Was mag sich Sir Alex Ferguson am Mittwochabend gedacht haben, als er auf der Ehrentribüne des San Mames von Bilbao das miserable Endspiel der Europa League zwischen Manchester United und Tottenham Hotspur (0:1) mit teils versteinerter Miene anschaute?
Getty/GOALManchester United ist verloren! Der einst beste Verein der Welt ist endgültig kein Spitzenklub mehr
Getty ImagesManchester United verlor das fünfte seiner letzten sechs europäischen Endspiele
Da saß Uniteds Trainerlegende neben dem vermeintlichen Klubretter Sir Jim Ratcliffe, der so viele Hoffnungen schon enttäuscht hat, und Avram Glazer, einem der Totengräber des einst besten Vereins der Welt. Ferguson erlebte hautnah, wie die Red Devils das fünfte ihrer vergangenen sechs Endspiele im Europapokal verloren. Die Art und Weise war schockierend.
Über den Niedergang Uniteds ist zu Recht so viel geschrieben worden in den vergangenen Jahren. Über die Übernahme des Klubs durch die Glazer-Familie und die hunderte von Millionen Euro, welche sie seitdem aus dem Verein gezogen haben, um ironischerweise genau diese von den Fans abgelehnte Übernahme zu finanzieren. Über weitere hunderte Millionen Euro, die ein fußballerisch inkompetenter Vorstandsboss (Ed Woodward) auf dem Transfermarkt für mittelmäßige Spieler verprassen durfte. Über das völlige Verpassen des Anschlusses beim Thema Datenanalyse und Scouting sowie ein marodes Trainingszentrum. Über viele Trainerwechsel, die allesamt nichts brachten.
Es passt ins Bild, dass ausgerechnet vor diesem einen Spiel, das die verkorkste Saison noch halbwegs hätten retten können, bei ESPN ein brisanter Bericht erschien. Darin hieß es, Trainer Ruben Amorim sei kurz nach seinem Amtsantritt im November so desillusioniert gewesen, dass er schon nach zwei Monaten hinschmeißen wollte.
Getty Images SportWo war das echte Aufbäumen?
Und so wurde dieser Abend im Baskenland ein erneuter Tiefschlag für die Anhänger in rot. Wieder wurden zarte Hoffnungen auf eine bessere Zukunft von der sportlichen Realität zertrampelt. Einst bejubelten sie eine Ferguson-Mannschaft, die Spiele scheinbar allein mit ihrer Mentalität gewinnen konnte. Und wenn das nicht reichte, dann waren es die Fähigkeiten einer mit Weltklassespielern gespickten Mannschaft, der Ferguson über Jahre eine klare, attraktive Spielweise verordnet hatte.
Übrig ist davon rein gar nichts mehr. Gegen einen Kontrahenten, der gar historisch schwache Werte in EL-Endspielen bei Torschüssen (3), Pässen (115) und Ballbesitz (27,7 Prozent) aufwies, bekam die Mannschaft des bedauernswerten Amorim gar nichts auf die Kette. Der Siegtreffer der Spurs mag aus United-Sicht unglücklich zustande gekommen sein. Aber wo war das echte Aufbäumen? Wo war das Anrennen? Wo war der absolute Wille, dieses Finale zu gewinnen und nächstes Jahr in der Champions League zu spielen?
Stattdessen segelte eine Halbfeldflanke nach der anderen in den Strafraum, in dem die Hünen Cristian Romero und Micky van der Ven die absolute Lufthoheit hatten. Amorim konnte noch so viel in seiner Coaching Zone gestikulieren, spielerisch war das ein Armutszeugnis und verdiente den Sieg auch nicht.
Getty Images SportDieses Manchester United ist verloren!
Dieses United ist verloren! Es fehlt an Klasse, Einstellung, einem klaren Spielstil und echten Anführern. Tabellenplatz 16 in der Premier League spiegelt den Leistungsstand der Mannschaft ziemlich gut wider. Jeder Fan, der gehofft hatte, im EL-Finale könnte ein kleines bisschen "alte Zeit" wieder hergestellt und mit der Teilnahme an der Königsklasse endlich eine bessere Zukunft eingeläutet werden, der wurde jäh aus seinen Träumen gerissen.
Stattdessen ist klar: Die Zeiten, in denen man ManUnited ernsthaft als Spitzenklub betrachten konnte, sind endgültig vorbei. Wer hätte das im Sommer 2013 gedacht? Der damals scheidende Sir Alex Ferguson sicher nicht.

