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Thomas Letsch im Interview: "Dayot hat eher nach unten geschaut als dir in die Augen"


EXKLUSIV-INTERVIEW

Thomas Letsch arbeitete von 2012 bis 2017 in verschiedenen Rollen für RB Salzburg. Im Interview mit Goal und SPOX erklärt der 52-jährige Trainer die RB-Philosophie und erinnert sich an die Zusammenarbeit mit dem schüchternen Dayot Upamecano sowie dem fordernden Ralf Rangnick. Aktuell trainiert Letsch den niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim.

Herr Letsch, die Niederlande gelten als Land des gepflegten Ballbesitzfußballs, Sie stehen mit Ihrer Vergangenheit bei RB Salzburg für schnelles Umschaltspiel. Wie passt das zusammen?

Thomas Letsch: In den Niederlanden ist die Basis immer der eigene Ballbesitz. Mein Ansatz beginnt bei gegnerischem Ballbesitz. Mit den technisch hervorragend ausgebildeten Spielern meine Idee vom Fußball umzusetzen und dadurch neue Akzente zu setzen: Darin liegt für mich ein großer Reiz.

In Ihrer ersten Saison mit Vitesse wurden Sie Vierter und haben das Pokalfinale erreicht. Wie wurde Ihre Spielphilosophie angenommen?

Letsch: Zu Beginn gab es durchaus eine gewisse Skepsis. Mittlerweile bekomme ich aber sehr viel positives Feedback. Die Leute sehen, dass es funktioniert und unser Fußball nicht nur erfolgreich, sondern auch attraktiv ist. Im Laufe der vergangenen Saison haben sich in der Eredivisie auch generell ein paar Sachen geändert. Immer mehr Mannschaften haben wie wir auf eine Dreierkette umgestellt. Bei der EM hat sogar die niederländische Nationalmannschaft mit diesem System gespielt. Das war eine kleine Revolution, da das klassische holländische 4-3-3 als unantastbar galt.

Inwiefern haben Sie in Sachen Spielphilosophie Ihre fünf Jahre in Salzburg geprägt?

Letsch: Ich habe zwar schon immer diese Art von Fußball spielen lassen, in Salzburg verstärkte sich das aber nochmal extrem. Ralf Rangnick hat mich diesbezüglich stark beeinflusst. Er hat mich nach Salzburg geholt und damit beauftragt, diese Spielphilosophie im Nachwuchsbereich zu implementieren.

Zwischen Ihrem Amtsantritt in Salzburg 2012 und Ihrem Abschied von Sonnenhof Großaspach 2009 waren Sie drei Jahre lang nicht im Fußballbereich tätig. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Letsch: Ich habe Mathematik und Sport auf Lehramt studiert, später hauptberuflich an einem Gymnasium unterrichtet und nur nebenbei als Trainer im süddeutschen Amateurbereich gearbeitet. Nach dem Regionalliga-Aufstieg mit Großaspach 2009 erhielt ich die Chance, an der Deutschen Schule in Lissabon anzufangen. Dort habe ich drei Jahre lang gearbeitet. Diese Zeit in einem anderen Land mit anderer Kultur und Sprache habe ich sehr genossen. Sie hat mich als Persönlichkeit reifen lassen. Mit Fußball hatte ich außer bei diversen Freizeitangeboten für Schüler nur wenig Berührungspunkte. Kurz nachdem ich meinen Vertrag dort um drei Jahre verlängert habe, rief mich Ralf Rangnick an und fragte, ob ich Interesse hätte, am Projekt FC Red Bull Salzburg mitzuarbeiten.

Können Sie sich an den Moment erinnern?

Letsch: Ja, ich war mit meiner Tochter gerade auf dem Weg zum Strand, als der Anruf kam.

Mussten Sie lange überlegen, ob Sie das Angebot annehmen?

Letsch: Wir haben uns in Lissabon sehr wohlgefühlt, aber diese Chance konnte und wollte ich nicht verstreichen lassen. Ralf ist sehr überzeugend und ich habe auch schnell gespürt, dass in Salzburg etwas Besonderes entstehen kann.

Wie kam Rangnick eigentlich auf Sie?

Letsch: Er stammt aus Backnang und damit aus der gleichen Ecke wie ich. Dort kennt man sich. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Berührungspunkte und Personen, die unsere beiden Wege gekreuzt haben. Außerdem hatte ich eine sehr erfolgreiche Zeit in Großaspach, bevor ich nach Portugal aufgebrochen bin.

Wie viel Rangnick steckte damals im Projekt Salzburg?

Letsch: Zu Beginn 100 Prozent. Er ist gekommen und hat gesagt: So wollen und werden wir spielen. Für die Umsetzung seiner Ideen hat er seine Leute als Multiplikatoren eingesetzt. Innerhalb kürzester Zeit spielten von den jüngsten Jahrgängen bis zur Profimannschaft alle Mannschaften nach Ralfs Ideen. Natürlich konnte aber auch jeder einzelne Trainer der Profimannschaft wie Roger Schmidt, Adi Hütter oder Peter Zeidler seine eigenen Ideen mit einbringen. Ralf stand aber immer in engem Kontakt mit ihnen und hat den Rahmen vorgegeben.

Was waren seine Prinzipien?

Letsch: Ralfs Ansatz ist, dass das Spiel bei gegnerischem Ballbesitz beginnt. Er will den Ball aktiv gewinnen, um dann per schnellem Umschalten vors Tor zu kommen. Mit dem eigenen Spielaufbau hat er sich damals weniger beschäftigt. Wenn die eigene Mannschaft den Ball verliert, ist das für ihn nicht weiter tragisch - dann holt sie ihn sich eben im Gegenpressing zurück. Lieber riskant spielen und Fehler in Kauf nehmen, als 70 Prozent Ballbesitz haben, aber keine Torchancen.

Ralf Rangnick, Red Bull SalzburgAFP

Haben Sie in der Anfangszeit geahnt, wie groß dieses Projekt werden könnte und wie sich Rangnicks Idee über verschiedenste Trainer weiterverbreiten würde?

Letsch: Dass das etwas Besonderes ist, habe ich relativ schnell gemerkt. Ich hätte aber nie gedacht, welche Ausmaße das annimmt. Es ist beeindruckend, wie viele Trainer mit Red Bull-Vergangenheit mittlerweile in der Bundesliga tätig sind: Adi Hütter, Marco Rose, Oliver Glasner, Jesse Marsch, Frank Kramer, Bo Svensson und durch Ralfs Einflüsse gewissermaßen auch Julian Nagelsmann.

Kann die Zusammenarbeit mit Rangnick wegen seiner klaren Idee und allumfassenden Präsenz auch mal anstrengend sein?

Letsch: Er fordert extrem viel Engagement von allen Beteiligten, lebt dies aber auch absolut vor. Letztlich braucht es genau diese Überzeugung und Hartnäckigkeit, um etwas Großes zu erreichen.

Sie betreuten zwei Jahre lang das Farmteam FC Liefering. Was war Ihnen dabei wichtiger: der mannschaftliche Erfolg oder die Entwicklung einzelner Talente?

Letsch: Ich habe meine Rolle nur darüber definiert, Talente zu entwickeln und an die Profimannschaft heranzuführen. Wenn man auf die Liste der Spieler schaut, die damals den Sprung geschafft haben, macht mich das schon recht stolz. Wir waren darüber hinaus mit einem vierten und einem zweiten Platz auch als Mannschaft sehr erfolgreich.

Sie hatten etliche Spieler bei Ihnen in der Mannschaft, die mittlerweile erfolgreiche Profis sind. Bei wem waren Sie sich am sichersten, dass er es schafft?

Letsch: Da fallen mir ein paar ein. Xaver Schlager war damals schon ein nahezu kompletter Spieler, der dazu bereits in jungen Jahren diesen enormen Ehrgeiz hatte, das Maximale zu erreichen. Er hasst es zu verlieren, egal ob im Training oder im Spiel. Ich war auch schon immer ein großer Konny-Laimer-Fan. Früher hielten ihn viele nur für einen guten Zerstörer, ich habe aber schon damals weitaus mehr in ihm gesehen. Bei Konny hat man als Trainer beim Anpfiff das Gefühl, man würde einen Hund aus der Hütte lassen, der den Gegner regelrecht auffressen möchte. Amadou Haidara kam zu uns ins Probetraining und hatte diese natürliche Aggressivität und die Gier, Bälle zu gewinnen, verbunden mit der Freude am Spiel. Die Schnelligkeit von Patson Daka sowie sein Zug zum Tor waren ebenfalls außergewöhnlich.

Sie erwähnen den Ehrgeiz von Xaver Schlager. Normalerweise wird dem Österreicher an sich gerne nachgesagt, alles erstmal etwas langsamer angehen zu lassen.

Letsch: Mit diesem Vorurteil wurde ich bei meiner Ankunft in Salzburg auch konfrontiert. Es hieß, dass sich die Österreicher schnell zufriedengeben und zu bequem sind. Das kann ich nach meiner Zeit im Land überhaupt nicht bestätigen. Es gibt genügend Spieler mit der richtigen Mentalität. Diese gilt es zu finden.

Bei welchen Ihrer Liefering-Spielern waren Sie am meisten überrascht, dass ihnen später eine Profikarriere gelungen ist?

Letsch: Dmitri Skopintsev kam damals über Leipzig nach Liefering und hat bei mir sehr wenig gespielt. Mittlerweile ist er Stammspieler bei Dynamo Moskau. Bei Robert Mudrazija, der heute bei HNK Rijeka spielt, war es ähnlich. Manchmal benötigt ein Spieler einen Umweg wie beispielsweise auch Stefan Lainer, der von Liefering über Ried den Sprung nach Salzburg und später zu Mönchengladbach geschafft hat.

Wie kommt es, dass Salzburg so viele herausragende Talente findet und entwickelt?

Letsch: Das Scouting und Netzwerk sind herausragend. Eine große Stärke des Klubs ist es auch, wie die verpflichteten Talente nach ihrem Wechsel betreut und begleitet werden. Mittlerweile kommt darüber hinaus der Ruf dazu: Junge Spieler sehen, wie viele heutige Stars über Salzburg den Sprung nach ganz oben geschafft haben.

Einer davon ist Sadio Mane. Wie haben Sie ihn damals erlebt?

Letsch: Er war einerseits ein absolut positiver Typ, andererseits aber auch verschlossen. Er hat Nähe gesucht zu den Leuten, die auch Französisch gesprochen haben. Fußballerisch haben mich vor allem seine Schnelligkeit und sein erster Kontakt begeistert.

SADIO MANE SALZBURG 26052013Getty

Zusammengearbeitet haben Sie auch mit Martin Hinteregger, der die zahlreichen Wechsel von Salzburg nach Leipzig scharf kritisierte. Er mutmaßte, dass Leipzig Salzburg damit "kaputt machen" würde.

Letsch: Martin trägt sein Herz auf der Zunge. Er sagt, was er denkt. Genau deswegen schätze ich ihn und kann ihm solche Dinge nicht übelnehmen. In der Sache hatte er inhaltlich aber Unrecht: Salzburg wäre genau so geschwächt geworden, wenn die Spieler zu anderen Vereinen gewechselt wären. Länger als zwei Jahre bleibt ein angehender Topspieler ohnehin nicht in Österreich.

Wie haben Sie Hinteregger als Typ erlebt?

Letsch: Im Fußball gibt es viele ähnliche Typen. Ich finde es absolut erfrischend und bereichernd, wenn manche Spieler etwas anders ticken. So jemand ist Martin. Er hat sich nichts aus irgendwelchem Schnickschnack gemacht, sondern ist lieber mal angeln gegangen.

Eng begleitet haben Sie den Werdegang von Dayot Upamecano. Er war 16 Jahre alt, als er vom FC Valenciennes nach Salzburg wechselte und zunächst unter Ihnen beim FC Liefering spielte.

Letsch: Abseits des Platzes war er völlig zurückhaltend und schüchtern. Er hat kein Wort rausgebracht und hat eher nach unten geschaut als dir in die Augen. Auf dem Platz wurde er aber zur Maschine, zum Biest, zum Terrier. Seine Schnelligkeit, Robustheit und Mentalität waren schon im Alter von 16 Jahren sehr ausgeprägt.

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Waren Sie von Beginn an von ihm überzeugt?

Letsch: Absolut. Auch wenn man nie voraussagen kann, wo genau der Weg am Ende hinführt. Natürlich hat er damals mit 16 Jahren auch Fehler gemacht, aber das gehört in diesem Alter dazu. Der Weg über Liefering war für ihn aus meiner Sicht der absolut perfekte.

Können Sie sich an eine beeindruckende Leistung Upamecanos im Jugendbereich erinnern?

Letsch: Ja, an ein Spiel in der UEFA Youth League gegen Besiktas im November 2015. Wir hatten auswärts mit 0:1 verloren und er wollte das Rückspiel ganz allein für uns gewinnen. Er hat die Gegner in den Zweikämpfen förmlich aufgefressen und auch noch das Tor zum 2:1 gemacht (Endergebnis 5:1, Anm. d. Red.). Da hat er zum ersten Mal gezeigt, was für ein Spieler er sein kann und welche Mentalität er hat. Das war absolut beeindruckend.

Upamecano wechselte im Januar 2017 nach Leipzig, Sie verließen Salzburg ein halbes Jahr später. Warum?

Letsch: Nach dem Abschied von Oscar Garcia hatte ich mir Chancen auf den Cheftrainerposten ausgerechnet. Der Verein entschied sich aber für Marco Rose, was im Nachhinein betrachtet auch nicht die schlechteste Wahl war. Er ist ein Top-Trainer und ich bin bis heute gut mit ihm befreundet. Für mich war das aber das Zeichen, etwas anderes zu probieren. Ich hatte eine fantastische Zeit in Salzburg, wusste dann aber, dass ich Salzburg verlassen und eine neue Herausforderung suchen muss.

Sie wechselten zum Zweitligisten Erzgebirge Aue. Das muss wie ein Kulturschock gewesen sein.

Letsch: Absolut. Das sind aus vielerlei Gesichtspunkten zwei völlig verschiedene Welten. Es ist aber wichtig, diese unterschiedlichen Erfahrungen zu machen und aus seiner Komfortzone rauszugehen. Ich habe den Schritt weg aus Salzburg nie bereut. Auch wenn das Kapitel Aue nicht das glücklichste war.

Nach nur drei Pflichtspielen wurden Sie entlassen.

Letsch: Rückblickend habe ich zu sehr aus der Emotion und ohne genügend Vorbereitung auf die neue Aufgabe entschieden. Beide Seiten haben dann sehr schnell festgestellt, dass die Konstellation aus unterschiedlichen Gründen nicht passt und es so sehr schwer werden würde, erfolgreich zu sein.

Inwiefern?

Letsch: Das ist ehrlich gesagt Schnee von gestern.

Kam die schnelle Entlassung überraschend für Sie?

Letsch: Nein, auch wenn es natürlich sehr schnell ging. Es gibt Konstellationen, die passen und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. In dem Fall ist es doch besser, diese schneller zu beenden als zu lange zu warten.

Anschließend kehrten Sie nach Österreich zurück und trainierten Austria Wien.

Letsch: Ich blicke gerne auf meine Zeit bei der Austria zurück, die ich persönlich in sehr positiver Erinnerung habe. Zum Zeitpunkt meiner Freistellung waren wir hinter Salzburg und dem LASK auf Platz drei in der Liga und am Beginn eines Umbruchs. Junge Spieler wie Vesel Demaku oder Dominik Fitz haben ihre ersten Einsätze gehabt. Speziell die beiden Derbysiege bleiben als Highlights immer im Gedächtnis.

Thomas Letsch Vitesse ArnheimGetty

Ihr aktueller Klub Vitesse Arnheim ist bekannt als Leih-Station für etliche Talente des FC Chelsea, zeitweise sammelte hier auch Mason Mount Spielpraxis. Wie funktioniert diese Kooperation genau?

Letsch: Es gibt keine offizielle Kooperation, sondern nur einen guten Kontakt zwischen den Klubs. Mason Mount war natürlich das Musterbeispiel, wie es laufen sollte. In der vergangenen Saison hatten wir mit Armando Broja ebenfalls einen Leihspieler, der bei uns seine ersten Schritte im Profibereich machen konnte und diese Chance absolut genutzt hat. Die Eredivisie ist für Toptalente ein guter Zwischenschritt, bevor sie für eine der absoluten Topligen bereit sind. Armando und damals sogar Mason haben sich am Anfang zwar schwergetan, am Ende aber voll überzeugt und sind dann auf einem völlig anderen Level zu Chelsea zurückgekehrt.

Vitesse-Besitzer Valeriy Oyf gilt als guter Freund von Roman Abramovich. Wie präsent ist er im Klub?

Letsch: Vor meiner Unterschrift haben wir uns in zwei Videocalls kennengelernt. Persönlich getroffen habe ich ihn erstmals nach dem Ende der vergangenen Saison. Davor war es wegen Corona leider nicht möglich. Auch wenn er seltener vor Ort ist, findet ein regelmäßiger Austausch statt. Er ist immer bestens informiert.

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