GFX Saido BerahinoGetty / Goal

Saido Berahinos bewegende Geschichte: Kriegsflüchtling, Englands Sturmhoffnung, Drogensperre, Burundi-Kapitän

"Ich fühle mich geehrt, zum Kapitän meines Landes ernannt worden zu sein", schrieb Saido Berahino neulich auf Instagram. "Ein Traum von mir als kleiner Bub." Es war der Traum eines kleinen Bubs zwischen großen Sorgen.

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1993 wurde Berahino in Bujumbura geboren, der damaligen Hauptstadt von Burundi im Herzen Afrikas. Er spielte mit einem aus Plastiksäcken zusammengeschusterten Fußball, draußen aber tobte der Bürgerkrieg. Als Berahino vier war, starb sein Vater an der Front. Irgendwann brach seine Mutter nach England auf, für sich und Saidos Geschwister hatte sie Asyl bekommen. In Newtown, einem Stadtteil von Birmingham. Einem Stadtteil, der aus 16 Wohntürmen besteht.

Saido musste zunächst in Burundi zurückbleiben. Alleine, mitten im Krieg. Mit zehn wurde ihm schließlich auch Asyl gewährt. Als seine Mutter genügend Geld für den Flug zusammen hatte, durfte er nach England nachkommen. Alleine kam er am Flughafen London Heathrow an, doch seine Mutter konnte er nicht finden. Saido wurde in eine Übergangsunterkunft gebracht, ehe sich eine Frau meldete und als seine Mutter ausgab. Erst nach einem erfolgreichen DNA-Test durfte Saido mitkommen. Nach Newtown, in sein neues Zuhause. "Dann hat mein Leben begonnen", sagte er später.

Berahinos rasanter Aufstieg bei West Brom

Berahino wurde eingeschult, sein voller Fokus galt aber immer schon dem Sport. Basketball, Leichtathletik, Fußball. Am liebsten Fußball und auch am besten. Nach einem Jahr wurde West Bromwich Albion auf ihn aufmerksam, bei einem Hobbyturnier 2004 war das. Berahino schloss sich der U12 an und durchlief fortan alle Jugendmannschaften des Klubs.

Er schoss Tore, viele Tore. Genug, um die FA auf ihn aufmerksam zu machen. 2009 debütierte er für die englische U16-Nationalmannschaft. Gleich im ersten Spiel erzielte er einen Doppelpack. Ein Jahr später gewann er mit der U17 die Europameisterschaft. Sein Aufstieg war rasant. Mit 17 Jahren unterschrieb er seinen ersten Profivertrag bei West Brom, Trainer Roy Hodgson ließ ihn bei der ersten Mannschaft mittrainieren.

Leihgeschäfte und Tequila Sunrise auf dem Hotelzimmer

Um Spielpraxis zu sammeln, verließ Berahino den Klub aber im Herbst 2011 per Leihe. Zunächst zum Viertligisten Northampton Town, dann zum Londoner Drittligisten FC Brentford. Bei beiden Stationen überzeugte er und traf im Schnitt in fast jedem zweiten Spiel. Das Leben fern seiner Familie tat ihm aber nicht gut, außerhalb der Trainingseinheiten und Spiele war Berahino langweilig.

Er wohnte im Hotel und nutzte sein Zimmer, um heimliche Partys zu feiern. Einmal bemerkten es die Klubverantwortlichen von Brentford. Tequila Sunrise sei ausgeschenkt worden und das Zimmer danach laut der Daily Mail eine "abscheuliche Sauerei" gewesen. Brentford beendete Berahinos Leihvertrag daraufhin vorzeitig. Zu dieser Zeit wurde er auch erstmals betrunken am Steuer erwischt.

England U21v Moldova U21, Saido Berahino

West Brom überlegte, Berahino zu entlassen, doch er durfte bleiben. Im darauffolgenden Sommer debütierte er in einem League-Cup-Spiel für die Profimannschaft, 19 war er damals. Um regelmäßige Spielpraxis zu sammeln, wurde er jedoch erneut verliehen. Diesmal zum Zweitligisten Peterborough United.

Debüttore für West Brom und die englische U21

In der Saison 2013/14 kam Berahino für West Brom regelmäßig in der Premier League zum Einsatz. Bei seinem vierten erzielte er sein erstes Pflichtspieltor. Es war ein wichtiges: ein 2:1, auswärts gegen Manchester United.

Bereits kurz davor hatte er für die englische U21-Nationalmannschaft debütiert. Auch dort schoss er direkt ein Siegtor, das entscheidende 1:0 gegen Moldawien. Danach wurde er für seinen Ersatzmann ausgewechselt: Harry Kane.

Berahino verlängerte seinen Vertrag bei West Brom vorzeitig, jetzt verdiente er 25.000 Euro in der Woche. Viel Geld, womöglich zu viel Geld für ihn. Berahino soll sich schnell groß gefühlt haben und wichtig, sagten damals manche. Sein Verhalten passte nicht zu seinem neuen Status. In der Kabine lieferte er sich eine handfeste Auseinandersetzung mit seinem Mitspieler James Morrison. Wenige Stunden nach einer Heimniederlage wurde er dabei gefilmt, Lachgas aus einem Ballon zu inhalieren.

Nationalmannschaftsberufung und Führerscheinentzug

Es begann die nächste Saison und alles blieb wie es war: Berahino wurde sportlich immer wichtiger, aber abseits des Platzes immer leichtsinniger. Für West Brom kam er in allen Premier-League-Saisonspielen zum Einsatz und erzielte dabei 14 Tore.

Im November nominierte ihn Hodgson erstmals für die englische A-Nationalmannschaft. Der Trainer, der ihn einst zu den West-Brom-Profis geholt hatte. "Es ist eine schöne Geschichte", sagte Hodgson damals. "Ich freue mich für ihn, weil ich weiß, wie viel ihm der Fußball bedeutet." Zum Einsatz kam Berahino jedoch nicht und Fußball war längst nicht mehr das einzige in seinem Leben.

Saido Berahino West Brom

Nachts um kurz vor vier wurde er auf der Autobahn aufgehalten. Betrunken und zu schnell, wie sich herausstellen sollte. Berahino wurde der Führerschein für zwölf Monate entzogen. "Die Leute lesen viel über mich", sagte er in einem Interview mit dem Telegraph. "Aber keiner weiß wirklich, wer ich bin." Doch wusste er es selbst?

Das letzte Premier-League-Tor

Seine Tore drängten seine Eskapaden damals noch in den Hintergrund. Im Sommer 2015 wollte ihn Tottenham Hotspur verpflichten, doch der Transfer scheiterte am Deadline Day. Auf Twitter schrieb Berahino, dass er unter Präsident Jeremy Peace, der den Transfer verhindert habe, nie mehr für West Brom spielen werde. Er bekam eine Geldstrafe, löschte den Tweet und zwei Wochen später spielte er wieder für West Brom.

Seine Leistungen ließen aber nach, bald verlor er seinen Stammplatz. "Er kann froh sein, überhaupt auf der Bank zu sitzen", sagte Trainer Tony Pulis. "Er ist ein klasse Junge, aber er lässt sich zu oft selbst im Stich." Im Winter scheiterte wieder ein Transfer, diesmal zu Newcastle United. Dann kam der 27. Februar 2016 und ein Treffer gegen Crystal Palace. Es ist bis heute Berahinos letztes Tor in der Premier League.

Ein positiver Drogentest, ein Abstieg und drei Vaterschaften

Im folgenden September fiel Berahino durch einen Drogentest, ihm wurde der Gebrauch von MDMA nachgewiesen - doch davon erfuhr zunächst keiner etwas. Die FA sperrte ihn zwar für acht Wochen, doch Klub und Verband hielten die Strafe unter Verschluss, um den Spieler zu schützen. Mit der Begründung, er hätte Fitness- und Gewichtsprobleme, absolvierte Berahino Einzeltraining. "Ich war depressiv", sagte er später der BBC. "Ich bin jedem Morgen zum Trainingsgelände gegangen und wollte eigentlich nicht dort sein."

Im Winter verließ er seinen Jugendverein schließlich, wechselte für 15 Millionen Euro zu Stoke City und unterschrieb einen Vertrag über fünfeinhalb Jahre. Ein Neustart? Rund eine Woche nach dem Transfer enthüllte die Daily Mail die Drogensperre vom vorangegangenen Herbst. Stoke-Trainer Mark Hughes bestätigte, vor dem Transfer davon gewusst zu haben. Doch er vertraue Berahino.

Bald stellte sich Berahino selbst und sprach erstmals über den Vorfall. Er habe MDMA nicht bewusst genommen, sagte er der BBC. Jemand müsse es bei einer Party in sein Getränk gemischt haben. "Ich kann mir bis heute nicht erklären, wer mir so etwas antun könnte", klagte er. In der Rückrunde erzielte er kein einziges Tor mehr und in der gesamten folgenden Saison auch nicht.

2018_9_25_berahino(C)Getty Images

Stoke geriet in den Abstiegskampf und Berahino wurden wegen disziplinarischer Verfehlungen in der entscheidenden Saisonphase zur Reservemannschaft verbannt. Sein Verein stieg ab und nach Saisonende wurde Berahino angeblich innerhalb von neun Wochen Vater von drei Kindern, von drei verschiedenen Frauen.

Aufflackern von Hoffnung - doch er machte es wieder

Stokes neuer Trainer Gary Rowett begnadigte ihn, holte ihn zurück zur Profimannschaft. Dann kam der 28. August 2018: in einem League-Cup-Spiel bei Huddersfield Town traf Berahino wieder. Knapp zweieinhalb Jahre nach seinem bis dahin letzten Pflichtspieltor. 913 Tage! "Er ist einer unserer besten Spieler und sein Arbeitseifer ist exzellent", lobte Rowett und erzählte von seinem ersten Arbeitstag in Stoke. Berahino sei damals auf ihn zugekommen. "Er meinte, dass er an vielen Vorfällen selbst schuld gewesen sei. Diese Einsicht ist der wichtigste Schritt für jemanden, der Fehler gemacht hat und neu durchstarten will." Bald traf Berahino auch wieder in der Liga.

Es wirkte wie die finale Kehrtwende, doch es war das Gegenteil. Tatsächlich war es das letzte Aufflackern von Hoffnung. Im Februar 2019 machte er es wieder. Wieder fuhr er betrunken, wieder wurde er erwischt. Doch war er wirklich der Täter? Berahino wurde in betrunkenem Zustand ausgeraubt - um zu flüchten, nahm er sein Auto. "Ich hatte Angst", sagte er vor Gericht, "und musste vom Ort des Geschehens wegfahren. Sie hatten ein Messer und auch eine Pistole."

Als ihn die Polizei kurz darauf aufhielt, soll Berahino den Überfall zunächst verschwiegen haben. Später bewiesen Überwachungskamera-Videos den Hergang. Laut dem Gerichts war die Bedrohung jedoch nicht lebensgefährlich. Es sei nicht nötig gewesen, für die Flucht das Auto zu nehmen. Außerdem hätte auch seine nüchterne Freundin fahren können, die das Auto kurz zuvor noch gesteuert hatte. Das Gericht entzog Berahino für 30 Monate den Führerschein und belegte ihn mit einer Geldstrafe in Höhe von rund 85.000 Euro. Stoke suspendierte ihn, stoppte die Gehaltszahlungen und kündigte an, seinen Vertrag aufzulösen.

Zurück in Afrika, wo er vor 15 Jahren allein ins Flugzeug stieg

Berahino hatte seine wohl letzte Chance in England vergeben. 25 Jahre ist er mittlerweile alt und ganz unten angekommen. Was aus ihm wird, weiß keiner. Wohl schon gar nicht er selbst. Ende Mai soll Fenerbahce Interesse an einer Verpflichtung gezeigt haben, offiziell verkündet wurde ein Transfer jedoch nicht.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

1st training done, looking forward to the first group match 📍🇧🇮 #Intambamurugamba #Unity

Ein Beitrag geteilt von Saido Berahino (@berahino18) am

Nun ist Berahino erst mal zurück in Afrika. Dort, wo er einst mit einem aus Plastiksäcken zusammengeschusterten Fußball gespielt hatte, wo er geträumt hatte und vor 15 Jahren alleine ins Flugzeug gestiegen ist. Er ist jetzt Kapitän seines Heimatlandes Burundi.

Im vergangenen Herbst wurde er erstmals ins Nationalteam berufen. Möglich war das, weil er bei seiner einzigen Nominierung für England nicht eingesetzt worden war. Berahinos erste Partie für Burundi war ein Afrika-Cup-Qualifikationsspiel gegen Gabun und er erzielte direkt ein Tor. Nach vier weiteren Spielen war die erstmalige Qualifikation des Landes für das kontinentale Turnier perfekt.

Dort trifft Burundi zunächst am Samstag (19 Uhr) auf Nigeria, danach noch auf Madagaskar und Guinea. "Viele von unseren Jungs werden im Laufe ihrer Karriere kein größeres Turnier mehr spielen als dieses", sagte Berahino neulich. "Und womöglich auch ich nicht."

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