Das Problem ist nicht, dass Thomas Müller gegen Hertha BSC zunächst nicht gespielt hat oder dass Thomas Müller gegen Manchester City in der Champions League zweimal nur von der Bank kam.
Tuchel ist lange genug im Geschäft und sensibel genug, um richtig einschätzen zu können, ob es wirklich "überhaupt kein Problem" sei, Müller zu händeln, weil der "top, top, top professionell und super emotional" sei. Und doch ließ Tuchels Begründung, wieso er Müller gegen Hertha zunächst auf die Bank setzte, aufhorchen. Deutete sie doch an, dass sich der Angreifer womöglich an die Joker-Rolle gewöhnen muss.
Tuchel schickte zwar vorweg, dass der 33-Jährige "die ganze Zeit" schon Rückenprobleme mitschleppe, am Montag wohl auch nicht trainieren werde und zwei Tage Pflege brauche (übrigens ein Umstand, den weder Tuchel noch Müller zuvor je zum Thema gemacht hatten). Doch Tuchel sagte eben auch: "Ich wollte mir die Möglichkeit offenhalten, mit Thomas die letzten 30 Minuten zu Ende zu spielen, falls wir da jemanden brauchen würden, der die Erfahrung und einen Riecher hat und der das Selbstvertrauen nicht verliert, weil es gerade noch 0:0 steht."
Müller als Super-Joker? Klappte gegen Hertha zumindest halb. Als Müller kam, stand es tatsächlich noch 0:0, doch der Ur-Bayer war an keinem der beiden Treffer beteiligt, fand auch sonst relativ schwer ins Spiel.
Wie auch immer: Bisher hat Müller noch jeden Trainer, der an seinem Status als Immerspieler rüttelte, überlebt bei den Bayern. "An Thomas Müller sind schon andere Trainer in München gescheitert", formulierte esRekordnationalspieler Lothar Matthäus zuletzt etwas drastischer. In der Tat waren weder Carlo Ancelotti, noch Niko Kovac und zuletzt auch Julian Nagelsmann noch lange da, nachdem Müller nicht mehr in jedem Spiel von Beginn an auf dem Rasen gestanden hatte.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern bezieht Tuchel Müller ganz offen in seine taktischen Überlegungen ein, bittet den Weltmeister von 2014 um Rat und hat auch keine Probleme damit, öffentlich darüber zu reden. Man kann Tuchel ganz sicher nicht vorwerfen, Müller auf irgendeine Art zu demontieren. Und Müller scheint mit der Situation (siehe oben) tatsächlich maximal konstruktiv umzugehen.
Dennoch: Die Personalie ist mindestens ein Politikum beim FC Bayern. Und Tuchel könnte gerade ein Fass aufmachen, das er womöglich nur schwer wieder zubekommen wird.
Zumal Müllers Mitbewerber um die vier Planstellen in der Offensive auch nicht uneingeschränkt auf der Höhe ihrer Schaffenskraft sind. Tuchel hat Recht mit seiner Einschätzung, dass Müller am stärksten ist, wenn er um einen Mittelstürmer herum spielen kann. Allerdings ließ der Coach auch schon mit sehr überschaubarem Erfolg Sadio Mané oder Serge Gnabry im Sturmzentrum spielen, obwohl die beiden in erster Linie Flügelspieler sind.
Dass Tuchel also ausgerechnet Müller, dem unkonventionellsten, aber taktisch dennoch diszipliniertesten Freigeist unter den bayerischen Freigeistern, in dieser Phase der Saison Daumenschrauben anlegt, wirft zumindest Fragen auf. Und wird spätestens dann zum Megathema werden, sollte Bayern die Meisterschaft verpassen.