So wild und unterhaltsam dieses insgesamt 29. und höchstwahrscheinlich letzte Spiel für den Bayernspieler Thomas Müller gegen den BVB (überraschende Comebacks und selbst die wahrscheinlichsten aller Wechsel darf man ja nie komplett ausschließen) am 29. Spieltag der Bundesligasaison 2024/2025 auch war: nüchtern betrachtet war in den vorangegangenen 90 Minuten mit Blick auf die Bundesligatabelle kaum etwas passiert, als Müller am Samstagabend als letzter Spieler aus dem Kabinentrakt kam und mit gespielter Genervtheit ("Freunde, geht’s doch heim") noch mal bei den wartenden Reportern stehenblieb.
Getty"Wir sind fast immer die bessere Mannschaft, aber ...": Der FC Bayern München schwankt ausgerechnet im Saisonfinale
Wenn überhaupt, war es ja ein 2:2 gewesen, das dem FC Bayern aller vergebenen Chancen zum Trotz im Rennen um den Bundesligatitel wegen des 0:0 von Bayer Leverkusen gegen Union Berlin weniger wehgetan hatte, als es dem BVB geholfen hatte im Kampf um Europa.
Und so richtete man bald den Blick nach vorne, zum Spiel am Mittwoch in Mailand, bei dem auf jeden Fall etwas passieren wird.
Ob er denn ein bisschen die Befürchtung habe, dass die Partie bei Inter Mailand seine letzte in der Champions League sein könnte für die Bayern, wurde Müller gefragt. Und ob dies in seinem Herzen, in seiner Seele eine Rolle spiele?
Müller blickte den Kollegen, der ihn nun wirklich schon seit einigen Jahren begleitet, mit nur halb gespieltem resignierendem Blick an und setzte an: "Jetzt kennst mich doch auch a bissl, oder? Wenn ich jetzt in ein Champions-League-Rückspiel gehe mit einem Tor Rückstand: hab ich dann irgendeine Befürchtung? Oder hab ich eher…"
Getty Images SportThomas Müller offenbart ein sehr optimistisches Mindset
Und dann folgte einer jener großen Momente, die man in den vergangenen 16 Jahren als Beobachter immer wieder erleben durfte nach Spielen des FC Bayern; ein Dialog, den auch der große bayerische Kabarettist Gerhard Polt geschrieben haben könnte. Reporter: "Ich brauch halt den Satz." Müller: "Ah, so! Dann schreib halt, dass ich ihn nicht gesagt hab, dass du ihn aber gern schreiben würdest."
Abgesehen von dieser Kostprobe von Müllers anarchischen Karl-Valentin-Humors, offenbarte der Angreifer, dem gegen den BVB unter anderem eine wunderbare Vorlage zum 1:1, aber auch ein nicht ganz so wundervoll verlorenes Kopfballduell gegen Emre Can vor Dortmunds 2:2 gelungen waren, ein ziemlich optimistisches Mindset.
In Bezug auf den Bundesliga-Titelkampf ("ein Punkt gewonnen und ein Spiel weniger bis Saisonende") und in Bezug aufs Weiterkommen in der Champions League: "Ich habe heute viel Gutes entdeckt: Wir haben viele Chancen kreiert, hatten eine gute Energie, sind gut aus einem Rückstand zurückgekommen und sogar in Führung gegangen." Das mache Hoffnung für die Partie in Mailand, wo es gilt, ein unglücklich zustande gekommenes 1:2 zu drehen. Obgleich selbst Müller zugeben musste: "Wenn wir da genauso spielen wie heute, dann endet es 2:2 und es reicht nicht."
Der FC Bayern im Jahr 2025: Offensiv nicht erwachsen genug, defensiv anfällig
Und damit zu Joshua Kimmich: Trat Müller am Samstag mit der Leichtigkeit einer Legende auf, die gerne noch mehr erleben und gewinnen würde, aber mit sich und der Entscheidung der Klub-Bosse im Reinen scheint, konnte Kimmich nicht raus aus seiner ehrgeizigen Haut. Den Kapitän der Zukunft ärgerte weniger das Ergebnis, er trauerte aber den vergebenen Chancen hinterher; nicht nur jenen gegen Dortmund. "Wir sind fast immer die bessere Mannschaft, aber das schlägt sich nicht aufs Ergebnis nieder", sagte er mit Blick auf die eher ernüchternden Resultate gegen Union Berlin, VfL Bochum, Inter Mailand und nun eben Borussia Dortmund. Und das ärgere ihn am meisten derzeit. "Da müssen wir erwachsener werden. Und effektiver werden".
Der FC Bayern im April 2025 scheint noch immer nicht zu wissen, wo er eigentlich steht - und wie er seine Leistungen einordnen soll.
Bezeichnend, dass sich irgendwo zwischen den beiden Spielern Trainer Vincent Kompany einordnete. Er gab zu, natürlich "mixed feelings" zu haben nach dem wilden 2:2, allerdings "wollten wir sechs Punkte vor Leverkusen bleiben und wir sind sechs Punkte vor Leverkusen geblieben." Einerseits wünsche sich ein Trainer mehr Kontrolle über ein Spiel, andererseits "würde ich ein Ticket kaufen, um zu so einem Spiel gehen zu können. Wenn es solche Spiel nicht gäbe, würden wir es bedauern, dass es solche Spiele nicht gäbe."
AFPSerge Gnabry empfahl sich für einen Platz in der Startelf des FC Bayern - aber es gibt einen Haken
Mangelnde defensive Stabilität auf der einen Seite und mangelnde offensiver Effizienz auf der anderen Seite, wünscht sich natürlich kein Trainer. Schon gar nicht, wenn sich die Viererkette mangels gesunder Alternativen weiter von alleine aufstellt und der nominell beste gesunde Innenverteidiger Minjae Kim sich gegen den BVB vorm 0:1 so orientierungslos zeigte, dass Kompany ihn wenige Minuten nach dem Gegentor auswechselte. Der Coach verzichtete, wie im Übrigen auch Sportvorstand Max Eberl und Kimmich, Kim wegen seines üblen Fehlers an den Pranger zu stellen; wieso auch, Kim weiß auch so, dass das Gegentor auf ihn geht.
Doch Kompany entschied sich am Samstag ganz generell, nicht die defensiven Schwächen seiner Mannschaft anzusprechen, sondern zu betonen, dass der FCB gegen Inter und den BVB, "zwei Mannschaften, die im Viertelfinale der Champions League stehen", 50 Schüsse produziert habe.
Nun sind drei Tore aus 50 Schüssen in zwei Spielen tatsächlich keine berauschende Bilanz, doch obgleich auch Kompany da nicht immer richtig liegt, richtig positiv ist die Torausbeute der Münchner Joker. Serge Gnabrys schöner Treffer zum 2:1 nach seinem unwiderstehlichen Solo war bereits sein vierter Bundesligatreffer nach einer Einwechslung in dieser Saison (gesamt fünf Tore). Zuvor hatte Gnabry schon Guerreiros (ebenfalls eingewechselt) Tor zum 1:1 mit vorbereitet. Gnabry empfahl sich mit dieser Leistung durchaus für einen Platz in der Startelf. Allerdings ist er eben auch als Joker wertvoll.
Bei Jokertoren macht dem FC Bayern niemand was vor
Doch da ist er nicht allein. Bayern erzielte in der Bundesliga insgesamt bereits 16 Jokertore - mit Abstand Ligaspitze. Und da auch Kingsley Coman wieder genesen ist und der FC Bayern zumindest in der Offensive wieder richtig aus dem Vollen schöpfen kann, endet dieser Text mit zwei weiteren Weisheiten von Thomas Müller, der ja gegen Dortmund mal wieder von Beginn an spielen durfte, nachdem er gegen Inter Mailand als Joker getroffen hatte.
Weisheit eins: "Ich habe natürlich versucht, mich anzubieten mit einem guten Spiel, aber das gute Spiel habe ich nicht deshalb gemacht, um mich anzubieten, sondern weil es Sinn macht, ein gutes Spiel zu machen." Weisheit zwei: "Der Trainer kann im Offensivbereich aus sehr vielen Optionen wählen. Am Ende stellt er auf, dann schauen wir, wer spielt und die anderen kommen gut rein."
Und wenn sie und ihre Kollegen ihre Chancen besser nutzen als zuletzt, sollte Bayern am Mittwoch das Halbfinale der Champions League erreichen - und Müller mindestens noch ein weiteres Heimspiel in der Allianz Arena und weitere große Momente in der Mixed Zone bescheren.
Getty Images SportFC Bayern München: Die nächsten Spiele
Datum (Uhrzeit)
Gegner
Wettbewerb
Mittwoch, 16. April (21 Uhr)
Inter Mailand (A)
Champions League
Samstag, 19. April (15.30 Uhr)
1. FC Heidenheim (A)
Bundesliga
Samstag, 26. April (15.30 Uhr)
FSV Mainz 05 (H)
Bundesliga



