Leverkusen Franca schließlich an Kashiwa Reysol nach Japan. "Ich habe es mit Samthandschuhen probiert, ich habe es mit der Peitsche probiert, aber warum soll ich ein 29-jähriges Problemkind weiter behalten, wenn das Problem lösbar ist und man Geld für ihn bekommt“, lautet die heutige Analyse von Klaus Augenthaler. "Ich habe mich wirklich lange um ihn gekümmert. Irgendwann muss ein Profi aber auch mal auf seinen eigenen Beinen stehen", so Augenthaler.

Dimitar Berbatov Franca Bayer Leverkusen 2004Getty

Franca findet seinen Frieden in Japan

Durch das Aus in Leverkusen verschwand Franca plötzlich von der europäischen Bühne, auf die er sich zumindest in der Saison 2003/04 mit seinem brasilianischen Flair und seiner Torgefahr katapultiert hatte. In Japan blieb er Kashiwa Reysol ganze fünf Jahre treu, traf in 113 Pflichtspielen gar 32-mal ins Schwarze. Doch in Europa war er schnell kein Thema mehr. "Wir haben ihn noch eine gewisse Zeit weiterverfolgt. Aber da über den japanischen Fußball kaum etwas berichtet wird, haben wir nichts mehr mitbekommen“, erklärt Wolfgang Holzhäuser.

Im Jahr 2010 hängte Franca dann mit 34 Jahren erstmals seine Schuhe an den Nagel. Zwar beging er von Sommer 2011 bis Anfang 2012 noch ein kurzes Intermezzo beim Yokohama FC, dann aber war endgültig Schluss. Mittlerweile ist er in Japan sesshaft geworden, hat dort seine zweite Heimat gefunden. "Dass ich nach Japan gegangen bin, war das Schlimmste, was ich je getan habe, weil ich mich in die Kultur verliebt und beschlossen habe, nie wieder von hier weg zu gehen. Es ist ein sehr ordentliches Land mit einem hohen Maß an Bildung und einem Respekt untereinander, den man so in anderen Ländern nicht vorfindet", sagte Franca im März in einem Interview mit der brasilianischen Sportzeitschrift Placar .

Sein rapider Aufstieg zum Unterschiedsspieler in Leverkusen ging ebenso schnell vonstatten wie sein Name hierzulande in Vergessenheit geriet. "Mein Eindruck war, dass er als Mensch nie so richtig in Leverkusen angekommen ist. Er fühlte sich ab und zu missverstanden und war unzufrieden, wenn das Spiel nicht für ihn gelaufen ist. Seine Vorstellung war, dass man ihn in erster Linie auch so behandelt, wie er auch eingekauft wurde - als Goalgetter", so Wolfgang Holzhäuser über Francas Zeit in Deutschland. "Seine persönliche Eitelkeit, von wegen 'Ich bin Franca und ich bin Brasilianer'", war für Klaus Augenthaler das Problem. Ein Problem, dass sich über drei Jahre nicht vollends lösen ließ und den Namen eines Magiers von der Landkarte radiert hat.

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