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"Wir fühlen uns komplett im Stich gelassen": Der beispiellose Absturz des Vereins, den Kylian Mbappé gekauft hat

Am Anfang war die Euphorie. Bei SM Caen herrschte im Sommer 2024 plötzlich Aufbruchstimmung. Der Grund: Kylian Mbappé. Real Madrids neuer Superstar entschied sich, den traditionsreichen und doch recht erfolglosen Klub zu übernehmen. Für viel Geld kaufte der Kapitän der französischen Nationalmannschaft den Verein aus der Ligue 2 und eine neue Zeitrechnung sollte anbrechen.

Heute, gut sieben Monate später, ist davon nichts mehr übrig. Die Fans gehen auf die Barrikaden, die Mannschaft hat mittlerweile den dritten Trainer in dieser Saison und taumelt der sportlichen Bedeutungslosigkeit entgegen. Und Mbappé sieht sich harter Kritik ausgesetzt.

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    Kylian Mbappé stand als Teenager vor einem Wechsel nach Caen

    Alles begann mit einer Ankündigung am 31. Juli. Mbappé und seine Familie übernahmen mit ihrer neu gegründeten Firma Interconnected Ventures 80 Prozent der Anteile an Caen. Etwa 20 Millionen Euro sollen dafür geflossen sein, laut Medienberichten stammten 14 Millionen Euro davon aus Mbappés eigener Tasche. Zudem tilgten die neuen Mehrheitsanteilseigner die Schulden des Vereins, der seit dem Abgang des ehemaligen Präsidenten Jean-Francois Fortin 2018 finanziell gebeutelt war.

    Pierre-Antoine Capton, Aufsichtsratschef und Besitzer der restlichen Anteile, sprach vom "Kylian-Effekt" und einer "unglaublichen Chance" für den Klub und in der offiziellen Mitteilung hieß es: "Diese Transaktion stellt einen bedeutenden Schritt in der strategischen Entwicklung des Vereins dar und untermauert seine natürlichen Ambitionen."

    Eine lose Verbindung zwischen Mbappé und Caen gab es bereits zuvor. Im Alter von 13 Jahren stand er als Rohdiamant vor einem Engagement in der 110.000-Einwohner-Stadt in der Normandie. Er entschied sich aber schließlich für einen Wechsel in die Jugendakademie der AS Monaco. Nun also sein verspätetes Engagement bei SMC.

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    SM Caen: Kylian Mbappés Vertrauter Ziad Hammoud wird neuer Klubchef

    Die Fans waren zunächst angetan vom Mbappé-Investment, ungewöhnlich viele Anhänger ließen sich beim Training ihres Vereins blicken - in der Hoffnung, einen Blick auf den prominenten neuen Klubchef zu erhaschen.

    Es roch nach einer Win-win-Situation. Auf der einen Seite ein chronisch erfolgloser Klub mit treuer Fanbasis, der wachgeküsst werden wollte. Auf der anderen Mbappé und seine Entourage um Mutter und Beraterin Fayza Lamari, die unternehmerisch umtriebig sind und sich auf diesem Sektor breit aufstellen wollen. Allein: Ein großer Name auf der Kommandobrücke allein garantiert keinen sportlichen Erfolg.

    Eine von Mbappés ersten Maßnahmen war die Trennung von Präsident Olivier Pickeu. Sein Vertrauter Ziad Hammoud, der sich zuletzt um die Verwaltung der Bildrechte des Stürmers gekümmert hatte, wurde der neue starke Mann im Verein. Hammoud skizzierte seine Vision des Klubs so: "Wir sind entschlossen, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich junge Talente entfalten können und in dem der Verein seine Identität mit Kraft und Ehrgeiz verteidigen kann."

  • SM Caen holt nur ablösefreie Spieler

    Dazu veröffentlichte Caen, wo einst die Ex-Frankreich-Stars William Gallas und N'Golo Kanté ihre Karrieren starteten, unter dem Marketing-Slogan "Nouvelle Vague" ("Neue Welle") neue Trikots mit hohem Wiedererkennungswert und dem offensichtlichen Ansatz, beim Design mehr Richtung Lifestyle zu gehen.

    Wer unter Mbappé auf erhebliche Investitionen in den Kader gehofft hatte, wurde jedoch enttäuscht. Caen verpflichtete ausnahmslos ablösefreie Spieler und verkaufte die beiden Sturmhoffnungen Andréas Hountondji (22, FC Burnley) und Norman Bassette (18, Coventry City) für insgesamt knapp sieben Millionen Euro Ablöse nach England.

    Im Winter wurde dann Linksaußen Tidiam Gomis (18), das größte Talent der Mannschaft, ein halbes Jahr vor dem Auslaufen seines Vertrags für eine Million Euro an RB Leipzig abgegeben.

  • Mbappe-Caen-SeubeGetty/GOAL

    Caen-Fans protestieren gegen Kylian Mbappé

    Seit dem Abstieg aus der Ligue 1 2019 ist Caen zweitklassig unterwegs. Die Rückkehr ins Oberhaus wurde nicht explizit als Ziel für diese Spielzeit ausgegeben. Trotzdem war der Saisonstart ernüchternd. Caen blieb in den ersten vier Spielen sieglos und gewann nur zwei der ersten zehn Partien. Früh nistete man sich am Tabellenende ein, flog dazu in der 5. Runde der Coupe de France gegen den Ligarivalen EA Guingamp raus.

    Von Mbappé, der selbst einen turbulenten Herbst mit mäßigem Start bei seinem neuen Klub Real und Schlagzeilen abseits des Rasens erlebte, hörte man nur wenig. Ende Dezember dann der Paukenschlag: Caen entließ angesichts der sportlichen Krise den bei den Fans äußerst beliebten Cheftrainer Nicolas Seube. Ex-Spieler Brahim Tiam ätzte, man habe Seube nach 22 Jahren als Spieler und Trainer im Verein "mit einem Arschtritt vom Hof gejagt". Eine durchaus verbreitete Ansicht, schließlich hatte die Klubführung für Seube bei dessen Entlassung nicht mehr als einen lieblosen Fünfzeiler übrig.

    Wenige Tage später machten die Fans ihrem Unmut am Rande der Niederlage gegen Clermont Foot Luft und griffen Mbappé auf unmissverständlichen Bannern direkt an. Darauf hieß es: "Bevor man auf der Weltbühne glänzt, sollte man die lokalen Persönlichkeiten respektieren". Auf einem anderen Spruchband war zu lesen: "Mbappé, SMC ist nicht dein Spielzeug." Und weiter: "Hier werden Legenden durch Arbeit und Loyalität geschaffen".

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    Caen-Fans fühlen sich "komplett im Stich gelassen"

    Die Ultra-Gruppierung Malherbe Normandy Kop listete jüngst in einer offiziellen Mitteilung die Versäumnisse der Verantwortlichen auf. "Angst und Verzweiflung haben uns übermannt", hieß es: "Unzureichende Transfers, gleichgültiger Besitzer, lethargische Spieler – wir fühlen uns komplett im Stich gelassen." Ende Januar marschierten Dutzende Fans nach einer neuerlichen Pleite gegen Guingamp auf den Rasen des Stade Michel-d'Ornano, um ihrem Unmut Luft zu machen.

    Denn unter Seubes Nachfolger Bruno Baltazar hatte sich die Krise verschlimmert. Mit dem Portugiesen an der Seitenlinie verlor Caen sieben Spiele am Stück und auch er musste seinen Hut nehmen. Nun darf sich Michel Der Zarkarian versuchen, ein erfahrener Mann, der in Frankreich bereits mehrere Traditionsvereine wie den FC Nantes, Stade Reims und HSC Montpellier betreute.

    Canal-Plus-Experte Bertrand Latour legte bei Mbappé den Finger in die Wunde: "Ich verstehe nicht, wie man gleichzeitig Spieler und Verantwortlicher sein kann. Es gibt für alles eine Zeit. Mitarbeiter brauchen Präsenz. Er kann nicht gleichzeitig in Madrid und in Caen sein. Wer Caen-Fan ist, hat allen Grund, sauer zu sein."

  • Mbappé stattet Caen einen Motivationsbesuch ab

    Angesichts der prekären sportlichen Situation, SMC ist nach 25 Spieltagen mit 19 Punkten Tabellenschlusslicht und hat acht Punkte Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz, reagierte der gescholtene Stürmer. Nach seiner Drei-Tore-Gala in der Champions League gegen Manchester City kürzlich stattete er Caens Mannschaft an seinem freien Tag einen Überraschungsbesuch ab.

    Dabei führte Mbappé Einzelgespräche mit einigen Spielern, posierte für Fotos und hielt auch eine Motivationsrede, um seine Truppe auf die erhoffte Trendwende und einen erfolgreichen Kampf um den Klassenerhalt einzuschwören: "Ich glaube daran - und ihr müsst auch daran glauben", so seine Botschaft. "Wenn ich hier bin, dann weil ich an das Projekt glaube. Ich wäre gerne früher gekommen, aber das war nicht möglich. Ich habe ihnen gesagt, dass ich bei ihnen bin und dass sie glauben müssen. Und ich habe eine Gruppe gesehen, die nicht resigniert hat und die Ergebnisse ändern will."

  • Kylian Mbappe Real Madrid 2024Getty

    Jérôme Rothen: "Dieser Verein wird sterben"

    Ob das reicht, um eine sportliche Wende und den ersten Sturz aus dem Profifußball seit 1987 herbeizuführen? Ein Anfang ist gemacht, aus den vergangenen beiden Partien gegen Pau und Clermont holte Caen immerhin vier Punkte.

    Skeptisch ist der ehemalige Caen- und PSG-Profi Jérôme Rothen. Er warf Mbappé vor, nicht früher nach Caen gekommen zu sein und zeichnete bei RMC Sportein düsteres Bild: "Als er frei hatte, hätte er nach Caen fahren können, anstatt nach Schweden zu reisen. Jetzt ist es zu spät. Dieser Verein wird sterben. Er wird im Championnat National (3. Liga, d. Red.) spielen und kann von Glück sagen, wenn er wieder auf die Beine kommt."