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Ex-Nationalspieler Malik Fathi im Interview: "Ein Fußballtrainer mit einer Shisha-Bar ist vielleicht nicht die prickelndste Konstellation"


EXKLUSIV

Als Spieler interessierte sich Malik Fathi nicht sonderlich für Taktik. Nach seiner Karriere machte er erst mal eine Ausbildung zum Mentaltrainer, nun ist der erste DFB-Team-Debütant unter Bundestrainer Joachim Löw Co-Trainer bei der zweiten Mannschaft von Hertha BSC.

Im Interview mit Goal und SPOX spricht Fathi über die Unterschiede zwischen Coaching und Training, den Druck im Profifußball, Thomas Tuchels Trainingsmethoden und seine Shisha-Bar auf Mallorca.

Herr Fathi, Sie haben nach Ihrem Karriereende 2018 eine Ausbildung zum Mentalcoach gemacht. In der vergangenen, wegen Corona abgebrochenen Saison, waren Sie Co-Trainer von Andreas "Zecke" Neuendorf bei der U23 von Hertha BSC. Was kommt als nächstes?

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Malik Fathi: Ich bleibe Zeckes Co-Trainer in der U23. Hertha hatte früh signalisiert, dass sie mit mir weitermachen wollen und für mich ist auch klar, dass ich jetzt Fußballtrainer bin.

Das Mentalcoaching ist vorbei?

Fathi: Was ich in der Ausbildung zum Mentalcoach gelernt habe, das kann ich als Erfahrung jetzt in meine Arbeit mit einbringen. Vor allem die verschiedenen Kommunikationstechniken für die Gespräche mit den Spielern. Aber es ist nicht so, dass ich als Trainer bestimmte Methoden aus dem Mentalcoachingbereich anwenden würde. Man darf das auch nicht zu sehr verschmelzen.

Wieso nicht?

Fathi: Im Mentalcoaching geht es auch um andere Dinge als beispielsweise um Saisonziele. Das ist ganzheitlicher. Als Mentalcoach möchte ich das gute Gefühl in einem wecken. Wenn du in einer Mannschaft als Fußballtrainer 20 Spieler nach ihrem Ziel fragst, werden dir alle sagen, dass sie Stammspieler sein wollen. Also wirst du schon mal mindestens neun Spieler enttäuschen.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie trotzdem Trainer werden wollen?

Fathi: Nach meinem letzten Profijahr bei Atletico Baleares habe ich mir bewusst ein Findungsjahr gegönnt. Ich hatte noch als Spieler Trainerscheine gemacht und auch schon Coachingseminare besucht und mich selbst coachen lassen. Die Idee war, dass ich entweder Fußballtrainer werde oder mich selbstständig mache und versuche, Einzelsportler oder auch Mannschaften zu coachen. Bei Atletico Baleares durfte ich dann in der Vorbereitung als Mentalcoach dabei sein, da habe ich mit jedem Spieler ganz persönliche Ziele festgemacht und besprochen, warum sie diese Ziele erreichen wollen und wie. Das hat Spaß gemacht.

Malik FathiGetty ImagesQuelle: Getty Images

Aber?

Fathi: Wenig später habe ich während eines Seminars eine Übung gemacht, in der mögliche Lebenswege durchgespielt wurden. Und da habe ich gesagt: 'Nee! Ich muss im Fußball bleiben!' Ich hatte bei Atletico auf dem Platz Blut geleckt.

Inwiefern Blut geleckt? An der Vermittlung von Taktik?

Fathi: Das zum einen. Als Fußballer habe ich mich dafür gar nicht interessiert. Ich war der Typ, der nach dem Training nach Hause gegangen ist und sich danach mit dem Fußball nicht mehr auseinandergesetzt hat. Da habe ich nicht mal die Sportschau geschaut.

Ernsthaft?

Fathi: Ich war in jedem Wettkampf zu hundert Prozent da, war voll im Moment, hatte sehr viel Biss und wollte unbedingt gewinnen. Und dazu gehörte, alles, was man im Training geübt hatte, so gut wie möglich umzusetzen. Aber ich konnte mir als Spieler ganz lange nicht vorstellen, dass es mich irgendwann mal interessieren würde, die Gegner im Detail zu analysieren oder die eine kleine Schwäche zu finden, in die man hineinstechen kann. Ich habe erst in diesem Findungsjahr gemerkt, dass mir diese Dinge sehr viel Spaß machen: Welche Systeme spielt der Gegner, welche will ich spielen lassen, welche Spieler stehen mir zur Verfügung, wie und wo kann ich diese am besten einsetzen, wo wollen wir pressen usw. Aber das ist nicht alles.

Bitte!

Fathi: Ich musste lernen, dass du diese Emotion, die dir der Fußball bringt, im normalen Leben nicht erreichst. Positiv und negativ. Die Energie im Fußball ist krass, die hast du in einem normalen Job nicht und die vermisst du, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist. Ich hoffe, dass ich sie im Trainerdasein wiederfinde.

Eine Sucht nach Wettkampf?

Fathi: Es darf nicht zur Sucht oder zu einem Zwang werden, das wäre langfristig nicht gesund. Aber ich mag den Wettkampf. Manchmal trainiere ich noch mit, dann muss ich aufpassen, dass ich nicht zu sehr wieder Spieler werde. Diese Competition hat mein Leben ausgemacht und macht wahrscheinlich das Leben vieler Spieler aus. Dieser Wettkampf bringt auf der einen Seite den enormen Druck rein, den man als Fußballer aushalten muss. Aber der Wettkampf ist andererseits einfach geil, macht den Sport lebendig, treibt die Zuschauer ins Stadion.

Ich könnte mir vorstellen, dass es für einen Trainer viel schwieriger ist abzuschalten als für einen Spieler.

Fathi: Hunderprozentig. Für einen Trainer gibt es immer Stellschrauben, die er verbessern kann, als Trainer kannst du immer weiter optimieren. Bruno Labbadia fängt bei der Hertha gefühlt jeden Tag um acht an und geht fast nie vor 20 Uhr nach Hause, Zecke arbeitet auch nicht weniger. Und dann wird der Fußball immer komplexer. Was Pep Guardiola oder Thomas Tuchel an Zeit in die Gegneranalyse stecken! Das wird auch für mich interessant sein, wie ich das machen werde. Auch da ist Balance the Key. Du musst ein gutes Gleichgewicht finden zwischen Akribie und Akzeptanz.

Erklären Sie das bitte!

Fathi: Das habe ich etwa bei Thomas Tuchel in Mainz gelernt. Der hat uns als individuell oft schlechtere Mannschaft immer so vorbereitet, dass wir mit allen Mannschaften auf Augenhöhe agieren konnten. Dementsprechend erfolgreich waren wir auch. Das erfordert ganz große Akribie bei der Suche nach der richtigen Strategie. Aber irgendwann muss man dann aufhören mit dem Suchen, irgendwann muss man loslassen und sagen: 'Ich hab mein Bestes getan, jetzt spielen wir Fußball.' Wie ich damit umgehen werde, ist auch für mich eine spannende Frage.

Wie konnte man als Spieler unter einem so fordernden Trainer wie Tuchel nach dem Training abschalten und nach Hause gehen?

Fathi: Tuchels Training ist hochgradig komplex, aber du trainierst es in dem Moment. Die Übungen sind auch zu verstehen. Es war nicht so, dass ich nach Hause gegangen bin und Wirrwarr im Kopf hatte. Der Trainer macht sich ja die Gedanken, er macht das Training, er überlegt sich den Matchplan. Als Spieler hörst du einfach nur zu und versuchst die Dinge dann umzusetzen. Vor den Spielen ist man ja im Hotel, da hat man genügend Zeit, sich den Matchplan durch den Kopf gehen zu lassen.

Malik Fathi Thomas Tuchel 25102013getty ImagesQuelle: Getty Images

Aber hat man als Spieler das große Ganze im Blick? Versteht man den ganzen Matchplan?

Fathi: Einen Eindruck vom großen Ganzen gibt es schon, die Anweisungen sind ja hauptsächlich gruppen- und mannschaftstaktisch. Tuchel zeigte dir auch bei einem Gegner wie Bayern München gewisse Lücken und gab dir dann Methoden an die Hand, wie man auch gegen solche Mannschaften erfolgreich sein konnte. Das lief dann nach dem Motto, 'wenn wir da schnell umschalten, könnte dies und das passieren'. Und oft passierte ja auch genau dies und das. Oft ging der Plan auf, wir haben ja auch gewonnen gegen Bayern.

Das Training mit Tuchel hat aber nicht dazu geführt, dass Sie sich mehr mit dem Fußball als solchen beschäftigt hätten?

Fathi: Du ziehst natürlich Vergleiche mit deinen früheren Trainern, das passiert automatisch. Und natürlich war das etwas völlig anderes. Ich fand es generell total wichtig, wenn ich im Spiel eine Struktur hatte und ein ganz klares Konzept, aber eben auch Intuition und Phantasie zugelassen waren. Das war bei Tuchel immer so, das fand ich weltklasse. Aber ich verstehe erst jetzt wirklich, wie komplex das alles ist. Als Spieler ging es mir darum, die Anweisungen so gut wie möglich umzusetzen und so wenige Fehler wie möglich zu machen.

Tuchel hat mit Mainz immer wieder die Taktik des Gegners gespiegelt. War das das Erfolgsgeheimnis?

Fathi: Er hat nicht jeden Gegner gespiegelt. Das war nur eine von mehreren Strategien. Tuchel hat damals zum Beispiel auch viel rotiert, die Spieler eingesetzt, von denen er glaubte, dass sie gegen diesen und jenen Gegner anhand seines vorher erstellten Schwächenprofils des Gegners am besten funktionieren würden. Auch unabhängig von den Leistungen in den letzten Spielen. Ich glaube, das waren die zwei wesentlichen Erfolgsgeheimnisse Tuchels: die Mannschaft voll auf den Gegner einzustellen, den Gegner auch mal zu spiegeln und dann aber auch die eigenen Spieler so spielen zu lassen, dass es möglichst erfolgsversprechend war. 'Never change a winning team' oder sowas gab es bei ihm nicht.

Wie erklärt Tuchel einem Spieler, dass er heute auf der Bank sitzt?

Fathi: Mit dem großen Ganzen, mit seinem Matchplan. Und du siehst ja als Spieler, dass es nicht nur dir so geht, dass er wirklich nur aus taktischen Gründen rotiert und es nichts Persönliches ist, wenn du mal auf der Bank sitzt. Am Anfang magst du noch ein wenig sauer sein, aber irgendwann ist da einfach auch eine gewisse Akzeptanz da. Aber natürlich war das bei uns in Mainz einfacher: wir hatten keinen Über-Star, keinen, der immer spielen musste. Deswegen würde es mich sehr interessieren, wie er es jetzt in Paris macht. Wie er dort mit den Animositäten der Stars umgeht.

Hilft es, Profi gewesen zu sein für die Arbeit als Trainer?

Fathi: Technisch und taktisch habe ich über Jahrzehnte auf einem Top-Level gespielt und weiß, wo man ansetzen kann und wo kleine Fehler versteckt sein könnten. Da kann ich natürlich meine Expertise einbringen. Ich war ja kein dummer Fußballer, habe schon verstanden, was von mir gefordert wurde. Und ich habe mich schon als Spieler sehr beschäftigt mit der Erwartungshaltung von außen und ebenso mit der eigenen. Es ist nicht einfach, wenn 60.000 Zuschauer im Stadion nach deinem Erfolg gieren und dich das Publikum zu Hause am Fernseher dabei mit Superzeitlupen begleitet. Ich habe Verständnis für die Spieler, weiß, was motivational und emotional da in ihnen vorgeht. Diese Expertisen kann ich als Trainer einbringen. Aber ich stehe trotzdem noch ganz am Anfang. Ich habe als Trainer noch keine Expertise, was die Übungen oder den Führungsstil angeht. Das sind Sachen, die ich lernen muss.

Stichwort Erwartungshaltung: Was ist für einen jungen Spieler im Übergang zum Profibereich schwieriger: Die eigene oder die von außen?

Fathi: Grundsätzlich eher die Erwartungshaltung von außen, mit der jeder anders umgeht. Manche denken von Anfang an von sich, sie seien die Größten. Und dann gibt es welche, die sich die ganze Zeit hinterfragen und von außen besser gesehen werden als selbst. Aber am Anfang der Karriere ist es noch recht simpel. Am Anfang wird ja von den Fans und Medien schon ein normaler Pass fast gefeiert. Je höher das Niveau steigt, desto höher werden die Erwartungen. Das Niveau immer wieder zu bestätigen, das ist die Kunst, das ist das Schwierige. Konstanz ist fast das wichtigste Thema im Fußball.

Wie war das bei Ihnen zu Beginn Ihrer Karriere? Sie feierten 2003 mit 20 Jahren Ihr Debüt bei Hertha, kamen in eine Mannschaft, die den Anspruch hatte, in die Champions League zu kommen, sich am Ende aber nur knapp rettete.

Fathi: Ich habe in der Rückrunde 13 Spiele gemacht unter Hans Meyer, da war die Erwartungshaltung und Konstanz genau das Thema. Es lief nicht so dolle, aber wir jungen Spieler wurden nicht für die Krise verantwortlich gemacht. Wir waren halt die Jungen. Der Druck war für mich also auszuhalten. Als ich dann aber recht schnell 100 Bundesligaspiele gemacht hatte, als Leistungsträger galt und 2006 Nationalspieler wurde, da war das mit dem Druck schon eine ganz andere Hausnummer.

Bevor wir das Thema Druck vertiefen: Sie haben ein paar Jahre vor Kevin-Prince Boateng, Chinedu Ede, Patrick Ebert, Ashkan Dejagah Ihr Debüt gegeben. Wie war das für Sie, als schließlich diese goldene Hertha-Generation zu den Profis kam?

Fathi: Es war schon eine besondere Zeit, dass so viele aus der eigenen Jugend den Sprung schafften. Ich wurde immer ein bisschen als Kapitän der Jungen gesehen. Und ich hatte schon das Gefühl, dass die Führungsetage wollte, dass ich positiv auf die Jungs einwirke, als es zu Problemen kam. Aber ich war nur ein, zwei Jahre älter. Da greifst du dir nicht einen Kevin-Prince Boateng, der fußballerisch schon brutal komplett war in dem Alter, und sagst ihm, wo's langgeht! Bei solchen Dingen geht es ja immer auch um Erfahrungsaustausch. Ich bin nicht auf Streife gegangen oder sowas.

Die Gruppe wurde damals auch als "Ghettoboys" tituliert.

Fathi: Patrick Ebert und Jerome Boateng kamen glaube ich nicht aus dem Ghetto, Sofian Chahed und ich auch nicht, wir sind schon wohlbehütet aufgewachsen. Aber natürlich wurden wir alle in einen Topf geworfen. Doch das war mir ziemlich egal. Ich konnte es ja nicht ändern. Man wird ja gern in Schubladen gesteckt, also kann man auch damit spielen, ein bisschen ironisch damit umgehen.

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Können Sie ein Beispiel nennen?

Fathi: Ich hatte damals zum Beispiel auch einen Mustang und einen Range Rover, habe aber schnell gemerkt, dass das auch nur Autos sind. Also bin ich mit dem Fahrrad zum Training gekommen. So ein bisschen Out-of-the-Box-Denken war schon immer meins. Ich mag Luxus und finde, dass man ihn genießen sollte, wenn man ihn sich leisten kann. Aber genauso wichtig ist mir, auch mal Urlaub auf dem Zeltplatz zu machen.

Zurück zum Thema Druck: Per Mertesacker hat 2018 sehr drastisch beschrieben, was für körperliche Folgen der Druck für ihn hatte, wie er sich vor Spielen immer wieder übergeben musste ...

Fathi: Ich fand das mutig von ihm. Es ist schwierig, über Druck zu reden. Du wirst ja gut bezahlt als Profi, du hast relativ geringe Arbeitszeiten. Da kannst du Außenstehenden kaum erklären, wie groß das Thema Druck ist.

Dann erklären Sie doch mal!

Fathi: Viele junge Spieler haben schon so eine Schwere drin, wenn du dich mit ihnen unterhältst. Da ist eine Angst vor der Aufgabe, Angst vor dem Scheitern. Der Mechanismus ist ja extrem: Heute gewinnst du, dann bist du der Geilste. Und wenn du verlierst, bist du eine Flasche, ein Nichts. Solche Reaktionen gehen tief in einen rein. Du wirst als Profi ja nie für deine ganze Arbeit beurteilt, sondern immer nur für die 90 Minuten, die du unter dem Brennglas stehst. Oder sogar nur wegen einer einzelnen Szene. Du kannst so gut trainiert haben wie du willst, kannst Extra-Training machen, dich perfekt vorbereiten: Machst du während des Spiels einen Fehler, heißt es dennoch sofort: Der verdient Millionen, so ein Versager! Dem gerecht zu werden, das ist Druck. Ja, wir haben den geilsten Job der Welt, das sage ich selbst ja auch. Fußballer müssen sich bewusst sein, was für ein privilegiertes Leben sie haben. Du musst aber auch den Erwartungen gerecht werden, du musst das Niveau wieder und wieder bestätigen. Profis leben einen Traum. Aber der Traum ist nicht nur positiv. Wenn es nur um Fame und Geld gehen sollte im Leben: Wieso drehen dann beispielsweise so viele Stars in Hollywood durch?

Wie kann man Spieler davor schützen, durchzudrehen?

Fathi: Jede Mannschaft hat mittlerweile Sportpsychologen oder arbeitet mit Mentaltrainern zusammen. Ich sehe da konzeptionell aber noch viel Luft nach oben. Der Fokus liegt oft noch auf dem kurzfristigen Erfolg oder auf kurzfristige Linderung der Probleme. Aber es sollte darum gehen, schon bei Jugendspielern eine gewisse Stärke aufzubauen, um später mit den Dingen umgehen zu können, die einen da erwarten.

Was gäbe es da für Techniken?

Fathi: Man muss dahin kommen, die Konzentration auf das Spiel an sich zu legen und die ganzen Dinge, die von außen kommen, auszublenden. Das geht über Fokustraining, über Konzentrationsübungen. Oder indem man immer wieder einfach mal die Frage stellt, was man am Fußball so toll findet. Die Spieler sollen das Gefühl beschreiben, wie es ist, einen Zweikampf zu gewinnen oder eine Vorlage zu geben. Die schönen Dinge sollen im Fokus sein und nicht das Schlechte, das passieren könnte. Wichtig ist auch, die Entspannung zu schulen, sei es durch Meditation, Yoga oder was auch immer einem dabei hilft, die Dinge einfach anzunehmen. Damit man sich nicht nur über das definiert, was am Spieltag passiert. Nur weil ich schlecht gespielt habe, bin ich ja immer noch ein guter Mensch. Das muss ich begreifen. Da kann man ansetzen. Ich fände es cool, wenn das in den Jugendakademien schon Thema wäre. Aber: Der Fußball ist jetzt schon megakomplex, die Frage ist, wie man das auch noch draufpacken kann.

Muss man als Profifußballer vielleicht verstehen, dass man am Ende auch nur einem Job nachgeht?

Fathi: Nein, das hört sich für mich zu kalt an. Fußball ist etwas Besonders. Fußball ist ein hochenergetisches, hochemotionales Spiel, das so viele Menschen bewegt. Es geht darum, zu lernen, dieses Besondere beizubehalten und sich so zu optimieren, dass man nicht am Druck kaputt geht.

Wurde am Anfang Ihrer Karriere thematisiert, wie man mit dem Druck umgehen könnte?

Fathi: Überhaupt nicht. Mich persönlich hat das Thema interessiert, daher habe ich mich schon früh damit beschäftigt und viele Bücher gelesen. Wobei mich am Anfang vor allem die Frage bewegt hat, wie es möglich ist, mit einer gewissen Überzeugung, typische 50:50-Situationen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Das klingt so ein bisschen nach Hokuspokus, aber Glück und Pech sind bis zu einem gewissen Grad beeinflussbar. Ich bin beispielsweise nie vors Tor gekommen, dann habe ich mal ein Tor gemacht, und dann kam der Ball bei Standards plötzlich wie magnetisch zu mir. Solche Dinge kann man durch Fokustraining trainieren. Das hat mich früh interessiert und dementsprechend habe ich mich früh damit auseinandergesetzt.

Was haben Sie gemacht?

Fathi: Ich habe früh angefangen, mich in die Thematik einzulesen. Als ich 2008 zu Spartak Moskau gewechselt bin, war ich kurzzeitig auch an der Fernuni Hagen in Sportpsychologie eingeschrieben. Aber da habe ich schnell gemerkt, dass es mir weniger um die klinischen Krankheitsbilder ging, sondern vor allem um das Thema Motivation. Während einer Sommerpause habe ich dann ein Motivationsseminar von Anthony Robins besucht. Das ist ein Motivations- und Mentalguru aus den USA. Das Seminar habe ich bezahlt und mich vier Tage damit auseinandergesetzt, was ich eigentlich erreichen will in meinem Leben und vor allem, warum ich das möchte. Aber man muss sich vor Augen führen, dass auch das ein Training ist und dass es Jahre dauern kann, bis man den richtigen Fokus gesetzt hat. Das vergisst man schnell. Es ist eine Frage der Beharrlichkeit.

Sie hatten diese Beharrlichkeit?

Fathi: Na ja, ich bin damals ins Seminar, habe dann in der Sommerpause extra Schnelligkeitstraining gemacht, weil ich da gewisse Schwächen hatte, meine Stärke lag ja eher in der Antizipation. Ich bin also hochgradig motiviert und fit zurück nach Moskau - und nach zwei Wochen hat mir der Torwart drei Rippen gebrochen und ich war erst mal raus. Dann fliegst du natürlich erst mal auf die Fresse. Aber da beginnt die Arbeit auch erst richtig.

Pep Guardiola soll von Furcht getrieben sein, er soll seine Mannschaften so offensiv spielen lassen, weil er Angst vor Angriffen des Gegners hat. Er gewinnt also, weil er Angst hat zu verlieren. Unabhängig von der Druck-Thematik. Können Sie damit etwas anfangen?

Fathi: Ich habe gelernt, dass es eine Hin-zu- und eine Weg-von-Motivation gibt. Hin-zu wäre zum Beispiel, dass ich das Spiel gewinnen, ein Tor machen und den Titel gewinnen möchte. Weg-von wäre: Ich möchte kein Loser sein, die Niederlage tut weh, also gewinne ich. Beide Motivationen sind gute Motoren, um erfolgreich zu sein.

Und Sie? Was für ein Typ sind Sie?

Fathi: Ich kann beide Sichtweisen verstehen, Niederlagen tun weh. Gerade, wenn es nicht so gut lief, führte die Erinnerung an den Schmerz der Niederlage zumindest zur Motivation, alles dafür zu tun, um nicht wieder zu verlieren. Aber meine Energie geht noch ein bisschen mehr dahin, dass ich gewinnen will, weil sich der Sieg super anfühlt. Ich bin mehr so der Typ, der es geil findet, anzurennen und zu gewinnen.

Was ist leichter: Zu lernen, mit Niederlagen umzugehen, vielleicht sogar mit Abstiegen, oder mit dem Druck in Spitzenmannschaften wie Bayern oder Barcelona, immer gewinnen zu müssen?

Fathi: Gefühlt hat man bei den Bayern jetzt bei normalen Ligaspielen nicht unbedingt den Eindruck, dass sie großen Druck verspüren würden, gewinnen zu müssen. Sie gewinnen ja eh. (lacht) Im Ernst: Wahrscheinlich ist es ungefähr der selbe Druck und gleich schwer. Ich glaube zum Beispiel auch, dass das Hochgefühl, den Klassenerhalt in der Relegation geschafft zu haben, vergleichbar ist wie mit der Gefühlsexplosion, wenn feststeht, dass man die Meisterschaft gewonnen hat. Beides ist reine Euphorie, glaube ich. Aber mir fehlen da die Erfahrungswerte, ich wurde weder Meister, noch habe ich in der Relegation den Klassenerhalt geschafft.

Gegen welche Spieler haben Sie nicht so gern gespielt?

Fathi: Bochums Paul Freier hat es mir immer schwer gemacht. Schalkes Jefferson Farfan war krass. Der war so schnell und flexibel, in seiner Art, am Gegner vorbeizukommen. Sei es ein Dribbling, ein Doppelpass oder eine Finte: Farfan war ziemlich komplett. Antizipieren war ja mein Ding, das ging bei Farfan aber nicht immer. Ich gehörte eher zu den langsameren Spielern, daher musste ich schneller im Kopf sein als meine Gegenspieler. Gegen David Odonkor bin ich immer drei Sekunden, ehe er selbst wusste, dass er überhaupt losrennen würde, losgelaufen. Nur, um dann zeitgleich am Ball zu sein. (lacht)

Sie waren 2014/2015 sechs Monate arbeitslos, ehe sie nach Mallorca zu Atletico Baleares in die dritte Liga gegangen sind. Wie nah waren Sie davor, was ganz anderes zu machen als Fußball?

Fathi: Es war schon eine merkwürdige Zeit. Ich habe mich damals bei Hertha in der U23 fitgehalten. Am schwierigsten fand ich, dass einfach so wenige Anfragen für mich kamen. Ich war nicht der Spieler, der dieses und jenes verdienen musste oder den Anspruch hatte, nur zu bestimmten Vereinen wechseln zu wollen. Ich hätte natürlich auch ein Probetraining irgendwo gemacht. Dass da so gar kein Interesse an mir da war, das war natürlich nicht schön. Aber in dieser Zeit ist auch mein Sohn geboren, dadurch hatte ich auch viel Ablenkung. Und: Ich hasse es, zu verlieren, aber es war bei mir nie so, dass ich mich als Mensch nur über den Fußball identifiziert hätte. Ich kann mich Gott sei Dank auch für andere Dinge begeistern. Daher fand ich die Phase scheiße, aber ich habe keine Depressionen bekommen.

Dann kam doch noch das Angebot aus Mallorca.

Fathi: Zuvor habe ich dann doch noch ein Probetraining bei Sturm Graz gemacht, die auch ganz angetan waren. Dass ich dann zu Atletico Baleares gegangen bin, hatte natürlich auch was mit der Lebensqualität zu tun. Und ich fand die Konstellation spannend. Atletico Baleares hat mit Ingo Volkmann einen Berliner Inhaber, der Klub wollte aufsteigen. Und dann hab ich das gemacht und bin da hin.

Von außen betrachtet sieht es ein bisschen so aus, als ob es in Ihrer Karriere irgendwann einen Bruch gegeben hätte: Sie waren bei der Hertha, wurden Nationalspieler, gingen nach Moskau, waren dann lange in Mainz erfolgreich. Dann kamen zwei sechsmonatige Leihen nach Kayseri in die Türkei und zu 1860 München, dann waren sie arbeitslos, am Ende waren sie in der dritten spanischen Liga ...

Fathi: Grundsätzlich: Ich hatte schon immer ein bisschen Fernweh. Ich war 25 Jahre in Berlin und wollte gerne mal woanders hin. Aber ich war auch zu der Zeit nicht der Megastar mit zig Angeboten. Moskau war schon ein Jahr an mir dran und ich hatte immer wieder abgesagt. Eigentlich hatte Hertha auch gerade die Option auf Verlängerung meines Vertrags gezogen. Aber ich bin dann nach der nächsten Anfrage aus Moskau doch mal hin und habe mir alles angeschaut. Die Mannschaft spielte in der Champions League, und dann habe ich mir gedacht: 'Machste das einfach. Lernste ne neue Kultur kennen, lernst eine neue Sprache.'

Verdienste ein bisschen Geld ...

Fathi: Klar, finanziell war das auch gut. Aber in diesem Zusammenhang: Ich habe nach meinen ersten anderthalb Jahren in Mainz freiwillig meinen Vertrag in Moskau aufgelöst und habe dann in drei Jahren in Mainz ungefähr so viel verdient, wie ich im letzten dreiviertel Jahr in Moskau verdient hätte. Es ging mir immer vor allem um die Frage, wo ich wachsen könnte. Als Fußballer, als Mensch. Das war in Moskau irgendwann nicht mehr so. Mainz war dann lange sehr gut, aber dann kam die Anfrage aus Kayseri und ich dachte mir, dass ich die Gelegenheit nutzen könnte, um mal richtig türkisch zu lernen. Die Ausleihe hätte ich mir sportlich sparen können und vielleicht war ich dann am Ende ein bisschen zu oft ausgeliehen, aber bereue ich irgendeine Entscheidung? Überhaupt nicht. Ich bin hier, wo ich bin, weil ich die Entscheidungen getroffen habe. Mein Weg gefällt mir, wie er ist. Ich würde manches vielleicht nicht mehr machen, aber ich bereue es nicht.

Haben Sie denn türkisch gelernt?

Fathi: Schon. Vorher hatte ich schon russisch gelernt und Interviews auf russisch gegeben, aber das rostet auch langsam ein. Spanisch spreche ich gut, am wenigsten spreche ich türkisch.

Gibt es Ihre Shisha-Bar auf Mallorca noch?

Fathi: Ja, die gibt es noch. Wegen Corona ist es in den letzten Monaten da natürlich auch schwierig. Ein Kumpel von mir hatte die Idee, sie zu eröffnen, der betreibt sie auch. Das war eine kleine Marktlücke. Ich habe die Bar finanziert, sobald sie abbezahlt ist, übernimmt er sie alleine. Denn obwohl die Bar "Shisha Brothers" in normalen Zeiten super läuft, ist ein Fußballtrainer mit einer Shisha-Bar vielleicht nicht die prickelndste Konstellation.

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