1. FSV Mainz 05 v FC Bayern München - DFB Cup: Round TwoGetty Images Sport

Vom sicheren Absteiger zum Bayern-Bezwinger: Wie "Straßenfußballer" Nadiem Amiri Mainz 05 auf ein anderes Level hebt

Es war eine reelle Angst. Wieder der Abschied aus der Bundesliga? Es ist der 11. Februar 2024 und die Spieler des 1. FSV Mainz 05 stehen mit hängenden Köpfen und verzweifelten Gesichtern auf dem geschundenen Rasen der MHP Arena in Stuttgart. Maximilian Mittelstaedt, Jamie Leweling und Deniz Undav fertigen das Team von Trainer Jan Siewert mit 3:1 ab. Der Treffer des Mainzers Ajorque - reine Ergebniskosmetik. Auch Nadiem Amiri spulte 90 Minuten auf der Zehner-Position ab, ohne etwas gegen den VfB ausrichten zu können. Die Realität: Platz 17 und gewaltige neun Punkte Rückstand aufs rettende Ufer.

"Die vergangene Saison gehört zu den emotionalsten meiner Karriere, gemeinsam konnten wir als Team das von vielen unmöglich Geglaubte möglich machen", sollte Amiri später über diese Spielzeit sagen. Und weiter: "Es macht mich unheimlich stolz, einen Teil zu diesem Klassenerhalt beigetragen zu haben und ich freue mich jetzt schon drauf, dieser besonderen Geschichte gemeinsam mit der Mannschaft weitere Kapitel hinzuzufügen."

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    Bo Henriksen bringt Leben in die Mainzer Mannschaft und weiß Amiri einzusetzen

    Nach dieser bitteren Stuttgart-Pleite kam ein gewisser Bo Henriksen als neuer Mainz-Coach: Es gelang eine bemerkenswerte Aufholjagd, es gelang der direkte Klassenerhalt auf einem beachtlichen 13. Rang.

    Sportvorstand Christian Heidel, ein alter Hase im Geschäft, wusste, wer neben dem neuen Trainer großen Anteil an der Mainzer Rettung gehabt hatte. "Nadiems Verpflichtung im Winter hat unserer Mannschaft genau das gegeben, was wir uns damals erhofft haben", sagte Heidel. "Mit Kreativität und Spielstärke konnte er unserer Offensive sofort helfen und hat sich von Minute eins bis zum Abpfiff für Team und Fans zerrissen."

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  • 1. FSV Mainz 05 v FC Bayern München - BundesligaGetty Images Sport

    Mainz und Amiri werden zum ersten Bayern-Besieger der Saison

    Nun befinden wir uns im Endspurt des Fußballjahres und Amiris Mannschaft darf sich "erster Bayern-Bezwinger der Saison" nennen. Beim 2:1 Sieg der Mainzer am 14. Dezember offenbarte der ehemalige deutsche Nationalspieler auf großer Bühne gegen den Rekordmeister alles, was ihn und seine Kameraden seit der Übernahme Henriksens ausmacht.

    Amiri zog im Zentrum die Fäden, wann immer der Ball bei den 05ern war. Noch wichtiger: Er überzeugte mindestens genauso defensiv. Es war eine der ersten Umstellungen, die den Deutsch-Afghanen entscheidend mehr Einfluss auf sein Spiel haben ließen: Henriksen machte Amiri zum Dreh- und Angelpunkt des FSV, zog ihn auf die Sechser-Position zurück und nahm ihn folglich auch im Spiel gegen den Ball in die Pflicht.

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    Amiris Karriere von Höhen und Tiefen geprägt

    Dass der 28-Jährige aktuell für Mainz unverzichtbar und für andere Vereine höchstinteressant als potenzieller Neuzugang sein dürfte, war noch vor einem Jahr kaum absehbar. Zwar kommt der gebürtige Ludwigshafener, der auch die afghanische Staatsbürgerschaft besitzt, mittlerweile auf beachtliche 239 Bundesligaspiele und hat auch schon fünf Länderspiele absolviert.

    Doch nach zwei ordentlichen Spielzeiten für Bayer Leverkusen verlor er dort seinen Stammplatz. Was folgte, war eine Leihe nach Italien zum CFC Genua, bei dem er in 13 Spielen mit einer Torvorlage den Abstieg nicht verhindern konnte. Anschließend fand er - zuletzt unter Xabi Alonso - nie wieder einen festen und nachhaltigen Platz in der Startelf von Bayer.

    Trotzdem nahm der Edeltechniker einiges vom Spanier mit. "Xabi hat natürlich eine besondere Aura durch seine Karriere", erklärte Amiri Ende Oktober bei ran. "Wenn er dir etwas erzählt, glaubst du das sofort, weil er als Spieler alles erreicht und selbst durchgemacht hat."

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  • Amiri über Nagelsmann: "Hatten eine geile Zeit mit Nagelsmann"

    Auch Amiri hat bereits einiges durchgemacht - nicht nur als Erwachsener, sondern auch als Jugendlicher. Er ist so einer, von denen es heutzutage nicht mehr so viele gibt. Ein echter Straßenfußballer. Mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Nauwid kickte er regelmäßig draußen rum. Mit 13 mustert ihn der 1. FC Kaiserslautern, der ihn zuvor unbedingt hatte holen wollen, aus. "Ich sei zu schlecht gewesen, haben die gesagt", erinnerte sich Amiri vor einigen Jahren.

    Über den SV Waldhof Mannheim führte sein Weg zur TSG Hoffenheim. Dort gelang dem Mittelfeldmann unter Julian Nagelsmann der Durchbruch: In den Bundesliga-Saisons 2016/17 und 2017/18 kam Amiri auf 61 Spiele, vier Treffer und sieben Torvorlagen. Als sich sein Lehrmeister Nagelsmann in Richtung RB Leipzig verabschiedet, reagiert Amiri auf seine ehrliche, direkte und sympathische Art: "Wir hatten eine geile Zeit zusammen, haben gemeinsam viel erlebt. Aber vermissen werde ich ihn nicht."

  • FBL-GER-BUNDESLIGA-HOFFENHEIM-LEIPZIGAFP

    Amiri "gehört zu 100 Prozent wieder in die Nationalmannschaft"

    Kurze Zeit später, am 9. Oktober 2019, debütierte Amiri mit 22 Jahren unter Joachim Löw für die Nationalmannschaft. In gewisser Weise schließt sich in diesen Tagen ein Kreis für den Mainzer Strategen: Nagelsmann begeistert das Land als Coach der DFB-Auswahl und könnte Amiri durchaus bereits im erweiterten Kreis der Kaderkandidaten aufgenommen haben.

    Der Ex-Nationalspieler gehört unter den Mittelfeld-Akteuren zu den Allerbesten, wenn es um das Herausspielen von Chancen geht. Gegen die Bayern gewann er neun seiner 14 Zweikämpfe am Boden. Im Januar noch für eine Million von Meister Leverkusen nach Mainz gewechselt, beträgt sein Marktwert derzeit etwa neun Millionen.

    "So, wie er heute spielt, gehört er zu 100 Prozent wieder in die Nationalmannschaft", meint zumindest sein Trainer Bo Henriksen, der hauptverantwortlich für die Entwicklung des 28-Jährigen ist. Zocken konnte Amiri immer schon, doch nun beherrscht er auch das defensiv härtere Spiel.

    Einen Rückschlag hatte er im letzten Spiel vor Weihnachten zu verkraften, als er für ein rüdes, wenngleich unbeabsichtigtes Einsteigen in Frankfurt schon nach gut 20 Minuten die Rote Karte sah. Die verbliebenen Mainzer ließen sich jedoch nicht unterkriegen und gewannen beim Tabellendritten mit 3:1. Auch Amiri dürfte die nun folgende Zwangspause nicht aus der Bahn werfen, dafür hat er zu viel erlebt.

    Ob er seinen Ex-Coach Nagelsmann inzwischen vermisst? Oder ist es bald umgekehrt?

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