HINTERGRUND
Thomas Müller, Joshua Kimmich und Berni waren die letzten. Berni hatte Glück. Bei ihm fällt es schwer, anhand der Gestik und Mimik den Gemütszustand abzulesen. Wobei das eigentlich gar nicht stimmt. Allein die Körperhaltung des Maskottchens sprach Bände am Freitagabend. Müller und Kimmich aber standen gefühlstechnisch vollkommen entblößt vor der Südkurve. Mit einer gewissen Leere in ihren Augen wirkten sie ziemlich ratlos, die Arme in die Hüfte gestemmt, den Blick gen Himmel gerichtet.
Analyse: Bayern verspielt Führung nach Ulreich-Patzer
Das 2:2 im Bundesliga-Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg wirft Fragen auf. Und es zeigt, wie instabil der FC Bayern München derzeit ist. Nach den beiden guten Leistungen gegen Mainz und Schalke war das Selbstvertrauen groß. Ein paar Tage später ist wieder Ernüchterung eingekehrt. Gerade jetzt, als viele dachten, die Münchner kämen so richtig ins Rollen.
"Wir haben den Sieg weggeschmissen", schimpfte Thomas Müller hinterher in der Interviewzone. "Wir haben schon in der ersten Halbzeit kein gutes Spiel gemacht, aber trotzdem mit zwei Toren geführt. In der zweiten Halbzeit haben wir einfache Fehler gemacht, es nicht geschafft, das Spiel zuzumachen. Ich weiß nicht, wann wir das letzte Mal ein 2:0 aus der Hand gegeben haben. Das ist gar nicht gut", monierte Hasan Salihamidzic. Der Samstag werde "ein ganz schöner Scheißtag", prophezeite der Sportdirektor. Am Samstag, da feiert der deutsche Rekordmeister auf dem Oktoberfest. Nur gibt es jetzt nichts mehr zu feiern.
"Es wird vielleicht nicht ganz so ausgelassen, wie es hätte werden können. Ist mir aber auch wurscht. Da ich sowieso nicht so viel Bier zu mir nehme, ändert sich für mich nicht viel", sagte Mats Hummels etwas trotzig.
Rummenigge über Hoeneß: "Noch nicht wieder geheiratet"
Irgendwie war es allen zwar sonnenklar und doch ein Rätsel, wie es die Bayern geschafft hatten, in der heimischen Arena gegen insgesamt ziemlich harmlose Gäste aus Wolfsburg eine Zwei-Tore-Führung zu verspielen. Ein Rätsel deshalb, weil die Bayern das für gewöhnlich einfach nicht machen. Sonnenklar, weil sich die Ursachenforschung ziemlich simpel gestaltete. Die Münchner fielen zurück in alte Muster, machten jene Fehler, die sie schon vor der Partie gegen Mainz gemacht hatten. Sie spielten zu statisch, zu behäbig, zu fahrig. Die Schnelligkeit fehlte, die Bewegung, die Wege ohne Ball, auch die Konzentration und die defensive Stabilität.
Dass zwischenzeitlich ein 2:0 auf der Anzeigetafel aufleuchtete, bestätigte die Bayern in ihrem Wirken. Es reicht ja auch so, dachten die Spieler offenbar. Gegen Wolfsburg musst du zuhause kein super Spiel machen für die drei Punkte, glaubten viele Beobachter. Ein Irrtum.
"Wurden irgendwo auch zu Recht bestraft"
"Nach dem 2:1 haben wir die Riesenchance zum 3:1, da hätten wir das Ding wieder beruhigen können. Danach hat man uns angemerkt, dass wir eine gewisse Unruhe in uns hatten. Wir wollten unbedingt besser spielen, mehr Druck machen, das Spiel wieder unter Kontrolle bekommen. Dann haben wir zwar mit viel Laufbereitschaft und viel Engagement gepresst, aber nicht mit der hundertprozentigen Koordination und vielleicht auch nicht mit der letzten Konsequenz, sodass sich Wolfsburg oft befreien konnte. Und so wurde es ein ziemlich offenes, ein ziemlich wildes Spiel", analysierte Hummels und schlussfolgerte: "Wir haben unsere Chancen nicht genutzt und dann gab es in diesem sehr offenen Spiel noch einen Angriff, den wir selbstverständlich auf verschiedenen Positionen nicht gut verteidigt haben. Das wurde dann irgendwo auch zu Recht bestraft."
Diesen einen Angriff gab es nach 83 Minuten und er mündete im 2:2. Rafinha ließ Paul Verhaegh unbehelligt flanken, Daniel Didavi durfte völlig blank an Sebastian Rudy vorbei in die riesige Lücke zwischen Jerome Boateng und Hummels spazieren und schließlich ohne Gegenwehr einköpfen. Der Treffer stand sinnbildlich für die unzureichende Bewegung im Spiel der Münchner, die sich auch in der Statistik widerspiegelte (112:118 Kilometer) und gleichzeitig im eigenen Ballbesitz ein Problem darstellte. Es fehlte schlicht das, was James Rodriguez gegen Schalke so gut gemacht hat: Sich immer wieder in die richtige Position zu bringen. "Ein bisschen mehr Bewegung, ein bisschen mehr Schnelligkeit hätte uns schon gut getan. Aber das ist nicht immer so leicht umzusetzen, wenn der Gegner mit neun oder in dem Fall sogar zehn Mann verteidigt", sagte Hummels.
Getty Images
Getty ImagesEin zentrales Problem waren auch die fehlenden Automatismen im Spiel gegen den Ball. "Wir haben versucht zu pressen. Wir hatten aber vom Trainer die klare Anweisung, nicht zu pressen, wenn wir nicht perfekt zum Pressing aufgestellt sind. Wir haben es irgendwie trotzdem gemacht, obwohl wir nicht immer in der richtigen Anordnung standen", erklärte Hummels.
Nach Patzer: Rückendeckung für Ulreich
In der aus Bayern-Sicht zweiten spielentscheidenden Szene, die chronologisch die erste war, spielten allerdings weder die fehlende Laufbereitschaft noch die fehlenden Automatismen eine Rolle. Nach den Toren von Robert Lewandowski nach strittigem Foulelfmeter (33.) und Arjen Robben (43.) hatte Maximilian Arnold die Wolfsburger per direkt verwandeltem Freistoß überhaupt erst wieder zurück in die Partie gebracht (56.). Den zwar hart getretenen, aber doch vermeintlich ungefährlichen und für einen Bundesliga-Keeper definitiv haltbaren Schuss schätzte Neuer-Vertreter Sven Ulreich falsch ein. "Ich habe die falsche Entscheidung getroffen. Der Ball ist ein bisschen geflattert. Ich wollte ihn über die Latte lenken, hatte die zweite Hand aber nicht dabei. Es war ein klarer Torwartfehler. Es tut mir leid für die Jungs und fürs Team", sagte er.
Hummels merkte noch an, dass man besagtes Gegentor "losgelöst vom Spielgeschehen oder anderen taktischen Dingen betrachten" müsse. Begründen kann man den Punktverlust damit aber nicht. Hummels wusste das ganz genau, genauso wie es seine Teamkollegen wussten. Das war es ja, was die Münchner so sehr ärgerte.
"Jeder macht Fehler. Sven hat uns auf Schalke den Hintern gerettet. Da hat er super gehalten, davor auch schon. Das passiert einfach im Fußball", sagte Hummels. "Natürlich wird ihn das ärgern. Aber so wie ich Ulle einschätze, wird er deshalb nicht mit einer Zitterhand in Paris auflaufen. Wenn man ihn im Training beobachtet, braucht man sich keine Sorgen zu machen. Auch wenn man die Spiele sieht, die er bisher gemacht hat - ob das in Dortmund war, wo er uns den Supercup organisiert hat, oder gegen Leverkusen, als er uns auch im Spiel gehalten hat", erinnerte Müller und betonte: "Die Mannschaft steht hinter ihm."
Vier Tage, zwei Fragen, ein genervter Müller
Bei anderen Fragen dagegen wirkte Müller ziemlich genervt. Was das Resultat nun für das Gastspiel bei PSG bedeutet, wollte ein Reporter wissen. "Weiß ich nicht", entgegnete Müller, "Ihr habt da mehr Erfahrung, ihr seid schon länger im Geschäft. Was kann es denn bedeuten? Alles, oder? Von einer Trotzreaktion bis hin zu einer schlechten Phase. Wir werden es nach dem Ergebnis am Mittwoch sehen. Wir wollen die Dinge, die wir heute nicht gut gemacht haben, besser machen. Das wollen wir aber auch nach guten Spielen." Als ein anderer Journalist gerade zur nächsten Frage ansetzte, intervenierte Müller: "Was bedeutet es denn nun? Das will ich auch mal wissen." Es kann alles bedeuten, da waren sich Spieler und Reporter schließlich einig.
Und dann, ja dann kam die nächste Frage. Ob es derzeit nicht rund laufe. "Das", sagte Müller, "ist doch jetzt 'ne Frage … . Vor drei Tagen habe ich andere Gesichter gesehen und die haben schon gesagt: 'Jetzt rollt's und so weiter. Wir müssen uns jeden Sieg hart erarbeiten. Ich weiß zwar, dass ihr Schlagzeilen machen müsst, aber es gibt auch was dazwischen." Es war die Schwarz-Weiß-Malerei in der Öffentlichkeit - andere würde sagen: die journalistische Einordnung in den Gesamtkontext -, die Müller so sehr störte. Denn tatsächlich wurde ihm eine ähnliche Frage in komplett anderer Auslegung drei Tage zuvor gestellt.
Ob es nun wieder so richtig rund laufe, wollte nach dem 3:0-Sieg auf Schalke am Mittwochabend nämlich einer wissen. "Das wird ja immer von Spiel zu Spiel abhängen. Wenn wir Freitag gewinnen, werden wir weiterfeilen an der Geschichte, dass es jetzt läuft. Und wenn nicht, müssen wir uns wieder andere Geschichten anhören und uns anders äußern", ahnte Müller. Er sollte Recht behalten.


