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Arne Friedrich von Hertha BSC im Interview: "Unsere Kritiker sind im Moment laut – und das ist auch berechtigt"


EXKLUSIV-INTERVIEW
Nach mehr als neun Jahren ist Ex-Kapitän Arne Friedrich im Herbst 2019 im Schlepptau von Jürgen Klinsmann zu Hertha BSC zurückgekehrt. Klinsmann ist längst Geschichte und Friedrichs damaliger Titel "Performance Manager" auch.

Seit vergangenem Sommer ist der 41-Jährige Sportdirektor und nach der Trennung von Michael Preetz alleinverantwortlich für den sportlichen Bereich. Als eine der ersten Entscheidungen wurde Pal Dardai vom 82-maligen Nationalspieler wieder zum Cheftrainer befördert.

Auch wenn der Erfolg seitdem ausgeblieben und Hertha immer näher an die Abstiegsplätze gerutscht ist, zeigt sich Friedrich im Skype-Interview mit Goal und SPOX optimistisch und tatendurstig.

Herr Friedrich, Sie haben 2006 ein Kochbuch mit dem Namen "Foodball - Kochen wie die Weltmeister" und Gerichten wie "Chili con Kahn" oder "Chicken Frings" herausgegeben. Können Sie diese Gerichte noch kochen?

Arne Friedrich: Ich muss zugeben, dass ich gar nicht kochen kann und das wird vermutlich auch nichts mehr werden mit mir und dem Kochen (lacht). Die Arbeitsteilung war damals, dass Ralf Zacherl für die kulinarischen Dinge in dem Buch zuständig war und ich für den fußballerischen Teil. Wenn man kochen kann, dann kann das Buch sicher ganz nett sein, aber mir fehlt dazu neben der Begabung die Zeit und auch die Lust.

Das Buch war auch ein Teil des Hypes um die damalige Heim-WM, bei der die deutsche Mannschaft das gesamte Turnier in Ihrer Heimatstadt Berlin gewohnt hat. Sie selbst aber standen seinerzeit als Rechtsverteidiger über weite Strecken des Turniers stark in der Kritik. Wie haben Sie das empfunden?

Friedrich: Die WM 2006 im eigenen Land war sicher für mich und alle Mitspieler das größte, was man erleben kann. Aber es stimmt, es gab für mich zu Beginn des Turniers schon ordentlich Gegenwind. Im Laufe der WM hat sich dieser Eindruck dann jedoch gedreht. Im Rückblick würde ich sagen, dass ich daran gewachsen bin. Die schlechten Phasen in meiner Karriere haben mich letztlich mehr weitergebracht als diejenigen, in denen alles gut lief.

Vier Jahre später kamen Sie als Absteiger mit Hertha BSC und Wackelkandidat zur WM 2010 und haben dann als Stammspieler jedes Spiel durchgespielt und alle Kritiker überzeugt. Diese Saison muss extrem herausfordernd gewesen sein.

Friedrich: Natürlich war es eine Herausforderung, sich nach einem Abstieg in einer Mannschaft durchzusetzen, die um den WM-Titel spielen soll. Es war eine auch mental extrem anstrengende Saison, weil wir nach der Hinrunde fast schon abgestiegen waren und ich die Verantwortung dafür als Hertha-Kapitän sehr stark auf meinen Schultern gespürt habe. Da fährt man dann schon mit einem Rucksack zur Nationalmannschaft, daher war die Last umso größer, die mir nach unseren Erfolgen von den Schultern gefallen ist. Vielleicht wäre sogar mehr drin gewesen als das Halbfinale, aber an dem Tag haben uns die Spanier schon ziemlich hergespielt, da waren wir ehrlicherweise chancenlos.

Hertha-Manager Friedrich: "Khedira ist der absolut richtige Mann für uns"

Vor Ihnen im defensiven Mittelfeld stand in allen Spielen der erst 23 Jahre alte Sami Khedira in der Startelf. Haben Sie zu der Zeit schon die Qualitäten erkannt, wegen denen Sie ihn jetzt von Juventus Turin nach Berlin geholt haben?

Friedrich: Sami war zwar noch ganz frisch dabei und noch nicht in der Rolle des Führungsspielers, aber schon ein sehr guter Spieler. Danach ist er richtig durchgestartet, hat die Champions League und andere Titel mit Real Madrid und Juve gewonnen und ist 2014 Weltmeister geworden. Meine Eltern und seine Eltern haben sich 2010 von Anfang an gut verstanden und ich war mit Sami auch auf einer Wellenlänge. Für den Wechsel war das aber nicht allein entscheidend, denn wenn man einen Spieler bekommen kann, der so erfahren ist, so viele Titel gewonnen und auf so einem hohen Niveau mit den größten Spielern wie Cristiano Ronaldo oder Sergio Ramos zusammengespielt hat, muss man die Chance einfach nutzen. Sami ist der absolut richtige Mann für uns, um eine Gewinnermentalität bei uns reinzubringen. Das wollen wir und das brauchen wir.

Khediraherthabsc.de
Quelle: herthabsc.de

Allerdings hatte Khedira vor seinem Wechsel zur Hertha sein letztes Pflichtspiel im Juni 2020 bestritten. Haben Sie keine Sorge, dass er zu lange ohne Wettkampfpraxis war, um Hertha im Abstiegskampf wirklich helfen zu können?

Friedrich: Wieso? Er hat doch vergangenen Freitag gespielt, also zumindest die letzten zehn Minuten (lacht). Wir haben uns damit beschäftigt, daher haben wir Sami intensiv getestet und die Ergebnisse waren allesamt gut. Sonst hätten wir ihn auch nicht verpflichtet. Natürlich fehlt ihm die Spielpraxis, aber die wird kommen, und wir sind sehr froh, dass wir ihn zu Hertha BSC holen konnten. Ich bin total überzeugt, dass er uns auf dem Platz, aber auch in der Kabine weiterhelfen wird, um diese Mannschaft mit seiner Art zu führen.

Es heißt immer, das aktuelle Team sei besser als der Tabellenplatz. 2008/2009 haben Sie mit Hertha sogar bis kurz vor Saisonende um die Meisterschaft mitgespielt und im Jahr darauf folgte der Absturz. Kann man daraus etwas lernen?

Friedrich: Aus meiner Sicht war die Ausgangssituation damals ein Problem. Wenn man mit einer Mannschaft in die Saison geht, mit der man im Jahr zuvor fast Meister geworden wäre, und dann in einen Abwärtsstrudel kommt, kann es sehr gefährlich sein. Wir haben es seinerzeit einfach nicht hinbekommen, den Schalter umzulegen, obwohl wir alles versucht haben, und sind leider aus dieser Negativspirale nicht mehr herausgekommen.

Sehen Sie in der jetzigen Situation Parallelen zum Abstieg 2010?

Friedrich: Sicherlich war unsere Mannschaft nicht darauf ausgerichtet, gegen den Abstieg zu spielen. In diesem Punkt ist die Situation schon etwas vergleichbar mit der damaligen. Deshalb haben wir in der Winterpause reagiert und unter anderem Sami geholt, um mehr Ordnung und Struktur reinzubringen. Daher bin ich überzeugt davon, dass sich Geschichte nicht wiederholen wird. Zudem machen mich die letzten beiden Spiele gegen Frankfurt und Bayern trotz der Niederlagen zuversichtlich. Fakt ist: Wir sind in einer sehr herausfordernden Situation, stehen nur knapp oberhalb der Abstiegsplätze und dürfen uns nicht von der vermeintlichen Qualität unserer Spieler blenden lassen. Wir müssen jetzt schnellstmöglich punkten.

Als Sie Hertha nach dem Abstieg verlassen haben, gab es gegenseitige öffentliche Vorwürfe zwischen Ihnen und der Vereinsführung um den noch immer amtierenden Präsidenten Werner Gegenbauer und den bis vor kurzem als Sportchef tätigen Michael Preetz. Hat es deshalb mehr als neun Jahre bis zu Ihrer Rückkehr gedauert?

Friedrich: Nein. Das ist längst mit beiden geklärt. Es war weder meine Intention, noch mein Karriereplan, in dieser Funktion zur Hertha zurückzukehren. Ich habe mir nach dem Ende meiner Laufbahn 2013 bei Chicago Fire ein zweites Leben in den USA aufgebaut. Der Verein hat sich im Herbst 2019 sehr um mich bemüht und darum gebeten, in einer schwierigen Situation zu helfen. Das habe ich gemacht, doch es ist anders gekommen als gedacht, auch die jetzige Beförderung zum sportlich Verantwortlichen war ja nicht geplant. Aber ich nehme diese neue Aufgabe gerne an.

Der damalige Coach Jürgen Klinsmann hat Sie als "Performance Manager" geholt, ein Titel, der ebenso spöttisch kommentiert wurde wie Ihre Bemerkung, man müssen sich bei Hertha "größenwahnsinnige Ziele" stecken. Mussten Sie sich in der neuen Rolle erstmal umstellen?

Friedrich: Nein. Die Aussage von den größenwahnsinnigen Zielen wurde mir damals in den Mund gelegt und ich habe sie dann in meinem Antwortsatz wiederholt. Aber trotzdem stehe ich zu den Dingen, die ich sage. Ich finde es wichtig, authentisch zu sein.

Noch spöttischer waren die Kommentare, als Klinsmann vor rund einem Jahr plötzlich als Cheftrainer zurücktrat. Im Nachhinein sagt Investor Lars Windhorst nun, dass dessen Analysen nicht ganz falsch waren. Hat Klinsmann also im Rückblick Recht gehabt mit seiner Generalkritik an der Hertha?

Friedrich: Ich schaue nicht mehr zurück. Über die Ära Klinsmann wurde schon genug geschrieben. Jetzt geht es darum, Hertha zusammen mit dem neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung, Carsten Schmidt, in die Zukunft zu führen. Wir stecken gerade in einem großen Veränderungsprozess und stellen uns in vielen Bereichen neu auf. In diesen Umbruch stecken alle sehr, sehr viel Energie rein. Das ist intensiv, aber macht großen Spaß.

Arne Friedrich Hertha BSC 2020Getty Images
Quelle: Getty Images

Der große Geldgeber ist unverändert die Tennor-Holding von Lars Windhorst. Müssen Sie sich bei dessen sportlichem Berater Jens Lehmann die Zustimmung für Transfers einholen?

Friedrich: Nein. Jens und ich kennen uns schon seit bald 20 Jahren aus der Nationalmannschaft und sind regelmäßig im Austausch. Ich habe keine Geheimnisse vor ihm, weil wir beide Hertha wieder nach vorne bringen wollen.

Tennor hat seit dem Einstieg 2019 rund 290 Millionen Euro überwiesen und weitere Millionen zugesagt, Hertha hat seitdem für Spieler für rund 140 Millionen Euro Ablöse gekauft. Nehmen Sie die Kritik an, dass die Transferpolitik bislang erfolglos war?

Friedrich: Seit ich hier angefangen habe, sehe ich mich mit in der Verantwortung. Wenn es also Kritik gibt, dann stelle ich mich der. Unsere Kritiker sind im Moment laut, und das ist auch berechtigt, weil wir unten drinstehen. Ich glaube aber, dass wir da rauskommen und dass unser Kader besser ist als der momentane Tabellenstand. Es gibt sicher einiges zu verbessern, aber daran arbeiten wir. Uns fehlt ein bisschen die Balance, die Hierarchie und die Struktur in der Mannschaft. Deshalb bin ich auch sehr zufrieden mit unseren Wintertransfers, Sami Khedira und Nemanja Randonjic.

Friedrich: "Dardai hat oft die wichtige Drecksarbeit verrichtet"

Zu Ihrer neuen Rolle: Hasan Salihamidzic hat als Bayern-Sportdirektor gesagt, er werde nicht mehr unter einem Sportvorstand arbeiten und wurde daraufhin selbst befördert. Wie sind Ihre Ambitionen, falls im Sommer ein neuer Sportchef zur Hertha kommen sollte, zum Beispiel Fredi Bobic?

Friedrich: Es geht erstmal nicht um mich, sondern um den Verein. Ich habe im Moment aber auch gar keine Zeit, über meine Zukunft nachzudenken. Das wird sicher kommen, ist aktuell aber kein Thema für mich.

Welche Zukunft hat denn Pal Dardai über den Sommer hinaus, wenn er die angebliche Klausel in seinem Vertrag über durchschnittlich mindestens 1,5 Punkte pro Spiel nicht erfüllen kann?

Friedrich: Wir haben in Pal unseren Wunschtrainer gefunden und er hat einen Vertrag über eineinhalb Jahre. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Sie haben 2017 der Berliner Morgenpost gesagt, Sie hätten Dardai die erfolgreiche Arbeit als Trainer nicht zugetraut. War er als Spieler so anders?

Friedrich: Als Spieler ist er immer vorangegangen, hat oft die wichtige Drecksarbeit verrichtet und Marcelinho den Rücken freigehalten. Als Trainer hat er damals ohne große Erfahrung sehr schnell bei Hertha die Wende eingeleitet, sich sehr gut entwickelt und eine erfolgreiche erste Zeit gehabt. Und man sieht auch schon jetzt, dass er die richtigen Ansätze gefunden hat, aber noch fehlen leider die Punkte.

Womit wir wieder am Anfang unseres Gesprächs wären: Schon zu Ihrer Spielerzeit hat es Hertha nicht geschafft, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und dauerhaft ganz oben mitzuspielen. Wie wollen Sie jetzt den hohen Zielen vom Big City Club gerecht werden ohne sich erneut zu verheben?

Friedrich: Wir hatten Anfang der 2000er ja auch einige sehr gute Jahre mit der Teilnahme an der Champions League und danach regelmäßig am damaligen UEFA-Cup. Mittlerweile haben wir uns wieder in der Bundesliga etabliert, konnten aber in der jüngeren Vergangenheit noch nicht den nächsten Schritt gehen. Daran arbeiten wir, auch wenn wir aktuell natürlich erst mal nur das Ziel haben, uns schnellstmöglich von den Abstiegsplätzen zu entfernen. Ich bin überzeugt, dass wir da rauskommen. Und danach muss der Blick in die oberen Tabellenregionen gehen.

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Als Sie 2002 bei Arminia Bielefeld das Angebot von Hertha BSC vorliegen hatten, wollte Sie Uli Hoeneß laut eigener Aussage noch in letzter Minute zum FC Bayern holen. Wie war das damals?

Friedrich: 2002 habe ich das gar nicht mitbekommen, weil ich mich bereits für Hertha entschieden hatte. 2003 und 2005 haben mich die Bayern dann noch mal kontaktiert, aber ich habe mich trotz aller Angebote auch von anderen Klubs immer entschieden, in Berlin zu bleiben.

Hatte die Absage an Bayern damit zu tun, dass Sie als Kind Anhänger von Borussia Dortmund waren?

Friedrich: Nein. Aber ich gebe zu, dass ich BVB-Fan war. Dortmund ist nicht weit von meiner Heimatstadt Bad Oeynhausen entfernt und ich war häufig als Besucher im Westfalenstadion. Auch Dortmund hatte damals Interesse, aber Hertha hat gewonnen.

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