Antonio Conte Napoli GFXGetty/GOAL

"Keine Chemie, kein Wille zu kämpfen!" Droht der SSC Neapel ein spektakuläres Trainerbeben nach der Meisterschaft?

24. Mai 2025: Napoli feiert den Meistertitel in der Serie A ausgelassen mit seinen frenetischen Anhängern. Auch und vor allem dank Starcoach Antonio Conte, der die SSC erst im Sommer 2024 ohne großes Budget übernommen hatte. Nur ein halbes Jahr später droht die Stimmung am Vesuv erneut überzukochen - diesmal jedoch im negativen Sinne. Neapel befindet sich in einer sehr engen italienischen Liga zwar nur zwei Punkte hinter Tabellenführer Inter Mailand, das man vor wenigen Wochen noch 3:1 schlug.

Doch nach drei Spielen ohne eigenen Treffer schimpfte der 56-jährige Conte vor der Länderspielpause über "keine Chemie und keine Lust zu kämpfen", deutete an, dass ihm einige Spieler nicht zuhören würden und beklagte "zu viele Transfers". Nun sind solche Ausbrüche nichts Neues bei Conte - das große Lamento beherrschte der apulische Trainer schon immer. Schmeißt der heißblütige Coach bei einer Niederlage am Samstag im Topspiel gegen Atalanta Bergamo plötzlich hin? GOAL analysiert, warum die sportlich ordentliche Lage bei Conte Krisen-Stimmung auslöst.

  • Napoli v Cagliari - Serie AGetty Images Sport

    Napolis Scudetto war sein Meisterstück: "Conte hat der ganzen Welt gezeigt, dass Systeme nutzlos sind"

    Conte liebt es, Kontroversen anzuzetteln. Der für seine hitzige Art bekannte Trainer hat sich wiederholt mit seinen Arbeitgebern überworfen – meist wegen einer seiner Meinung nach zu zurückhaltenden Transferpolitik. Seine legendäre Anklage bei Juventus, dass "man mit 10 Euro in der Tasche nicht in einem 100-Euro-Restaurant essen kann", ist mittlerweile Teil des italienischen Fußballjargons geworden. Bei Tottenham Hotspur zerlegte er öffentlich gleich den gesamten Verein.

    So kam es nicht überraschend, als er im Sommer 2024 vor seinem ersten Pflichtspiel als Napoli-Trainer über fehlende Transfers klagte. In diesem speziellen Fall hatte Conte tatsächlich auch Grund zur Beschwerde, da Star-Stürmer Victor Osimhen erst sehr spät ersetzt wurde. 

    Der ebenso offenherzige Präsident von Napoli, Aurelio De Laurentiis, räumte ein, dass der Scudetto-Erfolg der letzten Saison umso bemerkenswerter war, da Conte aus finanziellen Gründen mitten in der Meisterschaftssaison im Januar auch noch den Verkauf von Khvicha Kvaratskhelia an Paris Saint-Germain verkraften musste: "Er hat es trotz Zwischenfällen und Verletzungen geschafft, mit dem auszukommen, was er hatte, und dabei nicht nur ein, sondern vier oder fünf verschiedene taktische Systeme eingesetzt", schwärmte De Laurentiis bei der Titelparade im Mai 2025. "Conte hat der ganzen Welt gezeigt, dass Systeme nutzlos sind und dass man nur ein tiefes Verständnis dafür braucht, was Fußball wirklich bedeutet. Deshalb bitte ich um Applaus für ihn, der uns zum zweiten Scudetto in drei Jahren geführt hat. Danke, danke, danke!"

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  • Napoli v SS Lazio - Serie AGetty Images Sport

    Conte beklagt Transferpolitik Napolis: "Es gab Fehler"

    In derselben Rede, in der De Laurentiis sich bei Conte bedankte, wünschte er ihm jedoch auch "weiterhin viel Erfolg in seiner beruflichen Laufbahn" – was die Gerüchte anheizte, dass Conte direkt nach der Meisterschaft gehen und zu Juventus Turin zurückkehren könnte. Nach einem klärenden Gespräch zwischen dem Präsidenten und dem Trainer blieb Conte jedoch.

    "Ich denke, jeder weiß, was im Januar passiert ist", sagte Conte imJuni 2025 bei Sky Sport Italia . "Während der Saison gab es einige Dinge, die mich nicht wirklich glücklich gemacht haben. Neue Spieler kamen erst in der letzten Woche [der Sommertransferperiode]: (Scott) McTominay, (Billy) Gilmour, (David) Neres und (Romelu) Lukaku. Ehrlich gesagt, hat mir das nicht gefallen." Der Italiener führte aus: "Aber ich glaube, ich habe die Situation gut akzeptiert und meinen Spielern und mir selbst keine Ausreden geliefert. Wenn man einen Vertrag unterschreibt, hat man Ehren und Pflichten. Aber als wir miteinander sprachen, gaben sie zu, dass es Fehler gegeben hatte. Solche Dinge können jedoch im ersten Jahr einer Ehe passieren, und nachdem ich in bestimmten Punkten beruhigt worden war, einigten wir uns darauf, weiterzumachen. Und jetzt müssen wir den Scudetto verteidigen."

  • Manchester City v SSC Napoli - UEFA Champions League 2025/26 League Phase MD1Getty Images Sport

    Conte paradox: Plötzlich sind es ihm zu viele neue Spieler

    In der Folge hat Napoli seinem divenhaften Coach im Sommer so ziemlich alles gegeben, was er wollte - und acht Spieler für insgesamt rund 200 Millionen Euro (unter Berücksichtigung der obligatorischen Gebühren) verpflichtet. Zudem kam der ablösefreie Kevin De Bruyne, der in der Gehaltsliste den zweiten Platz hinter Lukaku einnahm. Für die Serie A war dies eine kolossale Ausgabenorgie – und dennoch klagte Conte zuletzt über seine Spieler.

    "Letztes Jahr haben wir eine Meisterschaft gewonnen, in der die Spieler bis an ihre Grenzen gegangen sind. Wir waren in jeder Hinsicht ein eingeschweißtes Team", sagte Conte nach der schockierenden 2:6-Niederlage in der Champions League bei der PSV Eindhoven im Interview mit Sky und klagte plötzlich über zu viele neue Spieler. "Meiner Meinung nach sind neun neue Spieler zu viel. Wir haben viele Spieler verpflichtet, weil wir dazu gezwungen waren. Wir haben versucht, die Mannschaft zu verstärken, aber das braucht Zeit und Geduld. Neun neue Spieler in die Umkleidekabine zu holen, ist nicht einfach. Die alten Hasen, ich selbst und die Spieler aus dem letzten Jahr müssen unser Spiel verbessern und wieder zu einer Einheit finden."

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    De Bruyne fehlt Napoli schmerzlich

    Napoli gewann vier Tage nach der Blamage in Eindhoven zwar gegen Inter Mailand (3:1) und schien wieder zu seiner alten Form zurückgefunden zu haben - doch danach fehlte es in der Offensive an Kreativität und die Tore blieben aus. Die Ausfälle von Romelu Lukaku und De Bruyne aufgrund einer schweren Oberschenkelverletzung, die sich Letzterer beim Elfmeter gegen Inter zuzog, haben Napoli erheblich geschwächt. Doch auch ohne den Belgier müssten Rasmus Höjlund und sein Ersatz Lorenzo Lucca eigentlich mehr Tore schießen. So blieb Napoli in den drei Spielen vor der Länderspielpause gegen Como (0:0), Eintracht Frankfurt (0:0) und den FC Bologna (0:2) dreimal in Folge torlos.

    Was Conte wirklich beunruhigt, ist die Arbeitsmoral seiner Mannschaft. Die offensichtliche Erklärung dafür ist, dass die Mannschaft, die in der letzten Saison nicht am Europapokal teilnahm, mit der hohen Belastung zu kämpfen hat. Einige Fans und Experten geben jedoch Conte die Schuld dafür.

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    Verlangt Antonio Conte zu viel?

    Bei all den nationalen Erfolgen wurde erneut darauf hingewiesen, dass Conte international eine eher verheerende Bilanz hat. In 46 CL-Spielen holte er im Schnitt nur 1,37 Punkte pro Partie - vielleicht, weil der Italiener seinen Spielern zu viel abverlangt. Aus genau diesem Grund sorgte Branislav Jasurek, der Agent des Mittelfeldspielers Stanislav Lobotka von Napoli, in Italien für Schlagzeilen, als er in einem slowakischen Podcast erklärte, sein Klient sei möglicherweise körperlich nicht in der Lage, seinen Vertrag bis zum Ende zu erfüllen: "Was Conte verlangt, ist brutal anspruchsvoll", sagte Jasurek. Contes Laufanforderungen seien unerreicht. 

    Jasurek betonte später, dass seine Äußerungen scherzhaft gemeint waren, aber viele andere Beobachter glauben, dass Contes Zurückhaltung bei der Rotation seiner Schlüsselspieler ein ernstes Problem darstellt. Darüber hinaus wurde Conte von Noah Lang, der seit seinem Wechsel von der PSV im Sommer für 25 Millionen Euro nur einmal in der Startelf stand, als schlechter Kommunikator bezeichnet: "Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll", sagte der Flügelspieler zu Pickx Sports, nachdem Napoli im Philips Stadion von seinem ehemaligen Verein vernichtend geschlagen worden war. "Ich trainiere hart. Ich spreche nicht sehr oft mit ihm (Conte). Ich glaube, ich habe einmal mit ihm gesprochen. Aber es ist besser, nichts zu sagen. Ich habe keine andere Wahl. Ich habe hier einen Vertrag unterschrieben, also muss ich die Situation so akzeptieren, wie sie gerade ist." Das könnte sich jedoch sehr bald ändern.

  • Bologna FC 1909 v SSC Napoli - Serie AGetty Images Sport

    "Herztransplantationen kommen nicht in Frage"

    Nach zwei leblosen Auftritten gegen Como und Frankfurt forderte Conte seine Spieler auf, ihre Saison durch einen Sieg gegen Bologna kurz vor der Länderspielpause wiederzubeleben. Nachdem er jedoch mit ansehen musste, wie Napoli im Dall'Ara-Stadion eine 0:2-Niederlage hinnehmen musste und damit in der Serie A von Platz eins auf Platz vier abrutschte, erklärte er, dass er nicht vorhabe für den Rest der Saison "eine Leiche zu begleiten".

    "Eine Herztransplantation kommt nicht in Frage", sagte Conte zu DAZN. "Jeder von uns muss seinen Kampfgeist und seine Entschlossenheit wiederfinden. Wir brauchen in allen Bereichen mehr Energie. Enttäuschend ist, dass sie mehr Positivität und Ehrgeiz gezeigt haben als wir, und das sollte uns zu denken geben. Es ist die fünfte Niederlage, die wir in dieser Saison hinnehmen mussten."

    Der Italiener führte aus: "Ich werde mit dem Verein sprechen. Drei oder vier Monate sind vergangen, und es gibt keine Chemie, keinen Willen, gemeinsam zu kämpfen. Ich weiß nicht, ob wir die Situation ändern können. Es ist eine Sache, über das Spielfeld, die Technik und die Taktik zu sprechen, aber wenn man andere Dinge sieht, tut es mir leid, aber das bedeutet, dass ich meine Arbeit nicht gut mache. Oder dass jemand mir nicht zuhören will ..."

    De Laurentiis wies Gerüchte über einen Abgang Contes als "Unsinn" zurück und behauptete, dass "zwischen mir und Conte immer eine besondere Harmonie bestanden hat, die Männer verbindet, die die drei Cs verkörpern: Charakter, Kompetenz und Courage."

    Conte reiste während der Länderspielpause nach Turin, um eine Woche mit seiner Familie zu verbringen, während sein Assistent Cristian Stellini das Training übernahm. Conte kehrte am Montag zurück, angeblich voller neuer Energie und doppelt entschlossen, die Saison seiner Mannschaft noch zu retten. Die nächste Woche wird entscheidend: Napoli steht vor zwei Heimspielen gegen Atalanta und Qarabag, in beiden sind Siege für die eigenen Ziele zwingend notwendig. Napolis Ex-Stürmer Roberto Sosa glaubte zuletzt, dass die SSC-Stars spielen würden, als wollten sie "den Trainer loswerden" - wenn Napoli am Samstag gegen Bergamo erneut so auftritt, könnte der exzentrische Conte bald das Weite suchen.