Leroy Sane FC Schalke 04 Bundesliga 05072016Getty Images

Frank Fahrenhorst im Interview: "Am schlimmsten war der Vorwurf der Simulation"


EXKLUSIV-INTERVIEW

Frank Fahrenhorst schoss den VfL Bochum mit seinen Toren am BVB vorbei nach Europa, er lieferte sich mit Werder Bremen ein legendäres Duell in der Champions League mit Juve und er war nach der aktiven Karriere lange Jahre Coach in der Schalker Knappenschmiede. Jetzt ist der 42-Jährige als neuer U21-Trainer zum VfB Stuttgart gewechselt. Im Interview mit Goal und  SPOX blickt Fahrenhorst auf eine Karriere mit vielen Höhen und Tiefen zurück.

Außerdem erzählt Fahrenhorst von seinen Erfahrungen als Jugendtrainer von Leroy Sane, spricht über verloren gegangene Werte und erklärt, warum er beim VfB viel Power spürt.

Herr Fahrenhorst, in Deutschland stehen die Sommerferien an, oder sie laufen bereits, erinnern Sie sich an die Sommerferien 1994?

Frank Fahrenhorst:  (lacht) Sehr gut sogar. Damals habe ich meinen besten Freund besucht, der in Bochum in einen anderen Stadtbezirk gezogen war. Dieser Besuch war im Endeffekt der Startschuss für meine Karriere.

Was ist passiert?

Fahrenhorst:  Ein Freund von meinem Kumpel hat beim VfL Bochum gespielt. Eines Tages hat er vorgeschlagen, dass wir mit zum Training kommen und danach in die Stadt losziehen. Wie es der liebe Gott wollte, fehlte beim Training dann ein Mann, um ein Spiel machen zu können. So wurde ich gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle. Danach bekam ich das Angebot, zum VfL zu gehen und drei Jahre später stand ich plötzlich in der Bundesliga auf dem Platz. Klaus Toppmöller hat mich in Duisburg in der 74. Minute eingewechselt, das war natürlich etwas ganz Großes für mich. Bochum hatte damals diese knallgelben Trikots, das Teil hängt heute noch bei mir zuhause.

Das Hochgefühl hielt aber nicht lange an. Sie bekamen früh in Ihrer Karriere große Verletzungsprobleme.

Fahrenhorst:  Es war so schlimm, dass ich zwischendurch nicht mehr wusste, ob meine Karriere nicht schon wieder vorbei sein würde, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Es hätte alles zu Ende sein können. Nachdem ich mich bei einem Spiel in Nürnberg schwer am Knie verletzt und danach wieder herangekämpft hatte, brach ich mir im Training das Wadenbein. Leider kam es danach immer wieder zu Komplikationen, sodass ich insgesamt elf Monate lang aussetzen musste. Das war hart. Am schlimmsten war der Vorwurf der Simulation, der von einigen Leuten damals kam. Ich habe so viel investiert, um wieder fit zu werden, aber abends lag ich im Bett, habe gegrübelt und mich gefragt: Warum glauben mir diese Leute nicht? Warum bloß? Das war zermürbend. Zum Glück bin ich dann mit Verspätung doch noch an die richtigen Menschen gekommen, die mir geholfen haben. Aber die Verletzungen haben mir viele Spiele und sicher auch einiges in der Entwicklung gekostet.

Dennoch hatten Sie im Anschluss eine herausragende Zeit in Bochum mit dem Höhepunkt in der Saison 2003/04. Die Abschlusstabelle von damals liest sich heute legendär: 1. Werder, 4. VfB, 5. Bochum, 6. BVB, 7. S04, 8. HSV, 9. Hansa Rostock. Was hat diese Bochumer Mannschaft um Dariusz Wosz, Vahid Hashemian oder Peter Madsen damals ausgezeichnet?

Fahrenhorst:  Es klingt klischeehaft, aber wir waren wirklich ein verschworener Haufen. Wir haben uns auf und neben dem Platz überragend verstanden. Vor allem wusste jeder in der Mannschaft, welche Rolle er innehatte. Das war ganz wichtig. Peter Neururer hat es damals als Trainer sensationell gut verstanden, einer Truppe Struktur zu geben. Und Vertrauen. Egal, ob du ein Schlüsselspieler oder die Nummer 24 im Kader warst. Das war die Basis. Mit den Erfolgen ist unser Selbstvertrauen stetig gewachsen, wir haben uns berauschen lassen von der Freude und den guten Leistungen. Mit dem Ergebnis, am Ende vor den großen Rivalen aus Dortmund und Schalke zu stehen. Das hat ganz Bochum stolz gemacht.

Frank Fahrenhorst über seine 7-Tore-Saison und das Duell mit Ronaldo, Ronaldinho und Adriano

Und Sie hatten großen Anteil am Erfolg, sogar als Torschütze. Sieben Tore erzielten Sie als Innenverteidiger in dieser Saison, genauso viele wie Michael Ballack oder Fredi Bobic.

Fahrenhorst:  Nicht schlecht für einen Abwehrspieler, oder? (lacht) Lustigerweise ist es aber kein Tor aus dieser Saison, das bei mir am meisten im Kopf geblieben ist. In der Saison 2001/02 haben wir am 33. Spieltag 2:1 gegen Union Berlin gewonnen - nach meinem Siegtreffer in der 89. Minute. Das war ein entscheidender Schritt zum Aufstieg und das wichtigste, schönste und emotionalste Tor meiner Karriere.

Nach der Saison sind Sie zum Double-Sieger nach Bremen gewechselt und wurden im Sommer auch von Jürgen Klinsmann zum ersten Mal in die Nationalmannschaft berufen. In Österreich und gegen Brasilien standen Sie 90 Minuten auf dem Feld, es sollten allerdings Ihre einzigen Länderspiele bleiben. Warum?

Fahrenhorst:  Mit der Nominierung ist für mich natürlich ein Kindheitstraum wahr geworden. In Berlin bekam ich es in einem ausverkaufen Olympiastadion mit Ronaldo, Ronaldinho und Adriano zu tun - das war schon ein außergewöhnlicher Moment für mich. Ich war nach den zwei Spielen noch ein paar Mal im Kader, aber leider wurde ich dann erneut von Verletzungen zurückgeworfen. Das Thema bin ich leider nicht losgeworden. Es wäre gelogen, dass ich nicht mal darüber nachgedacht hätte, wie meine Karriere hätte verlaufen können, wenn ich nicht diese Knackpunkte erlebt hätte. 2006 hatten wir die WM im eigenen Land. Aber ich bin ganz weit weg davon, mich zu beklagen. Ich habe zweimal für Deutschland gespielt und war im Kreis der Creme de la Creme, das war eine tolle Erfahrung.

Frank Fahrenhorst Werder BremenGetty Images Bild: Getty Images

Wie würden Sie die zwei Jahre bei Werder im Rückblick beschreiben? Sie kamen nach Bremen, als dort jedes Jahr Champions League angesagt war.

Fahrenhorst:  Meine Zeit in Bremen war hochspannend. Ich habe dort auch wieder fürs Leben gelernt. Ich wurde damals als Nachfolger von Mladen Krstajic verpflichtet, der nach Schalke abgewandert war. Ich kam aus Bochum zum amtierenden Double-Sieger und damit auf eine ganz andere Bühne. Der Anspruch war ein ganz anderer. Es wurde noch viel erfolgsorientierter gearbeitet. Ich habe plötzlich mit grandiosen Individualisten wie Johan Micoud zusammengespielt. Der Rhythmus war ein ganz anderer. Die Zeit war extrem interessant. Natürlich auch wegen der Highlights in der Champions League.

Frank Fahrenhorst: "Dann hat Tim Wiese leider den Ball fallen gelassen"

In Ihrem ersten Jahr in Bremen wurden Sie mit Werder von Sylvain Wiltord kaputtgeschossen im Achtelfinale gegen Lyon.

Fahrenhorst:  0:3 und 2:7. Das waren keine wirklich guten Abende.

Beim 2:7 wurden Sie beim Stand von 2:6 eingewechselt. Da kommt Freude auf, oder?

Fahrenhorst:  Klar, es gibt Angenehmeres, aber so habe ich das ehrlich gesagt nicht gesehen. Ich bin in meinem Leben so geprägt worden, in jeder Situation zu versuchen, das bestmögliche daraus zu machen. Das sollte eigentlich normal sein, ist es aber nicht. Ich habe in meiner Karriere immer mal wieder Spieler erlebt, die sich am Freitag beim Abschlusstraining "abgemeldet" haben. Die hatten keinen Bock und wollten sich aus der Affäre ziehen. Mir war immer wichtig, in jeder Situation für meine Mannschaft da sein. Wenn es 2:6 steht, gilt das genauso wie beim Stand von 5:0. Ob es am letzten Spieltag noch um was geht oder nicht - es ist nie egal. Das fordere ich jetzt auch als Trainer von meinen Mannschaften ein.

Im zweiten Jahr stand Werder wieder im CL-Achtelfinale und traf auf Juve. Ein Juve mit Buffon, Thuram, Cannavaro, Nedved, Vieira, Ibrahimovic, Trezeguet. Sie waren Stammspieler zu diesem Zeitpunkt und hätten mit Werder eigentlich weiterkommen müssen. Nach einem 3:2 im Hinspiel stand es in Turin bis kurz vor Schluss 1:1 ...

Fahrenhorst:  Dann hat Tim Wiese leider den Ball fallen gelassen und Emerson hat das 2:1 gemacht. Kein Vorwurf an Tim, aber für die Mannschaft war es einfach tragisch. Wir hatten Juve nach knapp 180 Minuten am Rande des Ausscheidens. Und das sicher nicht unverdient, wir waren mindestens im Hinspiel die bessere Mannschaft. Wer weiß, was passiert wäre, wenn wir da ins Viertelfinale einziehen.

GER ONLY WERDER BREMEN FAHRENHORSTimago Bild: Imago Images

Nach zwei Jahren in Bremen zogen Sie nach Hannover weiter, es gab eine Art Tausch mit Ihnen und Per Mertesacker. Wären Sie gerne in Bremen geblieben?

Fahrenhorst:  Es war eine etwas surreale Situation. Auch wenn ich gute Phasen hatte bei Werder, hatten sich beide Seiten gegenseitig etwas mehr erhofft. Ich hatte ein Gespräch mit der sportlichen Leitung um Klaus Allofs, in der mir fest zugesichert wurde, dass der Verein mit mir plant. Darauf habe ich mich verlassen. Ich hatte zu der Zeit auch ein Angebot eines namhaften Bundesligisten auf dem Tisch, habe es aber ausgeschlagen, weil ich in Bremen nochmal angreifen wollte. Leider wurde damals nicht mit offenen Karten gespielt, sodass es in der Folge zu dieser Art "Tausch" gekommen ist, auch weil 96 Per nur gehen lassen wollte, wenn sie einen adäquaten Ersatz bekommen. Ich bin niemandem mehr böse, aber damals war ich natürlich enttäuscht. Es hatte ein Geschmäckle, wie die Sache abgelaufen ist. Das hätte man anders machen können. Das Schöne war, dass ich danach drei gute Jahre in Hannover hatte. Sportlich zwar nicht mehr auf dem Niveau von Werder, aber wir haben in den Jahren mit 96 an das internationale Geschäft herangerochen und den Verein in der Bundesliga stabilisiert. Und ich habe mich extrem wohlgefühlt in Hannover. Es war top.

Zur Saison 2009/10 sind Sie nach Duisburg gewechselt. Den Suizid von Robert Enke haben Sie so nur aus der Ferne mitbekommen, Sie kannten ihn aus Hannover und aus der U21 aber gut. Wie einschneidend war sein Tod für Sie?

Fahrenhorst:  Sehr einschneidend. Wir waren damals mit dem MSV im Trainingslager. Ich werde nie vergessen, wie ich ins Hotel gekommen bin nach dem Training. Es war so 17.30 Uhr. Ich bin an der Rezeption vorbeigelaufen, wo ein großer Fernseher stand. Dort lief n-tv. Ich weiß nicht, wie lange ich dastand, aber ich war wie verwurzelt, wie versteinert. Ich konnte es nicht fassen. Nach ein paar Telefonaten hatte ich aber leider Klarheit. Das war eine unglaublich traurige Zeit für mich und meine Familie. Zwei Jahre nachdem wir auf diesem kleinen Friedhof standen, als Roberts kleine Tochter beigesetzt wurde, standen wir bei seiner Beerdigung wieder da. Leider muss ich sagen, dass sich bald elf Jahre danach aus meiner Sicht nichts verändert hat, was den Umgang miteinander angeht. Jeder, der schlau genug ist, sieht, dass wir nicht weiter sind als damals. Das ist schade.

Ihre Spielerkarriere ließen Sie nach einem wenig erfolgreichen Jahr in Duisburg bei der zweiten Mannschaft von Schalke ausklingen und rutschten so langsam ins Trainergeschäft hinein. Wie hat sich das entwickelt?

Fahrenhorst:  Nachdem ich meinen Vertrag in Duisburg nach einem Jahr im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst hatte, weil es einfach nicht passte, hatte ich die Wahl: Gehe ich ins Ausland, oder nehme ich das Angebot aus Schalke an, als Stand-by-Profi für Felix Magath bereit zu stehen und die zweite Mannschaft zu unterstützen? Den Ausschlag für Schalke hat gegeben, dass mir dort die Möglichkeit gegeben wurde, in die Trainerschiene hineinzuschnuppern. Für mich waren zwei Punkte ganz entscheidend: Ich wollte den Trainerjob von der Pike auf lernen. Ich wollte nicht dieser Ex-Fußballer sein, der meint, er kann das schon, weil er mal Bundesliga und Champions League gespielt hat. Dazu wollte ich am Anfang für mich herausfinden, ob ich einen Zugang zu den Spielern finde. Da kann man ja nicht sicher sein, dass einem das gut gelingt. Als ich gemerkt habe, dass es gut klappt, habe ich die Chance wahrgenommen, als Co-Trainer und Teammanager der U23 meine ersten Schritte zu gehen.

Frank Fahrenhorst: Sane und Co.? "Wollten ihre Grenzen austesten"

Im Januar 2013 wurden Sie noch zusätzlich Cheftrainer der U17. Wie ist es dazu gekommen?

Fahrenhorst:  Als der damalige U17-Coach Jens Keller zum Chef bei den Profis befördert wurde, war der Posten vakant. Ich habe mich nicht aktiv beworben, wurde aber eines Tages ins Büro von Oliver Ruhnert bestellt, der zu dieser Zeit der Leiter der Nachwuchsabteilung von Schalke war. Er hat mir das Vertrauen geschenkt und diese Chance gegeben. Ich habe ein halbes Jahr die U17 betreut und dann zur nächsten Saison mit der U16 meine erste eigene Mannschaft bekommen.

In der U17, die Sie damals übernahmen, spielte ein gewisser Leroy Sane.

Fahrenhorst:  Ja, aber nicht nur er. Auch Jungs wie Thilo Kehrer oder Donis Avdijaj. Es war eine außergewöhnliche Mannschaft. Es war zwar früh absehbar, dass einige einen guten Weg vor sich haben, aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich mir damals nicht vorstellen können. Was Leroy und diese Jungs damals auszeichnete, war dieser Bock zu kicken und diese Gier, sich weiterzuentwickeln und nach oben zu kommen. Das hat man gemerkt. Auf der anderen Seite waren es Jungs, die auch manchmal ihre Grenzen austesten wollten. Das ist auch gut so, nur so kommen sie weiter.

Bild: Imago Images / Team 2

Sie sollen Leroy Sane auch mal auf die Bank gesetzt und ihn so gekitzelt haben.

Fahrenhorst:  Das ist für mich nichts Besonderes, das gehört einfach dazu. Ich mache das ja nicht, um den Jungen persönlich zu ärgern. Ich will ihn weiterbringen. Wenn er es in die Spitze schafft, wird er genau damit auch umgehen müssen. Es ist keine Strafe für den Spieler, es kann auch mal sein, dass ein anderer in der Woche einfach besser trainiert und sich die Chance verdient hat, zu spielen. Dann müssen die Jungs auch lernen, das zu akzeptieren. Leroy war und ist ein besonderer Spieler, der mit seiner Leichtigkeit und Unbekümmertheit in seiner Spielweise etwas Einzigartiges hat. Er ist bis jetzt schon einen tollen Weg gegangen und ich bin gespannt, was alles noch kommt. Für einen Trainer, der ihn ein bisschen begleiten durfte, ist es immer auch ein kleiner Lohn, wenn man ihn dann am Wochenende auf der großen Bühne aufspielen sieht.

Frank Fahrenhorst: "Moukoko hat uns sehr oft sehr wehgetan"

Sie haben so viele Jahre die U16 oder U17 trainiert. Was macht diese Altersklassen für Sie besonders?

Fahrenhorst:  Ich habe Jungs in meiner Mannschaft, die einen ganz komplexen Alltag zu bewältigen haben. Die aber auch eine ganz besondere Phase in ihrer Entwicklung durchmachen. Pubertät, die erste Freundin, vielleicht haben sie Probleme in der Schule oder in der Familie, manche wohnen im Internat - ich muss für sie weit mehr als nur Trainer sein, ich bin auch als Pädagoge gefragt. Viele öffnen sich nicht so bei ihren eigenen Familien. Wenn ich für sie ein Vertrauter bin, kann ich ihnen auch im echten Leben Hilfestellungen geben. Du bist in meinen Augen kein guter Jugendtrainer, wenn es dir nur darum geht, dass dein Spieler einen sauberen Pass spielen kann. Es geht um viel mehr in diesen Jahrgängen.

Der aktuell größte Name in diesem Alterssegment ist BVB-Juwel Youssoufa Moukoko, der immer noch erst 15 Jahre alt ist. Sie haben ihn als gegnerischer Coach erlebt. Was zeichnet diesen Jungen aus?

Fahrenhorst:  Er hat uns sehr oft sehr wehgetan. (lacht) Er ist ohne Zweifel ein außergewöhnlicher Spieler. Die Reife und Abgeklärtheit, die er mit 15 Jahren hat, ist beeindruckend. Man muss schauen, wie er körperlich im Profibereich klarkommt, aber man kann nur gespannt sein, wie sein weiterer Weg aussieht. Sein Potenzial sucht mit Sicherheit seinesgleichen in dem Alter.

20180610_Youssoufa Moukoko(C)Getty Images Bild: Getty Images

Nun sind Sie zum VfB gewechselt und haben dort die zweite Mannschaft als Cheftrainer übernommen. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen?

Fahrenhorst:  Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der nach langen Abschnitten neue Herausforderungen sucht und diese auch braucht. Als Spieler habe ich es erlebt, als in Bochum nach zehn Jahren der Zyklus zu Ende war und etwas Neues kommen musste. Jetzt war ich knapp zehn Jahre auf Schalke und habe wieder das gleiche Gefühl gehabt. Ich hätte es mir einfach machen und den Job auf Schalke einfach die nächsten fünf Jahre weitermachen können. Es ist ein toller Job, es ist nahe an unserem Zuhause, es war an sich perfekt. Aber wenn du weiterkommen willst im Leben, brauchst du Veränderung. Wenn Monotonie entsteht, musst du dir Gedanken machen. Bei mir kam jetzt dazu, dass die familiären Umstände passen. Meine Kinder sind groß genug, meine Tochter wird 15, mein Sohn wird 12, sodass mir meine Familie schon vor einiger Zeit das Signal gegeben hat, dass ich potenziell eine andere Aufgabe weiter weg annehmen kann. Ende Januar kam dann der Anruf vom VfB.

Der VfB wollte Sie eigentlich sofort.

Fahrenhorst:  Das war anfangs das Problem an der Sache. Ich habe den Verantwortlichen gesagt, dass ich es sehr gerne machen würde, aber dass ein kurzfristiger Einstieg nicht infrage kommt. Ich bin ein Mensch, der Dinge gerne zu Ende bringt. Es war für mich überhaupt keine Option, die Zelte auf Schalke vorzeitig abzubrechen. Ich habe eine Verantwortung gegenüber meinen Spielern, für mich hat das auch etwas mit Werten zu tun. Als der VfB mir dann zu verstehen gab, dass man mich unbedingt will und versuchen wird, bis zum Sommer eine Übergangslösung zu finden, hat mir das sehr imponiert. Für mich war es eine Bestätigung für das gute Gefühl, das ich nach überragenden Gesprächen mit Thomas Hitzlsperger und Thomas Krücken ohnehin schon hatte. Wir waren sofort auf einer Wellenlänge. Wir haben gegenseitig genau das gesucht, was dem anderen vorschwebt. Der VfB wollte einen Trainer, der nicht persönlich so schnell wie möglich nach Höherem strebt, sondern die volle Konzentration darauf legt, Spieler zu entwickeln. Und ich will genau das: Spieler entwickeln in den nächsten Jahren. Das erfüllt mich.

Frank Fahrenhorst: "Ich spüre sehr viel Power beim VfB"

Heißt das, Sie sehen sich gar nicht als Bundesliga-Trainer eines Tages?

Fahrenhorst:  Was eines Tages kommen kann, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass es mich total ausfüllt, in den nächsten Jahren den Trainer Frank Fahrenhorst weiter zu entwickeln, ich bin nämlich noch lange nicht fertig mit meiner eigenen Entwicklung, und mit jungen Spielern zu arbeiten und sie an die erste Mannschaft heranzuführen. Ich bin total zufrieden in dieser Rolle. Ich bin erst seit Kurzem beim VfB, aber nach der ersten Woche bin ich mit einem großen Glücksgefühl zu meiner Familie gefahren, weil mich die ersten Tage schon darin bestärkt haben, dass es der richtige Schritt für mich war. Ich spüre sehr viel Power beim VfB, hier soll etwas bewegt werden in den nächsten Jahren.

Wie haben Sie denn den VfB von außen beobachtet über die Jahre? Wie war Ihr Eindruck?

Fahrenhorst:  Als Erstes muss ich an meine Spielerkarriere denken. Wenn wir ins Neckarstadion gefahren sind, wie es ja damals noch hieß, wussten wir immer, dass wir einerseits auf eine spielstarke Mannschaft treffen, die attraktiven Fußball spielen will. Der VfB stand immer für attraktiven Fußball. Und andererseits wussten wir, dass die Atmosphäre top sein wird, weil der VfB großartige Fans hat. Der VfB war auch immer ein Verein, der große Spieler herausgebracht hat und dafür bekannt geworden ist. Wenn man wie ich auf Schalke in einem hervorragenden NLZ gearbeitet hat, dann sieht man natürlich auch, wo sonst die besten NLZs anzufinden sind. Da gehört das beim VfB ohne Zweifel dazu. Das Ziel ist es, wieder vermehrt eigene Spieler zu entwickeln, gerade deshalb waren unsere Vorstellungen da auch so deckungsgleich.

Es gab eine Zeit, da wollte man beim VfB die zweite Mannschaft abschaffen.

Fahrenhorst:  Ich bin froh, dass es nicht so gekommen ist. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie wichtig die zweite Mannschaft ist, um junge Spieler an den Männer-Fußball heranzuführen. Ich habe es in Bochum am eigenen Leib erfahren. Manchmal habe ich erst in der U19 gespielt und dann noch in der U23. Die Erfahrung war Gold wert für mich, diese Wettkampfpraxis ist unerlässlich. Dementsprechend sollte auch der Stellenwert im Klub sein. Wenn manche Vereine meinen, sie könnten die zweite Mannschaft abmelden, dann ist das ihre Entscheidung, ich habe eine komplett andere Meinung.

Frank Fahrenhorst: "Der wollte meinen elfjährigen Sohn vermitteln"

Sie haben vorhin vom Trainer Frank Fahrenhorst gesprochen und angedeutet, was Ihnen wichtig ist. Welche Werte stehen ganz oben?

Fahrenhorst:  Respekt, Disziplin, harte Arbeit. Das sind alles Werte, die für mich essentiell sind und die ich als Trainer auch vorlebe. Ein ganz großer Schlüssel ist außerdem Kommunikation. Durch gute Kommunikation baue ich Vertrauen auf, wenn ich Vertrauen aufbaue, schaffe ich eine persönliche Bindung. Nur wenn ich eine persönliche Bindung geschaffen habe, kann ich auch entwickeln. Habe ich diese Bindung nicht, auf welcher Ebene auch immer, ist es für mich als Trainer nahezu unmöglich, einen Spieler weiterzubringen. Kommunikation hat eine hohe Priorität. Und wie erwähnt der menschliche Respekt untereinander. Wie wir als Mannschaft miteinander leben, miteinander umgehen und miteinander Ziele erreichen wollen.

Glauben Sie, dass diese Werte in der Vergangenheit etwas vernachlässigt wurden?

Fahrenhorst:  Ja, das würde ich so sehen. Die jungen Menschen werden heute in einer ganz anderen Welt groß, als das bei mir noch der Fall war. Ich sehe an meinen Kindern zum Beispiel die Bedeutung von Plattformen wie Instagram. Da kann man ja manchmal nur mit dem Kopf schütteln. Manchmal führt das auch dazu, dass verlernt wird, wie normaler Austausch funktioniert. Dass man beim Abendessen am Tisch sitzt und sich normal unterhält, ohne aufs Handy zu starren. Manchmal ertappt man sich ja sogar selbst dabei. Für mich ist wichtig, dass wir uns ein Stück weit arrangieren und akzeptieren, dass sich die Welt verändert hat. Gleichzeitig dürfen wir nicht alles gutheißen und müssen hier und da auch Grenzen setzen.

Viele junge Spieler kommen ganz früh mit einem Berater ums Eck.

Fahrenhorst:  Das ist auch so ein Punkt. Mein Sohn ist 11. Letztens ist ein Berater auf mich zugekommen und meinte: Dein Sohn hat ja auch Talent, wenn du jemanden brauchst, sag Bescheid. Worauf ich gesagt habe: Alles klar, danke und tschüss. Der wollte meinen elfjährigen Sohn vermitteln. Es ist extrem, wie dort an immer noch jüngere Kinder herangetreten wird. Da frage ich mich schon, worum es dem Berater da denn jetzt genau geht.

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