Daniel Thioune Horst Hrubesch Hamburger SV 2. BundesligaGetty / Goal

HSV entlässt Trainer Daniel Thioune, Horst Hrubesch übernimmt: Fragen und Antworten zum erneuten Chaos beim Hamburger SV


HINTERGRUND

Drei Spieltage vor Schluss zieht der Hamburger SV die Reißleine und trennt sich von Trainer Daniel Thioune. Klublegende Horst Hrubesch, der beim HSV bislang als Nachwuchsdirektor arbeitete, soll den Wunsch vom Wiederaufstieg doch noch verwirklichen.

Diese Entwicklung ist insofern überraschend, als Sportvorstand Jonas Boldt noch vor wenigen Tagen davon "überzeugt" war, "auf Strecke erfolgreich zu sein, wenn wir Ruhe bewahren". Nun greifen die Hanseaten also doch nach dem letzten Strohhalm, doch es bleiben durchaus Fragen offen. Goal und SPOX liefern die Antworten zum Trainerwechsel in Hamburg.

1. Warum scheitert der nächste Trainer beim HSV?            

Christian Titz, Hannes Wolf, Dieter Hecking und nun Thioune: Mit dem 46-Jährigen scheitert bereits der vierte Trainer am Versuch, den einstigen Bundesliga-Dino wieder ins Oberhaus zu bringen. Dabei sah es nach der Hinrunde noch so gut aus, denn der HSV stand nach 17 Spieltagen an der Tabellenspitze der 2. Liga. 14 Runden später stellt sich die Ausgangslage deutlich schlechter dar, der Rückstand auf den direkten Aufstiegsplatz beträgt bei noch drei ausstehenden Partien bereits fünf Zähler - und auch den Relegationsplatz hat man aufgrund der Nachholspiele von Holstein Kiel längst nicht mehr in der eigenen Hand.

Grund für den sportlichen Absturz im Verlauf der Rückrunde ist wohl ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Mannschaft und Thioune, das deutete Boldt jedenfalls auf einer Pressekonferenz an. "Wir haben festgestellt, dass in den letzten Tagen eine gewisse Dynamik entstanden ist", versuchte er zu erklären, wieso aus seinem klaren Bekenntnis zum Trainer nun doch der Rauswurf wurde. "Deshalb sahen wir uns gezwungen, eine größere Justierung vorzunehmen. Die Beziehung zwischen dem Trainer und den Spielern hat gewackelt. Folglich ging es nicht darum, stur etwas weiterhin durchzusetzen. Aufgrund der letzten Ergebnisse ist eine klare Führung von Daniel auf der Strecke geblieben."

Berichte, wonach Thioune selbst seinen Rücktritt angeboten haben soll, dementierte der Sportvorstand. Vielmehr sei Thioune nach seiner "All-in"-Ansage vor dem Spiel gegen Karlsruhe in Verbindung mit dem Resultat (1:1) nicht mehr tragbar gewesen. "Nach diesem Spiel war er sichtbar angeknockt. Die Distanz zwischen ihm und der Mannschaft war daraufhin viel zu groß und ein unbelasteter Start in die neue Saison wäre nicht mehr möglich gewesen."

2. Wieso reagiert der HSV so spät?

Kurz gesagt: Weil Boldt bis zuletzt von Thioune überzeugt war und ihn als Trainer auch weiterhin schätzt. Daran änderte das 3:3 nach 3:0-Führung in Hannover nichts, auch die darauffolgenden Niederlagen gegen Darmstadt und Sandhausen gestand er seinem Wunschtrainer ein. Dass sich die Mannschaft im vorletzten Spiel bei Jahn Regensburg (1:1) nach der Halbzeitpause berappelt hatte und etwas unglücklich einen Auswärtssieg verpasste, nannte Boldt nun "keine Ausrede, aber einen Erklärungsversuch" für seinen (zu?) späten Sinneswandel nach der Begegnung vom Donnerstag, welche das fünfte Spiel in Folge ohne Sieg bedeutete.

DANIEL THIOUNE HAMBURGGetty Images

Ganz anderer Meinung ist da HSV-Experte Daniel Jovanov, der nach dem Abstieg des Traditionsvereins 2018 ein Buch über den Chaosklub aus dem Norden veröffentlichte und die Geschehnisse seit Jahren aus nächster Nähe verfolgt. "Der HSV hat den Zeitpunkt verpasst für einen Trainerwechsel. Alles, was sich gerade abspielt, hat sich seit mehreren Wochen angedeutet", erklärte er gegenüber Goal und SPOX. "Dieser Schritt, Horst Hrubesch für drei Spieltage dort hinzustellen, ist eine Verzweiflungsaktion."

3. Welche Absicht verfolgen die Verantwortlichen?

Boldt wurde nicht müde, zu betonen, dass es zu vermeiden galt, dass die aktuelle Saison langsam austrudelt. Davon wäre er bei einer Weiterbeschäftigung Thiounes wohl ausgegangen. "Das widerstrebt dem Sportsgeist", wurde er deutlich. Der Start in die neue Spielzeit sollte unabhängig der Liga-Zugehörigkeit unbeschwert sein.

Jovanov sah allerdings noch andere Motive für das überraschende Vorgehen der Bosse. "Man lässt mit Hrubesch den größten oder stärksten Namen nach vorne, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen", mutmaßte er. "Die Verantwortlichen wollen jetzt damit auch ihren eigenen Arsch retten. Offensichtlich wurden die Zeichen aus der Mannschaft nicht richtig gedeutet."

Laut Boldt gehe es in den Spielen gegen den 1. FC Nürnberg, den VfL Osnabrück und Eintracht Braunschweig nun darum, mit Hilfe der Relegation aus drei Spielen fünf zu machen. Wie optimistisch er trotz der Tabellenkonstellation im Kampf um den Aufstieg noch ist, machte die Aussage, dass vielleicht auch drei Partien ausreichen würden, deutlich. Gemeint war damit natürlich der direkte Gang ins Oberhaus.

4. Wie kann Hrubesch dem HSV in den ausstehenden Spielen helfen? 

Die Aufgabe für Hrubesch ist klar. Im Optimalfall gewinnt der HSV unter seiner Leitung die letzten drei Saisonspiele, was dafür am Ende herausspringt, liegt ohnehin nicht mehr in den Händen der Hamburger. Das Zustandekommen dieser Interimslösung erscheint nach den Aussagen auf der Pressekonferenz jedoch durchaus kurios. Boldt sprach von einem Austausch mit Hrubesch nach dem Unentschieden gegen den KSC, bei dem Boldt einem "Blickkontakt" entnehmen konnte, "dass der Impuls von Hrubesch kommen könnte". Am nächsten Tag soll dieser beim Anruf Boldts demnach bereits mit der Anfrage des Sportvorstands gerechnet haben – und hat prompt zugesagt.

"Er soll er selbst sein, Klarheit und Lockerheit vermitteln und eine Richtung vorgeben, die deutlich ist", formulierte Boldt die Erwartungen an seinen Interimstrainer. "Er hat genug Erfahrung. Nicht viel nachdenken, sondern einfach machen. Das benötigen wir jetzt."

Horst HrubeschGetty

Hrubeschs letzte Vereinstrainer-Station datiert aus dem Jahr 1997, als er den türkischen Klub Samsunspor coachte. Seitdem arbeitete der Europameister von 1980 ausschließlich beim DFB und nahm sich dort verschiedensten Altersklassen an.

"Hrubesch war in der jüngeren Vergangenheit beim DFB eigentlich nur ein Turniertrainer. Vielleicht betrachtet der HSV die letzten Spiele als Turnier", schätzte Jovanov ein. "Dass er sich das überhaupt antut, ehrt ihn sehr. Eine Mannschaft zu führen, die nach und nach in alle Einzelteile zu verfallen beginnt. Es ging los mit dem riesigen Streit um Bobby Wood, der dann fluchtartig nach Amerika gegangen ist, obwohl er beim HSV immer wieder zum Einsatz kam. Weiter ging es mit Simon Terodde, der offenbar seit Wochen schon mit Schalke verhandelt hat und mitten im Aufstiegsrennen seinen Wechsel bekanntgibt. Meiner Meinung nach übernimmt Hrubesch einen Scherbenhaufen und soll Schadensbegrenzung betreiben", schloss er ab.

5. Bleibt Hrubesch über die Saison hinaus Cheftrainer?

Diese Frage hat der HSV bereits klar und deutlich beantwortet: Nein, Hrubesch wird lediglich bis zum Saisonende das Traineramt übernehmen. "Bei nur drei oder maximal fünf verbleibenden Spielen machen andere Lösungen nicht viel Sinn. Ich brauche keine Kennenlernphase. Und – bevor sie nachfragen oder Gerüchte die Runde machen – ich bin nur für die letzten Spiele in dieser Saison Trainer", stellte der 70-Jährige auf der Vereinshomepage klar. Danach kehre er auf seinen Posten im Nachwuchsleistungszentrum zurück.

Nicht überraschend machen daher bereits erste Gerüchte, die Boldt "nicht kommentieren oder bestätigen wollte" die Runde, wer bei den Rothosen in der neuen Saison auf der Kommandobrücke stehen könnte. Ein Kandidat ist laut dem kicker Steffen Baumgart, der den SC Paderborn im Sommer nach über vier Jahren verlassen wird. Baumgart und der HSV würde in der Theorie passen, denn die Hamburger waren "in meiner Kindheit mein Verein aus dem Westen. Seit 1980 fiebere ich da auch immer etwas mit, habe mich dem Verein immer sehr nah gefühlt", wie er einst der Neuen Westfälischen verriet. Doch auch Hannover 96 bekundete bereits öffentlich ein Interesse an Baumgart. Der x-te Neuanfang in Hamburg steht bevor.

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