Kenan KocakGetty Images

Kenan Kocak im Interview: Darum sollte sich Schalke ein Beispiel an Heidenheim nehmen


EXKLUSIV

Im Oktober 2018 musste Kenan Kocak den ersten echten Rückschlag seiner Trainerkarriere hinnehmen. Nachdem er in den Spielzeiten 2016/17 und 17/18 mit dem SV Sandhausen souverän die Klasse in der 2. Bundesliga halten konnte, musste er seinen Stuhl vor rund einem halben Jahr beim Klub aus Baden-Württemberg räumen.

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Die Zeit ohne Trainerjob hat der 38-Jährige allerdings genutzt, um sich ein Netzwerk aufzubauen und sich mit zahlreichen spannenden Fußballpersönlichkeiten auszutauschen. Unter anderem hospitierte er bei Pep Guardiola und traf sich mit Jupp Heynckes sowie Joachim Löw.

Im Interview mit Goal und SPOX spricht Kocak über seine spannenden Einblicke in das Innenleben von Manchester City und Schalke-Trainer Domenico Tedesco, mit dem er die Fußballlehrerausbildung absolviert hat.

Herr Kocak, bevor Sie als Fußballtrainer tätig waren, haben Sie in Mannheim als Sozialarbeiter gearbeitet. Warum haben Sie sich damals für diesen Beruf entschieden?

Kenan Kocak: Nach meiner aktiven Karriere kam die Stadt Mannheim auf mich zu, um mir ein Sozialprojekt vorzustellen, bei dem es darum ging, Jugendliche zu betreuen. Es hat mir schon immer Spaß gemacht, mit Menschen zu arbeiten und schließlich habe ich dort schwererziehbaren Jugendlichen geholfen, wieder in der Schule oder Arbeitswelt Fuß zu fassen.

Inwieweit lassen sich die Erfahrungen von damals auf den Trainerjob übertragen?

Kocak: Es gibt etliche Berührungspunkte, denn sowohl auf dem Fußballplatz als auch im sozialen Bereich muss man einen individuellen Zugangspunkt zu jedem Menschen finden.

Mit Blick auf Ihre Trainerkarriere fällt auf, dass Sie nach steilem Aufstieg im Oktober den ersten großen Rückschlag hinnehmen mussten, als Sie in Sandhausen Ihren Stuhl räumen mussten. Wie haben Sie die Entlassung verarbeitet?

Kocak: Ich bin ein Typ, der sich keine Gedanken über Dinge macht, die ich nicht beeinflussen kann. Es bringt nichts, in einer solchen Situation den Kopf in den Sand zu stecken. Man muss lernen, loszulassen und sich auf neue Aufgaben vorzubereiten. Deshalb habe ich versucht, die Zeit seit Oktober bestmöglich zu nutzen und mich weitergebildet.

Unter anderem haben Sie unter Pep Guardiola bei Manchester City hospitiert. Wie kam es zum Kontakt zu den Cityzens?

Kocak: Ilkay Gündogan hat mich im Januar zum Spiel zwischen Manchester City und Liverpool eingeladen. Nach Schlusspfiff hatte ich dann das Glück, Guardiola zu sprechen. Da habe ich ihn gefragt, ob es möglich sei, eine Woche in Manchester zu hospitieren.

Wie lief die Hospitanz ab?

Kocak: Ich durfte für eine Woche Teil des Staffs von Guardiola sein, ihm in der Trainingsarbeit und Vorbereitung über die Schulter schauen und einige Gespräche mit ihm führen. Gerade in puncto Trainingsaufbau und Mannschaftsführung konnte ich in dieser Zeit einiges von ihm lernen.

Wie haben Sie Guardiola menschlich kennengelernt?

Kocak: Er ist ein sehr herzlicher, bescheidener und respektvoller Mensch, der auch zu mir immer nett und höflich war. Er hat einen klaren Plan von Fußball, ist absolut detailbesessen und überlässt nichts dem Zufall. Trotzdem wirkt er dabei nicht verkrampft, sondern scherzt mit der Mannschaft und überzeugt durch seine natürliche Autorität. Guardiola ist nicht umsonst einer der erfolgreichsten Trainer der vergangenen Jahre.

Neben Guardiola haben Sie sich in den vergangenen Monaten auch mit zahlreichen weiteren großen Fußballpersönlichkeiten ausgetauscht. Wie haben Sie es geschafft, sich mit 38 Jahren ein derart großes Netzwerk aufzubauen?

Kocak: Leute wie Joachim Löw oder Ralf Rangnick kenne ich schon viele Jahre aus meiner Zeit beim VfR und Waldhof Mannheim. Ich bin ein sehr offener Typ und liebe es, mit meinen Mitmenschen zu kommunizieren. Wenn ich von meinen Gesprächspartnern zusätzlich etwas lernen kann, ist das umso besser. Zuletzt durfte ich beispielsweise Jupp Heynckes auf seinem Bauernhof in Mönchengladbach besuchen. Für mich ist es etwas ganz Besonderes, mich mit Koryphäen des deutschen Fußballs austauschen zu dürfen.

Was konnten Sie von Jupp Heynckes mitnehmen?

Kocak: Bei Jupp Heynckes beeindruckt vor allem seine Ruhe, Demut, Menschlichkeit und Bescheidenheit. Mit ihm habe ich mich vor allem über die Entwicklung der Fußballwelt sowie Menschen- und Mannschaftsführung unterhalten.

Sie haben Löw angesprochen. Was unterscheidet ihn als Trainer von Heynckes oder Guardiola?

Kocak: Löw ist ein exzellenter Fachmann, eine Persönlichkeit und nicht umsonst Weltmeister geworden. Bei Löw, Guardiola und Heynckes fällt auf, dass sie trotz aller Erfolge immer Mensch geblieben sind. Sie sind nicht hochnäsig und halten sich nicht für etwas Besseres.

Gibt es weitere Trainer, mit denen Sie sich gern austauschen würden?

Kocak: Ich hatte neulich Kontakt zu Diego Simeone und hoffe darauf, ihn bald treffen zu können. Ich würde auch noch gerne bei Thomas Tuchel und Jürgen Klopp hospitieren, aber man muss natürlich schauen, wie es passt. Mit den vielen Wettbewerben haben Liverpool und PSG einen vollen Terminplan und ich will kein Störfaktor sein. Ich hoffe trotzdem, dass wir demnächst einen Termin finden. 

Kenan Kocak Julian Nagelsmann Domenico Tedesco Markus Kauczinski, Ronny Zimmermann 2016

Andere Trainer, die Sie gut kennen, sind Julian Nagelsmann und Domenico Tedesco. Mit beiden haben Sie die Fußballlehrerausbildung absolviert. Wie haben Sie beide in dieser Zeit erlebt?

Kocak: Beide sind sehr gute Typen, aber komplett andere Persönlichkeiten. Trotzdem sind sie exzellente Trainer, die für ihr Alter außergewöhnliche Fähigkeiten haben. Domenico ist eher ruhig, während Julian der forschere Typ ist. Auch im Lehrgang hatte er häufig einen flotten Spruch auf den Lippen, wie man es auch aus der Öffentlichkeit kennt. Er ist ein fröhlicher und selbstbewusster Mensch, der sagt, was er denkt und deshalb bei den meisten Kollegen sehr gut angekommen ist.

Wie war es bei Tedesco?

Kocak: Er ist sehr intelligent, ein absoluter Fußball-Fachmann und hat eine starke Rhetorik. Dabei ist er immer authentisch, ehrlich und einfach ein angenehmer Zeitgenosse, mit dem man sehr viel Spaß haben kann. Auch außerhalb des Fußballs kann man mit ihm über alles sprechen. Ich habe die Zeit mit ihm sehr genossen.

Auf Schalke durchlebt er aktuell seine erste echte Krise.

Kocak: Jeder Trainer der Welt macht Phasen durch, in denen es nicht nach Plan läuft. Es gibt hunderte Faktoren, die einen Klub in eine Abwärtsspirale bringen können und der Trainer ist nur ein möglicher Grund. Egal ob Nagelsmann, Klopp oder Tuchel – ausnahmslos jeder Trainer hatte in seiner Laufbahn schon mit Phasen zu kämpfen, in denen Spiele nicht gewonnen werden. Als Trainer ist man in solchen Situationen darauf angewiesen, die richtigen Leute um sich herum zu haben, die die geleistete Arbeit realistisch einschätzen können. Überzeugung muss das Schlagwort sein. Wie es gehen kann, zeigt der 1. FC Heidenheim aktuell eindrucksvoll.

Was meinen Sie?

Kocak: In der vergangenen Saison hat Heidenheim bis zum letzten Spieltag gegen den Abstieg gespielt und trotzdem an Frank Schmidt festgehalten. Bei anderen Vereinen wäre Schmidt wahrscheinlich längst entlassen worden. Doch was ist passiert? Heidenheim hat die Klasse gehalten und der Klub hat dem Trainer das Vertrauen ausgesprochen. In dieser Saison spielen sie sogar um den Aufstieg mit und stehen im Viertelfinale des DFB-Pokals. Daran müssen sich andere Klubs ein Beispiel nehmen, anstatt in Aktionismus zu verfallen. Im heutigen Profifußball ist Aktionismus zum Trend geworden, doch es liegt nicht immer nur am Trainer. Vor einer Trainerentlassung wird viel zu selten eine genaue Analyse betrieben.

Wird in der Fußballlehrerausbildung eine Art Handwerkzeug vermittelt, das dabei helfen soll, in solchen Krisen zu bestehen?

Kocak: Im Fach Sportpsychologie wird man speziell auf Phasen vorbereitet, in denen es nicht läuft. Dort wird simuliert, was medial und psychisch passiert, wenn der eigene Klub in einer Krise steckt. Der DFB bietet eine sehr hochwertige Ausbildung, die versucht, Trainer auf so viele Szenarien wie möglich vorzubereiten. Trotzdem muss jeder Trainer lernen, seinen eigenen Weg zu gehen. Zehn Monate Fußballlehrerausbildung sind keine Garantie, dass alles funktioniert.

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