Ajax Amsterdam JubelGetty Images

Die niederländische Eredivisie im Fokus: Womöglich die interessanteste und zweitbeste Liga Europas

Im niederländischen Fußball gibt es aktuell einige ziemlich interessante Entwicklungen. Zunächst aber eine erstaunliche Statistik: In der Hinrunde sammelten die fünf Vertreter der Eredivisie in den europäischen Wettbewerbe 14,400 Punkte für die UEFA-Fünfjahreswertung. Damit liegen die Niederlande in diesem Zeitraum nur ganz knapp hinter Spitzenreiter Frankreich auf Platz zwei. Deutschland ist mit 11,785 Punkten Fünfter.

Durch den diesjährigen Erfolgslauf könnten sich die in der UEFA-Fünfjahreswertung aktuell siebtplatzierten Niederlande demnächst einen zweiten Champions-League-Fixplatz erarbeiten. Die Chancen auf viele weitere Punkte stehen jedenfalls gut, haben sich doch alle fünf Vertreter für die K.-o.-Runde qualifiziert: PSV Eindhoven, Feyenoord Rotterdam, Vitesse Arnheim und AZ Alkmaar in der Conference League, Ajax Amsterdam nach einer perfekten Gruppenphase samt zwei Siegen gegen Borussia Dortmund in der Champions League.

Ajax: Keine Probleme trotz Ausverkauf

Das ist insofern beachtlich, weil Ajax nach dem Vorstoß bis ins Champions-League-Halbfinale vor zweieinhalb Jahren große Teile seiner damaligen Erfolgsmannschaft verkaufte: Matthijs de Ligt zu Juventus, Frenkie de Jong zum FC Barcelona, Donny van de Beek zu Manchester United, Hakim Ziyech zum FC Chelsea.

Seitdem bewies der Klub wieder einmal, dass eine gute Nachwuchsarbeit und kluge Entscheidungen auf dem Transfermarkt regelmäßige Abgänge der besten Spieler und finanzielle Wettbewerbsnachteile ausgleichen können. Der Neuaufbau erfolgte in einem beachtlichen Tempo.

"Ajax hat schon immer Top-Spieler verkauft. Daran sind wir gewöhnt. Es werden neue junge Spieler durchstarten", prophezeite Dusan Tadic schon nach der Flut an Abgängen im Stile eines Außenministers. Recht hatte er! Kapitän Tadic und sein Vize Daley Blind sind die Ajax-Konstanten, an deren Seite derzeit neue Hoffnungsträger heranwachsen.

Zu nennen sind diesbezüglich vor allem die beiden Eigengewächse Jurrien Timber (20, Innenverteidigung) und Ryan Gravenberch (19, Mittelfeld) sowie Antony (21, Rechtsaußen). Damals noch völlig unbekannt, wechselte der Brasilianer 2020 für rund 16 Millionen Euro vom FC Sao Paulo nach Amsterdam. Eineinhalb Jahre später ist er ein Vielfaches wert und europaweit umworben.

Antony AjaxGetty Images

Ajax Amsterdam spielt so cool, wie es aussieht

"Das Verhältnis zwischen jugendlichem Ehrgeiz und Erfahrung passt bei Ajax sehr gut", sagt Frank Wormuth im Gespräch mit GOAL und SPOX. Der 61-jährige Deutsche trainiert den Eredivisie-Mittelständler Heracles Almelo, seit Jahren verfolgt er die Entwicklungen bei Ajax aus nächster Nähe.

Auszahlen würde sich dort vor allem "die Kontinuität auf dem Trainerposten". Erik ten Hag ist bereits seit 2017 bei Ajax tätig, seit seinem Amtsantritt schmetterte er etliche Avancen europäischer Top-Klubs ab. "Seine Handschrift ist deutlich zu erkennen", findet Wormuth. Und diese Handschrift verkündet: Ballbesitzfußball mit Hang zum Spektakel. "Wenn die mal in Fahrt kommen, kann sie keiner halten."

Die junge Ajax-Mannschaft spielt so cool, wie sie aussieht: Das dritte Trikot lehnt sich an die Rastafari-Farben rot, gelb und grün an, eine Hommage an die inoffizielle Klubhymne Three Little Birds des Reggae-Musikers Bob Marley. Was Ajax' Talente auf dem internationalen Spieler-Transfermarkt sind, sind die Trikots unter Fußballfans: Verkaufsschlager.

Und die Träger der Rastafari-Trikots sind Botschafter des Spektakels: Nach den 18 Hinrundenspielen weist Ajax in der Eredivisie ein irres Torverhältnis von 56:4 auf. Plus 52! Da kommt kein Klub in Europas Top-5-Ligen auch nur im Ansatz heran, nicht mal der FC Bayern München mit plus 40. Achtmal gewann Ajax mit mindestens fünf Toren Differenz. Maßgeblichen Anteil daran hat Sebastien Haller, der einst für Eintracht Frankfurt auf Torejagd ging und aktuell mit zwölf Toren bei 17 Einsätzen die Torschützenliste der Eredivisie anführt.

Ärgerlich ist aus Ajax-Sicht bloß, dass die lediglich vier Gegentore allesamt zu Punktverlusten führten. In der Tabelle liegt die Mannschaft deshalb kurioserweise nur auf Platz zwei hinter der PSV Eindhoven mit ihrem um 30 Treffer schlechteren Torverhältnis. PSV verlor die Topspiele gegen Ajax und das drittplatzierte Feyenoord zwar deutlich mit 0:5 und 0:4, teilte sich seine eigenen Treffer dafür aber optimal ein.

PSV unter Schmidt: Das Gegenstück zu Ajax

PSV ist gewissermaßen das Gegenstück zu Ajax. Das fängt schon bei den Herkunftsstädten an: Hier das historische Zentrum Amsterdam mit seinen Gässchen und Grachten, dort die moderne Technologiehochburg Eindhoven ganz im Süden des Landes. Während Ajax klassischen Ballbesitzfußball nach Gusto des 2016 verstorbenen Fußballlandesheiligen Johan Cruyff spielt, setzt PSV unter dem deutschen Trainer Roger Schmidt auf rasanten Umschaltfußball.

"In der ersten Saison hat seine Mannschaft das Gegenpressing körperlich noch nicht hinbekommen, mittlerweile klappt es besser", sagt Wormuth. Auch, weil Schmidt seine Prinzipien etwas gelockert hat und nun vereinzelt erholsame Elemente des Ballbesitzfußballs einfließen lässt. Musste PSV den Rivalen Ajax in der vergangenen Saison noch deutlich enteilen lassen, deutet sich nun ein enger Titelkampf an.

Roger Schmidt, PSV EindhovenGetty

Eine ähnliche Spielweise wie PSV praktiziert Vitesse Arnheim unter Trainer Thomas Letsch. Kein Wunder, fungierte er doch einst als Schmidts Assistent bei RB Salzburg. Letschs Mannschaft liegt in der Eredivisie auf Platz vier und steht in die K.-o.-Runde der Conference League. "Zu Beginn gab es durchaus eine gewisse Skepsis. Mittlerweile bekomme ich aber sehr viel positives Feedback. Die Leute sehen, dass es funktioniert und unser Fußball nicht nur erfolgreich, sondern auch attraktiv ist", sagte Letsch im Sommer im Interview mit GOAL und SPOX.

Die Niederlande und das 4-3-3-System

Just zu dieser Zeit entbrannte in den Niederlanden eine große Systemdebatte. Bondscoach Frank de Boer hatte es tatsächlich gewagt, Cruyffs "Vermächtnis", das berühmte 4-3-3, zu verraten und die Elftal bei der Europameisterschaft in einem 3-5-2-System zu formieren. "Das war eine kleine Revolution, da das klassische holländische 4-3-3 als unantastbar galt", sagte Letsch, der in Arnheim ebenfalls auf eine Dreierkette setzt.

Während Letsch lediglich lokalen Gegenwind in Arnheim spürte, blies er de Boer landesweit entgegen. Fans und Medien kritisierten ihn für die Umstellung harsch, das Achtelfinal-Aus gegen Tschechien wurde entsprechend mit einem gewissen Hauch Genugtuung aufgenommen: Wir haben es ja gesagt!

Niederlande Frank de Boer Stefan de Vrij Frenkie de jongGetty Images

Anschließend übernahm Louis van Gaal zum dritten Mal das Amt des Bondscoachs. Umgehend kehrte er, der während seiner zweiten Amtszeit bei der WM 2014 noch mit Dreierkette spielen ließ, zum 4-3-3 zurück - und siehe da: In sieben Spielen blieben die Niederlande seitdem ungeschlagen und qualifizierten sich für die WM in Katar. Trotz gänzlich unterschiedlichen Spielideen setzen Ajax und PSV aktuell auf ein 4-3-3, genau wie übrigens auch der dritte Top-Klub Feyenoord Rotterdam.

"Feyenoord spielt eine Mischform aus Ajax und PSV. Die können alles: kontern, den Ball kombinieren, hoch pressen, tief stehen", sagt Wormuth. Etabliert hat dieses variable System Trainer Arne Slot, der in der vergangenen Saison noch beim diesjährigen fünften Europapokal-Starter AZ Alkmaar tätig gewesen war. Diese Spitzenklubs könnten laut Wormuth allesamt "in jeder Liga mitspielen. Danach gibt es aber ein größeres Leistungsgefälle, sprich: eher Zweitliganiveau".

Mario Götze in den Niederlanden? "Passt perfekt"

Auch deshalb tummeln sich in der Eredivisie vor allem bei den Hinterbänklern etliche deutsche Profis, für die es in der Heimat eher nicht für die Erstklassigkeit reichen würde. In den Niederlanden dürfen sie dagegen in einer Liga spielen, die den wunderbar erhaben klingenden Namen Eredivisie trägt. Mit 24 Spielern stellt Deutschland die größte Gruppe an Legionären.

Einige dieser Legionäre überzeugen auch bei Klubs aus oberen Tabellenregionen: Maximilian Wittek von Vitesse und Keeper Lars Unnerstall von Twente Enschede schafften es beispielsweise bei diversen Abstimmungen in Mannschaften der Hinrunde. Der berühmteste Deutsche in den Niederlanden steht aber bei PSV unter Vertrag, ist Weltmeister und heißt Mario Götze.

Mario Götze Eindhoven 10082021Getty

Hatte Götze in seiner Premierensaison noch mit Verletzungen zu kämpfen, ist er mittlerweile meist fit und unumstrittener Stammspieler. Zwölf Torbeteiligungen gelangen ihm in 28 Pflichtspielen schon - vielleicht aber noch wichtiger: Ausgerechnet der Deutsche verleiht Schmidts ansonsten eher "un-niederländisch" spielender PSV einen Hauch Heimat. "Mit seiner quirligen Spielweise passt er perfekt in den niederländischen Fußball", sagt Wormuth: "Wenn er nicht Mario Götze heißen würde, würde er wahrscheinlich Mario van Götze heißen."

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