GFX Quote Fabien Mercadal German

Im Schatten von PSG: Der märchenhafte Aufstieg von Paris FC


EXKLUSIV

Lamia El Hanbali hat dieser Tage viel zu tun. Deutlich mehr jedenfalls als noch vor einigen Monaten. Wenn sie morgens an der Seine entlanggeht und ihren Blick über den pittoresken Quai de Bercy schweifen lässt, genießt sie die Ruhe vor dem Sturm. Der beginnt nämlich, wenn sie ihr Büro in einem unscheinbaren Gebäudekomplex in der Rue Neuve Tolbiac, direkt neben dem großen Fluss, der Paris durchschlängelt, betritt.

Betrachtet man das Büro von außen, deutet nicht viel daraufhin, dass sich hier die Kommandozentrale eines Vereins befindet, der gerade eine der spannendsten Geschichten Europas schreibt. In der Stadt, in der Paris Saint-Germain alles überstrahlt und mit der Verpflichtung und Präsentation Neymars im Sommer neue Maßstäbe setzte, haust Paris FC in jenem unscheinbaren Gebäude. Lediglich ein Aufkleber des Vereinslogos prangt an der gläsernen Eingangstür und deutet daraufhin, dass hier ein Sportverein beheimatet ist.

Aufstieg in die Ligue 2 drei Tage vor dem Saisonstart

Im inneren der Geschäftsstelle koordiniert Lamia El Hanbali vornehmlich Presseanfragen. Früher hat sie das mehr oder weniger nebenbei erledigt, mittlerweile nimmt das den Hauptteil ihrer Zeit in Anspruch. Ihr Posteingang ist stets prall gefüllt, das Telefon klingelt ständig. "Im Moment kommen nicht nur mehr Leute ins Stadion zu unseren Spielen, sondern es gibt auch viel mehr Interview- und Akkreditierungsanfragen. Medien aus ganz Frankreich und auch aus dem Ausland interessieren sich für uns", erklärt sie Goal.

Artikel wird unten fortgesetzt

Paris FC ist im Moment sexy für Fans und Medien, weil der Klub nicht nur den krassen Gegensatz zum gigantischen Nachbarn PSG darstellt, sondern auch eine kuriose Erfolgsgeschichte schreibt. Eigentlich sollte der Verein aktuell in der 3. Liga spielen. Stattdessen kickt er aber in der Ligue 2 – und kämpft dort beinahe sensationell um den Aufstieg in Frankreichs Oberhaus.

"Ja, wir sind auch überrascht von unserem tollen Lauf. Denn eigentlich hatten wir uns administrativ und sportlich auf ein Jahr in der 3. Liga vorbereitet. Dann mussten wir uns ganz schnell anpassen", sagt El Hanbali. Denn Ende Mai war die Stimmung an der Rue Neuve Tolbiac nicht berauschend. Drittligist Paris FC hatte lange um den Aufstieg in die Ligue 2 gekämpft, war dann aber kurz vor dem Erreichen des großen Ziels an US Orleans gescheitert. Zwei unglückliche 0:1-Niederlagen sorgten für Trübsal, Coach Reginald Ray, zuvor Co-Trainer bei Aston Villa, verabschiedete sich anschließend.

Unter Nachfolger Fabien Mercadal bereitete sich der Klub mit einem nahezu komplett neu formierten Kader auf die neue Spielzeit in der 3. Liga vor, ehe drei (!) Tage vor dem Saisonstart die Nachricht vom Verband kam: Dem SC Bastia wurde die Lizenz entzogen, Paris FC rückte nach und war ab sofort Zweitligist.

Paris FC will es wie die Dänen 1992 machen

Mannschaft und Verein hatten wenig Zeit, nachzudenken. Es musste gehandelt werden. Pläne wurden über den Haufen geschmissen und neu geschmiedet. Trainer Mercadal bemühte in der Öffentlichkeit immer wieder die Geschichte der Dänen, die 1992 unverhofft zur EM nachrückten und dort sensationell den Titel gewannen. Ähnlich wollte er es mit seiner Mannschaft auch tun und prompt gelang der Saisonstart mit vier Punkten aus den ersten beiden Partien.

Mercadal führt bei Goal aus: "Für viele sind wir immer noch eine Mannschaft aus der National (Frankreichs 3. Liga, Anm. d. Red.). Wenn wir es ernsthaft angehen und die Disziplin wahren, dann können wir in dieser Liga bestehen. Mich überrascht das nicht."

Fabien Mercadal Paris FC
Fabien Mercadal trainierte zuvor den FC Tours

Der Höhenflug erhielt zwar kleine Dellen, doch der kecke Aufsteiger ließ sich davon wenig beeindrucken. Er verlor insgesamt nur drei Partien in dieser Spielzeit, in den letzten 14 Spielen setzte es nur eine Niederlage. In der Tabelle liegt Paris FC auf dem sechsten Rang und nur einen Zähler hinter den Aufstiegsrängen. Der Durchmarsch ist möglich, die Euphorie groß.

Trainer Mercadal, der am liebsten auf ein offensiv interpretiertes 4-3-3 setzt, hat eine bestens harmonierende Mannschaft voller interessanter Spieler zur Verfügung. Bester Torjäger ist mit sechs Treffern der bullige Kameruner Malik Tchokounte, der einst in den Niederungen des englischen Fußballs beim FC Thurrock stürmte und im Mittelfeld zieht der torgefährliche Redouane Kerrouche die Fäden. Schillerndster Spieler ist Angreifer Saifeddine Alami, einst Absolvent der Nike Academy, der eine Odyssee durch ganz Europa hinter sich hat und nun in Paris seine große Chance sucht.

Die Früchte der Nachwuchsarbeit ernten regelmäßig andere

Mercadal hat einen verschworenen Haufen geformt, der nicht vor der großen Aufgabe kuscht: "Für viele Spieler ist es die ersten Saison auf diesem Niveau. Die Situation ist für uns alle neu und wir müssen gemeinsam wachsen."

Wachsen muss der Klub mit dem vergleichsweise spärlichen Saisonetat von zehn Millionen Euro aber nicht nur sportlich. Die Infrastruktur lässt arg zu wünschen übrig. Das Stade Charlety im Süd-Osten der französischen Hauptstadt, in dem 20.000 Zuschauer Platz finden, ist bestenfalls noch zweitligatauglich. Es gibt kein Trainingsgelände, das professionellen Ansprüchen genügt. Aktuell hält Mercadal seine Einheiten im Vorort Choisy-Le-Roy auf einem Gelände ab, das bestenfalls mit "renovierungsbedürftig" beschrieben werden kann. Und die herausragende Jugendarbeit, die den Klub seit Jahren auszeichnet, leidet unter den Rahmenbedingungen.

Lamia El Hanbali erklärt: "Das oberste Ziel des Vereins ist die Eröffnung des neuen Trainingszentrums im Juli 2018. Mit seiner Hilfe soll die Ausbildung junger Spieler weiter vorangetrieben werden." Sie verrät, dass 15 Spieler der U17 aus der vergangenen Saison den Klub zu anderen französischen Vereinen und ins Ausland verließen.

GFX Quote Fabien Mercadal German

Damit soll dann Schluss sein, man träumt von einer Mannschaft, die "aus Parisern gebildet wird und die Ile de France repräsentiert. Es gibt hier Potenzial für einen weiteren Verein, der Talentepool in Paris gehört zu den größten auf der Welt." Namhafte Spieler wie Mamadou Sakho, Nicolas Douchez, Lassana Diarra, Gabriel Obertan, Wylan Cyprien, Mamadou Doucoure oder Sofiane Feghouli verbrachten Teile ihrer fußballerischen Ausbildung bei Paris FC.

Paris FC als Gegenpol zu PSG

Es soll also künftig eine lokale Identität aufgebaut werden, quasi der Gegenpol zum Global Player PSG mit all seinen teuren, großen Stars aus dem Ausland. Das Verhältnis zum großen Nachbarn, mit dem man 1970 kurioserweise dessen Vorgängerklub Stade 1904 Saint-Germain-en-Laye gegründet hatte, sei "gut", betont El Hanbali. Allerdings gebe es wenig gemeinsame Schnittmengen. Logisch, bei den riesigen Unterschieden der beiden Vereine.

So ist Paris FC ein Klub auf der Suche. Auf der Suche nach einer Identität, auf der Suche nach mehr Akzeptanz in der Stadt und auf der Suche nach der Liga, in welche dieser Verein nun gehört. Oft wird der Klub noch belächelt, weil es in der Vergangenheit immer wieder Unstetigkeit gab. Laut Trainer Mercadal ist die besondere Geschichte mit mehreren Fusionen, Trennungen und Stadionumzügen eben auch ein Alleinstellungsmerkmal: "Ich erlebe viele Menschen, die diesen Verein lieben. Es ist ungewöhnlich hier, weil der Klub kein festes Zuhause hat und alles über die Stadt verstreut ist. Aber es gibt eine große Zusammengehörigkeit. Ich mag, was hier entsteht, ich finde es cool. Ich bin kein Pariser, aber ich fühle mich sehr wohl."

Dieses Gefühl und die Euphorie tragen Paris FC durch diese Saison, die für die Zukunft des Klubs womöglich entscheidend ist. Offiziell, so Lamia El Hanbali, wolle man sich sportlich in der Ligue 2 etablieren. Alles, was darüber hinausgeht, wird aber zweifelsohne mit Kusshand genommen. Auch, wenn das für sie noch mehr Arbeit bedeuten würde.

Werbung