St. Georges Park Burton up Trent

Saifeddine Alami von Paris FC: Die irre Europa-Reise des Filigrantechnikers


HINTERGRUND

Eine schlichte Mütze. Ein ganz normales T-Shirt, wie es in jedem Modemarkt als Basic-Line zu finden ist. Beides in Schwarz. Ohne Aufdruck großer Modefirmen und ohne jegliche Extravaganz. "Allez Paris", sagt Saifeddine Alami in die Kamera und lacht herzlich ansteckend. Mehr kann er noch nicht auf Französisch. Im Sommer 2016 präsentiert sich der Neuzugang des Paris FC bodenständig und optimistisch. Er hat seinen Profi-Vertrag in der Tasche. Endlich, nach einem langen Weg, der ihn bis in die entferntesten Winkel Europas getrieben hat.

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Zeitsprung. Sommer 2012. Während die Tinte unter dem Ausbildungsvertrag trocknet, träumt der gebürtige Marokkaner von einer erfolgreichen Zukunft. Hier, im geografischen Herzen Englands, im St. Georges Park, soll für den damals 20-Jährigen alles beginnen: der Aufstieg zum Star. Alami hat sich in einem Auswahlverfahren gegen 16.000 andere Jugendliche durchgesetzt. "Es ist eine Ausbildung für Fußballer ohne Profi-Vertrag", gibt er als frisch gebackenes Mitglied der Nike Academy zu Protokoll. Hier, wo auch die englische Nationalmannschaft vor Länderspielen und in der WM-Vorbereitung ihre Zelte aufschlägt, ist sie greifbar, die Profi-Welt. 

Technisch ist alles auf dem neusten Stand. 13 Rasenplätze, ein komplettes Indoor Fußball-Feld, modernste Trainingsausrüstung und -methoden. Das Zentrum, in das sich der Sportartikelhersteller eingemietet hat, hat alles, was ein junger, aufstrebender Fußballer begehrt. 

Spiele gegen den Nachwuchs von United und Juve

Das Konzept von Nike ist schnell erklärt. Junge, vertragslose Spieler bekommen hier die Möglichkeit, unter professionellen Bedingungen zu trainieren und sich für die ganz großen Klubs ins Schaufenster zu stellen. Eine finanzielle Gegenleistung oder gar eine Ablösesumme will die Akademie nicht. Der Deal: Die Youngsters sollen im Training gleichzeitig neue Produkte der Firma auf ihre Wettbewerbstauglichkeit testen. "Für einen wie mich, der noch nie in einem Trainingszentrum war, war es eine tolle Erfahrung. Ich hatte die Chance, Freundschaftsspiele gegen die Nachwuchsteams großer Mannschaften wie Manchester United oder Juventus zu spielen", schwärmt Alami damals. 

St. Georges Park Burton up TrentFußballfelder im malerischen St. Georges Park: Hier träumte Alami von einem Profi-Leben

Doch es kommt - wie so oft - anders als gedacht. Eine Saison lang kämpft er sich ab, macht alles, was die Ausbilder von ihm verlangen, aber das Abenteuer in England endet abrupt. Kein Profi-Klub will ihn verpflichten. Die Reise geht wieder zurück dorthin, wo sie begonnen hat - in Spanien. Bereits im Alter von fünf Jahren verließ er gemeinsam mit seinen Eltern seine Heimat. Das Viertel in Marrakesch, nur ganz dunkel kann er sich noch daran erinnern. Erst in Katalonien entdeckt Alami die Liebe zum Fußball, spielt in Tarrega, dem Verein des kleinen Städtchens, wohin es seine Familie verschlagen hat. Jetzt ist er also wieder zurück, die Erfahrungen aus der Akademie im Gepäck. Im nur 40 Kilometer entfernten Lleida debütiert er zwar in der dritten Liga Spaniens, doch bald ist auch hier Schluss und es geht wieder zurück nach Tarrega.

"Ich war echt enttäuscht", gesteht der kleine Spielmacher damals. Er will weg, weit weg, woanders Erfahrungen sammeln. Nachdem ein Probetraining bei Rayo Vallecano nach drei Wochen keinen Vertrag eingebracht hat, ist sich Alami mit Rapid Bukarest einig und wechselt nach Rumänien. Ein Spiel absolviert er dort aber nicht, der Klub seiner Kindheit, seiner Heimatstadt macht ihm einen Strich durch die Rechnung. "Mein Verein in Spanien wollte Trainingszuschüsse und hat meine Unterschrift blockiert. Ich blieb mehrere Monate, ohne zu spielen", erklärt Alami weiter und holt danach tief Luft. Denn jetzt sollte ein Kapitel folgen, das er am liebsten vergessen würde.

Mannheim, ein Kapitel zum Vergessen

"Mitten in diesen Streitereien fanden meine Agenten in Deutschland einen Verein in der vierten Liga: Waldhof Mannheim." Doch von seinem Wechsel im Oktober 2014 an steht das Engagement in Nordbaden unter keinem guten Stern. Aufgrund einer FIFA-Sperre ist er erst zum 1. Januar spielberechtigt und verletzt sich zu allem Überfluss noch. Eine Operation ist unvermeidlich. Seine Anpassungsfähigkeit, die laut eigener Aussage einer seiner Stärken ist, kann er hier, in der grauen Industriestadt, nicht zeigen. 

ONLY GERMANY NO GALLERY Saifeddine Alami MannheiImagoKein ruhmreiches Kapitel in Alamis (r.) Karriere: Die Zeit bei Waldhof Mannheim

"Es war katastrophal, ich habe mich nicht angepasst. Ich mochte es überhaupt nicht", sagt er heute über seine Zeit in Mannheim. Auch aufgrund einer Verletzung kommt er in Deutschland nie wirklich an, obwohl man in Mannheim von ihm vor Beginn des Engagements schwärmt. "Ihn zeichnet aus, dass er auf allen offensiven Positionen spielen kann. Links, rechts, zentral oder auch auf der Zehn. So sind wir variabler in unseren taktischen Überlegungen", sagt Kenan Kocak, damals Cheftrainer bei Waldhof. 

Im September 2015 war Schluss. Doch die Chancen auf einen Profi-Vertrag stehen nach dem Desaster in Mannheim schlechter als jemals zuvor. Wohin also? Die Antwort ist schnell gefunden: wieder zurück nach Rumänien. Dorthin, wo er eigentlich schon vor seiner Zeit in Deutschland sein wollte. 

"Rumänien ist wirklich ein sehr schönes Land"

"Viele Menschen haben eine negative Meinung über Rumänien, aber sie liegen völlig falsch, es ist wirklich ein sehr schönes Land." Alami ist sich sicher: Seine Entscheidung, beim dortigen Zweitligisten Calarasi anzuheuern, ist die richtige. Hier kommt sie auch wieder zum Tragen, seine Anpassungsfähigkeit. Mit Elena, einem einheimischen Foto-Model, findet er seine große Liebe und die Sprache lernt er ebenso schnell wie zuvor Spanisch und Englisch.

Nach nur einem Jahr aber bricht er die Zelte bei Calarasi wieder ab. Mit Dinamo Bukarest klopft ein Erstligist an, aber wie schon zuvor fällt ein Wechsel in die rumänische Hauptstadt ins Wasser. "Ich habe unterschrieben, aber der Klub ist bankrottgegangen", bedauert er. "Alles ist zusammengebrochen." Doch dieses Mal hat das Schicksal eine glückliche Wendung für den 1,71 Meter großen Dribbler parat. Es geht nicht nach Deutschland, sondern nach Frankreich. Er hat die Möglichkeit, in der zweiten Liga zu kicken - fußballerisch mindestens eine Klasse besser als die zweite rumänische Liga.

In Paris wittert er die Chance, sich doch noch für höhere Aufgaben empfehlen zu können - auch unter für ihn, den filigranen Techniker, erschwerten Bedingungen: "Im Vergleich zu Spanien und Rumänien, wo das Spiel auf Technik basiert, fand ich hier einen sehr physischen Fußball vor. Ich hatte Akklimatisierungsschwierigkeiten."

Träume von LaLiga

Doch er hat sich sehr gut angepasst, nicht schwer in der zauberhaften Stadt an der Seine. "Ich mag es wirklich, in Paris spazieren zu gehen und Viertel zu entdecken", gesteht er und behält dabei sein sympathisches Lächeln. Und dennoch: Endstation soll hier, unterm Eiffelturm, für den Weltenbummler nicht sein: "Für die Zukunft wäre es mein Traum, in La Liga zu spielen."

Wo es Saifeddine Alami noch verschlägt, kann aufgrund seiner verworrenen Vita nicht prophezeit werden. Er ist jetzt 25 Jahre alt und verfolgt weiter seinen Traum - auch ohne Nike Academy, die seit Sommer 2017 Geschichte ist. Doch eines ist sicher: Wenn er auf dem Platz weiter so wirbelt (in 13 Spielen in der Ligue 2 kommt er in dieser Saison auf drei Tore und fünf Vorlagen) ist für ihn noch vieles möglich. Denn endlich kann er zeigen, was er kann und ist alles andere als unscheinbar. So gar nicht wie der Alami mit der schwarzen Basecap und dem schwarzen Shirt.

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