"Ich musste ein paar SMS verschicken, um sicherzugehen, dass ich nicht verarscht werde": Thomas Tuchels 32 Jahre alter Überraschungsmann war selbst überrascht

Die Krönung der zweifellos spektakulärsten Woche in Burns knapp 14-jähriger Profi-Karriere könnte am Freitag erfolgen, sollte er für die englische Nationalmannschaft gegen Albanien debütieren. Genau sieben Tage nach der erstmaligen Berufung in den Kader der Three Lions, was zugleich die Premiere des neuen Nationaltrainers Thomas Tuchel war.

"Ich hatte schon schlimmere Wochen", bilanzierte Burn die letzten Tage nach einem historischen Abend im Wembley-Stadion zunächst nüchtern, um dann mit jeder Silbe emotionaler zu werden. Wenige Minuten zuvor hatte er sein Team gegen den FC Liverpool im Ligapokal-Finale noch zur Führung geköpft und damit großen Anteil an Newcastles erstem Titel seit 69 (!) Jahren. "Als ich den Ball köpfte, wusste ich sofort, dass er reingeht. Ich habe nicht viele (Tore; Anm. d. Red.), also habe ich es wenigstens für einen großen Anlass aufgehoben. Ich fühle mich in diesem Moment seltsam. Es ist schwer in Worte zu fassen", ergänzte der 32-Jährige überglücklich.

Seine Freude brachte er auch mit einem von konfusen Bewegungen geprägten Tanz zum Ausdruck, der über Nacht endgültig zum viralen Hit in den Sozialen Medien und der englischen Presse wurde. Das vor allem durch das beliebte Videospiel "Fortnite" bekannte Zappeln hat sich der 2,01 Meter große Hüne schon länger zu Eigen gemacht. In Wembley packte er seinen als in Englands Boulevard bezeichneten "iconic dance" gleich zweimal aus: Inmitten eines Champagner-Regens in der Newcastle-Kabine und sogar gemeinsam mit dem beliebten TV-Experten Micah Richards. Zu lange Feiern wollte Burn aber nicht: "Ich werde morgen um 8 Uhr (beim England-Training; Anm. d. Red.) als Erster da sein."

Dabei hatte sich Burn zunächst gar keiner großen Beliebtheit erfreut, als Tuchel ihn für die ersten beiden Aufgaben von England in der WM-Qualifikation aus dem Hut gezaubert hatte. Ganz im Gegenteil. Während die Nominierung auf den gängigen Plattformen kontrovers diskutiert und teilweise belächelt wurde, bekam der ehemalige Trainer des FC Bayern München und BVB sein Fett weg.

Dass Burn auf der Liste von Tuchel auftauchte, hatte bei der daran gekoppelten Pressekonferenz auch zur Verwunderung der anwesenden Reporter geführt. "Ich war überrascht, dass Dan noch nie nominiert wurde. Er ist so ein großer Kerl, aber offensichtlich ist es trotzdem einfach, ihn zu übersehen", rechtfertigte sich der 51-Jährige und gestand: "Es wäre mir auch fast passiert."

Teil der scharfen Kritik am Kader war auch die Rückkehr von Jordan Henderson, der in den vergangenen Jahren in weiten Teilen Englands in Ungnade gefallen ist. Der Mittelfeldspieler und Burn haben laut Tuchel jedoch "jede Chance, bei der WM mit dabei zu sein". Die Reaktion am Telefon habe zudem gezeigt, "dass man die richtigen Spieler nominiert hat".

Insbesondere das Gespräch mit Burn habe Tuchel "beeindruckt", wie er auf dem YouTube-Kanal der englischen Nationalmannschaft verriet: "Mit sehr beeindruckenden Botschaften, die mich bei dieser Berufung sehr zuversichtlich gemacht haben, dass wir einen Spitzenspieler ausgewählt haben, der uns helfen wird, das richtige Team aufzubauen." Aber auch sportlich ist Tuchels Meinung von Burn hoch: "Er ist ein sehr solider Verteidiger und ein Anführer der Gruppe."

Dass Burn der Nationalmannschaft auch als Torschütze hilfreich sein wird, ist derweil mehr als unrealistisch. Gegen Liverpool tauchte er erstmals seit Dezember 2023 wieder auf einer Anzeigetafel auf. Durchaus ein Zufallsprodukt, wie Trainer Eddie Howe im Anschluss mit einem fetten Grinsen durchklingen ließ: "Dan wird der Erste sein, der zugibt, dass er so etwas nicht trainiert hat."

Mindestens genauso wichtig war aber Burns' Anteil daran, dass Liverpools spektakulärer Angriff um Ausnahmespieler Mohamed Salah über weite Strecken wirkungslos blieb. Lediglich zwei Torschüsse gaben die Reds ab, wovon einer zum letztlich unbedeutenden 1:2 in der Nachspielzeit führte. Burn gewann sieben seiner neun Zweikämpfe, klärte den Ball elfmal aus der Gefahrenzone und gewann trotz seiner Körpergröße sogar sechs von sieben Laufduellen. "Alle Spieler waren großartig, aber besonders er. Er war ein Koloss", lobte Howe. Torjäger Alexander Isak schwärmte: "Er war brillant. Er legt den Grundstein dafür, dass wir Leistung bringen können."

Gute Leistungen zeigt Burn schon über einen längeren Zeitraum. Im Vergleich mit den ebenfalls nominierten Innenverteidigern Marc Guéhi (Crystal Palace), Ezri Konsa (Aston Villa) und Levi Colwill (FC Chelsea) braucht er sich keineswegs zu verstecken. In Sachen Zweikampfstärke (rund 60 Prozent) und Passspiel (90 Prozent) liegt er in dieser Spielzeit im internen Ranking auf Platz drei bzw. zwei. In der Luft macht ihm hingegen keiner etwas vor. Die Chancen auf einen Einsatz gegen Albanien oder Lettland (24. März) stehen gut, wodurch Burn nebenbei zum zweitältesten Debütanten der englischen Nationalmannschaft seit 1950 avancieren würde. Älter war nur Kevin Davies, der 2010 im Alter von 33 Jahren erstmals das Trikot der Three Lions trug.

Dabei liegt ein mehr als steiniger Weg hinter Burn. Den größten Rückschlag musste er bereits im Alter von elf Jahren einstecken, als ihn ausgerechnet sein heutiger Arbeitgeber Newcastle United vom Hof jagte. Von dem vorläufigen Ende bei seinem Kindheitsverein erfuhr er ausgerechnet während der Weihnachtstage. Weil er jahrelang bei englischen Amateurvereinen spielte, finanzierte Burn seinen Traum vom Profi-Fußball mit einem Nebenjob bei der britischen Supermarktkette "Asda".

Keine zwei Jahre nach seinem Aus in Newcastle verlor er auch noch seinen Ringfinger an der rechten Hand. Laut der englischen Presselandschaft die Folge eines grausamen Missgeschicks, weil sich ein Ring an besagtem Finger in einem Zaun verfing, als er über diesen klettern wollte und sich diesen fast vollständig abriss. Der nächste Schicksalsschlag.

Nach langer Leidenszeit bekam Burn im Alter von 18 Jahren eine zweite Chance, als ihn der FC Fulham 2011 vom damaligen Fünftligisten FC Darlington verpflichtete. Auf sein Debüt in der Premier League wartete er dennoch knapp drei Jahre. Über Brighton & Hove Albion kehrte er im Januar 2022 für die stattliche Ablösesumme von 15 Millionen Euro schließlich nach Newcastle zurück. Dementsprechend bodenständig präsentiert sich Burn in diesen Tagen. "Ich glaube, nicht viele Leute, die mich in Darlington haben spielen sehen, würden sagen, dass ich hier sitzen und eine Pressekonferenz für England geben würde", sagte er am Dienstag.

Burn hatte sich bei Tuchels erster Kontaktaufnahme zunächst vergewissern müssen, dass er nicht Opfer eines Scherzes geworden war. "Ich musste ein paar SMS verschicken, um sicherzugehen, dass ich nicht verarscht werde oder so", sagte er im Gespräch mit der Sun. Ein Videotelefonat räumte die letzten Zweifel aus dem Weg: "Ich habe versucht, nicht hinzuschauen, nur für den Fall, dass er es nicht war." Nach der Kader-Bekanntgabe wusste sich Burn dann nicht mehr vor Nachrichten zu retten: "Ich habe keine sozialen Medien, aber ich habe die gleiche Nummer, seit ich 16 bin, also kannst du dir nicht vorstellen, wie viele ich bekommen habe."

Womöglich kommen schon bald weitere Glückwünsche hinzu, wenn Burn den nächsten Meilenstein seiner turbulenten Laufbahn erreicht.