Der größte Gewinner von Tuchels erstem Spiel war Thomas Müller - und das eben nicht nur wegen seiner zwei Tore. Sondern weil der Fährtensucher Müller in Tuchels Spielstil unbedingt gewollt ist. Tuchel sieht Müllers Stärken vor allem "hinter einer oder zwei Spitzen", wie er vor dem Anpfiff bei Sky erklärte. Von dort durfte Müller im Grunde machen, was er wollte. Und das tat er. Müller gab den Taktgeber und Spielgestalter in der Offensive.
Nominell im offensiven Mittelfeld aufgestellt, agierte er gegen den BVB realtaktisch durchschnittlich sogar näher am Tor von Gregor Kobel als Sturmspitze Eric Maxim Choupo-Moting. Seine zwei Tore, einmal mit dem Schenkel, einmal per Abstauber, bezeichnete Müller bei Sky selbst als "Stürmertore, bei denen man da sein muss. Es war zweimal gut reagiert und gut gemacht."
Jamal Musiala, der nach seiner Verletzung noch Trainingsrückstand hatte und erst in der 79. Minute eingewechselt wurde, scheint nun plötzlich in der Rolle des Herausforderers. Das auch, weil Tuchel gerne mit zwei Flügelspielern agiert, die auch wirklich auf den Flügeln bleiben und nicht wie zuvor bei Nagelsmann oft ins Zentrum rücken; das macht die Position für Musiala schwerer bespielbar. Außerdem belässt Tuchel ganz allgemein bei eigenem Ballbesitz gerne fünf Spieler in der Verteidigung. Unter Nagelsmann durften oftmals sechs Spieler angreifen.
Dadurch dürfte aber in der Aufstellung nur Platz sein für Musiala oder Müller. Vor allem, wenn die gelernten Flügelspieler weiter so überzeugen wie gegen den BVB. Kingsley Coman spielt ohnehin eine starke Saison, gegen den BVB war aber sein Konterpart auf rechts noch auffälliger: Leroy Sané.
Der zuletzt oft wegen allem Möglichen kritisierte 27-Jährige war gegen den BVB immer anspielbar, er spulte ein großes Pensum ab und das mit einer sichtlichen Freude am Spiel. Die verdiente Ausbeute: ein echter und zudem sehr hübscher Assist für Kingsley Comans 4:0, dazu zwei entscheidende Beteiligungen an zwei weiteren Toren.
Tuchel bremst Euphorie um Sané etwas
Beim 1:0 dürfte er mit seinem Sprint BVB-Keeper Gregor Kobel vor dessen Slapstick-Einlage zumindest ein bisschen irritiert haben, vor dem 3:0 zwang er Kobel durch seinen platzierten Schuss zum fatalen Abpraller nach vorne auf den Torschützen Müller. Fast noch wichtiger: Vor seinem vehementen Sprint ins Zentrum und seinem platzierten Abschluss eroberte Sané auch noch selbst den Ball von Dortmunds Außenverteidiger Julian Ryerson.
"Leroy ist ein exzellenter Fußballer und sicherlich einer der Besten, den wir in Europa haben, wenn er das, was er kann, auf den Platz bringt. Und heute hat man das gesehen", lobte Bayerns Präsident Herbert Hainer.
Tuchel bremste die Euphorie um Sané etwas: "Ich glaube, dass er, genauso wie der Rest der Mannschaft, heute Licht und Schatten hatte. Er hat auch sehr nervös, mit zwei, drei technischen Fehlern begonnen. Es gibt für alle Luft nach oben, das gilt für ihn genauso", sagte Tuchel, der die vielen Fragen nach Sané seit seines Amtsantritts als "unangemessen" bezeichnete. Allerdings stellte Tuchel fest: "Er ist in einem Alter, in dem sich die Weichen gnadenlos stellen. Es liegt hauptsächlich an ihm, das komplett auszuschöpfen, und wir werden ihn dabei unterstützen."
Gegen den BVB stellte Sané auch durch seine Bereitschaft, in der Defensive auszuhelfen, die Weichen schon mal in die richtige Richtung. Er dürfte sich für weitere Auftritte empfohlen haben. Zumal der eingewechselte Sadio Mané, den Tuchel auch eher als Flügelstürmer sieht, wieder einmal nur schwer ins Spiel fand. Und Serge Gnabry, ebenfalls eingewechselt, verursachte nach rund zehn Minuten auf dem Platz mit einem ebenso übereifrigen wie überflüssigen Einsteigen gegen Jude Bellingham im Strafraum den Elfmeter, den Emre Can zum 1:4 verwandelte. Später lupfte Gnabry zwar sehenswert ins Dortmunder Tor, allerdings aus einer Abseitsposition.