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Barca-Präsidentschaftskandidat Toni Freixa im Interview: "Messis Verhalten ist enttäuschend"


EXKLUSIV
Toni Freixa arbeitete beim FC Barcelona viele Jahre als Sprecher und Funktionär unter den Präsidenten Joan Laporta, Sandro Rosell und Josep Bartomeu. 2015 stellte er sich selbst zur Wahl, hatte aber gegen Bartomeu das Nachsehen. Im Interview mit Goal und SPOX spricht der katalanische Anwalt über die Krise des Klubs und den Wechselwunsch von Lionel Messi.

Außerdem kündigt Freixa an, auch bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im März kandidieren zu wollen und erklärt, warum der FC Bayern ein Vorbild für die Blaugrana sein kann.

Herr Freixa, Lionel Messi will den FC Barcelona verlassen. Was geht in einem Barcelonista wie Ihnen gerade vor?

Toni Freixa: Enttäuschung. Wenn im Umfeld des Vereins nicht mehr über eine historische Niederlage in der Champions League gesprochen wird und die Ankunft eines neuen Trainers genauso uninteressant scheint wie die Tatsache, dass in zwei Wochen die neue Saison losgeht, muss es um etwas Großes gehen. Es geht um den Spieler, der für den Verein alles war. Messi hat alles mit Barca gewonnen, Barca hat alles mit Messi gewonnen. Er prägte eine goldene Ära, die nun zu Ende geht.

Sie klingen so, als wäre Messis Abschied in Stein gemeißelt. Wissen Sie mehr?

Freixa: Wie ich von mehreren Seiten gehört habe, ist die Entscheidung in dem Spieler über mehrere Jahre gereift und unwiderruflich. Ich glaube nicht, dass es noch ein Zurück gibt.

Wie konnte es dazu kommen?

Freixa: Messi ist ein Spieler, der sich nach dem maximalen Erfolg sehnt. Er allein kann den maximalen Erfolg nicht erreichen, er braucht eine Mannschaft dazu. Die hat er nicht. Seit dem Triple-Gewinn 2015 fehlt der internationale Erfolg. Das beschäftigt ihn. Sein Entschluss ist der negativen sportlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren geschuldet.

Freixa: Messi? "Das Beste wäre eine friedliche Lösung"

Es heißt, Barcas Präsident Josep Bartomeu habe einen großen Anteil an Messis Entschluss.

Freixa: Der Präsident ist der Hauptverantwortliche eines Vereins und wird in erster Linie an den Erfolgen auf dem Platz gemessen wird. Wenn diese ausbleiben und eine prägende Figur wie Messi dann der Meinung ist, woanders erfolgreicher sein zu können, fällt das natürlich auf den Hauptverantwortlichen zurück. Bartomeu ist sicherlich mitschuldig an der Situation, weil ein Präsident auch die Aufgabe hat, ein enges Verhältnis zu den wichtigsten Stützen der Mannschaft aufzubauen. Sei es zum Trainer, sei es zu den Kapitänen. Das ist ihm über die Jahre nicht gelungen. Er konnte nicht verhindern, dass Messi in einem Vereinswechsel die einzige Alternative für sich sieht. Das ist ein Desaster. Allerdings: Es gibt nie einen alleinigen Schuldigen.

Lionel Messi Josep Maria Bartomeu Barcelona GFXGetty/Goal
Bilder: Getty Images

Wie bewerten Sie das Verhalten von Messi, der seinen Entschluss schriftlich kommunizierte und seither Pflichtterminen fernblieb?

Freixa: Stellen Sie sich vor, Spieler und Verantwortliche würden sich zusammensetzen, die Trennung beschließen und gemeinsam vor die Presse treten, um zu verkünden, dass es nicht mehr weitergeht. Es wäre nicht weniger traurig, zumindest aber dem FC Barcelona würdig. Erinnern Sie sich an die Abschiede von Xavi oder Andres Iniesta? Das waren würdige Abschiede. Dass Messi nun derart einseitig über eine schriftliche Mitteilung seinen Wechsel ankündigt und einfach nicht mehr auftaucht, weist auf einen tiefen Konflikt hin, den sowohl Barca als auch den Spieler selbst in ein schlechtes Licht rücken. Messis Verhalten ist aus meiner Sicht überraschend und enttäuschend.

Seine Anwälte berufen sich auf eine Klausel in seinem Vertrag, die ihm einen ablösefreien Wechsel erlaube.

Freixa: Ich kenne die Vertragsdetails nicht. Für Barca wäre es eine Katastrophe, wenn Messi ablösefrei wechseln würde, weil der Verein aktuell nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um große Transfers zu tätigen. Es wäre das Beste, eine friedliche Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten leben können. Ich glaube kaum, dass ein Verein bereit wäre, Messis Klausel von 700 Millionen Euro zu bezahlen. Aber man kann ja eine vernünftige Summe aushandeln, die Barca die Möglichkeit gibt, sich auf dem Transfermarkt umzusehen.

Freixa: Messi-Abschied "kann auch befreiend sein"

Zu welchem Verein würde Messi am besten passen? Es gibt Gerüchte um eine Wiedervereinigung mit Pep Guardiola.

Freixa: Ich halte City für wahrscheinlich. Mit Pep erlebte Messi seine schillerndsten Jahre in Barcelona. Es wäre nur logisch, wenn beide wieder zusammenarbeiten würden. City verfügt wie fast alle englischen Vereine außerdem über die finanziellen Mittel, eine Mannschaft aufzubauen, die alles gewinnen kann.

Barca ohne Messi - ist das überhaupt vorstellbar?

Freixa: Natürlich. Im Leben geht alles irgendwann zu Ende. Und auch wenn es keinen Spieler mehr geben wird wie ihn, so wäre sein Abschied eine Chance für Barca, sich zu einer Mannschaft zu entwickeln, die weniger abhängig von einem einzelnen Spieler ist. Messis Einfluss auf das Spiel von Barca war in den vergangenen Jahren immens. Der Spielstil war darauf ausgelegt, ihm den Ball zu geben und zu hoffen, dass er etwas Magisches damit macht. Ohne ihn wäre wieder mehr das Kollektiv gefragt. Das kann auch befreiend sein.

Lionel Messi Barcelona 2019-20Getty
Bild: Getty Images

Im kommenden März soll ein neuer Präsident gewählt werden. Stellen Sie sich wie 2015 erneut zur Wahl?

Freixa: Das ist der Plan, ja. Ich treffe gerade alle Vorbereitungen und stelle ein starkes Team mit Leuten zusammen, deren Identifikation mit dem Verein groß ist.

Warum haben Sie im Gegensatz zu anderen Präsidentschaftskandidaten kein Misstrauensvotum gegen Bartomeu gestellt?

Freixa: Weil es dem Verein keinen bedeutenden zeitlichen Vorteil verschafft. Bis ein Misstrauensantrag hier in Spanien genehmigt wird und in Kraft tritt, vergehen bis zu sechs Monate. Da die Wahlen für März geplant sind, sehe ich keinen Sinn dahinter, jetzt einen Antrag zu stellen.

Die meisten Barca-Fans hätten nichts dagegen, würde Bartomeu schon jetzt seinen Posten räumen. Wie bewerten Sie seine Leistungen als Präsident?

Freixa: Er wird als Verlierer gehen, das ist spätestens nach den jüngsten Geschehnissen unvermeidlich. Ich habe ihn aber als verantwortungsbewussten Menschen kennengelernt. Nicht alles war schlecht. Er hat die Marke FC Barcelona nachweislich gestärkt und sich sehr für die Stiftung eingesetzt, die aus meiner Sicht sehr wichtig für die Außendarstellung des Vereins ist. Man darf zudem nicht vergessen, dass die Mannschaft unter ihm mehr Titel gewann als beispielsweise unter seinem Vor-Vorgänger Joan Laporta. Viele sehen das nicht. Aber es ist ein bedeutender Verdienst Bartomeus, auch wenn man zugeben muss, dass die Mannschaft schon vor seiner Ankunft im Wesentlichen zusammengestellt wurde. Sein großer Fehler war, die Mannschaft nach dem Triple-Sieg 2015 nicht weiterzuentwickeln.

La Masia, die berühmte Talentschmiede, wurde schon seit dem Abschied von Guardiola nach und nach vernachlässigt.

Freixa: Die Leute müssen akzeptieren, dass es eine Ära wie unter Pep kein zweites Mal mehr geben wird. Das war einmalig, die glorreichste Zeit in der Geschichte von Barca. Aber es ist nicht wegzudiskutieren, dass in den vergangenen Jahren zu wenige Talente aus dem eigenen Nachwuchs den Durchbruch geschafft haben. Darauf gilt es in Zukunft wieder mehr Wert zu legen.

Falls Sie gewählt werden würden: Wie sähe ihr Barca aus?

Freixa: Es gefällt mir nicht, Namen zu nennen. Mein Ziel wäre, eine ähnliche Ära ins Leben zu rufen wie unter Pep. Die Vergangenheit ist zwar nicht wiederholbar, der Verein muss aber zurück zu seiner Basis. Er benötigt eine Spielphilosophie, die sowohl in den Jugendmannschaften als auch in der Profimannschaft praktiziert wird. La Masia verdient eine bedeutendere Rolle als aktuell. Der Kader muss aus Weltklassespielern bestehen und aus Spielern, die Weltklassespieler werden können. Hier kann sich Barca auch eine Scheibe vom neuen Champions-League-Sieger abschneiden.

Freixa: "Begeistert" von Kimmich, Goretzka und Werner

Inwiefern?

Freixa: Schauen Sie sich doch den Kader des FC Bayern an. Spieler wie Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry oder Alphonso Davies stammen nicht aus der eigenen Jugend, sondern wurden rechtzeitig gescoutet und verpflichtet, bevor sie auf Top-Niveau waren. Dadurch sparte der Verein viel Geld und bekam junge, hungrige Spieler, die sich entwickeln wollten - und konnten. Wenn ich Präsident wäre, würde ich ein besonderes Augenmerk auf das Scouting und auf die Entwicklung solcher Spieler legen. Das hat bei uns mit Marc-Andre ter Stegen ja auch schon hervorragend funktioniert.

Welchen Stellenwert hat ter Stegen in Barcelona?

Freixa: Jeder liebt ihn. Er ist ja nicht nur einer der besten Torhüter, die es aktuell gibt, sondern ein ganz feiner Mensch. Ich kenne wenige ausländische Spieler, die sich so gut integriert und die Sprache gelernt haben wie er. Für mich ist er der wahre Kapitän der Mannschaft, weil er sich um seine Mitspieler kümmert und mit Leistung auf dem Platz vorangeht. Seine Verpflichtung war eine Meisterleistung von Andoni Zubizarreta, dem ehemaligen Sportdirektor. Ich kann mich noch erinnern, als wir Direktoren uns trafen, um über den Transfer zu beraten. Ter Stegen war damals sehr jung, um die 20, und wir waren natürlich ein wenig skeptisch, weil wir ihn nicht kannten. Dann zeigte uns Andoni ein Video und wir sahen, wie ausgereift sein Torwartspiel schon damals bei Borussia Mönchengladbach war. Wir hatten nach dem Treffen keine Zweifel mehr an seiner Verpflichtung. Neben seiner Klasse auf der Linie passte und passt seine Sicherheit am Ball perfekt zur Philosophie von Barca.

GERMANY ONLY: MARC-ANDRE TER STEGEN BARCELONAimago images / Eric Alonso
Bild: Imago Images /  / ZUMA Wire

Welchen deutschen Spieler würden Sie noch gerne bei Barca sehen?

Freixa: Ich bin begeistert von Kimmich und dessen Spielintelligenz, aber auch von Goretzka, der mit seiner Physis und seiner Torgefahr jedes Mittelfeld der Welt weiterbringt. Man sollte sich aber keine Illusionen machen, der FC Bayern ist kein Verkaufsklub. Eine Verpflichtung von Timo Werner wäre realistischer gewesen, das hätte ich sehr interessant gefunden. Schade, dass er zum FC Chelsea gegangen ist.

Freixa: Koeman? "Einen solchen Trainer braucht es jetzt"

Was halten Sie von Ronald Koeman, dem neuen Barca-Trainer?

Freixa: Koeman ist ein Trainer mit Autorität, der sich nicht vor Veränderungen fürchtet. Einen solchen Trainer braucht es jetzt. Zumal Koeman unter den Barcelona-Fans sehr bekannt und beliebt ist, weil er uns 1992 mit seinem Tor im Wembley den ersten Europapokal beschert hat. Ich halte seine Verpflichtung für logisch und wünsche ihm, dass er seinen Vertrag mindestens erfüllt. Das würde nämlich bedeuten, dass Barca wieder Erfolg hat.

Und auf Koeman folgt dann Xavi?

Freixa: Das wäre eine Möglichkeit. Xavi macht gerade seine ersten Schritte als Trainer, er braucht noch Zeit. Die Frage ist nicht, ob er zurückkehrt, sondern wann.

Können Sie sich Guardiola noch einmal als Barca-Trainer vorstellen?

Freixa: Warum nicht? Pep hat ja einmal durchklingen lassen, dass er in Zukunft gerne die Nachwuchsakademie leiten würde, aber er wäre auch eine wunderbare Lösung für den Trainerposten der Profis. Wichtig ist, dass die Mannschaft wieder erfolgreichen und begeisternden Fußball spielt, dass nicht mehr so etwas passiert wie gegen Bayern.

Auch wenn derzeit jeder über Messi spricht, bleibt jenes 2:8 wohl noch jedem Barca-Fan lange in Erinnerung.

Freixa: Natürlich. Das Spiel hätte auch mit 14 Gegentoren enden können. Bayern hat uns über 90 Minuten entblößt, sämtliche Fehler und Versäumnisse der Mannschaft, aber noch mehr der sportlichen Führung in den vergangenen Jahren aufgezeigt. Es war das Ende vom Ende. Jetzt ist es an der Zeit für einen Neuanfang.

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