Die Torhüterposition ist ohnehin die sensibelste im Fußball. Der Umgang mit lange verletzten Stammkeepern ist für keinen Verein leicht.
Doch Neuer ist nicht einfach nur der Stammkeeper des FC Bayern. Neuer ist der prägendste Torhüter seiner Generation, die Koan-Neuer-Plakate vor seiner Ankunft sind nur noch eine Anekdote, er ist längst eine Klubikone und mindestens auf einer Stufe mit Sepp Maier und Oliver Kahn. Hoeneß war einst bereit, für Neuer in den Kampf gegen die versammelte "westdeutsche Presse" zu ziehen, als er die Lobby für Marc-André ter Stegen zu groß zu werden wähnte. Neuers Vertrauten und Torwarttrainer Toni Tapalovic zu feuern während Neuer verletzt war, war zwar nicht der Grund für das schnelle Ende von Trainer Julian Nagelsmann, aber die Aktion zahlte deutlich auf Nagelsmanns Misstrauenskonto bei den Verantwortlichen ein.
Klar ist aber auch: Der FC Bayern befindet sich durch Neuers langwieriger Verletzung in einem riesigen Dilemma. Wie hoch darf er ins Regal des Torhütermarkts greifen, ohne Neuer zu vergrätzen oder zu sehr unter Druck zu setzen? Wie tief kann er sich bücken, ohne im Fall der Fälle kein erhebliches und Ziele gefährdendes Qualitätsproblem zu haben? Wenn schon ein exzellenter Torwart wie Yann Sommer in der vergangenen Rückrunde nie unumstritten war, wie würde dann erst der 31-jährige Ersatzkeeper der argentinischen Nationalmannschaft Géronimo Rulli vom Ajax Amsterdam empfangen werden?
Und was würde erst passieren, falls Bayern nun für viel Geld einen jungen Keeper mit Nummer-1-Potenzial wie Giorgi Mamardashvili holt und Neuer dann doch wieder komplett fit werden sollte? Ruiniert man oder stört zumindest eine potenziell große Karriere eines jungen Keepers? Grüße gehen raus an Alexander Nübel.
Oder zwingt man Neuer nach einer viel zu langen und mühsamen Verletzung tatsächlich in einen potenziell demütigenden Zweikampf mit einem jungen Rivalen? Oder mit einem sehr teuren: Der vereinslose David de Gea, den zuletzt Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ins Spiel gebracht hat, hat durchaus die sportliche Qualität für den FC Bayern. Und er wäre mit 32 Jahren auch noch jung genug, um im Fall der Fälle noch einige Jahre die Nummer 1 zu sein. Doch der Spanier gehörte bei Manchester United bis zuletzt mit angeblich rund 30 Millionen Euro Jahresgehalt zu den Top-Verdienern nicht nur seines Klubs, sondern der gesamten Liga. Viel günstiger als Neuer wäre er auch als Ersatzkeeper wohl nicht.
Bayern kann auf der Torhüterposition in diesem Sommer nur wenig richtig machen, aber sehr viel falsch.