HINTERGRUND
Die deutsche U21 hat bei der Europameisterschaft mit einem 3:0 gegen Ungarn einen Auftakt nach Maß hingelegt. Während sich eine taktische Maßnahme von Trainer Stefan Kuntz als spielentscheidend erwies, könnte ein aufgeschobenes Debüt der DFB-Elf gut zu Gesicht stehen.
Die Erkenntnisse zum deutschen Sieg gegen den Gastgeber.
1. Baku, Dahmen, Maier - Die Maßnahmen von Stefan Kuntz zünden
Besonders eine Personalie stand vor Anpfiff der ersten deutschen Begegnung bei der EM-Vorrunde beim deutschen U21-Team im Fokus: die Besetzung der Torhüterposition. Teamchef Stefan Kuntz hatte in den vergangenen Tagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Tor angekündigt und wollte sich nicht zu früh in die Karten schauen lassen.
War aber erwartet worden, dass die Entscheidung primär zwischen Leverkusens Lennart Grill und Frankfurt-Leihspieler Markus Schubert fällt, so hatte überraschend der Mainzer Ersatzmann Finn Dahmen die Nase vorne. "Wir wollten nochmal Trainingseindrücke sehen. Es war komplett offen und eine Bauchentscheidung", erklärte Kuntz vor dem Spiel seine Wahl bei ProSieben.
Den Vorzug sollen unter anderem Dahmens fußballerische Fähigkeiten gegeben haben - ein Manko, das Lennart Grill zuletzt bereits in Leverkusen zum Verhängnis wurde. Früh im Spiel zeigte Dahmen, der für die Bundesligamannschaft in der aktuellen Saison lediglich in der Partie beim FC Bayern im Kasten stand, dass er auch unter Druck in der Lage ist, Situationen spielerisch zu lösen.
Ansonsten verlebte das Mainzer Eigengewächs einen ereignisarmen Abend in der MOL Arena Sosto, von zwei ungarischen Torschüssen wurde seinem Gehäuse keiner gefährlich. Keine Chance also, sich in besonderem Maße auszuzeichnen, aber eben auch kein Grund, künftig einen Tausch vorzunehmen. Ob es sich um eine Entscheidung handelt, die für den weiteren Turnierverlauf Bestand hat, ließ Kuntz nach dem Spiel offen.
Bakus "neue" Position als Schlüssel zum Sieg
Deutlich größer war der Einfluss auf den deutschen Erfolg von Ridle Baku. Durch seine "sehr gute Leistungen" (Kuntz) beim VfL Wolfsburg ist er zu einer der Säulen im Team avanciert, sein Trainer hatte gegen Ungarn eine beim DFB ungewohnte Rolle für ihn vorgesehen. Im neunten Einsatz für die U21 spielte er erstmals im rechten Mittelfeld. Dort wurde Baku seit dem Jahreswechsel auch bei den Wölfen vermehrt aufgestellt.
Getty ImagesDabei waren Anlaufschwierigkeiten unverkennbar. Auf der Suche nach seiner perfekten Positionierung stand Baku teilweise zu tief, bot keine Anspielstation für Stürmer Lukas Nmecha, nachdem dieser den Ball mit dem Rücken zum Tor verarbeitet hatte. Lange war er bei seinem Gegenspieler bestens aufgehoben, beim deutschen Team ging deutlich mehr über die linke Seite um den Fürther David Raum.
Dann kam die 60. Minute. Bakus Maßflanke landete auf dem Kopf von Nmecha, der mühelos einnickte. Zwölf Minuten später hatte sich der Wolfsburger selbst zweimal in die Torschützenliste eingetragen und den Auftaktsieg perfekt gemacht. "Das war eines meiner schönsten Spiele, die ich bisher gemacht habe. Das hätte ich mir so nicht ausmalen können", sagte er und sprach von einem "Ausrufezeichen an die anderen Mannschaften". Dennoch wollte Kuntz nicht ausschließen, dass der 22-Jährige im weiteren Vorrundenverlauf auch nochmal als Rechtsverteidiger gebraucht werden könnte.
Auch eine weitere Maßnahme von Kuntz nach durchwachsener erster Halbzeit (siehe unten) zeigte Wirkung. "An ein paar Stellschrauben" wurde gedreht, die Position von Arne Maier verändert. Dieser interpretierte seine Rolle etwas offensiver und konnte so das fehlende Gleichgewicht zwischen Angriff und Defensive und die Durchschlagskraft verbessern. Auch wenn bis zum 1:0 nicht alles Gold war, was glänzt.
2. Trotz Auftaktsieg: Moukoko täte dem deutschen Spiel gut
"Das 1:0 war der Türöffner, und dann haben alle befreit Fußball gespielt. Ich bin echt froh, dass wir es so hinbekommen haben", konstatierte Kuntz nach dem dreifachen Punktgewinn und brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass sich die Aussage "Deutschland kommt schlecht ins Turnier rein und keiner weiß warum" nicht bewahrheitete.
Eine Aussage, die allerdings impliziert, dass von Leichtigkeit vorher nicht allzu viel zu spüren war. Dies bestätigte Kuntz, der in der Pause von seiner Offensive eine höhere Positionstreue einforderte und zur Rolle von Mergim Berisha im 4-2-3-1-System sagte: "Mergim sollte hängend spielen, das hat in der ersten Halbzeit nicht so gut geklappt. Wir hatten zu viele Kontakte, das Spiel nicht schnell genug gemacht."
Eine ordentliche Anfangsphase war nicht von Erfolg gekrönt, danach agierte das deutsche Team gegen eine massive ungarische Verteidigungsmauer zunehmend ideenlos. Es fehlte an Schärfe im Passspiel, es mangelte an Spielern, die durch gewinnbringende Eins-gegen-Eins-Aktionen Raum schaffen und gefährliche Aktionen kreieren können.
Eine Rolle, die für Youssoufa Moukoko wie gemacht scheint. Der 16-Jährige hatte bei seinen bisherigen 15 Profieinsätzen für den BVB auf höherem Niveau angedeutet, dass er zumindest in überschaubarem Umfang für Belebung im Spiel sorgen kann und eine ordentliche Portion Unbekümmertheit mitbringt.
Moukoko angeschlagen: EM-Einsatz dennoch wahrscheinlich
Das BVB-Juwel hatte jedoch beim Aufwärmen einen Schlag abgekommen und musste deshalb passen: "Die Physios und unser Doc sagen alle, dass es besser ist, wenn er heute draußen bleibt", sagte Kuntz. Es handele sich um eine "Muskelverletzung durch Prellung", die jedoch nicht allzu schwerwiegend sein soll. Zum medizinischen Stab der Dortmunder habe es bereits Kontakt gegeben.
Getty ImagesDie Chancen stehen gut, dass Moukoko in den weiteren beiden Spielen am Samstag und Mittwoch noch mitwirken kann. Die Einwechslungen der Offensivspieler Florian Krüger oder auch Mateo Klimowicz zeigen: Einen Spieler wie Moukoko, der eine solche Kombination aus Schnelligkeit, technischen Fähigkeiten und Abschlussstärke vereint, ist unter den Reservisten nicht zu finden.
Sollte es tatsächlich zu seinem Debüt bei der U21 kommen - bisher lief er zweimal für die U21 und viermal für die U16 auf -, würde er einen weiteren Rekord sein Eigen nennen. Im Falle eines Einsatzes wäre er mit großem Abstand der jüngste Spieler bei einer U21-EM aller Zeiten (bisher der Franzose Basile Boli mit 17 Jahren, einem Monat und 26 Tagen).
3. DFB: Erst "Gradmesser" gegen Niederlande gibt Aufschluss
Baku hatte recht, als er nach dem Sieg gegen Underdog Ungarn den Blick gleich nach vorne richtete: "Die Niederlande wird der Gradmesser." Zu schwach waren die Magyaren, zu groß deren personelle Probleme nach vier positiven Coronabefunden um Kapitän Patrik Demjen sowie der Verletzung von Herthas Palko Dardai.
Zwar stolperten die Niederländer mit einem Remis ins Turnier und stehen gegen das DFB-Team umso mehr unter Druck. Die Mannen um Brian Brobbey (zukünftig RB Leipzig), Justin Kluivert oder Deyovaisai Zeefuik werden dennoch ein klareres Bild darüber liefern, wo diese deutsche U21 steht, die mit der vergangener Jahre nichts mehr zu tun hat.
Dafür genügt allein ein Blick auf die Erfahrung der Spieler. Gleich zehn Akteure aus dem 23er-Kader stehen bei einem oder gar keinem Bundesliga-Spiel, zusammen bringen die Spieler es auf 399 Partien im deutschen Oberhaus. Beim EM-Sieg vor vier Jahren waren es noch mehr als dreimal so viele Einsätze (1.122). Baku führt diese Liste mit 74 Spielen für Mainz und Wolfsburg bereits an.
Die Probleme in der deutschen Nachwuchsförderung sind hinlänglich bekannt, Kuntz sprach diese Thematik im kicker meets DAZN-Podcast im November des Vorjahres deutlich an. "Komplett im Hintertreffen" und "sowas von abgeschlagen" sei die deutsche U21, wenn man einen Blick auf Frankreich oder England werfe und welch tragenden Rollen deren Spieler im Verein bereits einnähmen. Die Masse an Toptalenten sei schlichtweg "nicht da".
Deutsche U21 eine Wundertüte? "Auf gar keinen Fall"
Bereits vor dem geglückten Auftakt in die EM blickte Kapitän Maier dennoch positiv nach vorne: "Eine Wundertüte ist die Mannschaft auf gar keinen Fall, auch wenn das nach außen noch nicht so rüberkommt. Sie kennt sich jetzt über ein bis zwei Jahre, der Kern ist gefestigt."
Dieser Kern war auch gegen Ungarn deutlich zu erkennen: Gemeinsam mit Legionär Niklas Dorsch war Maier in der Mittelfeldzentrale äußerst präsent, defensiv zweikampfstark und überzeugte offensiv als Ballverteiler. Auch die Innenverteidigung um den in Bielefeld gesetzten Amos Pieper und Nico Schlotterbeck ist hervorzuheben. Zu dem Gerüst zählen außerdem "Dosenöffner" Lukas Nmecha und Baku.
Laut Kuntz habe die Mannschaft angesichts der kurzen Vorbereitung "das Maximum abgerufen", auch wenn der Kandidat auf die Löw-Nachfolge Raum für Verbesserungen sieht: "Ein paar Sachen können wir noch verändern, aber mehr kann man nach zwei Tagen nicht verlangen."
