Von Cristiano Ronaldo entlassen: Warum holt Napoli Rudi Garcia?

Daniele De Rossi war im Sommer 2013 mit Italien auf einer Länderspielreise, als die AS Roma plötzlich Rudi Garcia als neuen Trainer holte. Der Mittelfeldspieler war nicht nur überrascht, er war komplett ahnungslos. Von Garcia hatte er noch nie etwas gehört.

Also gab er flüchtig "Rudi Garcia" in die Google-Suche ein und entdeckte prompt ein Video, in dem sein neuer Chef Gitarre spielt und "Porompompero" singt.

Er wandte sich an seinen italienischen Teamkollegen Andrea Pirlo und sagte: "Scheiße, wen haben wir denn da ...".

"Damals wurde über Allegri gesprochen", erinnerte sich De Rossi in einem Interview mit dem französischen Magazin So Foot, "und ehrlich gesagt hatte ich einige Zweifel."

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Fans von Napoli am Freitagfrüh wohl ähnliche Gefühle hatten, nachdem der Verein am Donnerstagabend bestätigt hatte, dass Garcia zum Nachfolger von Luciano Spalletti ernannt worden ist.

Die Situation ist natürlich ein bisschen anders. Im Gegensatz zu De Rossi kennen die Fans heute Garcia - aber das ist eigentlich auch gleichzeitig der Hauptgrund für ihre derzeitige Schockstarre.

Nicht nur bei der Roma sorgte der Franzose bei seiner Ankunft für Lacher, sondern auch in der Heimat. Von 2016 bis 2019 trainierte der heute 59-Jährige Olympique Marseille, brachte die Südfranzosen unter anderem bis ins Europa-League-Finale 2018 gegen Atlético Madrid (0:3).

Nur drei Monate nach seiner Entlassung heuerte Garcia plötzlich bei Erzrivale Olympique Lyon an. Und sagte auf seiner Vorstellungs-Pressekonferenz: "Wenn wir im Abschluss besser werden und mehr Tore schießen, werden die Fans automatisch hinter uns stehen, denn sie lieben OM ..." OM? Garcia war doch gerade der neue Trainer von OL geworden. "Sie lieben OL, natürlich, also offensichtlich", korrigierte sich der Trainer selbst - doch da war es schon zu spät.

Wenn er bei seiner Vorstellung in Neapel nichts von Juve, einer AS, Lazio, Inter oder einer AC erzählt, sondern von einer SSC, wäre schon ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht. Doch bei Garcia weiß man nie.

  • Roberto De Zerbi Brighton 2022-23Getty

    SSC Neapel: Roberto De Zerbi war der Wunschkandidat

    Mit dieser Entscheidung hatte absolut niemand gerechnet. Am Donnerstagnachmittag behaupteten einige angesehene italienische Journalisten noch, dass Napoli alles tun würde, um Luis Enrique zu überzeugen - den früheren Triple-Trainer des FC Barcelona und Ex-Coach der spanischen Nationalmannschaft.

    Der ehemalige Bayern-Trainer Julian Nagelsmann war ebenfalls eine Zeit lang im Gespräch, auch wenn er nie ein ernsthafter Kandidat war, da sein Gehalt zu hoch gewesen wäre. Antonio Conte (zuletzt bei Tottenham Hotspur) wurde auch in Betracht gezogen.

    Dann gab es da noch eine Gruppe der aufstrebenden Trainer, zu der Thiago Motta, Vincenzo Italiano und, aus Sicht der Fans am spannendsten, Roberto De Zerbi gehörten.

    Der Brighton-Boss galt als Wunschkandidat, denn der ehemalige offensive Mittelfeldspieler von Napoli hat sich mit dem sechsten Platz in der letzten Saison in der Premier League als der wohl faszinierendste Taktiker im Weltfußball erwiesen. Es wurde jedoch schnell klar, dass De Zerbi im Amex-Stadion bleiben will. Er hat nicht das Gefühl, dass seine Arbeit dort bereits getan ist.

    In den letzten Tagen wurden daher der Portugiese Paulo Sousa und PSG-Coach Christophe Galtier in der italienischen Presse als Favoriten gehandelt.

    Sousa hatte nach seiner Übernahme von Salernitana im Februar hervorragende Arbeit geleistet und den Abstieg vor allem dank einer Serie von zehn ungeschlagenen Spielen vermieden - darunter ein 1:1-Unentschieden im Maradona-Stadion, das die Scudetto-Feierlichkeiten von Napoli verzögerte.

    Galtier ist derweil das jüngste Opfer von Paris Saint-Germain, aber er gilt immer noch als einer der besten Trainer Frankreichs. Vor allem, weil er mit Lille 2021 den Ligue-1-Titel gewann.

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  • Cristiano RonaldoGetty

    Rudi Garcia: Gefeuert von Cristiano Ronaldo

    Doch Napoli wandte sich stattdessen an einen von Galtiers Landsleuten. Denjenigen, den man zuletzt gesehen hatte, als er praktisch von Cristiano Ronaldo bei Al-Nassr entlassen wurde.

    Vielleicht war die Beziehung der beiden von Anfang an dem Untergang geweiht. Auf Ronaldos Vorstellungs-Pressekonferenz im Januar hatte Garcia gescherzt, dass er eigentlich zuerst versucht hatte, Lionel Messi zu verpflichten. Ein unangenehmes Lachen war die Folge, das an seine Vorstellung in Lyon erinnerte.

    In Wahrheit sollte es aber noch ein paar Wochen dauern, bis sich die Dinge wirklich zum Schlechten wendeten.

    Nach der 1:3-Niederlage gegen den Titelrivalen Al-Ittihad im saudi-arabischen Supercup am 26. Januar behauptete Garcia, dass ein Fehlschuss von Ronaldo eine entscheidende Rolle bei der Niederlage seiner Mannschaft gespielt habe und "den Verlauf des Spiels verändert" habe.

    Das Verhältnis der Beiden war von diesem Moment an nicht mehr dasselbe. Nach monatelangen Spannungen spitzte sich die Lage nach dem 0:0-Unentschieden gegen Al-Feiha am 9. April zu.

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    SSC Neapel: Rudi Garcia nach Luciano Spalletti - wie ein schlechter Witz

    Nachdem Ronaldo am Ende einer frustrierenden Partie in den Tunnel gestürmt war, kritisierte Garcia seine Mannschaft öffentlich. "Ich bin mit der Leistung der Spieler nicht zufrieden", sagte er gegenüber Reportern. "Ich habe von ihnen verlangt, dass sie auf dem gleichen Niveau wie im letzten Spiel [ein 5:0-Sieg gegen Al-Adalah] spielen, aber das ist nicht geschehen."

    Garcia wurde nur vier Tage später entlassen.

    Ronaldo zollte dem entlassenen Trainer in einem Social-Media-Post Tribut und erklärte, es sei "ein Vergnügen" gewesen, mit dem 59-Jährigen zusammenzuarbeiten. Aber es wurde weithin berichtet, dass der Stürmer eine wesentliche Rolle bei seinem Abgang gespielt hatte, da er Garcias Taktik für zu defensiv befand. Ronaldo ist natürlich nicht einfach zu managen - und es ist erwähnenswert, dass Garcia Al-Nassr vor der Ankunft des fünffachen Ballon-d'Or-Gewinners mitten in der Saison an die Tabellenspitze geführt hatte.

    In den Augen der Napoli-Fans sieht es jedoch nicht gut aus, wenn man mit Ronaldo an der Spitze die Liga nicht gewinnt. Der Verlust von Spalletti war schon schlimm genug, aber Garcia als Ersatz zu holen, kommt wie ein Witz daher - und zwar einer, über den nur die Rivalen lachen können.

    In der Tat besteht die Sorge, dass er nicht annähernd an die außergewöhnliche Arbeit seines Vorgängers herankommt - der es geschafft hatte, eine Mannschaft, die auch schon über eine erneute CL-Teilnahme überglücklich gewesen wäre, zum unangefochtenen Meister zu machen.

  • Rudi Garcia RomaGetty Images

    Rudi Garcia: Gute Erinnerungen an die AS Rom

    Garcia konnte keinen Titel mehr gewinnen, seit er sich vor zwölf Jahren mit dem Double bei der OSC Lille einen Namen gemacht hatte. Seine Leistungen bei der AS Roma sollten jedoch nicht vergessen werden.

    Schnell führte er einen attraktiven Spielstil bei den Giallorossi ein und gewann zehn Spiele in Folge. 85 Punkte reichen normalerweise zur Meisterschaft - doch Contes Juventus kam ihm in die Quere.

    Nach dem 2:0-Sieg gegen Lazio im September 2013 - nur vier Monate nach der verheerenden Derbyniederlage im Finale der Coppa Italia - erklärte Garcia stolz: "Wir haben die Kirche wieder zurückgebracht: Wir haben die Kirche wieder ins Zentrum des Dorfes gestellt."

    Und als die Roma im darauffolgenden Jahr Juventus Turin mit 3:2 besiegte, machte Garcia seine berüchtigte "Geigen"-Geste in Richtung des Schiedsrichters Gianluca Rocchi - womit er andeutete, dass die Offiziellen gegen die Bianconeri oft das gleiche Lied singen.

    "Wir waren in Führung, dann erzielte Juve den Ausgleichstreffer, aber es gab ein Foul an Medhi Benatia", sagte er dem Corriere dello Sport. "Es war eine instinktive Geste. Ich habe immer die Vereine verteidigt, die ich trainiert habe. In diesem Fall konnte ich die große Ungerechtigkeit nicht unterstützen."

    Im darauffolgenden Jahr wurde die Roma erneut Zweiter hinter Juve, bevor die Dinge zu kippen begannen. Im Januar 2016 wurde Garcia entlassen und zufälligerweise von Spalletti abgelöst - dem Mann, den er jetzt bei Napoli ersetzt. Den Roma-Fans bleibt er jedoch in bester Erinnerung - nicht nur wegen seines Spielstils, sondern auch wegen seiner leidenschaftlichen Persönlichkeit.

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    SSC Neapel: Aurelio De Laurentiis' Gründe

    Eine solch starke Anti-Juve-Stimmung wird in Neapel sicher gut ankommen. Und Garcias frühere Vorliebe für eine 4-3-3-Formation bedeutet, dass es keine großen taktischen Umwälzungen geben wird. Denn in der abgelaufenen Saison spielte die SSC ebenfalls mit diesem System - wenngleich Garcias Mannschaften tendenziell weniger Ballbesitz haben als die von Spalletti.

    Sicherlich war die Formation ein wichtiger Faktor bei De Laurentiis Entscheidung, die auch von einer positiven Meinung des Filmproduzenten und Roma-Fans Carlo Verdone beeinflusst worden sein soll.

    De Laurentiis sagte, es sei "eine Freude" gewesen, Garcia als neuen Trainer anzukündigen, "nachdem ich ihn in den letzten zehn Tagen kennengelernt und Zeit mit ihm verbracht habe".

    Das ist wirklich bezeichnend, denn es war das Scheitern der Beziehung zwischen De Laurentiis und Spalletti, das zu dessen schockierendem Abgang nur wenige Tage nach Napolis erstem Scudetto-Erfolg seit 33 Jahren geführt hatte.

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    SSC Neapel: "Ich danke Gott für den Porompompero"

    Dennoch ist die Aufgabe, die auf Garcia wartet, nicht zu unterschätzen. Zumal der wichtige Innenverteidiger Kim Min-jae wohl im Sommer gehen wird und die Spekulationen über die Zukunft von Stürmerstar Victor Osimhen nicht abreißen.

    Nach der größten Party in Neapel seit mehr als drei Jahrzehnten fühlen sich die Fans ein wenig deprimiert. Verständlicherweise waren sie der Meinung, dass der frischgebackene italienische Meister in der Lage sein sollte, einen der besten Trainer Europas zu verpflichten. Stattdessen haben sie einen Namen bekommen, der nicht einmal bei den jüngsten Spekulationen über den nächsten Trainer von PSG, Chelsea oder sogar den Spurs auftauchte.

    Garcias jüngste Bilanz ist unbestreitbar besorgniserregend. Aber man darf nicht vergessen, dass er 2018 mit Olympique Marseille ins Finale der Europa League kam und mit Olympique Lyon vor drei Jahren das Halbfinale der Champions League erreichte und dabei Manchester City besiegte.

    Und wenn die Napoli-Fans nach einem Funken Hoffnung suchen, sollten sie daran denken, dass De Rossi sechs Monate nach seiner Google-Suche begeistert war: "Ich danke Gott, dass wir 'Porompompero' bekommen haben! Mit jemandem wie ihm kann man gewinnen."