EXKLUSIV
Seit seiner Entlassung als Nationaltrainer der USA im November 2016 ist Jürgen Klinsmann nun ohne Job als Trainer. Im Exklusiv-Interview mit Goal sprach der frühere DFB-Coach über Planspiele für die Zukunft, seine Favoriten bei der WM 2018 und wie er das deutsche Team im Vergleich zu seinen Sommermärchen-Helden von 2006 sieht.
Erlebe Europas Top-Ligen live und auf Abruf auf DAZN. Jetzt Gratismonat sichern!
Herr Klinsmann, in letzter Zeit war es etwas ruhiger um Sie. Was machen Sie aktuell?
Jürgen Klinsmann: Seit ich nicht mehr US-Trainer bin, hatte ich die Gelegenheit, meinen Sohn Jonathan bei der U20-WM letztes Jahr in Südkorea zu verfolgen. Und nun verfolge ich ihn auch bei Hertha BSC. Ich persönlich habe einige Projekte in den USA und außerdem Zeit für mein Hobby, das Helikopterfliegen.
Sehen wir Sie denn möglicherweise auch bald wieder auf der Trainerbank, vielleicht sogar in Europa?
Klinsmann: Im Fußball ist alles möglich. Aber es ist wahrscheinlicher, dass ich in der Zukunft wieder eine Nationalmannschaft trainiere, als dass ich einen Klub in Europa übernehme.
Die WM startet in zwei Monaten. Wie werden Sie das Turnier verfolgen und wer sind Ihre Favoriten?
Klinsmann: Ich werde für die K.-o.-Spiele nach Russland reisen und für das Fernsehen arbeiten. Die Favoriten sind für mich dabei die üblichen Nationen wie Deutschland, Frankreich, Spanien, Argentinien und Brasilien. Aber auch England hat eine fantastische Mannschaft und es wird sehr interessant sein, welche Außenseiter für einige Überraschungen sorgen könnten.
Wie schätzen Sie die deutsche Mannschaft ein?
Klinsmann: Deutschland zählt immer zu den Favoriten auf den WM-Titel. Wir haben ein sehr gutes Team mit starken Spielern, aber es wird sehr schwierig werden, den Gewinn der WM 2014 zu wiederholen.
Wenn Sie die aktuelle Mannschaft mit Ihrem Team von 2006 vergleichen, was hat sich seither verändert?
Klinsmann: Jede Generation hat seine eigenen Führungsspieler und Stars. Ich hatte das Vergnügen, 2006 eine Mannschaft mit erfahrenen Spielern wie Michael Ballack, Jens Lehmann, Oliver Kahn oder Miroslav Klose zu trainieren. Heute sind die Führungsfiguren Spieler wie Manuel Neuer, Toni Kroos, Thomas Müller oder Mesut Özil. Die Chemie im Team ist dabei das wichtigste Puzzle-Teil.
GoalFehlt es der deutschen Nationalmannschaft an einem klassischen Mittelstürmer, wie Sie oder Oliver Bierhoff es einst waren?
Klinsmann: Nein, das denke ich nicht. Wir haben immer noch sehr starke Stürmer wie Timo Werner, Mario Gomez oder Sandro Wagner.
Denken Sie, Timo Werner ist bereits so weit, um die Mannschaft zum Titel führen zu können?
Klinsmann: Timo verfügt über ein unglaubliches Talent und Potenzial, das hat er bereits letztes Jahr beim Confed-Cup gezeigt. Es wird von ihm nicht erwartet, die Mannschaft zu führen, aber er kann eine Menge Leute überraschen.
Sie waren als Trainer 2006 selbst ganz nah am WM-Titel dran. Gibt es im Nachhinein Dinge, die Sie bereuen?
Klinsmann: Nein, denn wir haben alles in unserer Macht stehende dafür getan, um das Turnier zu gewinnen. Italien hat den Titel 2006 verdient.
Wäre es denn eine Option gewesen, über 2006 hinaus als Bundestrainer weiterzumachen?
Klinsmann: Nein, denn wir wollten als Familie wieder zurück nach Kalifornien. Mit Joachim Löw stand außerdem der ideale Mann bereit, die Arbeit, welche wir 2004 begonnen hatten, fortzusetzen.
Wie beurteilen Sie die Arbeit von Joachim Löw?
Klinsmann: Joachim ist ein fantastischer Mensch und Trainer. Er legt einen sehr positiven und ausgeglichenen Führungsstil an den Tag und die Spieler stehen zu 100 Prozent hinter seinen Ideen. Hoffentlich macht er noch lange weiter.
Ihr Engagement als US-Coach endete 2016. Denken Sie, Sie hätten die WM-Qualifikation mit den USA geschafft?
Klinsmann: Ich hatte mit dem US-Team in den fünfeinhalb Jahren eine tolle Zeit. Die Todesgruppe bei der WM 2014 in Brasilien mit Portugal, Deutschland und Ghana als auch das Halbfinale bei der Copa America 2016 waren sehr spannende Momente. Dass wir zum ersten Mal Spiele in Mexiko, Deutschland, Italien oder Holland gewonnen haben, hat uns sehr stolz gemacht. Ich hatte keine Zweifel, dass wir uns für die WM in Russland qualifizieren würden, aber der Verband hatte im November 2016 andere Pläne.
Wie sehr hat Sie die Tatsache getroffen, dass die USA nun nicht bei der Weltmeisterschaft dabei sind?
Klinsmann: Keiner konnte es glauben, dass das Team in Trinidad & Tobago verloren hat. Das war für alle Leute hier eine große Enttäuschung, auch für mich.
