Tatsuya Ito Hamburger SVGetty Images

Jovanovs HSV: Sehnsucht nach Identifikation


KOLUMNE

Die Beurteilungen des Nordderbys zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen haben mich ein wenig überrascht. Zwischen "Grausam" (Der Spiegel), "Ganzjahresnebel" (Süddeutsche) oder unterschiedliche Variationen von Not und Elend in Kombination mit dem Wort Derby war viel dabei - vor allem sehr viel Negatives. Habe ich mich mittlerweile an ein so schwaches Niveau gewöhnt, so viele Spiele gesehen, die deutlich grausamer waren, dass ich dieses Spiel als gar nicht so schlimm empfand? Wahrscheinlich ist das die einzig logische Erklärung.

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Offenbar genügen uns leidgeprüften Hamburgern schon ein paar Finten und Tempodribblings eines Jugendspielers (gemeint ist natürlich Tatsuya Ito), um total begeistert von den Sitzen zu hüpfen und bei seiner Auswechselung begeistert in die Hände zu klatschen. Soweit ist es schon gekommen, werden die einen sagen; endlich ist es soweit, die anderen. "Hinterher finden es fast alle klasse, wenn solche Jungs reinkommen. Vorher wirst du fast für verrückt erklärt", philosophierte Trainer Markus Gisdol über die Entscheidung, mit Tatsuya Ito und Vasilije Janjicic zwei blutjunge Spieler zu bringen.

Ito sorgte für offensive Dynamik

Was Gisdol hier als waghalsiges Risiko verkaufen wollte, war in Wahrheit aber keines. Denn zumindest Janjicic hat in der vergangenen Rückserie mehrfach unter Beweis gestellt, dass er auf diesem Niveau mithalten kann. Für seine Nichtberücksichtigung in den ersten sechs Spielen habe ich keinerlei Verständnis. Janjicic strafte alle Zweifler mit seinem Auftritt erneut Lügen. Es war zwar kein überragendes Spiel von ihm - für einen 18-Jährigen macht er seine Sache aber schon ziemlich cool. Die große Unbekannte war also lediglich Ito. Mangels ernsthafter Alternativen würde mir niemand einfallen, der Gisdol wegen dieser Entscheidung für verrückt erklären würde.

Diese Sätze legen vielmehr offen, dass der HSV eines noch nicht wirklich verstanden hat: Das Publikum, das Umfeld und die Anhänger lechzen doch schon seit Jahren nach jungen Talenten. Viele wären weitaus weniger kritisch mit dem HSV umgegangen, hätte er schon nach dem großen Neuanfang vor drei Jahren damit begonnen, Schritt für Schritt Nachwuchs (zum Beispiel Jonathan Tah!) in die Mannschaft zu integrieren. Die Standing Ovations für Ito haben die große Sehnsucht nach Identifikation zum Ausdruck gebracht; nach Spielern, die seit Jahren Teil des Vereins sind, sich mühsam hochgekämpft haben und selbst noch ein Stück weit Fan des HSV sind. Und in ihm nicht nur die Möglichkeit für den größten Vertrag ihres Lebens sehen. Ich "predige" das bekanntermaßen schon seit Jahren.

Arp feierte seine Debüt im HSV-Dress

Wobei mir nach Bekanntgabe der Aufstellung ehrlicherweise der Gedanke kam, diese Maßnahme könnte eine von Gisdols letzten Patronen sein. Ich teile die Auffassung, er sei ein besonders großer Förderer der Jugend, nämlich nicht unbedingt. Zumindest habe ich während seiner Zeit in Hamburg den Eindruck gewonnen, dass er das gesamte Gebilde für viel zu labil hält. Und nur in der absoluten Not auf den Joker Jugend setzt. Dass er mit großem Druck auf die Verpflichtung des 32-jährigen Routiniers Sejad Salihovic drängte und ihn Janjicic zunächst zwei Spiele vor die Nase setzte, war kein großes Zeichen des Vertrauens.

ONLY GERMANY Fiete Arp Hamburger SVImago

Inzwischen muss Gisdol aber verstanden haben, welche Vorteile der Einbau junger Spieler bringt. Nicht nur sportlich - nach Itos Auswechslung verlor das Offensivspiel spürbar an Dynamik - sondern auch für die anschließende Berichterstattung und die Stimmung im Stadion. Es hatte schon etwas Historisches, als er Fiete Arp in der 89. Minute für den enttäuschenden Bobby Wood einwechselte. Der Startschuss für die Karriere eines großen Sturmjuwels? Oder war es lediglich eine Show-Einwechslung für gute Presse? Nach der Länderspielpause und der Rückkehr weiterer Verletzter wissen wir, wie ernst der HSV es mit der Jugend wirklich meint.

Bleib am Ball und folge HSV-Reporter Daniel Jovanov auf Facebook und Twitter!

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