Paulo Dybala Roma 2025Getty Images

Erinnerungen an eine legendäre Mannschaft werden wach: Plötzlich ist die Roma in der Serie A ein Titelkandidat - und ihr neuer Trainer könnte unsterblich werden

Wie wichtig ein Trainer ist, merkt man manchmal erst, wenn er weg ist. Als Gian Piero Gasperini (67) im Sommer die Kleinstadt Bergamo nach neun erfolgreichen Jahren verließ und sich dem Hauptstadtklub AS Rom anschloss, hatte er Atalanta gerade mal wieder auf Platz drei und zum fünften Mal in die Champions League geführt. Obwohl der Klub Leistungsträger wie Ademola Lookman und Ederson halten konnte, ist er nun wieder dort, wo er vor Gasperinis Ankunft war: auf Platz 13, im grauen Tabellenmittelfeld der Serie A. Und Nachfolger Ivan Juric, von dem sich die Verantwortlichen erhofft hatten, als eine Art "Gasperini-Kopie" den Stil seines Vorgängers fortzuführen, wurde bereits entlassen. Raffaele Palladino, ebenfalls ein ehemaliger Gasperini-Schüler, konnte gegen Eintracht Frankfurt immerhin mal wieder ein Erfolgserlebnis feiern. Doch der Lehrmeister wird in Bergamo schon jetzt schmerzlich vermisst.

Gut 600 Kilometer südlich ist stattdessen der gegenteilige Effekt zu beobachten: Die in den vergangenen Spielzeiten sehr wankelmütige Roma ist nach zwölf Spieltagen alleiniger Tabellenführer der Serie A. Das gab es seit elf Jahren nicht, als das Team um die Vereins-Legenden Francesco Totti und Daniele de Rossi sowie Mittelfeld-Stars wie Radja Nainggolan und Miralem Pjanic noch unbestritten zu den besten Teams der Liga zählte.

  • Noch ist der Aufschwung mit Vorsicht zu genießen. In der Spitzengruppe der Serie A geht es eng zu, gleich fünf Klubs (außerdem noch AC Mailand, SSC Neapel, Inter Mailand, FC Bologna) haben zwischen 27 und 24 Punkten auf dem Konto, und die Roma hat zwar schon neunmal gewonnen, musste aber auch bereits drei Niederlagen einstecken. Dennoch ist es überraschend, dass der Hauptstadtklub, der am Sonntag im ausverkauften Stadio Olimpico Meister und Verfolger SSC Neapel empfängt, diese Spitzengruppe anführt. 

    Die Champions-League-Qualifikation scheint realistisch zu sein, und selbst als Titelanwärter wird die Roma plötzlich gehandelt. Trainer-Legende Fabio Capello, der 2001 mit den Giallorossi den dritten und bisher letzten Scudetto der Vereinsgeschichte gewann, sagt bei Sky sogar: "Die Roma von Gasperini scheint einen ähnlichen Charakter zu haben wie meine Mannschaft damals."

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  • Bryan Cristante RomaGetty Images

    Nur wenige große Namen im Kader und keine namhaften Neuzugänge

    Dabei ist der Kader nicht unbedingt gespickt mit großen Namen. Im Tor steht der international eher unbekannte Serbe Mile Svilar (26), in der Abwehr Gianluca Mancini (30) und der Ex-Frankfurter Evan Ndicka (26), im Mittelfeld Bryan Cristante (30), Lorenzo Pellegrini (29) oder der Ex-Gladbacher Manu Kone (24), vorne wirbeln der oft verletzte Argentinier Paolo Dybala (32), sein talentierter, aber noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung angelangter Landsmann Matias Soule (22, mit nur vier Treffern bester Torschütze) oder Routinier Stephan El Sharaawy (33). Die einzigen echten Mittelstürmer im Kader sind der Ukrainer Artem Dovbyk (28, bisher zwei Saisontore) und der Ire Evan Ferguson (21), der beim 3:1-Sieg gegen US Cremonese zuletzt sein erstes Tor seit über einem Jahr erzielte. Namhaftester Sommerneuzugang war der brasilianische Schienenspieler Wesley (22, kam von Flamengo).

    Man muss nicht allzu lange herumrätseln, um zu dem Schluss zu kommen: Daran, dass diese Gruppe so gut dasteht, hat der Trainer einen großen Anteil. Dessen Spezialität war es schließlich schon in Bergamo, vermeintlich mittelmäßige Spieler zu Höchstleistungen zu bringen. Davon können etwa Robin Gosens oder der bei anderen Klubs wie RB Leipzig nie richtig angekommene Ademola Lookman ein Lied singen. Kapitän Bryan Cristante spielte schon bei Atalanta unter Gasperini. Er sagt im Sky-Interview vor dem Europa-League-Spiel gegen den FC Midtjylland: "Er weiß alles über die einzelnen Spieler und wie man sie dazu bringt, ihre bestmögliche Leistung abzurufen. Jeder, den er in die Hände bekommt, macht den nächsten Schritt."

  • Gasperini hat klare Vorstellungen von Fußball

    Gasperini gilt als sehr fordernder Trainer, der gerne lang und intensiv trainieren lässt. Nicht unbedingt als Freund der Spieler – mit einigen, wie etwa Alejandro "Papu" Gomez überwarf er sich auch –, aber eben als "Bessermacher". Dabei hat er klare Vorstellungen von Fußball und mit 3-4-2-1 ein Lieblingssystem. Schon als Jugendtrainer bei Juventus in den Neunzigern ließ er mit Dreierkette spielen. Daran hielt er fast seine komplette Karriere über, ob beim Zweitligisten Crotone Anfang der 2000er oder später beim CFC Genua (2006 bis 2010, 2013 bis 2016), fest. Er verhalf dem inzwischen von vielen Teams – auch dem FC Bayern – praktizierten mannorientierten Verteidigen über den gesamten Platz zu einer Renaissance und stellte mit Atalanta mehrfach die beste Offensive der Serie A.

    Ob dies aber auch bei einem der "Großen" funktionieren würde, hatte der eine oder andere Experte durchaus in Zweifel gezogen. Wie bei allen langjährigen Trainern eines eher kleineren Klubs – siehe Christian Streich beim SC Freiburg oder aktuell Frank Schmidt beim FC Heidenheim – haftete auch dem Ehrenbürger der Stadt Bergamo der Ruf an, nur an diesem Standort erfolgreich sein zu können. Dazu trug das desaströse Intermezzo bei Inter Mailand 2011 seinen Teil bei, als ihn der damalige Vereinspräsident Massimo Moratti nach nur einem Punkt aus den ersten fünf Pflichtspielen kurzerhand – und im Nachhinein wohl ziemlich überhastet – rauswarf.

  • Atalanta v AS Roma - Serie AGetty Images Sport

    Keine Mannschaft in Europa hat weniger Gegentore kassiert als die Roma

    Das aber ist inzwischen 14 Jahre her, und nun hat Gasperini im Alter von 67 Jahren noch einmal eine neue Herausforderung gewagt. Raus aus dem beschaulichen Bergamo, rein in die Metropole, wo Derby-Siege wie Titelgewinne gefeiert werden und nach Niederlagen die Welt unterzugehen scheint. Eingefädelt hat den Transfer mit Claudio Ranieri (74) eine italienische Trainer-Legende. Der gebürtige Römer hatte seinen Herzensklub nach katastrophalem Saisonstart 2024/25 noch bis auf Rang fünf geführt und parallel seinen Nachfolger ausgesucht. 

    Bis jetzt scheint die Rechnung aufzugehen. Auch wenn Gasperinis Mannschaft bisher noch wenig Ähnlichkeit mit seinem Ex-Klub, dem Europa-League-Sieger von 2024, hat. Der stets für die Offensivstärke seines Teams gerühmte Coach, dessen Atalanta vor einiger Zeit vom Guardian als "eine der unterhaltsamsten Mannschaften Europas" gerühmt wurde, kann sich bisher vor allem auf eine starke Defensive verlassen. 

    15 Tore in zwölf Spielen bedeuten gerade mal Platz sieben in der Serie-A-Tabelle. Sechs Gegentreffer dagegen sind absoluter Spitzenwert - nicht nur in Italien, sondern auch in den europäischen Top-Ligen. Lediglich der FC Arsenal hat national bisher ebenso wenige Gegentore kassiert. Ex-Roma-Verteidiger Sebastiano Nela sagte zuletzt gegenüber der Zeitung Il Giornale: "Die Roma ist inzwischen sehr stabil hinten, auch wenn sie im Offensivspiel noch nicht 'gasperinisch' ist." Schon viermal, unter anderem im Derby gegen Lazio, gewann die Mannschaft eher mühsam mit 1:0. Womöglich auch, weil Gasperini einen Horror-Start wie einst bei Inter um jeden Preis vermeiden wollte.

  • Langsam kommt auch die Offensive ins Rollen

    Inzwischen aber scheint das Team sich auch im Angriff langsam besser zu finden. "Die Mannschaft spielt jetzt mit mehr Selbstsicherheit. Wenn wir in die Nähe des gegnerischen Tores kommen, kreieren wir mehr Torchancen", sagte Gasperini nach dem 3:1-Erfolg gegen US Cremonese am vergangenen Wochenende. 

    Einen weiteren Schritt in Richtung des großen Meister-Traums könnte das Team am Sonntag gegen Napoli machen, wo aktuell deutlich mehr Unruhe herrscht – dann allerdings ohne ihren Trainer. Der sah nämlich am vergangenen Wochenende wegen Protesten gegenüber dem Vierten Offiziellen Rot und muss die Partie von der Tribüne aus verfolgen.

    Fest steht: Sollte Gasperini die Roma tatsächlich zur Meisterschaft führen, würde er sich in Rom unsterblich machen. Das muss ja nicht schon in seiner ersten Saison sein. Der 67-Jährige ist schließlich eher jemand für langfristige Projekte.