HINTERGRUND
Markus Gisdol schaute ein wenig ungläubig, als ein Reporter ihn nach besonderen Maßnahmen vor dem Nordderby seines Hamburger SV gegen Werder Bremen fragte. Kinoabend? Über Scherben laufen? Grillen? "Es ist nicht so, dass alles Katastrophe ist. Es hat in den letzten Spielen auch nicht gefehlt. Wir sind im Anfang der Saison. Bleibt mal cool", raunte der Cheftrainer zurück. Cool sein und vor allem cool bleiben gehörte in den vergangenen Jahren allerdings eher nicht zur Stärke des HSV. Vor allem nicht nach vier Niederlagen in Folge bei 0:10-Toren.
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Von Krise oder Panik will Gisdol allerdings nichts wissen. Es sei ja auch nicht so, als habe sich der HSV keine Torchancen erspielt, womit er die Harmlosigkeit seiner Mannschaft sehr wohlwollend umschrieb. Fakt ist, dass die Zahl der gefährlichen Offensiv-Aktionen in den letzten Spielen auf knapp über Null gesunken ist. Sicher liegt diese Entwicklung auch am Ausfall der Flügelzange bestehend aus Nicolai Müller und Filip Kostic. Aber nicht nur. Dem HSV mangelt es an Spielwitz im Mittelfeld und geordnetem Spielaufbau von hinten heraus. Kein anderes Team der Liga spielt mehr Fehlpässe als die Rothosen.
Entspannung im Lazarett
Umso wichtiger, dass mit Aaron Hunt nach überstandener Muskelverletzung endlich ein Spieler zurückkehrt, der zumindest jenen Spielwitz mitbringen könnte. Es mutet dennoch ein wenig kurios an, wenn ausgerechnet Hunt, einer der Verkaufskandidaten der vergangenen Wechselperioden, zum Hoffnungsträger mutieren soll. An guten Tagen ist der 31-Jährige durchaus in der Lage, gefährliche Spielsituationen zu kreieren. An schlechten - und davon gab es während seiner Zeit als Rothose nicht wenige - zog er schon so manches Mal den Zorn der eigenen Anhänger auf sich.
In Bremen läuft es derweil nicht viel besser. Werder hat in der laufenden Saison noch kein Spiel gewonnen und steht mit drei Unentschieden auf dem vorletzten Platz. Das 0:0 in der Vorwoche gegen den SC Freiburg quittierten die sonst so treuen Anhänger mit einem kurzen, aber heftigen Pfeifkonzert. Für Werder-Verhältnisse ist es im Umfeld des Klubs erstaunlich unruhig. Was man sonst eher vom Rivalen aus Hamburg kennt, ist inzwischen auch in Bremen angekommen. Ängstlich, fast schon ein wenig panisch reagieren die Anhänger auf die sich schon wieder anbahnende Zittersaison.
Druck auf Nouri und Gisdol steigt
"Ich frage mich, gegen wen Werder überhaupt gewinnen will. Vielleicht das Freundschaftsspiel gegen Meppen in der Länderspielpause", fragte Ex-Torwart Tim Wiese kürzlich provokant in einem Interview mit dem Weser-Kurier .
Gefühlt sind die Grün-Weißen von der Weser einer Trainerdiskussion einen Schritt näher als der HSV. Von Alexander Nouri sei man "absolut" überzeugt, stellte sich Manager Frank Baumann kürzlich schützend vor den 38-Jährigen. Dennoch sprechen die Ergebnisse nicht mehr eindeutig für ihn. Der letzte Bundesliga-Sieg datiert vom 29. April, ein 2:0 zuhause gegen Hertha BSC. Seither gab es sechs Niederlagen und drei Unentschieden.
"Wenn es uns gelingt, die Punkte zu holen, freuen wir uns. Wenn nicht, machen wir weiter und versuchen, sie im nächsten Spiel zu holen", sagte Baumann auf der Pressekonferenz vor dem Nordderby. Klingt so einfach und unkompliziert. Ist es aber nicht. Der Druck auf Werder würde bei einer Pleite gegen den HSV enorm steigen.
Nicht anders sähe die Situation in Hamburg aus. Die Sorgenfalten der Verantwortlichen sind von Niederlage zu Niederlage und von einem tor- und chancenlosen Spiel zum nächsten immer tiefer geworden. Auch wenn Gisdol vor dem Spiel versuchte die Ruhe selbst zu spielen. In Wahrheit herrscht in beiden Lagern Hochspannung. Denn es geht mal wieder mehr als um nur drei Punkte.




